Sonntag, 16. September 2007

Heute nacht: Live-Blog zu den Emmy Awards










Bei aller Umtriebigkeit in meinem Kiez verliere ich so langsam den Blick für die große weite Welt. Erst entgeht mir Sophie Marceaus Audienz in Berlin und jetzt hätte ich auch beinahe übersehen, daß heute nacht die Primetime Emmy Awards in L.A. verliehen werden. Eine Veranstaltung, die im Unterschied zur pompös-steifen Oscar-Verleihung stets als kurzweilige spritzig-intime Familienfeier überzeugt. Nominiert sind unter anderem Greta Scacchi, Toni Collette, Sandra Oh, William Shatner, Aidan Quinn, Ricky Gervais, Stephen Colbert, David Letterman und Serienhighlights wie „24“, „Grey's Anatomy“, „Two and a half men“, „Extras“, „Scrubs“, „The Sopranos“, „Weeds“ und „Desperate Housewives“. Pro Sieben überträgt ab 2 Uhr früh, ich werde live dazu bloggen und meine Physiotherapeutin wird morgen noch mehr Mühen mit mir haben als eh schon.

Sophie Marceau? Sophie Marceau!

Bitte! Sagt doch das nächste mal vorher Bescheid, wenn das Sopherl in Deutschland auftritt. Danke!

Manufactum findet Otto gut

Wie die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ heute meldet, ist Manufactum vollständig von der Otto-Gruppe übernommen worden, die bereits zu 50 Prozent Teilhaber war. Die „F.A.S.“ stellt die Übernahme in eine Reihe mit dem Einstieg der Schwarz-Gruppe (Lidl) bei Basic. Ich sehe das nicht ganz so, da Thomas Hoofs Manufactum kein Ökobetrieb war, sondern ein spleenig-bildungsbürgerlicher Spezialist für das Wahre, Schöne, Gute zu Apothekenpreisen. Da Hoof seine Produkte nicht in Frauen- oder Lifestyle-Zeitschriften sehen wollte und deren Journalisten boykottierte, mußte ich die Sachen immer direkt beim Hersteller anfordern oder bei Manufactum kaufen, wenn ich sie im Heft vorstellen wollte... Mit dem Otto-Versand scheint er da keine Berührungsängste gehabt zu haben.

Updates: Die offizielle Pressemitteilung von Montag.
Im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ vom Dienstag (Beitrag derzeit nicht online) schlägt Gerhard Matzig auch die Brücke von Manufactum zu Basic. „Allerdings erinnert die Adoption durch Otto auch an das Drama um den Flirt des Bio-Einzelhändlers 'Basic' mit der Schwarz-Gruppe ('Lidl'). In den erregten Diskussionen um diese Übernahme bestätigte sich eindrucksvoll, dass Discount-Images und Ethik-Vorstellungen kaum kompatibel sind. Masse und Klasse schließen sich zwar nicht unternehmerisch aus, nicht in der Realität also, wohl aber auf dem Terrain der Suggestivität, Brands und der Sehnsüchte.“
„Soeben ist 'Manufactum' an eine Unterabteilung ausgerechnet des Otto-Versands verkauft worden; und zwar an eine, die vor kurzem wegen Bewirtschaftung von Kinderarbeit in Indien Schlagzeilen machte und 'Heinrich Heine GmbH' heißt. Gibt es sie nicht mehr, die guten Händler? Beruhige dich, nostalgisch' Herz. Denn die eigentliche Nachricht ist, dass Otto Normalbelieferer auch bislang schon die Hälfte der Anteile an 'Manufactum' hielt und dessen Gründer zwei Jahre lang vergebens nach einem Nachfolger suchte.“ Jürgen Kaube im „F.A.Z.“-Feuilleton vom 18. September.

Petit déjeuner musical (36)

Messieursdames, Daphné – die im Rahmen des Francophonic-Festivals im November auf Deutschland-Tour geht!





Wöltje wird Wirt

Gregor Wöltje, Kreativer und gemeinsam mit seiner Frau Claudia Langer als Gründer von .start lange Zeit verantwortlich für die Werbung von e.on, Burger King und der Deutschen Bank, hat sich die letzten drei Jahre lieber den Kindern und dem Bau seines neuen Familiensitzes gewidmet, doch jetzt zieht es den Privatier zurück ins Geschäftsleben. Nur nicht in die Werbebranche. Wie der „Kontakter“ in seiner morgigen Ausgabe meldet, plant Wöltje mit der Good Restaurants AG eine Fast-Food-Kette. „Wir haben sieben Jahre lang für Burger King gearbeitet. Wir haben gesehen, wie Systemgastronomie funktioniert,“ erklärte Wöltje dem Branchendienst. Nicht nur sein Firmenname, sondern auch das Konzept erinnern an Fast Good, die Premium-Schnellrestaurants, die Ferran Adrià in Zusammenarbeit mit den NH Hotels betreibt.

Updates: Inzwischen ist auch Claudia Langers Lohas-Portal Utopia frei zugänglich (siehe Kommentare) und in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 11. November unter der Überschrift „Die Bionadisierung der Gesellschaft“ (kostenpflichtig online) groß vorgestellt worden. „Ich bin kein Gutmensch, ich will Geld verdienen. Nur eilt das nicht“, so die Millionärin. „Der Profit kommt später, dafür habe ich vom ersten Tag an emotionale Rendite.“

Eine erste, eher kritische Betrachtung von Utopia bei VitalGenuß.

Die „Welt“ versteht Utopia.de als bürgerliche Berliner Ökobewegung.

2009 gründet Gregor Wöltje mit Martin Kleene die WKKW GmbH, eine „Non-Profit-Unternehmensberatung für Nachhaltigkeit“, um das „Changemaker-Netzwerk“ von utopia.de, „der Internet-Plattform für strategischen Konsum“, in den Dienst Dritter zu stellen.

Unter dem Namen Waku-Waku hat Wöltje inzwischen in Hamburg seine Bio-Wok-Fastfood-Kette gestartet.

Samstag, 15. September 2007

Stern plant erotische Bilderblogs

Ergänzung für die „Stern“-Blogs: Zu den ungefähr zwanzig bereits bloggenden Journalisten sollen fünf Bilderblogs dazu stoßen. Gemeinsames Merkmal in Anlehnung an die online besonders beliebten „Liebesleben“-Strecken der Illustrierten: Die fünf Fotografen sind auf erotische Motive spezialisiert.

Update: Ende Juli 2008 hat der „Stern“ die Erotik-Blogs schlagartig offline gestellt.

Burdas feine Unterschiede bei Videoportalen

Juristisch hat es sicher seine Richtigkeit. Dennoch hat es für mich ein Gschmäckle, wenn „Focus TV“ seinen Beitrag über Basic und Lidl bei Sevenload freigibt, aber sofort dagegen einschreitet, wenn derselbe Beitrag bei YouTube hochgeladen wird: „This video has been removed due to terms of use violation.“

Schluß mit lustig?

„Das Blog, das vorher sowas wie die Wohnung des Bloggers war, wird zunehmend zum Büro.“ Vanessa Diemand/ZKM (via Reisenotizen aus der Realität)

Dicke Finger und ein Schamhaar im Hals

„Unsere Zeit lässt so viele Fragen unbeantwortet, in 'Curb' werden sie wenigstens gestellt. Warum passt durch die Henkel der meisten Kaffeetassen kein Finger? Wo legt man auf Stehpartys seine abgenagten Fleischspieße ab? Wie sagt man seinem Arzt, dass man ein Schamhaar im Hals hat? Darf die Ehefrau verlangen, dass man ihr auch noch im Jenseits treu bleibt, wenn man doch bei der Hochzeit nur 'bis dass der Tod euch scheidet' geschworen hatte? Ist es arrogant, beim Bäcker auf einen Cent zu verzichten, oder im Gegenteil kleinlich, darauf zu warten? Ein Tag im Leben jedes Menschen enthält genug Material für eine Sitcom-Folge.“
Jochen Schmidt in der „Süddeutschen“ vom Wochenende (leider noch nicht online) über die gemein gute Comedy-Serie „Curb your enthusiasm" von und mit dem „Seinfeld“-Erfinder Larry David

Ahnungsloser Altverleger

Das Problem der Mainstream-Medien mag sein, daß sich die Entscheidungsträger nicht mit dem Internet beschäftigen. So wie der legendäre Chefredakteur eines Nachrichtenmagazins, dessen Computer auf dem Schreibtisch lange gar nicht angeschlossen war. Oder Michael Ringier, der sich heute im „taz“-Dossier zur „Zeitung der Zukunft“ keine Sorgen wegen des Webs macht: „Im Internet finden ich ja meist nur, was ich suche. In der Zeitung finde ich Dinge, von denen ich gar nicht wusste, dass sie mich interessieren. Wenn ich so eine Doppelseite mit dem Auge überfliege, habe ich innerhalb von Sekundenbruchteilen herausgepickt, was ich lesen will. Das kann etwas sein, was ich sonst nicht gefunden hätte, weil ich gar nicht wusste, dass es das gibt.“ Das kann doch nur jemand behaupten, der seinen Rechner nur zum Googeln benutzt und noch nie auf einer Nachrichten-Seite wie Spiegel Online, einer Community wie YouTube, einem Dienst wie Perlentaucher oder einem Blog-Aggregator wie Rivva war – wo das nicht Zusammenhängende zusammengeführt wird. Das Schöne wie Zeitraubende am Internet ist doch gerade, daß man sich in Sphären verliert, von denen man nie etwas geahnt hat.

jetzt.de-Blogwahl: Nur 168 200 Teilnehmer?!

Nach der überwiegend negativen Resonanz in der Blogosphäre scheint die Kür des „besten deutschen Blogs“ auf jetzt.de bei deren Usern nicht viel mehr Beifall gefunden zu haben. Laut dem Drittplazierten Isarstadt haben nicht einmal 200, in Worten zweihundert Leser mit abgestimmt. Das ist nicht nur nicht repräsentativ, sondern eine ziemliche Pleite – zumal die Blogwahl auch in der Printausgabe der „Süddeutschen Zeitung“ groß präsentiert worden war. Erster wurde übrigens die Riesenmaschine, zweiter der NPD-Blog.
Update: Ganze 168 haben abgestimmt!

Wies'n-Warm-up

Ulf Poschardt mag's gefreut haben, denn dank der Plazierung der „Vanity Fair“ im Goodie Bag des Trachten-Clubbings im P1 wird sein Magazin gestern eine signifikante Auflagensteigerung erlebt haben. Nicht nur dieses Geschenk, auch die im Club ausgestellten P1-Dirndl der Jungdesignerin Caroline Fischer ließen schon schlimmstes befürchten, aber auf dem Laufsteg gab es durchaus Schmuckes wie Sehenswertes des neuen Labels „Frey erfunden“ von Lodenfrey sowie der Dirndlkollektionen von Escada und Lola Paltinger. Nur die im wahrsten Sinne des Wortes Krachlederne mit iPod von Lodenfrey konnte ich nicht entdecken... Das Wies'nfieber steigt jedenfalls, man sieht schon den ganzen Tag über vermehrt Trachten auf der Straße, die Baukantine brummt und Dienstag steigt das nächste Warm-up mit der Dirndldessousshow im P1, bevor es dann Samstag endlich „O'zapft is!“ heißt.

Freitag, 14. September 2007

Aber Lidl, warum hast Du so schöne, goldene Zähne?

Die Kampagne gegen den Einstieg der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) bei der Bio-Supermarktkette Basic rüstet jetzt auf und bietet Baumwolltaschen und Plakate mit diesem Rotkäppchenmotiv. Es wird sie beispielsweise am Sonntag beim attac-Stand auf dem Streetlife-Festival (Update: im Forum der Möglichkeiten direkt am Siegestor) geben und wohl auch dieses Wochenende bei den Bioerlebnistagen am Odeonsplatz. (alle Beiträge zum Thema; Illustration: Bernd Bücking)
Updates: Focus TV zum Thema. dpa-Meldung zur Betriebsratswahl.

Süssmayrs Sündenfall

Im Dunstkreis der „Falschen Freunde“ rechne ich mit Augustiner, Augustiner, Augustiner – und sonst gar nichts. Daher frage ich mich, was der größere Sündenfall war: Daß Florian Süssmayr auf seiner Vernissage in der Galerie Schöttle Löwenbräu ausschenken ließ oder daß er die blasse Plörre als Maler verewigt und so wohl das ungewohnte Bierangebot inspiriert hat.

Münchner Medienfuzzi-Meeting

Neulich entdeckte ich mit Freuden, welches nette Kiez die Ecke Gabelsberger/Schleißheimer Straße ist, und nächste Woche gibt es Gelegenheit, die Kohlenstoffwelt dort näher zu erkunden, denn die Werbeblogger Patrick Breitenbach & Roland Kühl-v. Puttkamer sowie der Clap-Club rund um Peter „Bulo“ Böhling bitten Prediger & Nutten Blogger & Medienleute zum feuchtfröhlichen Palaver.

Rosinenpicker Turi

Verdanken wir es der dynamitgeladenen erotischen Zeichnung an der Wand des Clap-Clubs, hat er sich im Urlaub so gut erholt oder blüht er auf, weil er – leider – nicht mehr alleine seinen Blog füllt? Jedenfalls sah Peter Turi früher nicht so cool aus, wie in der aktuellen Ausgabe des „Clap“-Magazins. Daß er dagegen Geistreiches von sich geben kann, ist keine Überraschung. Nur aus dem Alter, in dem man sich die Rosinen aus dem Kaiserschmarr'n pickte, sollte er doch längst heraus sein...

Sexuelles Networking

Die Zeitrafferin wird's freuen: Im neuen „Playboy“ wird – nicht wirklich überraschend – eine Bresche fürs Fremdgehen geschlagen. Zwar sehe ich immer noch einen entscheidenden Unterschied zwischen „simultanen Mehrfachbeziehungen“ und Menschen, die vorgeben, in einer festen Beziehung zu leben und dabei betrügen, aber dennoch ist es charmant, wie die „Playboy“-Redaktion die Untreue ins 21. Jahrhundert übersetzt: Es handle sich dabei um „sexuelles Networking“, „horizontales Xing.
Die Zeitrafferin wird's freuen: Im neuen „Playboy“ wird – nicht wirklich überraschend – eine Bresche für die Untreue geschlagen und so

GEZ und die Rundfunkanstalten lassen nicht locker

In den letzten Wochen wurde kolportiert, daß den Rundfunkanstalten die Zensurmaßnahmen der GEZ gegen das Webportal akademie.de peinlich wären. Spiegel Online zufolge wurden zwar tatsächlich die absurdesten Vorwürfe zurückgezogen und das Verfahren von der GEZ an den SWR abgegeben, aber die offenbar von den Jubelarien ihrer hauseigenen Journalisten verwöhnten öffentlich-rechtlichen Sender wollen den Medien per Abmahnung weiterhin vorschreiben, wie der Rundfunkgebühren-Staatsvertrag zu interpretieren ist.
Update: Akademie.de plant laut Heise jetzt eine negative Feststellungsklage gegen den SWR.

Donnerstag, 13. September 2007

The Sixth Senf

„I see dead people“...

Paris Burlesque Revue

Gentry Lane, Bloggerin der ersten Stunde, als Amerikanerin an der Seine Directrice eines wunderbaren Dessous-Labels in Paris und so verrückt, wie es mir gefällt, ist offenbar nicht ausgelastet und bittet nächste Woche zur Burlesque Revue ins Divan du Monde: Not since Josephine Baker hit the boards has Paris seen a show like the Gentry de Paris Burlesque Troupe. We have tap dancers and fan dancers, peacock feathers and rose petals, electro Django gypsy jazz from the *amazing* Caravan Palace, plus the King of Parisian Nightlife and Dandy Supreme, Monsieur Nicolas Ullmann to host the festivities.
And imported for your pleasure from the US of A, Burlesque's most scintillating stars: Vienna Le Rouge, Tana the Tattooed Lady and Bettina May.
Plus we have drink specials, Virginie Notte's Modern Pin-Up photo exhibit and book launch, Nikola Acin and his Stellar Sideburns will spin swinging tunes before and after the show, plus the chance to get your photo taken with the stars.

Da werde ich wohl stattdessen in der Barer Straße sitzen und Kisten auspacken...

DSF, MTV und noch mehr Sender via www

Dank Eye-TV kann ich mit meinem PowerBook schon wunderbar mobil fernsehen oder wie gestern parallel auf dem Rechner die Rumänen Fußball spielen sehen und vor dem Fernseher „Desperate Housewives“ und „Grey's Anatomy“ gucken. Aber das funktionierte bislang nur mit den Mainstream-Sendern wie ARD, ZDF, Pro Sieben & Co, die auch terrestrisch ausgestrahlt werden.
Jetzt kann ich aber endlich auch Kabelsender wie MTV, Comedy Central oder die 60er-Spiele auf DSF gucken – dank der Fernsehplattform Zattoo, die nun auch die deutschen Web-User bedient. Klingt gut, werde ich gleich mal ausprobieren. (via „Financial Times Deutschland“)

Update: Zattoo bringt jetzt auch die Programme von arte, 3sat, ARD, ZDF, den 3. Programmen wie NDR, WDR, RBB etcetera als Online-Stream!

Vintage bei American Apparel

H&M hat bereits vor ein, zwei Jahren damit angefangen und nun setzt auch American Apparel auf das Geschäft mit alten Klamotten: Morgen abend eröffnet der global player in der Kölner Maastrichter Straße 36 „California Vintage“ ein neues Ladenkonzept, in dem „eine Kombination aus auserwählter Vintage Kleidung und einzigartigen American Apparel Musterstücken“, geführt wird, „die es bald darauf in allen Retail Stores weltweit zu kaufen gibt.“ Bei dem Durchschnittsalter der AA-Klientel verstehen die wahrscheinlich unter Vintage die Kollektionen der neunziger Jahre, aber genaueres wissen wir morgen. Da ich gerade aus München nicht weg kann, habe ich meine Einladung an Les Mads weitergeleitet. Mal sehen, was die übermorgen berichten werden.

Updates: Den Mädels hat's gefallen.

In Berlin-Mitte hat inzwischen ein weiterer „California Select – Vintage and More“ eröffnet, in der Alten Schönhauser Straße 41.

MTV stößt in München auf Widerstand

Unsere schöne Landeshauptstadt blickt auf zwei Traditionen zurück, eine religiöse und eine rebellische, und ausgerechnet den MTV Europe Music Awards (EMA) droht derzeit, von beiden radikalen Strömungen unterspült zu werden. In subversiven Maillisten kursiert gerade ein Aufruf, die weltweit ausgestrahlte Veranstaltung (letztes Jahr über 1,4 Milliarden Zuschauer in 179 Ländern) für eine Demonstration gegen Schäubles Überwachungspläne zu nutzen, denn – so der gewagte wie phantasiereiche intellektuelle Dreisprung: Überwachung – Paparazzi – MTV EMA! Größeres Gewicht hat wohl der Einspruch des Erzbistums München gegen den Tanz um die goldenen Awards. Denn MTV plant die Party in der Olympiahalle ausgerechnet am 1. November abzuhalten. Allerheiligen, wenn in unserer schönen Stadt Tanzverbot herrscht und in Räumen mit Schankbetrieb musikalische Darbietungen untersagt sind: „An den stillen Tagen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur dann erlaubt, wenn der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist.“ Eine Verwaltungsvorschrift, die derart verstaubt und reaktionär ist, das sie schnellstens abgeschafft gehört. Zwar sind Ausnahmen zugelassen: „Die Gemeinden können aus wichtigen Gründen im Einzelfall von den Verboten der Art. 2, 3 und 4 Befreiung erteilen“. Aber so lange uns Münchnern am 1. November das Feiern verboten wird, stellt die Ausnahmegenehmigung des sonst in solchen Fällen immer wieder Bußgelder verhängenden Kreisverwaltungsreferats einen bigotten Skandal dar, und die katholische Kirche genießt meine vollste Sympathie, dagegen gerichtlich vorzugehen. Party für alle – oder gar nicht.
Updates: Laut der Münchner „Abendzeitung“ prüft nun das bayerische Innenministerium, „warum die Stadt eine Befreiung vom Gesetz erteilt hat – und wie sie diese begründet. Wirtschaftliche Interessen reichen niemals aus.“
Auf einer „eilig einberufenen Pressekonferenz“ erklärte das Kreisverwaltungsreferat laut der
„Süddeutschen Zeitung“ ,
„dass es keinen Ärger mit der Kirche wünsche. Man habe sich die Angelegenheit wohl überlegt: 'Das Feiertagsgesetz ist ein sehr wichtiges Gesetz, darüber sind wir uns einig mit der Kirche, wir ziehen an einem Strang', so Horst Reif als stellvertretender Kreisverwaltungsreferent. ' Richtig ist aber auch, dass Artikel 5 die Regelung vorsieht, Ausnahmen zuzulassen.' Eine internationale Veranstaltung dieser Größenordnung sei vergleichbar mit der Weltmeisterschaft oder der Olympiade.“

Mittwoch, 12. September 2007

Explicit: Internet klärt kaum auf

Heute hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre Repräsentativerhebung 2007 zum Verhütungsverhalten Erwachsener vorgestellt, und es hat mich doch überrascht, wie wenig das Internet zur Aufklärung beiträgt. Etwaige Kenntnisse über Empfängnisverhütung verdanken gerade mal 16 Prozent dem Internet, womit es immer noch weniger Bedeutung als Bücher (42%), Aufklärungsbroschüren (35%) oder Schul- und andere Vorträge (23%) hat. Daß „Bravo“ und andere Printtitel mit 45 Prozent weit vorne liegen, war dagegen zu erwarten. Spitzenreiter mit 65 Prozent sind „Gespräche mit Freunden, Verwandten, Bekannten“. Online-affiner sind offenbar junge Männer, die zu 29 Prozent per Computer aufgeklärt werden. Aber wahrscheinlich halten die es schon für Empfängnisverhütung, wenn bei den Pornoanbietern ins Gesicht und auf die Brüste abgespritzt wird...

Fast Food Vitamine oder: wie man Äpfel verkauft

Kommendes Frühjahr ergänzt Burger King sein Sortiment um „Fresh Apple Fries“, pommesartig geschnittene Äpfel, die in der Pommes-Schachtel verkauft werden – wenn auch ohne Mayo oder Ketchup. Vom Erdapfel zum Apfel. So bescheuert, daß es fast schon wieder gut ist.

Tête-à-tête mit dem Basic-Vorstand

Etwas über zwei Stunden saßen heute morgen unter anderem die Vorstandmitglieder Josef Spanrunft und Johann Priemeier von der Bio-Supermarktkette Basic mit Vertretern von attac, dem Sozialforum und mir zusammen. Den ganzen Vormittag wurde der Einstieg der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) bei ihnen diskutiert, und bei aller Kommunikationsbreitschaft läuft es darauf hinaus, daß die Schwarz-Gruppe beteiligt bleibt und wir weiter dagegen agitieren werden. Der von Thomas Knüwer – auch nur vom Hörensagen – verbreiteten Behauptung, daß nur etwa sieben Prozent der Basic-Anteile vinkulierte Namensaktien wären, widerspricht aber der Basic-Vorstand entschieden. Hundert Prozent der Aktien seien vinkuliert, ein Kauf nur mit Zustimmung des Vorstands möglich und der Verkauf weiterer Anteile an die Schwarz-Gruppe daher nicht möglich. (alle Beiträge zum Thema)

Burda läuft – Keiner sieht's?

Leeres Stadion, großes Hubert Burda Media – ist das alles, was es vom gestrigen Mitarbeiterevent im Olympiastadion zu sehen gibt? Letztes Jahr wurden wenigstens noch der schöne Marcel, Playboy-Bunnies und gut gelaunte Mitarbeiten aufgeboten, von den Sportlern ganz zu schweigen...

Blogparade: Was ist Heimat? (2)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart gestern dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. (Update: Hier ein erster Zwischenbericht zum Feedback.) Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben. Dieser hier über Urlaub daheim ist erstmals am 2. August 1998 im „Tagesspiegel“ erschienen, als Berlin bereits acht Jahre meine Wahlheimat war. In leicht gekürzter Form hat ihn dann auch das „Sympathie Magazin“ in seinem Themenheft „Tourismus“ 1999 nachgedruckt.

Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Sehenswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen irgendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Republik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschinen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, Tête-à-têtes und Verpflichtungen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen.

Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäppchenreise oder Lebemanns Städtetrip zwischen Grand Palais und Croisette. Zuhausegeblieben, weil potentielle Reiseziele in Israel oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt erreichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarrangement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den verplanten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswoche entgegenzusetzen. Einfach mal hierbleiben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen.

Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn - oder kleine Verrückheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donnerstag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Theaterbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position beziehen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren.

Dabei darf man keinesfalls mitpulsieren, Fußmärsche absolvieren, einen Schaufensterbummel machen oder sich gar ins Café setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, warten und den Strom an sich vorbeiziehen lassen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gästen wie Einwohnern.

Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schicker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehrlich, schlicht, authentisch erleben, als Teil eines Ganzen.

Für Salomons Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufüllen, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der nächsten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Verkaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbeitet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salomons Bagel in die Joachimsthaler Straße retten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) haben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schneidersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins. Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte.

Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wechselt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den wenigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiesprache mit den geschichtsträchtigen Jahrhunderten halten und ihren kapitalen kontinentalen Zauber spüren, gerade wenn der unvermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht.

Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucherstäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstücken, dem orientalischen Markttreiben zusehen, den Pariser cheap chic von Tati gegenüber im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören und vollkommen vergessen, ob man nun in Istanbul, Paris oder doch nur zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt.

Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind – so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen.

Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen.

Unmittelbar dahinter liegt die Strandvoliere, das kleine Charlottenburger Seeidyll. Ich weiß nicht mehr, ob das nun Seeschwalben, Goldammern oder irgendwelche Strandläufer waren, da ich urlaubsbedingt ganz ohne Reporterblock das Vogelparadies genossen habe. Mit Sicherheit kann ich mich aber an kein abgeschiedeneres, kein romantischeres Plätzchen in unmittelbarer City-Lage erinnern. Vormittags und nachmittags soll eine sedative Wellenanlage in Betrieb sein, mir hat bei meinen Besuchen am frühen Abend die Bewegung der Vogelkolonie völlig genügt. Man betritt die Voliere, nimmt auf Tuchfühlung mit den Tieren Platz und hat ein fesselndes Programm vor Augen: Dallas auf der Düne, ein verästeltes Balz, Kampf-, Sozialverhalten, in dem man rasch kurz- und lang, rot- und schwarzschnabelige Arten unterscheidet, und dann bei all den Flugmanövern, Tauchgängen und Sandspielen allmählich auch Jung und Alt, Chefs und Mitläufer, Sammler und Saboteure identifiziert.

Nahezu ebenso spannend kann ein Abend, der Donnerstagabend im Far Out sein, der altgedienten Ku'damm-Disco neben der Schaubühne, die ich nach zwölfjähriger Pause wiederbetreten habe, wie ein Tourist an eine Stätte früherer Vergnügungen zurückkehrt. Die Mas und Swamis haben die gleiche Metamorphose durchgemacht, wie sie unberührten Strandabschnitten und ländlichen Geheimtips widerfährt – man selbst ist auch nicht vor Erleuchtung strahlend geblieben, geschweige denn jünger geworden.

Aber es bleibt noch immer Berlins einziger Club, vor dessen Einlaß man gern, weil entspannt und in freundlicher Gesellschaft Schlange steht. Das Barpersonal setzt seinen besorgten Blick auf, wenn man Wodka pur ordert. Und die Gäste sind jung, gut gelaunt, international gemischt, promiskuitiv – eben all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der Dj will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf.

Beim Thema Jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schon wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan.

In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in andere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat.

Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten.

Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

Blogparade: Was ist Heimat? (1)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart gestern dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. (Update: Hier ein erster Zwischenbericht zum Feedback.) Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben.

Ein Cappuccino von Starbucks, das Sommerkleid von Zara, die neuesten Intrigen der „Desperate Housewives“: Viele lieb gewonnenen Dinge gibt's auch da, wo immer man gerade hinreist. Die Welt ist zum globalen Dorf geworden, in dem man sich ganz gut zurechtfindet, egal ob man in Lausanne oder London, München oder Mannheim gelandet ist. Heimisch fühlt man sich deshalb noch lange nicht. Dabei ist Heimat wichtiger denn je. In der rasanten Gegenwart werden Arbeitsplätze, Beziehungen und Wohnorte immer schneller gewechselt. Die wenigsten können mit einiger Sicherheit voraussagen, wo und mit wem sie alt werden. Für 56 Prozent der Deutschen hat Heimat im Zeitalter der Globatisierung an Bedeutung gewonnen,
ermittelte eine Emnid-Umfrage (pdf). „Zukunft braucht Herkunft“, betont auch der Philosoph Odo Marquard. Seine These: Die wachsende Mobilität schwächt den Gemeinsinn und macht einsam – ein Defizit, über das prägende Erinnerungen, etwa an die Eltern oder vertraute Rituale aus der Kindheit, hinweghelfen können.

Für die einen liegt dieses unverwechselbare Stück heile Welt im Schoß der Familie. Für andere ist es der vertraute Ort ihrer Kindheit. Bei einer weiteren Emnid-Umfrage beantworteten nur elf Prozent die Frage nach ihrer Heimat mit Deutschland. Die überwältigende Mehrheit dachte zuerst an die Familie, an Freunde oder den Heimatort – die nähere Gemeinschaft, in der man Geborgenheit und Wärme erlebt hat.

Es gibt eine neue Heimatbewegung. Die Menschen sind wieder auf ihre Herkunft neugierig und bekennen sich zu ihren Wurzeln. Mit vor Stolz geschwellter Brust trägt man Shirts, auf denen der Name des Geburtsorts oder des eigenen Stadtteils steht. Stammbäume feiern Renaissance: Sie bieten Gesprächsstoff zwischen den Generationen und führen häufig weit entfernte Verwandte zusammen. Internet-Dienste, mit deren Hilfe man verloren geglaubte Schulfreunde wiederfinden kann – wie Stayfriends –, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Im Großraum Düsseldorf zählen Ortswappen zu den beliebtesten kostenpflichtigen Handy-Logos.

Der Kontakt zu Verwandten, Freunden und Nachbarn bietet nach Ansicht des Diplom-Psychologen Heiko Ernst die beste Möglichkeit, das Heimatgefühl zu stärken: Netzwerk statt Fachwerk, persönliche Kontakte statt bloßer Postkartenidylle. Erstaunlich, wie vertraut man sich sofort wieder ist, auch wenn man sich zehn Jahre oder länger nicht mehr gesehen hat. Fast wie beim Wiedersehen mit der ersten großen Liebe.

Heimat ist nicht unbedingt die erste, aber sicherlich eine der beständigsten Liebesbeziehungen. Sie stillt die Sehnsucht nach Sicherheit, denn sie kommt uns vor wie ein Refugium, das immer auf uns wartet. „Wer ein gutes Selbstgefühl hat, der hat Heimat“, so der Psychoanalytiker Paul Parin.

Meist wird der Wert von Heimat erst richtig wahrgenommen, wenn man sich von ihr entfernt hat. Wenn der Wald vor der Tür des Elternhauses plötzlich Hunderte von Kilometern entfernt ist. Ebenso wie das gute Brot, das es immer beim Bäcker gab, oder die Grillabende mit den Nachbarn. Manchmal genügt schon ein kurzer sinnlicher Reiz, um Heimatgefühle zu wecken. Es kann die Grenzenlosigkeit des weiß-blauen Himmels an einem lauen Frühlingstag sein. Kuchengeruch, der durchs Treppenhaus zieht. Das Rattern einer Straßenbahn. So kann man sich auch plötzlich in London oder München heimisch fühlen, bloß weil ein Tourist im altvertrauten Dialekt redet oder man auf dem Flohmarkt die Schallplatte entdeckt, die man sich als erste vom Taschengeld gekauft hat.

Erschienen in der „freundin“ 7/2006.

Dienstag, 11. September 2007

Blogparade: Was ist Heimat? (2)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart heute dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben. Dieser hier ist erstmals am 2. August 1998 im „Tagesspiegel“ erschienen, als Berlin bereits acht Jahre meine Wahlheimat war. In leicht gekürzter Form hat ihn dann auch das „Sympathie Magazin“ in seinem Themenheft „Tourismus“ 1999 nachgedruckt. Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Se- henswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen ir- gendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Re- publik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschi- nen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, T~te-ä-t~tes und Verpflichtun- gen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen. Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäpp- chenreise oder Lebemanns Städtetrip zwi- schen Grand Palais und Croisette. Zuhause- geblieben, weil potentielle Reiseziele in Isra- el oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt er- reichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarran- gement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den ver- planten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswo- che entgegenzusetzen. Einfach mal hierblei- ben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen. Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn - oder kleine Verrückheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donners- tag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Thea- terbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position bezie- hen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren. Dabei darf man keinesfalls mitpulsieren, -Fußm~irsche absolvieren, einen Schaufen- sterbummel machen oder sich gar ins Caf~ setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, war- ten und den Strom an sich vorbeiziehen las- sen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gä- sten wie Einwohnern. Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schik- ker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehr- lich, schlicht, authentisch erleben, als Teil ei- nes Ganzen. Für Salomons Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufül- len, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der näch- sten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Ver- kaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbei- tet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salo- mons Bagel in die joachimsthaler Straße ret- ten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) ha- ben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schnei- dersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins. Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte. Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wech- selt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den we- nigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiespra- che mit den geschichtsträchtigen ja.hrhun- derten halten und ihren kapitalen kontinen- talen Zauber spüren, gerade wenn der un- vermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht. Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucher- stäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der l(ottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstük- ken, dem orientalischen Markttreiben zuse- hen, den Pariser cheap chic von Tati gegen- über im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören Da, plötzlich, und vollkommen Freitagaben vergessen, ob man nun in Istanbul, Pa- eröffnet sich e ris oder doch nur kann man ihr, zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt. Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind - so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen. Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen. all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der Dj will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf. Beim Thema jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schön wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan. In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in an~ere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat. Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten. Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

Kathrin Passig und ihre Kohlenstoffwelt

Ihre Reiseziele suche sie bisweilen danach aus, „ob diese der grafischen Umgebung ihrer liebsten Adventure-Spiele ähneln. Die Welt hienieden nennt sie schon mal «Kohlenstoffwelt». Digital ist besser. Il faut être absolument technophil. Und doch hat auch Kathrin Passig nicht auf jede Frage eines Computer-Laien die Antwort aus dem Effeff.“ Rene Aguigah porträtiert für „Literaturen“ die Bachmann-Preisträgerin von der Zentralen Intelligenz Agentur (via Magazinrundschau)

Wedekind im Web

Zuletzt wurde sie immer wieder für diverse neue Printtitel in München gehandelt, davor hat sie für den Axel Springer Verlag ein Blatt entwickelt, das als „40 plus“ gehandelt wurde, ein Magazin für Frauen in den besten Jahren. Nun macht Beate Wedekind, ehemalige Chefredakteurin von „Bunte“ und „Elle“, Gründerin von „Gala“ sowie Zeremonienmeisterin bei Springer („Goldene Kamera“, „Ein Herz für Kinder“, „Goldenes Lenkrad“) mit einer Textanzeige bei Turi auf ihren Blog aufmerksam: Frauen50plus. Beschäftigungstherapie oder virale Vorbereitung für das ursprünglich geplante Heft?

Die Web-Trends der nächsten zehn Jahre

In seinem Blog hat Richard MacManus „10 Future Web Trends“ mit viel Quellenmaterial vorgestellt:
  1. Das semantische Web
  2. Künstliche Intelligenz
  3. Virtuelle Welten
  4. Web per Handy
  5. Verwaltung der Aufmerksamkeit
  6. Die Website als Web-Service
  7. Online-Video/IPTV
  8. Intuitive Benutzeroberflächen
  9. Die Internationalisierung des Webs
  10. Personalisierte Webseiten
(via Loïc Le Meur )

Montag, 10. September 2007

Dilbert und das Web 2.0

Meetings, die Seuche unseres modernen Arbeitslebens. Quatschen, delegieren, Projektleitung schaffen, Projektteams gründen. Und jede Menge Geschwurbel – von mir auch gelegentlich als „PowerPoint-Blasen“ (1, 2) gebrandmarkt (offenbar hat da die letzten zwei Wochen niemand den Kommentarspam weggeräumt, ich darf ja nicht mehr). Im sonst verdammt komischen „Dilbert“ wird nun eine neue Bullshit-Variante vorgeführt: Wie man jedes Meeting sabotiert, indem man eine Diskussion über das Web 2.0 entfesselt. Ich find's nur leidlich witzig, aber die US-Blogosphäre amüsiert sich köstlich darüber.

Update: Und „Strizz“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Theme Firmenblogs. (via Rivva)