Mittwoch, 30. September 2009

Bruce Berger: Alle Kinder dieser Erde


Simon Verhoevens neuer Film „Männerherzen“ ließ mich zwar etwas zwiespältig zurück, aber Justus von Dohnányis Auftritt als Schlagermatrone Bruce Berger ist umwerfend – und in der Filmhandlung noch grandioser als in diesem Video.

Updates: Ich habe den Link zwar vom Regisseur, aber sein Verleih hat das Video offenbar wieder offline nehmen lassen. Schade.



Seit dem Filmstart am 8. Oktober ist das Video wieder online!

Dienstag, 29. September 2009

Wiesnsteuer

„Hubert Burda Media übernimmt die Besteuerung sämtlicher Sachzuwendungen und geldwerter Vorteile, die mit dieser Einladung verbunden sind. Eine mögliche Belastung von Ihnen als Teilnehmer durch deutsche Ertragsteuer wird damit gemäß § 37b EStG von uns abgegolten.“

Sonntag, 27. September 2009

Vom Leak zum Tsunami: Prognosenverrat geht in Zahlenflut unter (Update)

Was für ein vermeintliches Finale des Superwahljahres heute: Die alten Tweets von den Landtagswahlen in Bayern, Hessen und der Europawahl gelöscht – nur von letzterer habe ich zumindest die verdächtigen Prognosen von Politinsidern wie dem FDP-Bundestagsabgeordneten Frank Schäffler und Henrik Bröckelmann aus dem Bundesvorstand der Jungen Union zeitnah verfolgt. Aber mein Plan, den Nachmittag über in der Vergangenheit herumzuschnüffeln, denn das öffentliche Protzen mit den vertraulichen Wahlnachfragen hat keineswegs am 30. August begonnen, diese Recherche hat sich damit erübrigt – oder kann jemand eine Suchmaschine empfehlen, mit der man Tweets vom Juni 2009 und davor findet?
Und die Zahlen der Bundestagswahl heute, ganz zu schweigen von den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Brandenburg: Die Suchmaschine spuckt alle Minuten zig „Prognosen“, „Hochrechnungen“ und „Ergebnisse“ aus.
Der alte Status quo dürfte damit wieder erreicht sein: Politiker, Journalisten und Lobbyisten teilen die vertraulichen Zahlen via SMS untereinander und nichts wird sich ändern.
Da nun alle Welt die üppig wuchernden Zahlen flöht, kann ich mich entspannt zurücklehnen und einen Kaffee in der Sonne schlürfen, oder?

Updates: Ein paar rund um 16 Uhr getwitterte Prognosen, ganz ohne Gewähr






Was heute auffällt: Keine Exit-Polls-Tweets zu den Landtagswahlen in Brandenburg und Schleswig-Holstein, soweit ich sehe.

Hinsichtlich der Bundestagswahl lagen meines Erachtens diese beiden gegen 16.30 respektive 17.30 veröffentlichten Tweets am nächsten, wenn auch noch daneben:





Zum Vergleich die offiziellen Prognosen von 18 Uhr. ARD: CDU 33,5 - SPD 22,5 - FDP 15 - Linke 12,5 - Grünen 10,5. ZDF: CDU 33,5 - SPD 23,5 - FDP 14,5 - Linke 13 - Grünen 10. Damit teilen sich Party-Bouncer und Ronja Fischer den Titel des Schützenmeisters im Prognosenverrat.

Wochenplan

„Californication“ Season 3/Showtime, Wiesn, 95 bis 90 Tage Bücher, Palästina in Farbe/Jüdisches Museum, Vernissage Ssirus Pakzad/BMW-Welt, „ARD – außerhalb des öffentlichen Rechts?“/stadt:forum, „Stern Gesund leben“ 5/2009 zur Generation 40 plus (eventuell wieder mit meinen sexuellen Geständnissen), Foscarini-Stehrumchen/Neue Werkstätten, Lesung „Helden Huren Bastarde“/Niederlassung, Blub Club/Sugar

Hinter den Kulissen der Exit Polls – infratest und die „Vertraulichkeit“

Wahlnachfragen hat man bisher eher mit den gelackten Gesichtern von Jörg Schönenborn & Co assoziiert und mit den einen Nachmittag geübten Statements der Politiker dazu. Dank Twitter & Co sind die vermeintlich exklusiven 18-Uhr-Umfragen als potemkinsche Dörfer enttarnt, deren letzter Anstrich vielleicht topaktuell ist, die aber bereits Stunden zuvor errichtet und von der Polit-Nomenklatur bevölkert worden sind.
Wie stellen sich aber Exit-Polls für die Wähler da? Zufällig kenne ich jemanden, der heute das Glück hatte, im Berliner Wahllokal Sigmaringer Straße 1 des Berliner Bundestagswahlkreises 81 infratest-dimap (ARD) Rede und Antwort zu stehen – wobei er relativ unbeaufsichtigt mit den Unterlagen der Wahlforscher vor Ort war.

Geleakte Exit Polls am Nachmittag? Bereits langjährige Praxis

Wen man auch fragt, ob die Wahlforscher von infratest dimap oder der Forschungsgruppe Wahlen, ARD und ZDF, die Landes- und Bundeswahlleiter, die Parteien oder die Kollegen der old media, stets wurde rundum bestritten, daß vor Schließung der Wahllokale Prognosen auf Grundlage der Wahlnachfragen zirkulierten, oder – wenn überhaupt – nur zögerlich, eingeschränkt zugegeben. Um so schöner, daß es heute Michael Spehr in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ einmal klar ausspricht:
„Erste Zahlen zur Bundestagswahl 2005 hatten wir vor vier Jahren am Nachmittag des 18. September per SMS erhalten. sie kamen direkt aus dem Konrad-Adenauer-Haus, und die Führungsgremien der CDU hatten sie von Infratest Dimap und der Forschungsgruppe Wahlen. Diese Weitergabe war bislang gang und gäbe, niemand hat sich daran gestört: ein kleines Geheimnis, das man am besten für sich behielt.“

Donnerstag, 24. September 2009

Prognosenverrat am Sonntag oder nicht? Die Spannung steigt

„Wir gehen die Sache recht gelassen an“, erklärt Klaus Pötzsch, Sprecher des Bundeswahlleiters gegenüber dem ZDF. Wie gelassen? „Wir haben einiges in petto“, und zwar ein eigens zusammengestelltes Experten-Team, das am Wahlsonntag das Internet und insbesondere Twitter im Auge behalten soll. Das sind schon coole Hunde beim Statistischen Bundesamt.

(Screenshot: NDR/„Zapp“)

Mittwoch, 23. September 2009

Die entwendete Mail

Wer noch keine amtliche Wahlbenachrichtigung für die Bundestagswahl erhalten hat, sollte sich lieber nicht darauf verlassen, daß es reicht, sich am Sonntag auszuweisen, um dann in seinem Wahlbezirk abzustimmen. Denn manchmal geschehen merkwürdige Dinge. Ein Nachbar aus der Schellingstraße durfte etwa bei der Europawahl vom Vorsteher seines Wahlbezirks in der Türkengrundschule erfahren, daß er „von Amts wegen“ abgemeldet worden war und damit dort nicht mehr wahlberechtigt. Wieso und von wem läßt sich dann am Wahltag nicht klären, weshalb es jedem, der noch keine Wahlbenachrichtigung erhalten hat, dringend zu empfehlen ist, bis Freitag beim Wahlamt nachzufassen. (In München unter der Hotline 233 - 96233).
Doch nicht nur Wahlbenachrichtigungen können verloren gehen. Nachdem ich diesen Sonntag aus beruflichen Gründen nicht mehr Wahlhelfer spielen will, hatte ich die Bezirksinspektion Mitte und das Wahlamt wiederholt gebeten, mich von dem Ehrenamt zu entbinden. Leider wurden meine Mails und Briefe drei Wochen lang scheinbar ignoriert, weshalb ich diese Woche als Kläger vors Bayerische Verwaltungsgericht zog und eine einstweilige Verfügung beantragte. Dem Gericht gegenüber behauptet die Stadt nun einerseits, meine Klage wäre „verfrüht“, und andererseits, sie hätte mich bereits am 17. September per Mail von der Verpflichtung entbunden. Nur seltsam, daß dieses Schreiben nie ankam. Der Vorgang wird noch zu kären sein, da davon abhängt, wer die Gerichtskosten in Höhe von 363 Euro tragen darf.

Sonntag, 20. September 2009

Donnerstag, 17. September 2009

Verhindert die Stadtverwaltung meinen Liveblog zur Bundestagswahl?

Allmählich fühle ich mich wie Michael Ballack. Gesperrt fürs Endspiel. Denn statt bei der kommenden Bundestagswahl (samt Landtagswahlen in Brandenburg und Schleswig-Holstein) über den zu erwartenden Prognosenverrat via Twitter live zu bloggen, werde ich wohl in der Türkenschule als Wahlvorstand herumsitzen müssen. Dabei sind Blogeinträge zum Umgang mit Exit Polls im letzten halben Jahr quasi meine Spezialität geworden und beim Superwahlsonntag neulich (Saarland, Sachsen, Thüringen) sogar ausdrücklich von dem Dresdner Presseclub, der „Thüriger Allgemeinen“ und dem NDR zitiert und von vielen Interessenten wie etwa den Wahlleitern als Quelle genutzt worden. Also habe ich meine Bewerbung als freiwilliger Wahlhelfer zurückgezogen, bin aber dennoch von der Stadt München als Wahlvorstand zwangsverpflichtet worden. Und auch wenn es sich um ein „Ehrenamt“ handelt, vermisse ich bei dem entsprechenden Bescheid die vorgeschriebene Rechtsmittelbelehrung. Das Wahlamt des Kreisverwaltungsreferats reagiert bislang weder auf meine Mails, noch auf ein Einschreiben. Dann werde ich wohl Montag schnell noch vors Verwaltungsgericht ziehen müssen, um als Wahlhelfer entbunden zu werden und dafür am 27. September live bloggen zu können.

Updates: Oh, jetzt bin ich auch schon für Juristen eine Quelle.

Dienstag, den 22. September hatte ich Klage gegen die Landeshauptstadt München erhoben und eine einstweilige Verfügung beantragt, die mich von der Verpflichtung als Wahlvorsteher befreit. Mittwoch ließ die Stadt das Bayerische Verwaltungsgericht wissen, sie hätte mich schon längst davon entbunden und es mir bereits am 17. September mitgeteilt. Zugleich behauptet die Stadt, daß mein Gang vors Gericht „verfrüht“ gewesen sei. Beides wird noch zu prüfen sei, da davon abhängt, wer die Gerichtskosten trägt.

Sonntag, 6. September 2009

Wie man Stimmen mobilisiert

„Am Samstag vor der Wahl, aber auch am Wahlsonntag selbst kursierten von Berliner Grünen und Sozialdemokraten gestreute frische Umfragezahlen, wonach der Einzug der ökopartei in den (Saarländer) Landtag gefährdet sei. Maas und Ulrich telefonierten im Stundentakt. Womöglich wurden so per Telefonkette auch noch rettende SPD-Stimmen für die Grünen mobilisiert.“
Thomas Holl in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ von heute

Frische Umfragezahlen am Wahlsonntag? Stündliche Aktualisierungen? Telefonketten? Zum Glück können das ja keine Exit-Polls gewesen sein, wenn man ARD und ZDF glauben darf.

Wochenplan

Großer Check-up, 100 Jahre Münter-Haus Murnau, Handynetz in der Münchner U-Bahn, Anca Bodea + Cristian Raduta + Alexandru Niculescu – Drei Künstler aus Rumänien/G5, X-mas Press Day/Louis Vuitton, Beuys/Pinakothek der Moderne, RIA Summer Jam, Pressevorführung „Romy“, Beuys/Galerie Bernd Klüser, Chronoswiss Classics, Nouvelle Vague/Theaterfabrik (laut Bandhomepage existiert dieser Termin gar nicht!?) , „My little boys“/GOP.

Donnerstag, 3. September 2009

Auf nicht ganz so frischer Tat ertappt

Bürokraten recherchieren online und wollen mir einen Strick daraus drehen, daß ich aktuell Einnahmen aus meinen Büchern „O.W. Fischer – Seine Filme und sein Leben“ sowie dem „Kurbelbrevier“ verschwiegen hätte. Zu dumm, daß die Bücher – und damit die Honorare – von 1985 respektive 1989 sind. Mit der Datenflut im Internet muß man auch erst umzugehen lernen. Sieht halt so simpel aus. Ist es aber nicht.

Exit Polls – doch mehr als nur „mittelmäßig geraten“?


„Zapp“ vergleicht die bei Twitter veröffentlichten Zahlen mit den offiziellen Prognosen aus Wahlnachfragen. Während ARD-Kollege Jörg Schönenborn jedes Leck ausschließt und die Sonntag nachmittag getwitterten Zahlen bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und dem Saarland für bestenfalls „mittelmäßig geraten“ hält, sieht die NDR-Redaktion verdächtige Nähe der frühzeitig geleakten Zahlen zu den späteren Prognosen.

Updates: Eine interaktive Playerversion des „Zapp“-Beitrags mit Anmoderation und weiterführenden Links im Menü gibt's hier.


Nicht nur die ARD sieht talentierte Prognosentipper am Werk. Das ZDF behauptet auch, „jemand, der sich die Zahlen aus den Umfragen in den Wochen vor der Wahl zusammengerechnet und auf dieser Basis das Ergebnis einfach nur gut geschätzt hat“, wäre die Erklärung für die herausgezwitscherten Zahlen, so „Andrea Wolf, Vorstandsmitglied der Forschungsgruppe Wahlen, die für das ZDF die Prognosen erstellt.“

Twitter-Meldungen ohne juristische Folgen
„Es konnte kein direkter Zusammenhang zwischen den Nachwahlbefragungen am Tag der Wahl des 5. Sächsischen Landtages einerseits und den Twitter-Meldungen vor Ablauf der Wahlzeit andererseits nachgewiesen werden. Daher ist ein ordnungswidriges Handeln nicht zu belegen.“
Mit diesen Worten erklärt die Landeswahlleiterin, Frau Prof. Dr. Irene Schneider-Böttcher, die Prüfung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens für eingestellt.
Um aus den Meldungen, die gegen 16:30 Uhr als „erste Prognosen“ über den Kurzmitteilungsdienst Twitter verbreitet wurden, auf die Nachwahlbefragungen am Wahltag vor den Wahllokalen (sog. Exit-Polls) schließen zu können, hätte eine direkte Verbindung zwischen den Nachwahlbefragungen und den Twitter-Meldungen abzuleiten möglich sein müssen.
Nachwahlbefragungen wurden durch die beiden am Tag der Landtagswahl am 30. August 2009 in Sachsen tätigen Meinungsforschungsinstitute, die „Forschungsgruppe Wahlen e. V.“ sowie „Infratest dimap“, für die Fernsehsender ARD und ZDF durchgeführt.
Im Rahmen der Beweiserhebung wurden die genannten Institutionen, die Person, über deren Twitter-Account die Meldungen verbreitet wurden, sowie die Fa. Twitter selbst angehört. Dabei ergaben sich keine nachweisbaren Anhaltspunkte für diese Ableitung.
Daher wurde das Verfahren wegen eines möglichen Verstoßes gegen das Verbot, vor Ablauf der Wahlzeit Ergebnisse einer Wählerbefragung zu veröffentlichen, eingestellt.

(Pressemeldung der Landeswahlleiterin vom 5. März 2010)

Mittwoch, 2. September 2009

Wahlprognosen im Stundenrhythmus

100.000 Befragungen durch infratest-dimap im gesamten Bundesgebiet, davon 15.000 bis 20.000 allein in Nordrhein-Westfalen, und das nicht nur zum Stimmverhalten, sondern bei jedem sechsten Befragten auch zu Schulabschluß, Ausbildung und Motiven der Wahlentscheidung: Wer schon immer mal wissen wollte, wie denn diese ominösen, im Stundenrhythmus ausgewerteten Wahlnachfragen in der Praxis entstehen, findet in der Unternehmenspostille „WDR Print“ eine recht ausführliche Darstellung. Leider erlaubt mir der WDR nicht, den Text hier wiederzugeben, denn die „Autorenrechte sind in diesem Fall so kompliziert, dass es mir verwehrt ist, Ihnen eine "Abdruck"-Erlaubnis für den Artikel aus WDR PRINT erteilen zu können.“ Doch kann man die PR-Veröfffentlichung kostenlos hier downloaden.

Dienstag, 1. September 2009

Muammar al-Gaddafi – 40 Jahre Machtergreifung

Exit Polls: Wer wußte wann was?

Früher verletzte es die Würde des hohen Hauses und somit das Demokratieverständnis der Altvorderen, als sich ein angehender Minister in Turnschuhen vereidigen ließ. Heute sieht ein Gatekeeper der „Süddeutschen Zeitung“ „eherne Gesetze“ verletzt, wenn Exit Polls getwittert werden und die „taz“ warnt sogar vor der braunen Gefahr.
Anläßlich der Recherchen für die morgige „Zapp“-Sendung fragte mich eine NDR-Redakteurin, ob ich den sogenannten Prognosenverrat via Twitter nicht auch problematisch fände. Ehrlich gesagt nicht. Ich fürchte auch anders als die „taz“ nicht, daß das rechtsextreme Lager solche Zahlen zum Ansturm auf die Wahllokale nutzen könnte. Mich stören vielmehr die Wahlnachfragen an und für sich oder vielmehr der undemokratische Umgang mit ihnen.
Mit welcher Legitimation sammeln denn ARD, ZDF und die von ihnen beauftragten Wahlforscher unter der Aufsicht der Wahlleiter hochsensible Daten, um mit ihnen dann willkürlich zu verfahren? Mit welchem Recht entscheiden ein Jörg Schönenborn oder seine Mainzer Kollegen, welche „Medien (und im Übrigen auch Politiker) vertraulich schon früher die Prognosen bekommen, die auf den sogenannten Wahl-Nachfragen vor den Wahllokalen beruhen“, um einen Kollegen von der „Süddeutschen“ zu zitieren. Nach welchen Kriterien sucht ein Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen „im Laufe des Wahltags das ein oder andere Gespräch auch mit Politikern“, bei dem Prognosen aus den Exit Polls gegen eine politische Einschätzung getauscht werden?
Denn eins ist klar, diese Gunst trifft auf keinen Fall alle Parteien, nicht einmal alle in Bundes- oder Landtag Vertretenen. Die Linke bleibt beispielsweise laut Auskunft ihrer Pressesprecherin Alrun Nüßlein außen vor, den Freien Wählern oder rechtsextremen Abgeordneten wird es nicht anders gehen. Sind das die neuen demokratischen Spielregeln?
Und mit welchem Recht tritt der hessische Landeswahlleiter die Untersuchung des Prognosenverrats durch bild.de an die mutmaßlich Tatbeteiligten, infratest-dimap und die Forschungsgruppe Wahlen, ab und stellt mir anheim, mich mit diesen über falsche Tatsachenbehauptungen auszutauschen statt wie vom Wahlrecht vorgesehen Herr des Verfahrens zu bleiben?
Von mir aus sollen die Wahlnachfragen bestehen bleiben. Aber wäre es in einer Demokratie zu viel verlangt, transparent zu machen, wer wann was erfährt? Um wieviel Uhr und von wem erhält ein Kanzleramt die erste Prognose aus Exit Polls? An wie viele Empfänger wird diese Information weitergeleitet? Handelt es sich dabei nur um Regierungsmitglieder oder auch um Parteifreunde? Unterliegt das dabei mitgeteilte Zahlenmaterial einer Geheimhaltungsstufe? Erst nach Offenlegung solcher Fakten wäre zu entscheiden, ob man das so weiter handhaben will oder nicht.

Updates: Zumindest die ARD und infratest-dimap gäben „vor 18 Uhr keine Zahlen an Parteien (Jörg Schönenborn/ARD) – Bundesjustizministerin Brigitte Zypries scheint es besser zu wissen: „Ich kann nur hoffen, dass die Kolleginnen und Kollegen, die die Ergebnisse vorab mitgeteilt bekommen, verantwortungsbewusst damit umgehen.“ Im Interview mit dem Deutschlandfunk denkt sie auch über die Möglichkeit nach, „dass man gar nicht mehr solche Nachbefragungen macht bei der Wahl und dementsprechend auch keine Vorab-Bekanntmachung mehr macht. Das würde bedeuten, dass wir das Wahlergebnis nicht schon bereits abends um viertel nach sechs haben, sondern dann vielleicht erst um 20 Uhr. Wäre, glaube ich, auch kein großer Schaden für die Demokratie.“

A better tomorrow zur Gatekeeper-Funktion der Öffentlich-Rechtlichen.

(Foto: NDR/Dirk Uhlenbrock)

Eigenkommentar

Kann nicht Davorka mal wieder etwas Neckisches ausziehen? Mir wird das hier alles zu ernst und textlastig.

Montag, 31. August 2009

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Das Geheimnis der Wahlnachfragen

Zum Glück hat Patrick Rudolph erst am 16. Juni zu twittern begonnen, sonst hätte er womöglich bereits bei den Europawahlen erste Prognosen herausgezwitschert. So verdanken wir dem CDU-Funktionär die erste offene Diskussion über Sinn und Unsinn der Wahlnachfragen (während bei den Europawahlen genug andere Politinsider ihr Herrschaftswissen nicht für sich behalten konnten).

„Sollte die Verbreitung der Prognose bei Twitter nachweislich Einfluss auf die Wahl gehabt haben, müsste diese sogar wiederholt werden und der Verursacher für die Kosten von rund zwei Millionen Euro aufkommen“, droht Thüringens Landeswahlleiter Günter Krombholz, wobei man das bitte nicht falsch verstehen darf.

Nach meinen halbjährigen Recherchen gelegentlichen Recherchen im letzten halben Jahr hat kein Beteiligter ernsthaft die Absicht, einen möglicherweise bereits begangenen Prognosenverrat aufzuklären. Es gilt nur, zukünftig Blogger, Twitterer & Co davon abzuhalten, um den alten Status-quo aufrechtzuerhalten: Vorabzahlen aus Wahlnachfragen nur per SMS an den inner circle der Politiker, Journalisten und Lobbyisten, die zwar auch irgendwo Wähler sind, aber eben welche mit dem besonderen Vorrecht des ol' boy network.

Die Wahlleiter haben kein Interesse an Aufklärung, da sonst Dritte womöglich eine Wahl anfechten könnten. Das hätte zwar letztendlich vor Gericht kaum Aussicht auf Erfolg, würde aber den Wahlleitern verdammt viel zusätzliche Arbeit bereiten: Beweissicherung, Zeugenaussagen, Rechtfertigungen, Ausreden, und für einen Wahlleiter, in der Regel Beamte der statistischen Landes- und Bundesämter, ist alles abseits der bürokratischen Gleise die Hölle.

Und die Fernsehanstalten besitzen natürlich mit den quasi amtlichen Prognosen aus Wahlnachfragen ein Pfund, mit dem sich prächtig wuchern läßt. Nicht nur wegen der Einschaltquoten um 18 Uhr, sondern auch um mit den Politikern einmal nicht als Bittsteller oder Kritiker umzugehen, sondern etwas in der Hand zu haben, das die Politiker begehren. Wer schon einmal erlebt hat, wie sich manche Journalisten bei den Geheimdiensten als Quelle verdingen, wird ahnen, wie mächtig sich ein Redakteur oder Chefredakteur fühlen muß, der den Regierenden und Parteien die Exit Polls reichen kann wie Gottvater seinen ausgestreckten Finger dem Adam, um ihn überhaupt erst zum Leben zu erwecken.

Also wird alles, grundsätzlich abgestritten. Die Verteidigungslinie der Fernsehanstalten und Wahlforscher ist dabei immer die Gleiche:
  1. Es würden gar keine Prognosen vor 18 Uhr zirkulieren (längst widerlegt, wenn auch jetzt von ARD-Wahlkassandra Jörg Schönenborn wieder bemüht, während Patrick Rudolph beispielsweise gar nicht dementiert, die Zahlen gekannt zu haben, sondern nur, sie selbst getwittert zu haben. Falls er lügt, klingt das, als ob er vortäuschen würde, Opfer einer Straftat zu sein, nur um keiner Ordnungswidrigkeit bezichtigt zu werden).

  2. Die herausgetwitterten oder beispielsweise anläßlich der hessischen Landtagswahl von BILD vorzeitig herausposaunten Zahlen würden zu sehr von den Exit-Polls-Prognosen abweichen, um sich tatsächlich darauf stützen zu können. Es seien also überhaupt keine verbotenen Prognosen aus Wahlnachfragen, sondern zulässige Prognosen aus der Hosentasche (Wobei dieses zweite Argument das erste tilt: Wozu muß man überhaupt Zahlen vergleichen, wenn die eigenen Zahlen das Haus gar nicht verlassen haben?)
Diese Abwehrstrategie galt beispielsweise als „Bild“ bei den hessischen Landtagswahlen dummerweise eine Viertelstunde vor Schließung der Wahllokale seinen Ticker mit der Wahlprognose online schaltete. Erst schloß der Landeswahlleiter kategorisch aus, daß es sich dabei bereits um Exit-Polls handeln könnte, denn: „Wählerbefragungen werden nach meiner Kenntnis nur im Auftrag von ARD und ZDF durchgeführt und von diesen Anstalten exklusiv (erst-)veröffentlicht.

Nachdem er – offenbar erstmals – davon in Kenntnis gesetzt wurde, daß diese Zahlen bereits vor 18 Uhr vertraulich ausgewählten Politikern und Journalisten zugänglich wären, sah man dennoch keinen Verdacht für eine mögliche Ordnungswidrigkeit, denn: Die Forschungsgruppe Wahlen (ZDF) und infratest dimap (ARD) „haben mir auf Nachfrage berichtet, dass vor 18:00 Uhr weder Ergebnisse noch Zwischenstände an BILD oder BILD.de weitergegeben worden sind.
Die von BILD.de veröffentlichten Zahlen (...) stimmen darüber hinaus mit dem Zahlenwerk der beiden Institute bei keiner einzigen Partei überein.“


Nun haben Kai Diekmann und seinen Mannen natürlich auch ihre Quellen im Kanzleramt und den Staatskanzleien, und die letzte Behauptung war schlichtwegs falsch: Die von „Bild“ veröffentlichten Zahlen stimmten bei zwei Parteien mit denen des ZDF genau überein und wichen bei CDU und den Grünen um 0,5 Prozent ab sowie bei der SPD um 1,5 – möglicherweise tolerierbare Differenzen, da die Prognosen laufend aktualisiert werden.

Darauf angesprochen, meint der Leiter des Referates Wahlen und Hochheitsangelegenheiten des zuständigen Innenministeriums abschließend: „Unsere Entscheidung, in der Sache von der Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens abzusehen, beruht auf dem Befund, dass die Ergebnisse, deren vorzeitige Veröffentlichung Sie beanstanden, nicht auf Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe am Wahltag beruhen. Dies haben mir sowohl die Forschungsgruppe Wahlen e.V. als auch Infratest dimap bestätigt. Auch ein vorzeitiger Zugriff Dritter auf die Daten und Berechnungen der Institute wird von diesen ausgeschlossen. Ich stelle anheim, sich direkt mit den beiden Instituten in Verbindung zu setzen.“

Wirklich kein Zugriff? Man muß Jörg Schonenborn nicht nur mit seinem Zettel wedeln lassen, der die Prognosen von 16 Uhr enthält, man kann ihn auch direkt fragen: Angesichts der bei Twitter während der Europawahlen am frühen Nachmittag veröffentlichten Zahlen bat ich ARD und ZDF, respektive die für sie exklusiv tätigen Wahlforscher, mir mitzuteilen, welche Prognosen sie um diese Uhrzeit mit den Parteien geteilt hätten, um so gegebenenfalls nachzuweisen, daß das Zahlenmaterial tatsächlich unterschiedlichen Quellen entstammt.

Richard Hilmer von infratest dimap ignorierte wiederum meine Frage nach den 16-Uhr-Prognosen, sondern verglich die Twitter-Zahlen mit der 18-Uhr-Prognose: „kurz vor Bundestagswahlen entbrennt häufig eine Diskussion über Sinn und Unsinn, sinnvollen Gebrauch und Missbrauch von Wahltagsbefragungen. Und immer wieder tauchen im Umfeld von Wahlen Gerüchte über angeblich vor der gesetzlichen Frist von 18:00 vorliegenden Ergebnisse der Exit Polls auf – schon zu Zeiten, als es Twitter noch nicht gab. Das Gute an Twitter ist, dass nun ein schriftliches Dokument über angeblich „geleakte“ Exit Poll Ergebnisse zur Europawahl vorliegt.
Die Unsinnigkeit der Behauptung, hier lägen Ergebnisse aus einer Exit Poll vor ergibt sich in diesem Fall schon aus dem einfachen Vergleich der darin für die SPD genannten Werte und den veröffentlichten 18 Uhr Prognosen. Beim ZDF wurde das tatsächliche Ergebnis für die SPD von 20,8 Prozent mit 21,5 Prozent sehr gut, bei der ARD mit 21 Prozent sogar fast punktgenau ausgewiesen – jeweils weit entfernt von dem getwitterten Wert von 26 Prozent. Die Ergebnisse unserer Wahltagsbefragung lagen zu keinem Zeitpunkt des Wahltags auch nur in der Nähe dieses Wertes. Die in dem Twitter-Beitrag ausgewiesenen Parteianteile sind andererseits weitgehend identisch mit den von ARD und ZDF in der Woche vor der Wahl veröffentlichten Umfragewerten ( vgl. http://www.wahlrecht.de/ ). Die Vermutung liegt deshalb nahe, dass hier jemand schlicht und einfach etwas verwechselt hat.
Wir nehmen dieses Beispiel gleichwohl ernst. Angesichts der jetzt aufgekommenen Diskussion über ein mögliches Twittern der Exit Poll Zahlen bei der anstehenden Bundestagswahl werden wir alles tun, um weiterhin sicherzustellen, dass vor 18:00 keine Prognose von Infratest dimap an die Öffentlichkeit dringt. Denn eines wollen wir ganz sicher nicht: eine unsinnige Diskussion über Wahltagsbefragungen.
Von unabhängigen Instituten erstellte Wahltagsbefragungen oder Exit Polls stellen heute in den meisten demokratischen Ländern ein unverzichtbares Instrument der Wahlbeobachtung und der Wahlanalyse dar. Ihr Wert wird vor allem dann deutlich, wenn es berechtigte Zweifel am korrekten Ablauf von demokratischen Wahlen gibt, wie zuletzt im Iran. Hätte es dort unabhängige Exit Polls gegeben, wären die Vorwürfe der Wahlmanipulation mittels der Ergebnisse der Wahltagsbefragung nachprüfbar. In den westlichen Demokratien, so auch in Deutschland, liegt der Schwerpunkt bei Exit Polls klar auf den analytischen Aspekten, eine Kontrollfunktion ist absolut nachrangig.
Aufgrund der zeitlichen Nähe zum Wahlakt selbst kommt den Wahltagsbefragungen gleichwohl eine Sonderstellung zu. Um jedwede Beeinflussung der Wahl durch Exit Polls auszuschließen, hat der Gesetzgeber eine vorzeitige Veröffentlichung der Ergebnisse verboten. Und nicht zuletzt deshalb hält sich Infratest dimap selbstverständlich an dieses Verbot und an die gleichlautende Forderung unseres Auftragsgebers, der ARD. “


Mathias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen fasst sich kürzer: „Wie ich Ihnen ja schon nach der LTW in Bayern geschrieben habe, informieren wir die Parteizentralen gleich welcher Partei nicht. Es gibt - auch das hatte ich Ihnen geschrieben - mit dem ein oder anderen Politiker oder Journalisten ein kurzes Gespräch bei der eine qualitative Einordnung der Wahl erfolgt. Konkrete Zahlen werden auch in diesen Gesprächen nicht genannt. Schon allein deshalb nicht, weil die Prognosen bei uns erst unmittelbar vor der Sendung endgültig festgelegt werden.
Sie können sicher sein, dass gerade die Debatte nach der Bayern-Wahl bei uns die Vorsicht der übermittelten Bewertungen weiter geschärft hat.
Nur weil Gerüchte bei Twitter verbreitet werden, kommt ihnen kein höherer Wahrheitsgehalt zu - eher im Gegenteil.“


Den Bundeswahlleiter habe ich übrigens auch gefragt, ob ihm bei der Europawahl ungewöhnliche Tweets aufgefallen wären, die eine Ordnungswidrigkeit darstellen könnten? Seine vollständige Antwort auf diese Frage fast sieben Wochen später: „Nein“.

Updates: Die „Tagesschau“ von heute zu Twitter und den Landtagswahlen (ab 00:09:11)

Im Ausland wird man jetzt auch auf uns aufmerksam: „When, at around 4 p.m., senior politicians gather in their party headquarters, the opinion poll institutes present the results of their exit polls. Television viewers only get to hear the results of these polls, which generally correspond, within a few percentage points, to the actual outcome, at 6 p.m, after the polling stations have closed.“ (ABC News), „Le Monde“, The Register, BBC.

„Der Tagesspiegel“ drückt sich etwas mißverständlich aus, wenn er behauptet: „Am späten Nachmittag der Wahltage können die Meinungsforscher aber bereits deutliche Tendenzen erkennen. Die werden zwar nicht veröffentlicht, aber vertraulich an ausgewählte Medien weitergegeben. Über Umwege gelangen sie dann auch an Politiker.“ Schließlich handelt es sich nur um zwei Medien, die ARD und ZDF, die nun mal auch die Auftraggeber der exklusiv mit Exit-Polls beauftragten Wahlforscher sind. Und bestimmte Politiker erhalten die Zahlen dann nicht über Umwege, sondern direkt – und reichen sie dann brühwarm weiter. Woraus der „Tagesspiegel“ richtige Schlüsse zieht: „Danach ist kaum noch nachzuvollziehen, wer wen informiert.“

Die „Süddeutsche Zeitung“ trauert den Zeiten der Gatekeeper nach: „Seit es Umfragen am Wahltag gibt, gilt das eherne Gesetz: nicht veröffentlichen, bevor die Wahllokale geschlossen haben. Doch am Superwahlsonntag hielten sich manche nicht daran.“

Thomas Knüwer bemerkt, daß „erstaunlich viele Menschen, mit denen ich gerne über den gestrigen Tag telefonieren würde“, nicht erreichbar sind. „Bei der Forschungsgruppe Wahlen ist man auf das Thema schlecht zu sprechen. Ein Sprecher mit Wut in der Stimme erklärte mir, aus seinem Haus kämen die Zahlen nicht. Die Forschungsgruppe gäbe erst relativ spät vor der Schließung der Wahllokale Tendenzen aus wenige, ausgewählte Politiker und Chefredakteure. In der Tat fällt auf: Die Prognosen via Twitter liegen wesentlich näher an den Zahlen von Infratest-Dimap. Dort ist die Presseabteilung heute nicht zu sprechen - ebenso niemand anderes.“

Na ja, Jörg Schönenborn hat mir am 1. Juli noch schriftlich versichert: „Weder Infratest Dimap, als von der ARD beauftragtes Wahlforschungsinstitut, noch ich als redaktionell Verantwortlicher für die Wahlberichterstattung geben an Wahltagen Prognosezahlen an Externe weiter. Insbesondere geben wir vor 18 Uhr keine Zahlen an Parteien weiter.“ Und er wird ja wohl nicht lügen, oder?

Wenn sonst schon kein Argument zieht, dann eben die Furcht vor den Nazis: „Aber auch für das rechtsextremen Lager wäre eine Vorabprognose hilfreich. Große Teile der neonazistischen Szene sind eigentlich antiparlamentarisch und institutionenfeindlich eingestellt. Kriegen ihre Anhänger ein oder zwei Stunden vor Schluss mit, dass der Einzug einer rechtsextremen Partei in ein Landesparlament möglich ist oder auf der Kippe steht, könnten sie sich noch spontan für den Urnengang entscheiden“, so die „taz“ zum Thema Prognosenverrat Twitter-Schock.

Internet und Politik zur Medienpanik.

Sonntag, 30. August 2009

Nur fürs Protokoll

Im Januar haben noch nahezu alle Beteiligten, ob ARD, ZDF, infratest-dimap, Forschungsgruppe Wahlen, Journalisten, Wahlleiter oder Politiker mir gegenüber bestritten, daß es überhaupt vor 18 Uhr Prognosen gäbe, obwohl sie seit Jahren per SMS am frühen Nachmittag der Wahltage selbst durch die niedrigeren Parteiränge und Lobbyistenriege schwappen und jetzt wird mit einer Selbstverständlichkeit über Twitterlecks, Prognosen-Verrat & Co diskutiert, als ob es dieses Versteckspiel nie gegeben hätte. Auch ein Fortschritt, den wir Twitter zu verdanken haben.
Wobei der oberste ARD-Wahlbeauftragte Jörg Schönenborn weiterhin Entscheidendes leugnet: „Die Behauptung, Daten unserer Wahlforscher seien heute vorab ins Netz gegangen, ist falsch. Ich habe mir die Zahlen angesehen und finde keine Ähnlichkeiten mit den internen Daten, die wir am Nachmittag hatten“, so das „Handelsblatt“, das zudem auch zu dem Prognosen-Ausplauderer der CDU, Patrick Rudolph, Interessantes zu berichten weiß: „'Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat', sagte Rudolph auf Nachfrage von Spiegel Online. Er sei es jedenfalls nicht gewesen – und habe den Account deswegen gelöscht.“

Updates: Im Tagesschau-Blog verbreitet Schönenborn die alte Mär, nur eine Handvoll Menschen bekäme vor 18 Uhr die Zahlen: „Die Umfragezahlen sind am Wahltag ein gut gehütetes Geheimnis. Ein enger Kreis der Mitarbeiter von Infratest dimap kennt sie - und die beteiligten Chefredakteure der ARD.“ Als ob nicht die Parteizentralen zwischen 15 und 16 Uhr eingeweiht werden würden, von wo aus die Prognosen den Weg durch die Welt antreten – und um 17 Uhr schließlich auch die wichtigsten Journalisten der Printmedien. Sehr geschickt wie Schönenborn dabei so formuliert, als ob der enge Kreis und die 18-Uhr-Frist im Zusammenhang stünden, ohne es natürlich explizit zu behaupten. Das könnte ihm wohl zu leicht widerlegt werden.
„Ich habe meinen Zettel von 16.00 Uhr nochmal rausgekramt, der keine Ähnlichkeit hat mit den Zahlen, die um 16.30 Uhr bei Twitter erschienen sind“, schreibt Schönenborn weiterhin. Wieso legt er ihn dann nicht vor, veröffentlicht er ihn nicht in seinem Blog? Schließlich könnte dieser Zettel vielleicht sogar Lehmanns Elfmeter-Zettel den Rang als Zeitdokument abspenstig machen.

Die Blogosphäre dazu.

„Das ist schlicht und einfach eine Sauerei“
, zitiert die Netzeitung SPD-Innenexperten Dieter Wiefelspütz, der damit keineswegs das Lügengestrüpp der Wahlforschungsmafia meint, sondern die Tweets, die nur die Art Zahlenmaterial wiedergeben, das bei jeder Wahl schon lange vor Erfindung Twitters landesweit kursierte.

„Sollte die Verbreitung der Prognose bei Twitter nachweislich Einfluss auf die Wahl gehabt haben, müsste diese sogar wiederholt werden und der Verursacher für die Kosten von rund zwei Millionen Euro aufkommen“
, droht Thüringens Landeswahlleiter Günter Krombholz laut thueringer-allgemeine.de, die in ihrem Bericht sogar den Tivoli-Blog ausdrücklich als Quelle erwähnt.

Was deutsche Exit Polls mit dem Regime in Teheran zu tun haben und auf welche interessanten wie ablenkenden Argumente die Wahlforscher und Wahlleiter sonst noch so kommen.

Wer hat den Größten? Vom Ende der Langsamkeit bei den Wahlnachfragen

So wie manche an Klowänden mit ihrer Schwanzgröße angeben, kann es sich der eine oder andere Politprofi nicht verkneifen, mit seinem Insiderwissen an Wahltagen zu protzen. Früher waren die entsprechenden Zahlen im SMS-Display das Potenzzeichen, heute setzt man sich online in machtvoller Pose.
Bei der hessischen Landtagswahl war es bild.de mit einem zu früh startenden Wahlticker, bei der Bundespräsidentenwahl unter anderem ein Mitglied des Wahlausschusses und bei der Europawahl standen möglicherweise die ersten Exit Polls vor Schließung der Wahllokale online: jedenfalls erschallte, kaum lagen erste Wahlnachfragen den Parteien vor, ein Zahlenecho auf Twitter.
Um so spannender wird es daher, heute zu beobachten, ob gegen halb vier wieder erste „Tips“, „Prognosen“ und sonst notdürftig kaschierte Exit-Poll-Zahlen der Wahlforscher aus Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Sachsen und dem Saarland ins Internet schwappen.
Wenn, und ich gehe ziemlich fest davon aus, wird der Eintrag hier entsprechend laufend aktualisiert. Zur Stunde jedenfalls gibt es bis auf spaßhafte Wahlergebnisse eines Trixieys für Sachsen und Thüringen in den frühen Morgenstunden noch keine Wahltips – wie bei der Europawahl fangen die Twitterati überhaupt und gerade die Parteigrößen im Besonderen zufälliger- wie seltsamerweise immer erst nach Vorlage erster Exit Polls damit an, ganz unverbindlich persönliche Voraussagen zu treffen, die natürlich in keinem Zusammenhang mit dem vertraulichen Zahlenmaterial stehen sollen.

14.13 Uhr
Der Dresdener FDP-Bundestagskandidat Johannes Lohmeyer eröffnet den Reigen und hat soeben für Sachsen „getippt“: CDU 38%, SED 18%, FDP 16%, SPD 12%, Grüne 4,99%, NPD 3%. Könnte tatsächlich nur ein Tip sein, da nach meinen Erfahrungen die ersten Exit Polls erst zwischen 15 und 16 Uhr kursieren, aber vielleicht sind die Sachsen da auch fixer.

15.47 Uhr
Cornelius aus Hamburg-Altona schachert mit „inoffiziellen Exit Polls“ aus dem Saarland: „CDU 31,2%, SPD 29,1%, Linke 19,1%, FDP 7,5%, Grüne 7,1%, Piraten 4,8%, Stg 1,1%“. Von der Uhrzeit her könnte das passen, aber an die fünf Prozent für die Piraten lassen mich an der Authentizität zweifeln. (Update: wie vermutet waren diese Zahlen „frei erfunden“.)

16.11 Uhr

Außerordentliche Funk- äh Twitterdisziplin heute, gab's da einen Anschiß von oben? Bin gespannt, ob's so ruhig bleibt, werden die Exit Polls doch nicht abgeschafft?

16.24 Uhr
Peter Dondl sieht in Sachsen „CDU 40-41%, LINKE 25%, SPD 10%, FDP 11%, GRÜN 5%, NPD 5%“, in Thüringen „CDU 34-36%, LINKE 25-27%, SPD 15-17%, GRÜ 4,5-5,5%, FDP 10-12%, NPD 3-4%“ und im Saarland „CDU 35-37%, SPD 23-25%, LINKE 16-18%, GRÜ 7-8%, FDP 8-9%“.

16.31 Uhr
Patrick Rudolph, Vorsitzender des CDU-Stadtverbands Radebeul: „Saarland: CDU 36, SPD 25, Linke 21, FDP 10, Grüne 5. Thüringen: CDU 34, SPD 20, Linke 25, FDP 8, Grüne 6. Sachsen: CDU 40, SPD 10, Linke 21, FDP 10, Grüne 5“. (Update vom 25. September: Laut der „Sächsischen Zeitung“ war Rudolph eventuell das Opfer einer politischen Intrige. Siehe auch den Dresdener Presseclub dazu.)

16.42 Uhr
Ein Daniel verbreitet fürs Saarland dasselbe Ergebnis wie Rudolph.

16.55 Uhr
Dann werden wir mal den Scanner von Blogs und Tweets auf die klassischen Medien im Internet erweitern. Vielleicht prischt da auch wieder jemand vor...

17.29 Uhr
Nachdem er vielfach retweetet worden ist, hat Patrick Rudolph seinen Account offenbar gelöscht. Danke für die Info, Till Westermayer!


17.35 Uhr
bananabandana alias bampowpeng: „Sachsen: CDU 40, SPD 10, Linke 21, FDP 10, Grüne 5. Thüringen: CDU 34, SPD 20, Linke 25, FDP 8, Grüne 6. Saarland: CDU 36, SPD 25, Linke 21, FDP 10, Grüne 5“.

17.48 Uhr
David Hamanns Hamburger Wahlportal Du wählst meldet „Saarland: CDU 37, SPD 25, Linke 20, FDP 9“ und anschließend: „Thüringen: CDU 33, Linke 26, SPD 19, Grüne 7-9, FDP 6“.

17.54 Uhr
Da hat sich jemand besonders viel Mühe gemacht und eigens den Twitteraccount Thüringer Wahl gegründet, um ein paar Minuten vor den Fernsehanstalten dieses Ergebnis zu melden: „CDU 32,2% LInke 26,3% SPD 20,1% Grüne 5,4% FDP 7% NPD 5,3% Sonstige 3,7%“

18.00 Uhr
Die ARD (infratest-dimap) meldet als erste Prognosen für Thüringen: CDU 32,5, Linke 26, SPD 18,5, Grüne 5,5, FDP 8, NPD 4,8; für das Saarland: CDU 34,5, SPD 25, Grüne 5,5, FDP 9,5, Linke 21; für Sachsen: CDU 41, Linke 20,5, SPD 10, NPD 5,5, FDP 10,5 und Grüne 6.
Das ZDF (Forschungsgruppe Wahlen) meldet als erste Prognosen für Thüringen: CDU 31, Linke 27, SPD 19, Grüne 6, FDP 8,5, NPD 3,5; für das Saarland: CDU 35, SPD 26, Grüne 6, FDP 8,5, Linke 19,5; für Sachsen: CDU 40,5, Linke 21, SPD 10, NPD 5,2, FDP 10,5 und Grüne 6.
Beim Vergleich mit den vorab getwitterten Zahlen ist zu bedenken, daß die am frühen Nachmittag den Parteien und um 17 Uhr der Presse von den Wahlforschern überlassenen Prognosen natürlich von den für 18 Uhr ermittelten abweichen können, da die Zahlen den ganzen Nachmittag über aktualisiert werden.

Da schau an, dpa benutzt Twitter als Vorwand, um über eine halbe Stunde vor Schließung der Wahllokale erste Trends auszuplaudern.

20.12 Uhr
Ole Reißmann auf Spiegel Online über „Prognosen-Verrat – Wahlergebnisse sickerten vorab auf Twitter durch“.

23.08 Uhr
Weiterer Blogeintrag mit den Reaktionen Patrick Rudolphs und Jörg Schönenborns zu den Vorwürfen des Prognose-Verrats. Schließlich kann nicht sein, was nicht sein darf.

Montag
Was deutsche Exit Polls mit dem Regime in Teheran zu tun haben und auf welche interessanten wie ablenkenden Argumente die Wahlforscher und Wahlleiter sonst noch so kommen.

Dienstag
Wie ARD, ZDF und die Wahlforscher mit den Exit Polls Politik machen.

Donnerstag

Erstaunliche Übereinstimmung, obwohl über anderthalb Stunden dazwischen lagen: „Zapp“ vergleicht die bei Twitter veröffentlichten Zahlen mit den offiziellen Prognosen aus Wahlnachfragen.

Freitag, 28. August 2009

SZ-Magazin jubelt Juso-Chefin falsche Antworten unter

Angesichts des „SZ-Magazins“ kann man gelegentlich geteilter Meinung sein: Etwa wenn sie letzte Woche die iPhone-Bildchen David Hockneys wie einen exklusiven Scoop verkaufen und auch noch gleich fabulieren, damit erst begänne „das 21. Jahrhundert endlich auch in der Kunst“. Oder heute auf dem Titel in einer spekulativen Teeniesexsuppe waten, als sei das Verlagshaus längst von RTL oder dem Bauer-Verlag übernommen worden: „Jugend ohne Jugend – Sie sehen Pornos mit 12, haben Sex mit 13, sind schwanger mit 14: Warum haben es unsere Kinder so eilig mit dem Erwachsenenwerden? Ein Krisengespräch“ Dasselbe Thema hat die „Süddeutsche“ auch schon weit ausgewogener, um nicht zu sagen krisenfrei behandelt: „Ja, es gibt Fälle sozialer Verwahrlosung, in denen neben Alkoholmissbrauch, Drogen und kaputten Familien auch sexuelle Verwahrlosung zu beobachten ist; aber, wie Sigusch sehr professoral feststellt: 'Das hat mit der Gesamtheit der Jugendlichen nur sehr randständig zu tun.'
Die Zahlen belegen eher das Gegenteil, wie Marita Völker-Albert von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sagt: Ungeachtet aller Meldungen, dass Teenager immer früher Sex hätten, gäben nur zehn Prozent der 14-Jährigen an, schon Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, und ein Drittel der 18-Jährigen habe noch keine sexuellen Erfahrungen.“

Aber selbst die Kollegen vom „SZ-Magazin“ werden zugeben müssen, daß sie im aktuellen Heft auf der Doppelseite 4/5 bei Jusochefin Franziska Drohsel Mist gebaut haben, auch wenn sie seltsamerweise gar nicht dazu twittern, obwohl das doch ein guter Weg gewesen wäre, das Erratum aufzuklären. (Update: Laut Bastian Obermayer hat die „SZ“ bereits am Freitag auf ihrer Forumsseite den Fehler eingestanden – siehe unten.)
„Sagen Sie jetzt nichts“ heißt die Rubrik, in der Drohsel mimisch und gestisch auf Fragen der Journalisten zu antworten hatte. Und irgendwie hat es die Redaktion geschafft, Bildunterschriften und Fotos in der Printausgabe durcheinander zu wirbeln, während es online stimmt.
Auf die Frage „Und wenn Sie jetzt mal ganz ehrlich sind – trotz Wahlkampf: Wie schätzen Sie Steinmeiers Chancen bei der Bundestagswahl ein?“, druckte die „Süddeutsche“:



Dabei antwortete Drohsel ganz auf Parteilinie:



Ähnlich lag die Printausgabe bei Fragen nach der Internetzensur daneben oder bei Franziskas Statement, welche Rolle Attraktivität in der Politik spielt.

Updates:




„Süddeutsche Zeitung“ vom 28. August, Seite 31 (Forum)