Sonntag, 11. April 2010

BJV-Papa Stöckel und die unartigen Journalisten

Ein Berufsverband, eine Partei, eine Verwertungsgesellschaft oder all die anderen old boy networks sind ein bißchen wie eine bessere Familie, in die man eingeheiratet hat: Man will, wenn überhaupt, nur jedes zweite Weihnachten mit ihnen verbringen, öfter erträgt man den patriarchalischen Schwiegervater alten Schlags nicht. Aber es beruhigt ungemein, ihn und seine guten Kontakte in der Hinterhand zu wissen, wenn man mal in Schwierigkeiten kommen sollte.
Da ich diese Distanz natürlich tunlichst pflege, konnte ich mich bislang auch kaum über den Bayerischen Journalisten-Verband aufregen. Anders als AZ-Sportchef Gunnar Jans, der sich schon mal öffentlich fragt, wofür er dem Verband jährlich 300 Euro Beitrag zahlt. Oder Christian Jakubetz, der beim BJV „ein ernsthaftes Auseinandersetzen mit der Krise, mit dem großen Umbruch, den wir seit Jahren erleben“ vermißt. Ganz von der neuen Generation Aktiver im BJV zu schweigen, deren konstruktive Kritik immer gleich als Nestbeschmutzung niederkartätscht wird.
Nun war ich neulich aber im Münchner Presseclub, noch so ein Seniorentreff der Wahren, Guten, Aufrechten, wo das hauseigene Magazin, die immer noch aktuelle Ausgabe N° 13, vom März 2009, auslag. Auf Seite 12 eine scheinbar verbandsübliche Philippika des BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel. Es geht um Ausbildungsbedingungen, Stellenabbau, Honorardumping, Pressefreiheit, kurzum: „Gefahr für die Demokratie“, was man eben – vollkommen zu Recht – von einer Journalistengewerkschaft hören will. Nur mit einem eigenartigen Zwischenton, bei dem man als BJV-Mitglied dankbar sein kann, daß das in den vergangenen zwölf Monaten offenbar niemandem aufgefallen ist, denn plötzlich wirft Stöckel eher beiläufig Kollegen „gehässigen Kampagnen-Journalismus“ vor und kritisiert, die Medien verließen zunehmend die „Position der fairen und neutralen Berichterstattung“.
Kritische Geister wie Harald Schmidt, Christoph Süß, Oliver Welke oder Oliver Kalkofe: Wer Prominente „ob Olli Kahn oder Horst Seehofer zu lächerlichen Comedy-Helden im Rundfunk macht, der darf sich nicht wundern, wenn die Stimmung umschlägt“. Nur zur Erinnerung: Hier spricht nicht Uli Hoeneß oder ein Adlatus der Staatskanzlei, sondern der oberste Repräsentant bayerischer Journalisten, der den von ihm vertretenen Journalisten aber gleich noch einen einschenkt, in Sachen Autorisierungen.
Jörg Thomann hat ja unlängst für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ auszuloten versucht, woher der Autorisierungswahn Prominenter und deren Manager kommen könnte, wobei es längst nicht mehr nur um die Freigabe von Zitaten geht, sondern zunehmend (Dr. Eckart von Hirschhausen, Kevin-Prince Boateng) um vollständige Artikel. Thomann muß da aber etwas Entscheidendes übersehen haben, denn Stöckel, immerhin primus inter pares, wußte es letztes Jahr schon ganz genau:
„Es sind unsere zum Teil unfairen Interview-Techniken, die dafür gesorgt haben, dass fast kein Gespräch mit Politikern, Wirtschaftsbossen und Prominenten mehr unautorisiert veröffentlicht werden darf.“ Ohne wenn und aber, ohne einschränkendes „es sind auch“, sondern: Wir. Sind. Selber. Schuld. Und nur wir.

Update: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 7. Juli 2008 über den Autorisierungswahn.
Bascha Mika von der „taz“ 2003 über den „Betrug am Leser“.

10 Kommentare:

Ejo Eckerle hat gesagt…

Mich hätte ja brennend interessiert, welche "unfairen" Interviewtechniken der Herr Stöckel meint. Beim Lesen des Artikels habe ich jedenfalls kein sachliches Argument gefunden. Fühlt sich da vielleicht jemand in seiner bayerischen Gemütlichkeit gestört?

Dorin hat gesagt…

Ich finde den Artikel, gerade in der Position, unglaublich. Wahrscheinlich wird er dennoch wiedergewählt werden...

Unknown hat gesagt…

Guten Tag!

Ich kannte bislang Herrn Dr. Stöckel nicht - habe aber persönlich Post von ihm bekommen, weil ich in seinen Augen ein ganz, ganz, ganz schlimmer und unartiker Journalist bin.

Der BJV hatte mich erst zum Süddeutschen Journalistentag eingeladen und weil ich so ein Schlimmer bin, dann wieder ausgeladen.

http://prothmann.posterous.com/fanpost

Schöne Grüße
Hardy Prothmann

Ex-BJVler hat gesagt…

Kritiker werden gerne von Stöckel und Ancker entsorgt. So bekommt man für Kritik schnell ein Ausschlussverfahren oder Frauke nölt einem hinterher: "Sie sind ja nur umgezogen um einem Ausschluss zuvor zu kommen"

So regt sich die neugierige Geschäftsführerin Frauke Ancker über den Chef der Agentur CMK auf, der mit aufwändigen Recherchen die Wahrheit über Münteferings Rücktritt recherchieren wollte. Unerträgliche Bespitzelung!!!! Das hätte aber auch die Geschäftsführerin treffen können, die schon vor Jahren beim Bespitzeln ihrer eigenen Mitglieder erwischt wurde. Frauke Ancker sollte da lieber nicht mit Steinen werfen, wo Sie doch in vielen Glashäusern sitzt.

Auch nötigt Herr Stöckel den Herausgeber des BJV Report sich von seinem Anzeigenverkäufer zu trennen, da dieser doch den ehrenwerten Bundesvorsitzenden des DJV wegen Untreue angezeigt hat. Die Staatsanwaltschaft hat übrigens das nicht als unbegründet angesehen und das Ermittlungsverfahren eröffnet.

Das ist der Stil der Altvorderen im BJV - Respekt, bei so einem Verein will man dabei sein oder?

Dorin hat gesagt…

Bisher hatte ich mit der Geschäftsstelle des BJV nur gute Erfahrung gemacht und sonst nur von Dritten gelegentlich Klagen über den Vorstand gehört.

Die erste leichte Trübung war zum Jahreswechsel, als der DJV angesichts der Presseaussperrung an der Ludwig-Maximilians-Universität prompt reagierte, ich vom BJV aber bis heute nie eine Antwort auf meine Bitte um Vermittlung erhielt, und dann nur dem BJV-Report entnehmen durfte, daß man unter Berufung auf meine Beschwerde doch aktiv geworden ist.

Aber diesen Artikel für das magazin des Presseclubs fand ich dann für eine Standesorganisation schon unglaublich.

Anonym hat gesagt…

Harald Schmidt, Christoph Süß, Oliver Welke und Oliver Kalkofe sind die ersten Namen, die mir einfallen, wenn ich an zur Neutralität verpflichtete Vollblutjournalisten denke.

Dorin hat gesagt…

Die Frage ist doch nicht, ob Comedians oder Moderatoren satirischer Formate neutrale Vollblutjournalisten sind, sondern ob es - wie von Stöckel unterstellt - deren Schuld sei, wenn „die Stimmung umschlägt“ und Pressefreiheit untergraben wird.

Anonym hat gesagt…

Ich finde es schon bedenklich, wenn der Repräsentant einer Journalistengewerkschaft zumindest den Anschein erweckt, als werfe er Journalisten und Comedians in einen Topf.

Dorin hat gesagt…

Die Namen stammen ja von mir, Stöckel bezog sich wohl eher auf weniger prominente redaktionelle Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und privater Radiostationen, die sich über Stoiber, Seehofer und Kahn lustig gemacht haben...

Aber im Grunde liegst Du mit Deiner Kritik nicht falsch.

Dorin hat gesagt…

@ex-BJVler Gibt's denn zu den Vorwürfen (Bespitzelung, Entlassung, Untreue) Belege, Links oder Aktenzeichen? Sonst müßte ich wohl den Kommentar löschen, da es Verleumdungen sein könnten.