Mittwoch, 27. Oktober 2010

Berliner Jahre (4): Das Florian, 1996

Geduld, Toleranz und die Fähigkeit zuzuhören, das sind Qualitäten, die die Nürnbergerin Ute Gilow als Hauswirtschaftsleiterin gelernt hat. Waren es früher Altersheimbewohner und Rabauken aus dem Kinderheim, so sind es heute Künstler und Kulturmanager wie Matthieu Carrière, Meret Becker, Conny Konzack und Vadim Glowna, die ihre Aufmerksamkeit beanspruchen.
1978 wechselte die Fränkin in die Gastronomie, als Künstlerfrau gewohnt, ein offenes Haus mit anspruchsvollen Gästen zu führen. „Nun sollten die Gäste auch dafür bezahlen.“ Mit dem Schöneberger Gottlieb ging es los. Die Studentenkneipe war zwar nur gepachtet, zeichnete sich aber bereits durch Utes fränkisch-bayerische Küche aus. Und durch eine kellnernde Jura-Studentin, Gerti Hofmann, mit der die Wirtin nicht nur den fränkischen Zungenschlag gemeinsam hatte, sondern bald auch den Traum von der eigenen Wirtschaft, von einem Goldenen Schwan oder Schwarzen Ochsen, in dem man etwas feiner essen können sollte.
Die Wahl fiel schließlich auf eine Immobilie in der Grolmanstraße und den Namen Florian, für den Frankens einziger Freiheitsheld Florian Geyer Pate stand. Utes Mann schuf noch ein „Wunderwerk an Tresen“, das ein Schiff darstellt, dann blieben sich Ute und Gerti in dem Zweimäderlhaus allein überlassen. Die Ältere in der Küche, die Jüngere hinterm Tresen, beide unterstützt von einer kuriosen Schar dilettierender Violinvirtuosen, Theologiestudenten und anderer Gelegenheitskellner, von denen einige nach vierzehn Jahren* immer noch dabei sind und „es inzwischen können“.
Das künstlerisch angehauchte Publikum kam aus dem Zwiebelfisch und der Paris Bar – und schließlich von einem Nachtdreh, der die Legende vom Florian als Filmkantine schuf. Peter Keglevic drehte mit Brigitte Horney, Erland Josephson und Krystyna Janda um die Ecke und bekam nach Drehschluß zu später Stunde nur im Florian noch etwas zu essen. Produzent von Vietinghoff und die Schar der Filmtechniker sind dem Florian seitdem treu geblieben. Die Wirtschaft wurde zum Filmertreff, und Ute erlitt ihre Kachelkrise.
Ständig in der Küche zu stehen und zu schwitzen, während vorne das Leben tobte, das war nicht mehr auszuhalten. So beschlossen Ute und Gerti, in Zukunft nur noch Gastgeberinnen zu sein und die Küchen- wie die Tresenarbeit Angestellten zu überlassen. Die Speisekarte umfaßt seitdem nicht mehr nur Utes „Kochküche“, sondern auch Kurzgebratenes und Edleres wie Scampi.
Das eingespielte Duo, das sogar zusammen wohnt, versuchte bereits mehrmals, die gemeinsame Stärke andernorts zu nutzen. So sehr auch die Stammgäste im Florian quengeln, sobald ihre Mamis nicht vollzählig anwesend sind. Bereits Mitte der 80er Jahre gründeten Ute und Gerti mit einer weiteren Partnerin ein Lokal am Halleschen Ufer, das aber nicht so richtig ankam beim Publikum. Nachdem die Gründungsschulden abgetragen waren, zogen sie sich aus der Partnerschaft zurück.
André Heller begeisterte sie dann für seinen Traum eines Künstlerlokals im neuen Wintergarten an der Potsdamer Straße. Doch die Realität verlangte nach einer Veranstaltungsgastronomie, wie sie Ute und Gerti nicht bieten wollten. Erfolgreicher ist ihr Engagement in der Bar jeder Vernunft, wo die Ladies nicht in eigener Regie, sondern eher „beratend“ für das leibliche Wohl der Zeltgäste sorgen. Während Gerti mit ihrem Glück in der Grolmanstraße zufrieden zu sein scheint, träumt Ute von einem Landgasthof im Oranienburger Raum.
*Dieses Porträt erschien in der Kulturbeilage des Berliner „Tagesspiegel“: „Ticket“ 21/1996, am 23. Mai 1996 im Rahmen einer Serie über „Berlins wichtigste Wirte“.

(Foto: Hans Brückner)

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