Mittwoch, 22. Dezember 2010

Heubisch & die Studiengebühren: Er hat ganz schön gebohrt

Das kameralistische Prinzip, um jeden Preis das verbliebene Restbudget zum Jahresende rauszuhauen, scheint der Ego-Shooter der Bürokraten zu sein. Denn nur mit einem aufgebrauchten Etat kann man seinen Rang in der Hackordnung halten oder vielleicht sogar in der nächsten Budgetrunde noch eine Schippe dazu bekommen.
Der Zahnarzt vom Arabellapark setzt aber noch eins drauf und überträgt das unsinnige wie überholte Prinzip auf die Verwendung von  Studiengebühren, um sein Bollwerk zu deren Wahrung zumindest propagandistisch zu stärken. Seit gestern kursiert im Internet sein Schreiben vom 19. November an die Vorsitzenden der Leitungsgremien der staatlichen bayerischen Hochschulen zur zeitnahen Verwendung der Restmittel. Zuerst gesehen habe ich es bei Bildungsprotest Würzburg, inzwischen wurde offenbar eigens dafür sogar BayernLeaks  gegründet. Meine schriftliche Anfrage an die Pressestelle des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Authentizität des – mit auffälligen Fehlern versehenen – Briefes blieb bislang unbeantwortet, aber laut der „Augsburger Allgemeinen“ hat das Ministerium die Authentizität inzwischen bestätigt (Fettungen im Lauftext durch mich):

Studienbeiträge:
zeitnahe Verwendung der Restmittel

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Herren Präsidenten,
sehr geehrter Herr Rektor,

mit meinem Schreiben vom 13. April 2010 habe Sie gebeten, darauf zu achten, dass noch vorhandene größere Restmittel aus eingenommenen Studienbeiträgen früherer Erhebungszeiträume zeitnah bedarfsgerecht verausgabt werden. In meinem Bericht an den Bayerischen Landtag über die Erhebung und Verwendung der Studienbeiträge an den staatlichen Hochschulen in Bayern 2009 habe ich angesichts der zum 31.12.2009 auf 106 Mio. Euro weiter angewachsenen Reste zugesichert, Sie an diesen Appell erneut zu erinnern.

Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer zügigen und zweckentsprechenden Verwendung der Studienbeiträge zur Verbesserung der Studienbedingungen sind mir sehr wohl bewusst. Vor allem das komplexe Verfahren unter paritätischer Studierendenbeteiligung muss daher in Rechnung gestellt werden. In meinem Bericht an den Landtag habe ich auf diese Rahmenbedingungen hingewiesen, die einen zeitnahen und vollständigen Mittelabfluss hemmen.

Um die politische Unterstützung für die Erhebung der Studienbeiträge in Bayern nicht zu gefährden, möchte ich aber im nächsten Jahr dennoch nicht von einem weiteren Ansteigen der Restmittel berichten müssen, sondern auf einen Abfluss der angesparten Reste hinweisen können. Der politische Druck gegen eine Beibehaltung der Studienbeiträge hat im Zusammenhang mit der Abschaffung der Studienbeiträge und der vergleichbaren Gebühren in anderen Ländern zugenommen. Außerdem ist es für die Akzeptanz der Studierenden wesentlich, dass die eingenommen Mittel zeitnah eingesetzt werden und die Studierenden als Beitragszahler die Verbesserungen noch als „ihre unmittelbare Beitragsleistung“ wahrnehmen können.

Die bayerische Staatsregierung hat sich eindeutig für eine Beibehaltung der Studienbeiträge und der damit verbundenen Möglichkeiten der Hochschulen zur Verbesserung der Studienbedingungen über die staatliche Grundausstattung hinaus ausgesprochen.

In diesem Sinne wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie für einen zeitnahen Resteabfluss Sorge tragen könnten.

Mit bestem Dank für Ihre Unterstützung und freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Heubisch

Heiko – Allein zu Haus? Marc Scheloske verläßt ScienceBlogs

Ulrich Hegge (Media Innovation Lab), Jochen Wegner (Focus Online), Julia Knolle (Les Mads)... – der brain drain bei Burdas Onlinern ist nicht zu übersehen, und während man rätselt, wann Heiko Hebig geht, meldet sich nun Marc Scheloske ab, Macher des deutschen Ablegers der amerikanischen Wissenschafts-Community ScienceBlogs, die Burda adaptiert und inzwischen bei Glam Deutschland geparkt hat.
Scheloske, der dank seiner eigenen Wissenswerkstatt die bei Konzernen rar gesäte street credibility besitzt, betreute nicht nur Burdas Wissenschaftlernetzwerk redaktionell, sondern vertrat das Haus auch souverän nach außen, ob letztes Jahr auf Einladung des Bayerischen Journalisten-Verbands im Clinch mit Don Alphonso oder neulich in Berlin beim Historikertag.
Offiziell ist Scheloske bereits im Resturlaub, betreut aber noch bis kommende Woche vorläufig weiter das Wissenschaftsnetzwerk, bevor es anschließend zu einem längeren Trip mit der Sprachspielerin  down under geht.

Updates:

Scheloskes offizieller Abschiedsgruß und Staffelübergabe an Fabian Soethof und Jürgen Schönstein.

Am 3. Juni 2011 meldet Condé Nast die Verpflichtung Julia Knolles, die als Editor-at-large die „Weiterentwicklung der Content-Strategie für die digitalen Produkte betreuen und sämtliche Social-Media-Aktivitäten koordinieren“ soll. „Julia Knolle bildet künftig gemeinsam mit den Redaktionsleitern Doris Huber und Krischan Lehmann das redaktionelle Leitungsteam von Condé Nast Digital. Sie wird zudem einen eigenen Blog auf VOGUE.de eröffnen.“

Am 10. Juli 2011 gibt denn auch Heiko Hebig seinen Abschied von Burda via Google+ bekannt. „I have decided to leave Hubert Burda Media's iLab where I have worked as Head of R&D and move on to a new challenge. Last week I have communicated this decision to my team, today I share this information with the rest of you.

I will not leave immediately. There are still a few things that need to get done.
And as of today I don't know what the next step might be. I have a few ideas, there might be new opportunities - and I need some time to figure out what I want to do in the future.“



Am 4. September 2011 meldet der „Tagesspiegel“ den Abgang der zweiten Les-Mads-Gründerin Jessica Weiß, die als „Executive Editor Online“ zu Bernd Runges Magazinprojekt „Interview“ wechselt.

(Foto oben: Don Alphonso, Marc Scheloske, Thomas Mrazek v.l.n.r./Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses)

Dienstag, 21. Dezember 2010

Karl Lagerfeld spielt für VW die Toffee-Fee
(Update: mit Werbespot)

Auch wenn er schon für Warnwesten geworben hat, habe ich Karl Lagerfeld bislang weniger mit Autos assoziiert, denn mit Privatjets und maritimen Cruisern. Doch ab morgen wirbt die deutsch-französische Modeikone für eine „Style“-Sonderedition der sonst eher bodenständigen VW Polo und Golf, die in Moonlight Blue und Toffee Braun aber auch nicht mehr Glanz ausstrahlen. Mal sehen, ob der dazugehörige Werbespot mehr Witz und Glamour besitzt als die Printkampagne, die Lagerfeld stets nur von hinten zeigt und im Grunde nur die Claims variiert („Endlich mal ein Model, das keine Zicken macht“, „Bis zu 2.875 Euro sparen kommt nie aus der Mode“, „Der neue Stil: was Bequemes für jeden Anlass“, „Das sollte man diese Saison in der Garage haben“).


Samstag, 18. Dezember 2010

Das unbefleckte Verhängnis – „Babylon A.D.“ von Mathieu Kassovitz

Fang mit dem Tod des Helden an und steigere dich dann stetig. Mathieu Kassovitz' Mysterienspiel „Babylon A.D.“ lässt es krachen, blitzen, scheppern, gehorcht den adrenalingeschwängerten Gesetzen der Gegenwart, spielt in der nahen Zukunft und spiegelt zugleich den ältesten Bestseller der Erde wider.
Frech bedient sich der Blockbuster der Highlights der Christenheit und mischt Wiederauferstehung und Jungfrauengeburt, Apostel und Weltplagen zu einem packenden, stilsicher zwischen Pathos und Parodie balancierenden Action-Evangelium.
Doch anders als der Da Vinci-, Bibel- oder andere Codes versucht das Drehbuch gar nicht erst, eine hanebüchene genetische Linie aus Jesus' Zeiten, den Jahren des Herren (A.D.), zu konstruieren. Muss es auch nicht, denn schließlich gibt es die moderne Biotechnologie. Wozu sich mit israelitischen Stammbäumen und Verwandtschaftsverhältnissen aufhalten, wenn man Gottes Armee, ob Apostel, Jungfrau oder Erlöser, gentechnisch erschaffen, ja sogar so weit verbessern kann, dass die zwölf Jünger wie die Artisten des Cirque de Soleil behände herumpurzeln können, die Mutter Gottes aus dem Stand ein russisches Atom-U-Boot zu steuern vermag, und der neue Heiland gleich im Doppelpack geboren wird. Etwas vorzeitig liefert uns Mathieu Kassovitz das diesjährige Weihnachtsmärchen, aber liegen in den Supermärkten nicht auch schon die ersten Spekulatius und Lebkuchen?
„Keine Freunde, keine Familie, keine Zukunft“, der Söldner Toorop (Vin Diesel) erinnert an Jean Reno in „Léon – Der Profi“ und Bruce Willis in „Das 5. Element“, ein Killer mit dem Herz am rechten Fleck, wie ihn das französische Kino liebt und gerne mit einer naiv wirkenden Unschuld (Natalie Portman, Milla Jovovich) paart: Diesmal ist sie engelsblond und heißt Aurora (Mélanie Thierry), eine Klosterschülerin in der Obhut der Noeliten (noël: französisch für Weihnachten), einer finanzstarken wie waffenstarrenden Sekte. Toorop soll die Jungfrau aus den russischen Grenzgebieten des tiefsten Asiens nach New York schmuggeln, argwöhnisch beäugt von Schwester Rebecca – Anstandsdame, schlagkräftige Nonne und daher mit Michelle Yeoh perfekt besetzt.
Überhaupt die Schauspieler (die es fast schon zwingend machen, sich diesen Film unsynchronisiert in der amerikanischen Originalfassung anzusehen): Nie sah man Gérard Depardieu (als Obermafioso) widerlicher, Charlotte Rampling (als Hohepriesterin) fieser und Lambert Wilson (als Dr. Seltsam) wahnsinniger als in diesem fulminanten Endzeitdrama, dessen beängstigenden Bilder kaum erstaunen, sondern überraschenderweise fast der aktuellen „Tagesschau“ zu entspringen scheinen. Nur dass auf der Leinwand in Osteuropa keine größenwahnsinnigen Politiker, sondern mafiöse Söldnerfürsten herrschen. Die Flüchtlingsströme etwas massiver sind. Die Kirchen skrupelloser. Die Atompannen vernichtender. Die Grenzkontrollen tödlicher. Und die Umgangsformen der oberen Zehntausend sogar weit brutaler als die der Pariser Vorstadtbanden – mit deren Porträt Kassovitz in seinem ersten Kinoerfolg „Hass“ seinen frühen Ruhm begründet hatte.
Nicht mehr nur das Pariser Banlieue, die ganze Welt ist ein Schlachthaus, aber „Babylon A.D.“ nimmt das Elend aus Selbstmordanschlägen und Balkansoldateska nicht ernster als ein James-Bond-Film die Realität einer Dritten-Welt-Diktatur oder die Mabuse-Klassiker den Schrecken der zwanziger und dreißiger Jahre. Hauptsache, er kann Diesel und Thierry zum aufregendsten Heldenpaar seit Bogart und Bacall stilisieren. Dabei beschränkt sich Kassovitz nicht auf die Hagiographie, sondern malt wie in einem Kolportageroman oder bunten Comic auch Nebensächliches breit aus und vernachlässigt den strengen Erzählstrang gern, wenn die Alternative pittoresker scheint. In seinen stärksten Momenten steigert sich Kassovitz sogar zu blankem Kitsch, aber ist das die Bibel in ihren packendsten Passagen nicht auch?

Diese Filmkritik erschien zuerst im „In München“ 19/2008

Dienstag, 14. Dezember 2010

Macht hoch die Tür: Cafés, Bars & Kneipen zwischen den Jahren

Das ist die Liste von 2010. Die aktuelle Übersicht für 2023 findet man hier!

Wie jedes Jahr eine Liste der Weihnachts- und Neujahrsöffnungszeiten empfehlenswerter Münchner Cafés, Clubs und Kneipen. Beiträge aus Euren Vierteln sind herzlich willkommen. Die Liste wird laufend aktualisiert.
  • Alter Simpl Heiligabend geschlossen, an beiden Weihnachtsfeiertagen, Silvester und Neujahr ab 18 Uhr geöffnet.
  • Atzinger Heiligabend von 9 bis 1 Uhr geöffnet. An den beiden Weihnachtsfeiertagen sowie Neujahr von 17 bis 1 Uhr.
  • Baader Café Am 24. und 25. Dezember geschlossen, 26. Dezember ab 9.30 Uhr auf. Silvester bis 18 Uhr geöffnet, ab 22 Uhr dann  Silvester-Party mit DJ Sir Ted. Neujahr ab 12 Uhr auf.
  • Barer 47 Vom 19. Dezember bis 4. Januar geschlossen.
  • Barer 61 Vom 20. Dezember bis 5. Januar geschlossen.
  • Cabane Vom 24. Dezember bis 6. Januar geschlossen.
  • Café Crème Heuer kein Betriebsurlaub, Heiligabend und Silvester bis 13 Uhr auf.
  • Cafékiosk Vom 23. Dezember bis 8. Januar geschlossen.
  • Le Florida Silvester, Neujahr und am 2. Januar geschlossen.
  • Gartensalon Vom 24. Dezember bis 10. Januar geschlossen.
  • Goldene Bar Neujahr geöffnet.
  • Hanshe Bis 9. Januar geschlossen.
  • Holy Home Heiligabend und Silvester geschlossen. 
  • Café Kubitscheck An den Weihnachtsfeiertagen von 8 bis 17 Uhr geöffnet.
  • Laden Weihnachten, Silvester und Neujahr geschlossen, zwischen den Jahren von 10 bis 18 Uhr geöffnet.
  • Lizard Lounge Heiligabend zu, vom 25. bis 30.12. auf, Silvester ab 22 Uhr. 
  • Mario Heiligabend und 25. Dezember geschlossen, sonst geöffnet.
  • Max-Emanuel-Brauerei Bis 1. Januar geschlossen.
  • Nido Bis 6. Januar geschlossen.
  • Conditorei Mische Heiligabend und 1. Weihnachtsfeiertag geschlossen, 2. Weihnachtsfeiertag von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Silvester von 9 bis 18 Uhr, Neujahr von 11 bis 18 Uhr. 
  • Das neue Kubitscheck Am 1. Weihnachtsfeiertag geschlossen. 
  • Paulo An den Weihnachsfeiertagen von 9 bis 18 Uhr geöffnet. Neujahr offen.
  • Pavesi Bis 10. Januar geschlossen.
  • Pavesi Picnic Am 1. Weihnachtsfeiertag geschlossen, nach den Feiertagen geöffnet, aber keine warme Küche vom 20. Dezember bis 10. Januar. Neujahr offen.
  • Pini Am 24. und 25.12. geschlossen. 
  • Pommes Boutique Bis 16. Januar geschlossen.
  • Puck Heiligabend von 9 bis ca. 16 Uhr geöffnet, am 1. Weihnachtsfeiertag geschlossen, am 2. Weihnachtsfeiertag sowie zwischen den Jahren von 9 bis 1 Uhr, Silvester von 9 bis ca. 17 Uhr und Neujahr von 10.30 bis 1 Uhr geöffnet.
  • Rossini Bis 9. Januar geschlossen. 
  • Schall & Rauch An beiden Weihnachtsfeiertagen geschlossen. 
  • Schellingsalon Bis 12. Januar Winterpause.
  • Schumann's Bar Am 24. und 25. Dezember geschlossen, am 26. Dezember ab 18 Uhr auf.
  • Sobi Cocoa Heiligabend von 8.30 bis 15 Uhr geöffnet, 25. Dezember und 1. Januar geschlossen, am 2. Weihnachtsfeiertag von 10 bis 20 Uhr geöffnet, zwischen den Jahren bis einschließlich Silvester von 9.30 Uhr bis 20 Uhr geöffnet.
  • Stadtcafé Heiligabend und Silvester bis 17 Uhr offen, am 1. Weihnachtsfeiertag und Neujahr zu.
  • Tafel & Schwafel Weihnachten geschlossen, ab dem 27.12. ab 9 Uhr wieder auf.
  • Trachtenvogl Heiligabend und 1. Weihnachtsfeiertag zu, Silvester bis 18 Uhr geöffnet, Neujahr ab 18 Uhr.  
  • Türkenhof Heiligabend von 11 bis 18 Uhr, an den Weihnachtsfeiertagen von 11 bis 1 Uhr, Silvester ab 11 Uhr mit open end, Neujahr von 11 bis 1 Uhr geöffnet.
  • The Victorian House Brown's Tea Bar Heiligabend und am ersten Weihnachtsfeiertag geschlossen. 
  • Vorstadtcafé Geöffnet.

Montag, 13. Dezember 2010

Francis Ford Coppola: Vielleicht haben die Kids recht, die Musik und Filme illegal downloaden

„Man wird mich dafür lynchen, dass ich das sage, aber vielleicht sind die Zeiten vorbei, in denen man mit Kunst Geld verdient, und vielleicht haben die Kids recht, die Musik und Filme illegal downloaden. Vor zweihundert Jahren mussten Komponisten oft als Dirigenten arbeiten, weil es keine Tantiemen gab. Und vielleicht wird es wieder so. Viele große Literaten hatten andere Berufe, ich persönlich verdiene mein Geld nicht mehr mit meinen Filmen, sondern mit meinem Wein.“
Francis Ford Coppola, zitiert nach Susan Vahabzadehs Reportage über das Filmfestival in Marrakesch in der „Süddeutschen Zeitung“ von heute

Update: Ausführliche englischsprachige Zusammenfassung von Coppolas Statements in Marrakesch.

Wochenplan

„Clap“-Weihnachtsfeier, Pressevorführungen „Tron: Legacy“, „We want sex“ und „Love and other drugs“, Vernissage „Malerei auf Papier - Josef Albers in Amerika“ / Pinakothek der Moderne, Twittwoch / i-camp, blub club x-mess / 8 seasons, „What a loop“ / Werkraumtheater

(Foto: „We want sex“/Tobis-Film)

Sonntag, 12. Dezember 2010

Agora (3): „Kein Glasperlenspiel“ von Prof. Dr. Martin Balle

„Zukunft der Zeitung. Zeitung der Zukunft.“ Kein halbes Jahr nachdem die Akademie für Politische Bildung Tutzing bereits über „Medienumbrüche“ diskutiert hatte, brach man dieses Wochenende das Thema auf die Printpresse herunter und präsentierte mit Martin Balle, dem Verleger des „Straubinger Tagblatt“, einen Referenten, der quasi den Gegenentwurf zu Jochen Wegners sommerlichen 23 Thesen zur Zukunft der Medien vortrug. Gleich einem Don Alphonso der Old Media weckte Balles belesene, polemische, dem Bildungsbürgertum huldigende Replik bei mir erst einmal Widerspruch und Empörung, aber je länger ich ihm zuhörte, desto bedenkenswerter fand ich seinen Vortrag. Nicht, daß ich ihm zustimmen würde, aber Balle, der auch dem Vorstand des Bayerischen Verlegerverbands angehört, beleuchtete durchaus kritische Fragen der Produktion und Rezeption digitaler Inhalte. Einige Statements, etwa daß man sich online nicht mit Gedichten beschäftige oder die heile Welt des gedruckten Worts ein Gegengift zu den Bites und Byts sei, hatte ich live getwittert (Christian Jakubetz zitiert daraus in einem Blogeintrag). Leider gibt es nicht ein Manuskript des Gesamtvortrags, sondern mehrere Texte, aus denen er am Redepult eine Art Potpourri improvisierte. Die Passagen zum Thema Angst möchte er nicht online sehen, da er diese Ausführungen noch ein paar Mal vortragen will, dafür überließ er mir aber seine Festansprache anläßlich des 150-jährigen Jubiläums des „Straubinger Tagblatt“ zur Veröffentlichung. Hier die meines Erachtens in Tutzing benutzten Passagen. Der Gesamttext ist im Verlag Attenkofer erschienen.
Updates: Im Juni 2014 gehört Balle zu den Bietern für die insolvente Münchner „Abendzeitung“.
Am 17. Juni gibt der Insolvenzverwalter bekannt, daß Balle zusammen mit dem Münchner Anwalt und Unternehmer Dietrich von Boetticher die „Abendzeitung“ samt ihres Onlineauftritts übernimmt.


In seinem zauberhaften Roman „Das Glasperlenspiel“ beschreibt der Schriftsteller Hermann Hesse in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts eine Welt, in der nicht nur alle Kunst und alle Wissenschaft abgelöst ist durch die jetzt einzige Kunst des Glasperlenspiels, sondern vor allem auch die Welt der Zeitungen, wie es der namenlose Erzähler, den Hermann Hesse sprechen lässt, uns im Rückblick auf das 20. Jahrhundert als auf die Welt des Feuilletons berichtet.
Denn in der Welt der Zeitungen, so schreibt es dieser Erzähler bei Hesse, „habe“, so wörtlich, „der Geist eine unerhörte und ihm selbst nicht mehr erträgliche Freiheit 'genossen', indem er die kirchliche Bevormundung vollkommen, die staatliche teilweise überwunden, ein echtes, von ihm selbst formuliertes und respektiertes Gesetz, eine echte neue Autorität und Legitimität aber noch immer nicht gefunden hatte.“ Ich darf jetzt ganz kurz etwas ausführlicher zitieren aus diesem wunderbaren Roman: „Wir müssen nämlich bekennen“, so schreibt er weiter, „dass wir außerstande sind, eine eindeutige Definition jener Erzeugnisse zu geben, nach welchen wir jene Zeit benennen, den 'Feuilletons', nämlich. Wie es scheint, wurden sie als ein besonders beliebter Teil im Stoff der Tagespresse zu Millionen erzeugt, bildeten die Hauptnahrung der bildungsbedürftigen Bürger, berichteten oder vielmehr 'plauderten' über tausenderlei Gegenstände des Wissens. Die Hersteller dieser Tändeleien gehörten teils den Redaktionen der Zeitungen an, teils waren sie 'freie" Schriftsteller, wurden oft sogar Dichter genannt, aber es scheinen auch sehr viele von ihnen dem Gelehrtenstande angehört zu haben, ja, Hochschullehrer von Ruf gewesen zu sein. Beliebte Inhalte solcher Aufsätze waren Anekdoten aus dem Leben berühmter Männer und Frauen oder deren Briefwechsel... Lesen wir die Titel solcher Plaudereien, so gilt unsere Befremdung weniger dem Umstand, dass es Menschen gab, welche sie als tägliche Lektüre verschlangen, als vielmehr der Tatsache, dass Autoren von Ruf und Rang und guter Vorbildung diesen Riesenverbrauch an nichtigen Interessantheiten 'bedienen' halfen. Zeitweise besonders beliebt waren die Befragungen bekannter Persönlichkeiten über Tagesfragen ... zum Beispiel namhafte Chemiker oder Klaviervirtuosen über Politik, beliebte Schauspieler, Tänzer, Turner, Flieger oder auch Dichter über Nutzen und Nachteile des Junggesellentums, über die mutmaßlichen Ursachen von Finanzkrisen und so weiter ...“
Das erinnert an Anne Will und Maybrit Illner, aber natürlich auch an so manche Feuilleton-Beiträge, die man sich vielleicht hätte schenken können. Ein letzter Satz aus Hesse: „Wechselte ein berühmtes Gemälde den Besitzer, wurde eine wertvolle Handschrift versteigert, brannte ein altes Schloss ab, fand sich der Träger eines altadeligen Namens in einen Skandal verwickelt, so erfuhren die Leser in vielen tausend Feuilletons nicht nur etwa diese Tatsachen, sondern bekamen schon am selben oder doch am nächsten Tage auch noch eine Menge von anekdotischem, historischem, psychologischem, erotischem und anderem Material ... Über jedes Tagesereignis ergoss sich eine Flut von eifrigem Geschreibe.“ Soweit Hermann Hesse. Und man kann zusammenfassen, weil die ganze Kultur einschließlich der Zeitungen als Firlefanz, als verzichtbar erscheint, wird jetzt bei Hesse in der einzigen Kunst des Glasperlenspiels, eines hochartifiziellen Spiels, das wie eine mathematische Ordnung alle traditionelle Kultur ersetzt, alle Kunst, alle Medienform und auch alle Wissenschaft eingebunden. Was ist das Glasperlenspiel bei Hesse also? Ich zitiere ihn wörtlich: „Ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur.“
In einem gleichsam neuplatonischen Reich aller Möglichkeiten des Schönen, also der Musik, der bildenden Kunst, der darstellenden Kunst, der Literatur, die alle übersetzt sind in die Welt des Glasperlenspiels, spielen die Menschen jetzt in einer neuen synthetischen Kultur miteinander und lassen die traditionelle Welt, wie sie sich über die Jahrhunderte entwickelte, einfach hinter sich. Wer heute diesen Roman liest, der kann kaum anders, als in diesem Glasperlenspiel, in dem immer alles gleichzeitig in eine einzige mathematische Sprache übersetzt ist, die heute wahr gewordene Welt des Internets sehen. Denn im Internet ist alle überlieferte Welt als herunterladbare Datei immer gleichzeitig und gleichförmig da. Es gibt keine Art mehr der Information, keine Art der Kommunikation, keine Kunstform, die nicht im Internet sich finden oder sogar kreieren lässt, um auf jede erdenklich Weise die User der Internetwelt zu bedienen. Alles ist vorhanden, jede Wissenschaft ist heute auf das Internet angewiesen. Künstler präsentieren sich und ihre Kunst im Medium des Internets, Musiker produzieren keine Schallplatten mehr, noch nicht einmal mehr CDs, die qualitativ bereits schlechter sind, sondern sie stellen ihre neuen Lieder einfach ins Netz und machen sie so für alle zu jeder Zeit verfügbar. Das Absetzen der Welt der Zeitung zugunsten des Glasperlenspiels Internet gipfelte vor wenigen Wochen für mich in dem Satz des Chefs der Internetredaktion des Focus, der wörtlich sagte: „In zehn Jahren wird es keine Printprodukte mehr geben, wozu auch, das macht doch in der Welt desInternets keinen Sinn mehr.“ Entscheidende Frage für uns, für unsere Zukunft: Stimmt das? Hermann Hesse gibt in seinem Roman eine ganz andere Antwort. Denn die Hauptfigur in diesem Entwicklungsroman, der auch noch Josef Knecht heißt, weil er sich völlig versklavt fühlt von dieser künstlichen, synthetischen Welt, der wird in der künstlichen Welt des Glasperlenspiels nicht glücklich und wendet sich am Ende von ihr ab, in der scheinbar völligen Freiheit des Glasperlenspiels entdeckt er mit zunehmender Dauer des Romans eine Weltfremdheit, eine Unnatürlichkeit, von der er sich lossagt. Die erste Ahnung aber, dass ein solches Glasperlenspiel, wie heute das Internet, der eigentlichen Natur des Menschen zuwiderläuft, überfällt Knecht im Gespräch mit einem zauberhaften Benediktinermönch. Denn dieser Mönch Pater Jakobus, der gibt dem Josef Knecht die entscheidende Eingebung, wenn er sagt, und das gilt ja für alle Internetuser auch: „Ihr Glasperlenspieler“, sagte der Mönch, „habt euch eine Weltgeschichte zurechtdestilliert. Ihr behandelt die Welt wie ein Mathematiker die Mathematik, wo es nur noch Gesetze und Formeln gibt, aber keine Wirklichkeit, kein Gut und Böse, keine Zeit, kein Gestern, kein Morgen, nur eine ewig flache, mathematische Gegenwart.“ Und wenn man an die ganzen User, die nächtelang vor den Schirmen sitzen, denkt, in ihrer flachen Bildschirmgegenwart, so scheint Hermann Hesse hier fast schon eine prophetische Aussicht gegeben zu haben. Es ist eben keine Wirklichkeit, sondern eine flache Gegenwart, was die Bildschirmwelt des Internets zu bieten hat. Eine Welt, die alle Lebensrhythmen, alle Tages- und Jahreszeiten in sich einzuschmelzen droht und die damit den Bedürfnissen von uns Menschen zuwiderläuft.
Vor Kurzem habe ich mit meinem Freund, dem Abt Marianus aus Niederaltaich, einen schönen Abend verbringen dürfen. Und der Vortrag, den Marianus damals gehalten hat, der war einer, der gesagt hat, unsere Zeit hat ein Tempo entwickelt, das keine Rhythmen, kein Atmen, kein Einatmen, kein Ausatmen mehr möglich macht und er hat es auch unter anderem mit dem Internet zusammengebracht und einen schönen Begriff geprägt, indem er gesagt hat: „Wir Menschen brauchen eigentlich eine gespannte Seele.“ Und der Begriff der gespannten Seele bedeutet, dass eine Seele ruhen darf, dass sie aufwachen darf, dass sie in der Früh die Morgenzeitung lesen darf und abends vielleicht sich bei einem guten Gespräch findet. Aber dass Menschen, die nur noch in den Bildschirm schauen, diese gespannte Seele eben verlieren, das wäre auch psychotherapeutisch ein Befund, den man als Therapeut stellen könnte.
Der Begriff der gespannten Seele trägt: Morgenlektüre oder auch ein Morgengebet, abends ein Glas Wein mit den Freunden oder ein gutes Buch; darum geht es und nicht um zeitloses Dauersurfen im Internet. Die Auflösung aller guter und gewohnter Lebensrhythmen in der digitalen Welt läuft doch unserem menschlichen Maß zuwider. Wir brauchen eher die berühmte Periodizität von Informationen, das heißt, die Zeitung erscheint eben sechs Mal die Woche, immer morgens um fünf Uhr liegt sie im Briefkasten und nicht um zehn Uhr schon wieder. Wir brauchen also eine Welt, in der wir vielleicht gar nicht beständig regelrecht überfallen werden von neuen Informationen, die am Ende sich für uns als gar nicht wichtig erweisen können. Von der Zeitung aber bis zu den Abendnachrichten, im BR oder im ZDF, müssen wir ja unserem Tag und unserem Leben einen Rhythmus, einen Atem geben, der uns dann dieses Leben, unser einziges Leben, wirklich spüren lässt. Die Allgegenwart von Kommunikation im Internet aber dient doch nicht so sehr einer echten Lebenserfahrung oder einem echten Gespräch von uns miteinander und untereinander und auch nicht der Selbstgewahrwerdung im Akt des Lesens, sondern sie bedient doch allzu häufig nur Muster der Selbstentfremdung, ja der Dauerablenkung von uns selbst. Mit einem wunderbaren Bild sprach deshalb vor wenigen Wochen der Feuilleton-Chef des nicht abgeschafften Feuilletons der FAZ, Frank Schirrmacher, vom Lesen der Zeitungen und Bücher als einer zunehmend „wichtigen Insel von therapeutischem Wert in einer zunehmend digitalisierten Welt“.
Zusammenfassend: Zeitungen, unsere Printkultur also, haben anthropologisch, also was das eigentliche Wesen des Menschen angeht, eine Bedeutung, die wir vielleicht nur deshalb nicht genügend schätzen, weil wir kulturell schon zu viel von dieser Bedeutung preisgegegeben haben.
Ein zweiter und letzter Punkt. Ich möchte einleiten mit einem kleinen, sehr liebenswürdigen Zitat aus einem frühen schönen Drama von Hugo von Hofmannsthal mit dem Titel „Gestern“. Und da sagt in diesem Drama der jugendliche Liebhaber Andrea: „Musst du mit Gestern stets das Heute stören, muss ich die Fessel immer klirren hören, die ewig dir am Fuß beengend hängt, wenn ich für mich sie tausendmal gesprengt. Das Gestern lügt, und nur das Heut' ist wahr, lass dich von jedem Augenblicke treiben, das ist der Weg, dir selber treu zu bleiben.“ Man soll es mit solchen Lebensführungen nicht unbedingt übertreiben, aber im Prinzip ist es ein Thema, das die Philosophie im Rahmen ihrer Bewusstseinsphilosophie sich genauso stellt. Die Philosophie stellt nämlich die Frage in Anbetracht der Länge unseres Lebens, wo sich alles erneuert, unsere Lebensverhältnisse, unser Körper, unsere Zellen alle sieben Jahre, die Frage, ob bei einem Menschen, bei dem wie bei einem Fahrrad erst die Kette gewechselt wird, dann das Blech, dann die Reifen, ob dieses Fahrrad am Ende noch dasselbe ist wie am Anfang. Ein Niederbayer würde sofort sagen, „so a Fahrrad gibt's gar net, des hau ma vorher weg, des Fahrrad is kaputt.“ Da zeigt sich, dass bestimmte Fragestellungen in der Philosophie kontraintuitiv sind, aber es gibt in der Philosophie auf diese Fragestellung trotzdem eine wunderbare Antwort. Die Philosophie sagt nämlich, in der Erinnerung seiner Selbst ist der Mensch in jedem Wandel, den er durchläuft, trotzdem in sich selbst in seiner Memoria für sich identisch. Er mag Tausend Personen, Tausend Rollen nach außen darstellen, weil er seiner Selbst ein Leben lang bewusst ist, kann er sich in seiner Erinnerung seiner Selbst versichern und bei allem Wandel seiner Selbst geht seine Identität auf diese Weise nicht verloren.
Wir brauchen also die Erinnerung. Wir brauchen aber diese Erinnerung, und das wissen wir auch aus der Psychologie, wir brauchen diese Erinnerung nicht nur individuell. Wir sind auch aufgerufen, uns gemeinsam zu erinnern, ein gemeinsames Bewusstsein unseres Heimatraumes, in dem wir leben, aufzubauen und zu bewahren. Ich gebe ein Beispiel: Ich war nicht wirklich in Südtirol, wo ich immer Urlaub mache, wenn ich nicht dort teilgenommen habe an der Selbstwahrnehmung der Südtiroler in ihrer zauberhaften Heimatzeitung „Dolomiten“. Wenn ich nicht einen Blick dort auf die Todesanzeigen, die zuletzt verunglückten Kletterer in den Südtiroler Bergen geworfen habe, das letzte Eishockeyergebnis der „Rittner Buam“ gesehen habe oder auch nur die Veranstaltungshinweise für die nächste Woche gelesen habe. Auch wenn ich nirgends hingehe, ein Heimatraum, in dem nicht unser aller Lebensweg von einer Heimatzeitung mitverfolgt und begleitet wird, der verliert buchstäblich an Raumqualität. Eine Heimatzeitung hilft den Raum zu spannen, den Heimat bildet. Sie bildet ihn eben nicht nur beschreibend und passiv ab.
Vom täglichen Stadtgeschehen bis zu den Heirats- und Todesanzeigen entstehen Räume, die als Heimat erlebt und erfahren werden. Heimatbewusstsein hat mit Heimatzeitungen zuinnerst zu tun. Und eine solche Chronistenpflicht, wo wir uns unserer selbst täglich gewahr werden, leistet die digitale Welt in keiner Weise. Wert und Würde des gedruckten Wortes sind eben nicht nur eine Floskel, sondern sie sind für ein funktionierendes Heimatgeschehen aus meiner Sicht unverzichtbar und unersetzbar. Digitale Todesanzeigen mögen ein interessantes Geschäftsmodell sein, der Nachricht in der Zeitung aber, dem erinnernden Nachruf, sind sie in keiner Weise ebenbürtig, denn sie fangen den Wert des gelebten Lebens nicht ein.

(Foto: Sebastian Haas/Akademie für Politische Bildung Tutzing)

Sonntag, 5. Dezember 2010

Wochenplan

Pressevorführungen „Burlesque“, „Die Chroniken von Narnia: Die Reise auf der Morgenröte“, „Biutiful“, „Black Swan“ und „The Tourist“, LeWeb 10 Paris / Les Docks, Taylor Momsen mit The Pretty Reckless / La Maroquinerie, Tutzinger Medien-Dialog zur „Zukunft der Zeitung – Zeitung der Zukunft“ mit Martin Balle, Birgit van Eimeren, Richard Gutjahr, Robert Haberer, Hans Werner Kilz, Christoph Neuberger, Horst Röper, Stephan Russ-Mohl, Wolfgang Stöckel, Kai Voigtländer u.a. / Akademie für politische Bildung, Zwirbeldirn: Bratschendatschi, Geigenstrudel, Dreigesang / Café Luitpold, Lesung „Stille Nächte im Weihnachtswald“ mit Nadaville / Young Gasteig

(Foto: Karen Curley/Chicks With Guns Magazine/flickr)

Samstag, 4. Dezember 2010

Berliner Jahre (5):
Kohl, Vogts, Kruse, Popa (1998)

Als der Berliner „Tagesspiegel“ sich 1995 mit „Ticket“ im Stadtzeitungsmarkt versuchte, war ich als freier Autor und – unter dem Pseudonym Dolce Rita – Klatschkolumnist mit von der Partie. Dann mutierte das ambitionierte, von Moritz Müller-Wirth konzipierte Kulturmagazin zum dünnen Supplement, aber es machte doch noch Spaß, nicht nur mitzumischen, sondern das Blatt sogar zwei Jahre als Redaktionsleiter mitzuprägen und die West-Berliner Abonnenten, etwa mit unserer Attacke auf „Tagesspiegel“-Herausgeber Hellmuth Karasek, zu verunsichern. Silvester 1998 hatte ich dann genug. Hier der in Heft 53/98 erschienene Abschiedsgruß meines Redaktionskollegen Christian Beck:

Popa?
Popa!
Vorname??
Dorin.
???
Wie Doris.
????
Nur mit n.
Noris?????
Alles hat ein Ende, nur dies' Ticket-Jahr hat zwei. Beziehungsweise drei. Oder vier: den 31. Dezember; den Abschied des Art Directors und Objektleiters Volkart Kruse; die Demission dessen Redaktionsleiters Dorin Popa; und beider letztes Heft, das Sie, geneigte Leserschaft, gerade offenbar in Händen halten. Der Rest ist Anfang. Doch dazu nächstes Mal. Denn vor den Ritt in die Zukunft unter neuem Kommando hat der alte Commandante die Rückschau gesetzt. Auf drei bis vier Jahre Ticket, von denen einiges bleiben wird, auch wenn nun beide Alt-61er mit Überschreitung der 37er-Grenze ins wirkliche Leben entlassen werden.
Erinnern wir uns an „Dolce Vita“ mit der unvergeßlichen Dolce Rita, das „Stehrumchen“, die „Amuse-gueule“: Noris, wie er leibte und lebte. Ein griffiges „Möpse Mörder Mutationen“ über Pamela Andersons besten Stücke zum Thema „10 Jahre Fantasy Filmfest“: Noris, wie er liebte und ins Wesentliche lappte. Den Hinweis „Falls man beim Dolly-Buster-Video nicht aufgepaßt hat, kann man bei der Rückgabe auch gleich die Hose für 2,99 wieder reinigen lassen“ über die L&M Voll-Reinigungs/Videowelle im legendären Videothekentest: Noris, wie er laberte und läpperte.
Schade nur, daß eine höhere weibliche Instanz (Apropos: Danke, Anke!) ihrem Nachfolger seine Weihnachtswitze 96 nicht durchgehen ließ: „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Hängepartie unterm Weihnachtsbaum“ hätten – mit der entsprechendem Optik – Kollegen Kruse, Art Director von Ticket-Beginn an und seinerzeit längst auch schon so eine Art Direktor, sicher mindestens ebenso gut gefallen wie ihrem Schöpfer. So mußte El Chefe bis Weihnachten 98 warten, bis er der anderen großen Führungspersönlichkeit der westlichen Welt ihrer beiden Lebensmotto returnieren konnte: Freßetage im KaDeWe? „Schmeckt gut!“
Mindestens so gut wie die Weihnachtssuppe eines alten Kruse-Spezis aus seligen taz-Tagen: Wiglaf Droste. Oder desselben Meinung zum Thema „Das Magazin“, die bekanntlich nicht jedem im Hause und dem Hause verbundenen Partnerhäusern so gut mundete. Aber so ist es eben, wenn die Gedanken frei sind, ein Journalist eine eigene Meinung haben darf, und Synergieeffekte und Vetternwirtschafterei der Wahrheit von souveränen Blattmachern zumindest gelegentlich noch mal ein Stück weit aus dem Weg gehalten werden.
Bahn frei, Kartoffelbrei! Und nach Kruse und Popa die Sintflut konkurrierender Medien, die sich an Tickets Wirken und Werken mitunter enger orientieren, als man gern glauben möchte. Jetzt dürfen andere von beider Fähigkeiten profitieren – von ihrer Gelassenheit, ihrem Spielwitz, ihrer Kreativität: uns doch wurscht!
Nehmt euren Prosecco, für den ihr – je nach Fasson – weit über die Grenzen der Redaktion hinaus berühmt und/oder berüchtigt seid, und verpißt euch! Wie „Hut ab“! Nur mit a: Haut ab! Bis nächstes Mal...

Freitag, 3. Dezember 2010

Die Unbestechlichen von der Frankfurter Allgemeinen

Wenn eine Redaktion nicht käuflich ist, dann die Kollegen von der Frankfurter Allgemeinen. Selbst eine als Weihnachtsgeschenk übersandte Saftpresse im Wert weniger Euro landet postwendend wieder beim Absender, mit dem eindringlichen Hinweis, von weiteren Geschenken an die Redaktion Abstand zu nehmen.
Und ich kann mich noch gut an eine Reisereportage des „F.A.Z.-Magazins“ erinnern, die ihren Autor mit der Queen Elizabeth 2 nach New York schickte. Das mehrere tausend Mark teure Ticket für die Transatlantikpassage hatte die Redaktion selbstverständlich selbst bezahlt und nicht als Pressereise abgewickelt. Zum Beweis wurde der Beleg im Editorial dokumentiert.
Um so koketter erschien mir eine Titelstory der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, die ihren Lesern letztes Wochenende gestand, von einem Anonymus wg. Hannover 10.000 Euro in bar zugesteckt bekommen zu haben: Empfänger war ihr Korrespondent „Robert von Lucius, adressiert allerdings an die Frankfurter Redaktion. Das Kuvert, normale Größe, fand sich im Postkoffer, mit dem Material zwischen der Frankfurter und der Berliner Redaktion ausgetauscht wird. Es war nicht frankiert und vollkommen durchsichtig, transparenter noch als Butterbrotpapier, so dass man schon von außen den gedruckten Text auf dem gleichfalls durchsichtigen Zettel lesen konnte, der in dem Kuvert lag: 'Danke, dass wir Frankfurter das gegen die Hannoveraner geschafft haben. Auf weitere gute Zusammenarbeit'.
Vielleicht noch interessanter als der Zettel war das Geld in dem Umschlag, ebenfalls von außen gut zu sehen: pinkfarbene 500-Euro-Scheine, gleich zwanzig Stück. Also 10.000 Euro in bar. Über den Hintergrund kann man nur spekulieren. Über eines nicht: Dem anonymen Absender fällt es nicht schwer, 10.000 Euro für obskure Zwecke auszugeben.“

Viel mehr stand am Sonntag dazu nicht in der Zeitung, und wer die Empfindlichkeit der Kollegen in Sachen Landschaftspflege kennt, konnte sich nur wundern. Denn der normale Leser könnte doch naiverweise glauben, man hätte das Geld behalten.
Und während ich noch rätselte, ob man eine anonyme Spende wie eine Erbschaft ausschlagen könne, antwortete Robert von Lucius postwendend auf meine neugierige Mailanfrage: „Den Umschlag (und das Geld) habe ich selber erstmals am Sonntag in der Abbildung gesehen. Als mich Mitte August eine Verlagsmitarbeiterin aus Frankfurt anrief und vom Brief berichtete mit der Frage, ob sie das mir zusenden solle, ließ ich ihn mir beschreiben und bat sie dann, das sofort dem Justiziar weiterzuleiten. Anfangs erwogen wir eine Strafanzeige gegen Unbekannt, da wäre aber der Straftatbestand schwierig zu finden gewesen. So entschloss sich mW der Verlag dazu, den Brief vorerst zu tresorieren. Mittlerweile hörte ich, dass der Umschlag mit den 20 Geldscheinen à Euro 500 in einer Frankfurter Anwaltskanzlei verwahrt wird. Da die Zeitung nicht damit rechnet, dass sich der Eigentümer der Geldscheine melden wird, wird sie das Geld im kommenden Jahr der gemeinnützigen Stiftung F.A.Z.-Leser helfen zur Verfügung stellen.“
Bei der „taz“ hätte der unbekannte Gönner weniger Probleme gehabt. Er hätte einen entsprechenden Artikel nur ebenso generös flattrn müssen.

Update: Telefonisch hat mich Robert von Lucius inzwischen informiert, daß das Geld einer gemeinnützigen Stiftung zur Verfügung gestellt werden soll, aber noch offen sei, welcher.

Donnerstag, 2. Dezember 2010

Sind alle Blondschöpfe für die Abendzeitung gleich?

„Wer sind diese Frauen eigentlich?“, fragt die Münchner „Abendzeitung“ stellvertretend für ihre Leser bei der „Top Ten der weiblichen Dauer-Gäste“ und verspricht: „Die AZ stellt die Party-Dauergäste vor“.
Zu dumm, daß der namentlich nicht gezeichnete Beitrag (der Graeter Michael wie auch Dumpfbacke sind sich für solche Klickstrecken sicherlich zu schade, aber etwas Kompetenz hätte selbst dort nicht geschadet), zu dumm jedenfalls, daß der Anonymus dann auch mal daneben haut und die Natascha-Grün-Seiten mit Bildern der Schauspielerin Noémi Matsutani illustriert. Blond gleich blond? In der Druckfassung am nächsten Morgen wie auch inzwischen auf der Homepage sind die Bilder dann korrigiert worden – vielleicht auch aufgrund meines Tweets?

Samstag, 27. November 2010

Wochenplan

Pressevorführung „Another year“; Political Lounge: Zwei Jahre Barack Obama – eine Zwischenbilanz mit US-Generalkonsul Conrad Tribble und SFFC-Chef Sebastian Seiguer / San Francisco Coffee Company; Vernissagen: Isca Greenfield-Sanders / Galerie Klüser 2, Subjektiv. Dokumentarfilm im 21. Jahrhundert / Pinakothek der Moderne, save me – face me – welcome me / Gartenhaus der Akademie der Bildenden Künste, Goldenes Zeitalter – Gruppenporträts des 17. Jahrhunderts aus Amsterdam / Alte Pinakothek; Gogol Bordello / Tonhalle; BGH-Urteilsverkündung: SZ & F.A.Z. ./. Perlentaucher; Black in dark – Fotografien von Hubertus Hamm, präsentiert durch Christoph Amend (Redaktionsleiter „ZEITmagazin“) / Pinakothek der Moderne; Vorbesichtigung und Versteigerung von Objekten aus dem Besitz von Katharina und Josef von Ferenczy / Neumeister

(Abbildung: Adriaen Backer: Die Anatomie des Dr. Frederik Ruysch, 1670, Öl auf Leinwand, 168 x 2 44 cm, © Amsterdams Historisch Museum)

Freitag, 26. November 2010

To pixel or not to pixel (5): Bernd Eichinger

Die Älteren unter uns mögen sich noch gut erinnern, daß die Constantin Film, bevor sie unter Eichingers Regie zur Neuen Constantin und dann wiederum ganz einfach zur Constantin mutierte, in der Albert-Roßhaupter-Straße residierte. Dort in Sendling, wo heute rund um den Harras die Gentrifizierung ansteht und wieder einmal ein weiteres neues Zentrum der Subkultur und Kreativen entstehen soll, oder auf gut deutsch: die Mieten steigen und die alteingesessenen Mieter aus ihren Wohnungen und Werkstätten vertrieben werden.
Die Constantin ist nun schon lange in Schwabing, da, wo sich auch Bernd Eichinger gern aufhält, und auch wenn er nur ein paar Steinwürfe von den Firmenzentrale wohnt, habe ich ihn jahrzehntelang – anders als ein Kollege von der „Süddeutschen Zeitung“ – nie zu Fuß gehen sehen, sondern kenne den „I bin's“ (so meldet er sich am Telefon) nur im Fonds seiner chauffeurgelenkten Limousine.

To pixel or not to pixel (4): Angela Merkel

Young Gasteig: Dance around Munich


 
Benedict Mirows Tanzvideo „Dance around Munich“, mit den beiden „25 werden 25“-Finalistinnen Marie Preußler und Amanda Billberg sowie Eva Svaneblom, Mariella Aranda und Johannes Härtl, läutet heute abend bei der Eröffnung des Gasteig Open Video Festivals gleichzeitig auch die Young-Gasteig-Saison ein.

Montag, 22. November 2010

To pixel or not to pixel (3): Patricia Riekel

Wikipedia verortet sie im Herzogpark, in der „Süddeutschen Zeitung“ erzählte sie von ihren Nachbarn am Starnberger See, aber ich halte mich an eine Anschrift, die sie für juristische Zwecke nutzt...

Update: Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 15. Mai 2011  ortet sie inzwischen auch im Herzogpark, in der Flemingstraße. Dann sollte sie vielleicht einmal das Impressum ihrer Webseite aktualisieren...

Sonntag, 21. November 2010

Samstag, 20. November 2010

Wochenplan

Plan B / Freiheizhalle, Picasso Künstlerbücher / Museum Brandhorst, Präsentation der Frühjahr-/ Sommerkollektion 2011 / Louis Vuitton, Pressevorführungen „127 Hours“ und „Otto's Eleven“, Isobel Campbell & Mark Lanegan / Friedenskirche Dachau, „TV total“ Turmspringen / Olympia-Schwimmhalle, on3 Festival / BR-Funkhaus, „Into the dark“ – Lesung Dennis Cooper / Amerikahaus, M.I.A. / Muffathalle

(Foto: Brainpool TV Gmbh)

Freitag, 19. November 2010

To pixel or not to pixel (1): Mario Adorf

„Burda hat sein Haus in der Arabellastraße nicht verpixeln lassen“, twittert „Clap“-Ernie (oder Bert?) Daniel Häuser. Aber was ist mit dessen Junggesellenbude in der Schackstraße oder dem Anwesen im Herzogpark? Wie halten es Patricia Riekel, Philipp Welte & Co? Ich starte heute mit Brockhaus-Promi Mario Adorf, werde aber natürlich Burdessen und andere Mediengrößen nachreichen.

Dienstag, 16. November 2010

Ganz ohne Entourage –
„Somewhere“ von Sofia Coppola

Mein Haus, mein Auto, mein Boot? Nun ja, zu einem Boot hat es Johnny Marco (Stephen Dorff) vielleicht nicht gebracht, und meist schlurft er unrasiert, mit kunstvoll verwuscheltem Haar in Jeans und T-Shirt herum, forever young. Wir Münchner kennen diese betont jugendlichen, aber eben doch schon fickunddreißigjährigen Kreativen aus dem Glockenbachviertel oder der Maxvorstadt, halb gelangweilt, voll cool und niemals einem Flirt abgeneigt. Kein Mensch weiß, worin nun genau ihre Arbeit besteht, und ob das Café ihr Büro ist oder ob sie dort nur Halt machen, um gut auszusehen, was ja auf der Arbeit nur wenige mitbekämen.
Bei Marco läuft das alles einige Nummern größer ab: statt einem Loft bewohnt er als Dauergast Hollywoods legendäres Chateau Marmont, er fährt einen – unauffällig schwarzen – Ferrari, und flirtet selten, sondern knallt die Mädels lieber gleich. Johnny Marco ist ein Filmstar. Vielleicht ist er aber auch schon längst erloschen und zu einem schwarzen Loch kollabiert, während wir noch immer vom früheren Stellarglanz geblendet sind – und nur die professionellen Sternenbeobachter, die Paparazzi schlauer scheinen. Stets wähnt sich Marco von ihnen gejagt, doch offenbar folgt ihm mittlerweile keiner mehr, weil andere verführerischer fürs Objektiv glitzern. (So wie sein Darsteller Stephen Dorff vom schalkhaft glitzernden, schwer gehypeten Star zu „Blade“-Zeiten Ende des letzten Jahrhunderts zum traurigen Charakterdarsteller der Gegenwart gereift ist.)
Johnny Marco kreist recht einsam am Firmament, bar jeder Entourage. Nur wenige streifen, kometenhaft, seine Bahn, ein Kumpel aus seiner Jugend (Chris „Jackass“ Pontius), eine Tochter aus einer gescheiterten Ehe (Elle „Ich-bin-die-Schwester-von-Dakota“ Fanning). Letzte Spuren der Normalität (wenn es normal ist, seine Teenagertochter ins Feriencamp zu hubschraubern), letzte Pulsschläge in einem Schauspielerleben, das gar nicht mal mehr aus Dreharbeiten zu bestehen scheint, sondern aus dem In-between, dieser Twilight Zone aus Kostümproben, Pressekonferenzen, Festivalbesuchen.
Tristesse Royal – quasidokumentarisch von Sofia Coppola gefilmt, der bewährten Chronistin der Gelangweilten wie Leidgeprüften zwischen Tokio, New York und Versailles. Nahezu unbewegt, ja kalt, folgt sie dem Lauf, vielleicht sogar den letzten Tagen eines nicht mal mehr Getriebenen, sondern abgeklärt Dahinsinkenden, folgt ihm auch gar nicht konsequent, sondern lässt ihn durchs Bild kreuzen und irgendwann verschwinden.
Als Romantiker konnte ich die Schlussszene von „Lost in translation“, den unverständlichen Dialog zwischen Bill Murray und Scarlett Johansson natürlich nur als Happy-end interpretieren. Kirsten Dunsts „Marie Antoinette“ erfreute sich immerhin noch des prallen Lebens vor dem Schafott. Doch im Vergleich mit Johnny Marcos unaufgeregter wie finaler Einsamkeit erscheinen mir sogar die Selbstmordschwestern aus „Virgin Suicides“ fidel und selbstbestimmt. Was nicht ausschließen muß, dass man dem Hollywood-Beau Marco jede Party, jeden Quickie mit dem Model in der Nachbarsuite, jede Bono-Anekdote neidet, ohne aber letztendlich mit ihm tauschen zu wollen.
Niemand hat in „Somewhere“ seine Seele verkauft, Hollywoods Boulevard der Dämmerung wird von Sofia Coppola völlig unfaustisch inszeniert, mit der Nonchalance einer Zeitzeugin, die nur bei einem Abstecher in Berlusconis Italien der Farce verfällt, aber sonst die Oberflächlichkeit dieser Kunstwelt, das Gehabe der scheinbar nie alternden Dorian Grays im Film- und Popbusiness mit einer unprätentiösen Selbstverständlichkeit skizziert, die man derart präzise wohl nur erlangt, wenn man in dieser Welt aufgewachsen ist, ohne ihr Opfer geworden zu sein. Und natürlich hofft man, dass auch Marco nicht dem Hollywood-Talmi geopfert wird, sondern vielleicht einfach aussteigt und in dem Augenblick, wo ihn die Kamera aus dem Blickwinkel verliert, als einfacher Fischer auf einer Schaluppe sein Auskommen findet. Irgendwo. Ist ja schließlich großes Kino.

Diese Filmkritik erschien – leicht gekürzt – im „In München“ 23/2010 vom 11. November 2010

Sonntag, 14. November 2010

Louis Vuitton: Luxus in Bewegung

Die Messingbeschläge schimmern vom jahrzehntelangen Polieren, die zarten Linien des verwitterten Leders zeichnen eine imaginäre Landkarte vergangener Reisen und dem Leinenbezug haben Regengüsse diesseits und jenseits des Äquators Patina verliehen.
Die mächtigen Schrankkoffer stammen aus einer Zeit, als Reisen noch ein großes Abenteuer war, verbunden mit wochenlangen Schiff- und Zugfahrten. Die Welt ist kleiner geworden seither, wie all die Amerikaner, Chinesen, Japaner, Russen und Deutschen im Pariser Global-Store von Louis Vuitton beweisen. Die dekorativen Gepäckstücke sind längst nicht mehr auf großer Fahrt, sondern schweben diskret über der aktuellen Kollektion der Boutique in der Avenue Montaigne.
Doch wo immer man dort hinschaut, entdeckt man Details der ehrwürdigen Koffer wieder: Pumps zitieren das zum Markenzeichen gewordene Schachbrettmuster des Gepäcks, an der Abendtasche „Theda“ glänzen die traditionellen Messingnieten und in der Schmuckkollektion baumeln Miniaturtaschen und das berühmte Monogramm.
Der Mythos lebt, auch wenn er nicht mehr mit den Gepäckbergen einer Marlene Dietrich, Audrey Hepburn oder eines Cary Grant assoziiert wird. Wer heute an Louis Vuitton denkt, sieht Madonna, Gwyneth Paltrow oder Sophie Marceau auf ihrer Reise durchs Blitzlichtgewitter einer Filmpremiere. In der Hand das Must-have der Saison – und damit 150 Jahre* Meisterhandwerk.
1854 gründete der professionelle Kofferpacker Louis Vuitton in Paris seine eigene Firma und legte damit den Grundstein für das Luxusimperium. Wer damals verreisen wollte, musste noch einen speziell geschulten Verpackungskünstler bestellen, um die ausladenden Roben und den wertvollen Hausrat in eigens gezimmerten Kisten und schwere, bucklige Truhen verstauen zu lassen.
Um seiner noblen Klientel ihre an Umzüge erinnernden Reisen zu erleichtern, erfand Louis Vuitton das adäquate Gepäck: den flachen, stapelbaren Koffer, dessen Konstruktion aus Pappelholz und imprägniertem Segeltuch nicht nur platzsparend war, sondern auch trageleicht und regenfest.
Schon seit langem deckt das Traditionsunternehmen nicht mehr nur die Bedürfnisse von Weltenbummlern. Konsequent hat Vuitton die handwerklichen Fertigkeiten im Umgang mit Leder, Metall und Stoffen auf Handtaschen, Schuhe, Accessoires, Mode, Uhren und Schmuck ausgeweitet und dem Zeitgeist mit Sneakers, Yoga-Sets und Etuis für MP3-Player gehuldigt.
Einen entscheidenden Modernitätsschub brachte 1997 der Entschluss, den New Yorker Designer Marc Jacobs als künstlerischen Direktor nach Paris zu holen. Jacobs verwandelte das legendäre Markenzeichen in ein neues Trendlabel. Ob bei seinen eigenen verspielten Entwürfen für die Prêt-à-porter-Kollektion oder in der Zusammenarbeit mit internationalen Künstlern wie Takashi Murakami, Stephen Sprouse und Robert Wilson: In immer neuen Farben, Materialien und Schnitten interpretiert Jacobs den Mythos neu.
Und vergisst trotzdem seine Wurzeln nicht: Wer Muss-ich-haben-Stücke wie die türkisfarbene Express-Tasche sieht, erkennt sofort, dass sich auch Jacobs vom Canvas und den Beschlägen der alten Gepäckstücke inspirieren ließ.
Natürlich wird auch der klassische Vuitton-Schrankkoffer noch immer hergestellt. Von Hand unter der Aufsicht des Urenkels Patrick-Louis Vuitton in einem Atelier, das seit dem vorletzten Jahrhundert in Betrieb ist. Kein Logo verrät den Stammsitz, der sich wie ein klösterliches Refugium zwischen moderne Villen und Mehrfamilienhäusern duckt. Am Eingang nur ein schlichtes Klingelschild: Louis Vuitton.
Wer dort läutet, ist ein besonderer Gast, denn in dem Pariser Vorort Asnières entstehen neben den Schrankkoffern und Prototypen neuer Modelle vor allem Sonderanfertigungen für V.I.P.s: eine Wickeltasche für Schauspielerin Sarah Jessica Parker, ein Gitarrenkoffer für Rockstar Willy DeVille, ein Reiseschreibtisch für Regisseur Luc Besson – insgesamt mehr als 200 Einzelstücke jährlich.
Nicht selten finden die Maßarbeiten ihren Weg in die feste Kollektion – so wie der Vanity Case, ein kleiner Reise-Schrein für Kosmetik und Schmuck, den Sharon Stone selbst vor Ort entworfen hat.
Das Reisen hat in anderthalb Jahrhunderten an Rasanz dazugewonnen, doch wer eines der 15 Ateliers von Vuitton betritt, erlebt die Entdeckung der Langsamkeit. Zwischen drei und zwölf Jahre trocknen die Pappel- und Buchenhölzer für die Koffer, bedächtig wird das Leder mit Pflanzenextrakten gegerbt. Wie zur Gründerzeit prägt Handarbeit die Herstellung, weshalb Wartelisten kein Marketing-Kniff sind, sondern ein Zugeständnis an die handwerkliche Sorgfalt.
Asnières ist die Seele des Unternehmens. In einem schmalen Gang nimmt dieser gute Geist Gestalt an: Ein Handwerker restauriert einen alten Schrankkoffer und scheint dabei die Welt um sich herum zu vergessen. Wenn in dem Lichtjahre entfernten Paris Marc Jacobs seine neuesten Kreationen präsentiert, denkt vielleicht niemand mehr an die zahllosen beteiligten Schreiner, Gerber, Kürschner, Koffermacher, Schneider und ihre Kunstfertigkeit. Doch sie sind Louis Vuitton. Und niemand weiß das besser als Jacobs, der aus dieser Tradition schöpft und sie in atemberaubende Mode verwandelt.

*Dieser Text erschien zuerst unter der Überschrift „150 Jahre Luxus“ in der „Cosmopolitan“ September 2004

Samstag, 13. November 2010

Wochenplan

Pressegespräch zum neuen Internetauftritt der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Pressevorführung „Betty Anne Waters“, BJV-Werkstattgespräch „Audio Slide Show“ mit Matthias Eberl /Presseclub, Restaurant-Opening Coco de Mer, Ina Lane ./. Michael Graeter / Landgericht München, Edition 46 des SZ-Magazins: Hans-Peter Feldmann / Pinakothek der Moderne, HeimAZabend mit den „Abendzeitung“-Kolumnisten Ponkie, Eduard Augustin & Joseph von Westfalen / Vereinsheim, Birthday & Supperclub Party / Daylesford Organic, euward-Verleihung / Haus der Kunst, Verleihung der Bayerischen Kunstförderpreise 2010 / Residenz, Let's party for a piece of art / Pinakothek der Moderne

Foto: Hans-Peter Feldmann | Ohne Titel (Zwei Mädchen), o. J. Schwarz-Weiß-Fotografie, ausgeschnitten, 92 x 60 cm © VG Bild-Kunst, Bonn 2010

Freitag, 12. November 2010

Die Weisheit des Verlierers

Manche Lektüre macht es einem nicht leicht. Jürgen Todenhöfers neues Buch sollte ursprünglich mal „Die Weisheit der Sieger“ heißen, und ein erster Umschlagentwurf rückte es in die Nähe von Lebensratgebern à la „Simplify your life“.
Todenhöfers Anekdotenschatz aus einem erfüllten Berufsleben zwischen Bundestag und Burda-Verlag steht dagegen in Hans-Jürgen Jakobs' Exegese für die „Süddeutsche Zeitung“ heute im Mittelpunkt.
Und natürlich findet man beides in Todenhöfers nächste Woche erscheinendem „Teile dein Glück und du veränderst die Welt“: Tugendtafeln zum Abhaken, wie es keine Frauenzeitschrift oder Karrierebibel besser auf ihren Ratgeberseiten als To-do-Liste anbieten könnte. Und äußerst unterhaltsames Geplaudere, etwa über eine Kissenschlacht mit Michael Jackson, Klassenkeile mit Hubert Burda oder die Polit-und PR-Tricks eines CDU-Politikers.
Mutig, interessant und lesenswert ist diese Abrechnung zu seinem 70. Geburtstag aber eher, weil Todenhöfer mit sich selbst abrechnet, statt der Weisheit der Sieger lieber Erkenntnisse aus seinen Niederlagen teilt und dabei – schonungslos mit sich selbst – dahin geht, wo es weh tut.
Aus einer Aphorismenkladde, mit denen er seinen drei Kindern Orientierung schenken wollte, ist stattdessen eine doppelt so umfangreiche Rückschau geworden, die Nathalie, Valérie und Frédéric Todenhöfer überrascht haben dürfte, weil wohl kaum ein Vater so offen über sein Scheitern spricht. Und schon gar kein langjähriger Politprofi und Vorstandsmitglied eines international agierenden Konzerns.
Eine „Halbzeitbilanz“ wollte der fußballbegeisterte Todenhöfer ziehen, der heute seinen 70. Geburtstag feiert. Sein Verlag, offenbar hinsichtlich der Lebenserwartung nicht ganz so optimistisch, fand „Zwischenbilanz“ angemessener. Auf jeden Fall scheint Todenhöfer noch lange nicht am Ziel.
Mir kommt seine Welt so kalt vor, daß es mich friert, und auch wenn er in dem Buch ausgiebigst von seinen Reisen durch Asien und den dortigen Begegnungen mit weisen Männern und einfach glücklicheren Menschen erzählt, scheint er keineswegs deren innerem Feuer zu vertrauen. Wärme scheint bei Todenhöfer kinetische Wärme zu sein: Mach was, erreiche was, leiste was. Die Geschichten seiner Niederlagen werden so zu keiner Ode an die Demut, das Selbstbild vom Pausenclown wirkt wie Koketterie, denn schlußendlich sehen wir ein Stehaufmännchen, einen Selfmademan, einen Mann, der trotz aller Niederlagen durchhielt und oft gegen alle Widerstände – etwa bei der Wiedervereinigung – recht behielt.Auch wenn er bei sich selbst viele Fehler der Vergangenheit ungeschehen machen will.
Daß und vor allem wie er diese Fehler vor großem Publikum (Startauflage: 50.000, Vorabdruck in der „BILD“) eingesteht, liest sich spannend und läßt für ihn hoffen.

Update: „Die meisten dieser Aphorismen beleuchten die sehr singuläre Geschichte Todenhöfers. Sie vermitteln die Einsicht, dass sozialer Zusammenhalt, Freunde und Familie wichtiger sind als Reichtum. Das Buch ist dort am besten, wo er aus seinem eigenen Leben erzählt, etwa vom bizarren Wurstdosenkrieg mit Helmut Kohl“, Nils Minkmar in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 21. November 2010.

Mittwoch, 10. November 2010

Im Preisfieber: die wild fabulierenden Trittbrettfahrer der „Bunten“

Wird Orlando Bloom jetzt dank des Bambi 2010 in „Die drei Musketiere“ den Duke of Buckingham spielen dürfen? Erhält Udo Lindenberg mit Burdas Unterstützung vielleicht den Jacob-Grimm-Preis? Oder war das nicht alles längst schon vorher erledigt? Können die Kollegen der „Bunte“-Redaktion tatsächlich Wunder vollbringen und in der Zeit zurückreisen oder liegen in der Arabellastraße einfach nur die falschen Pillen herum?
Beim am 23. April 2009 verliehenen new faces award, dem kleinen Bruder des Bambi, war unter anderem auch Alina Levshin Anfang April für ihre Rolle in „Rosa Roth – Das Mädchen aus Sumy“ nominiert worden. Gewonnen hat schließlich Nora von Waldstätten, aber Levshin ist anderthalb Jahre später als Hauptdarstellerin von Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ (ARD, Freitag, 21.45 Uhr) in aller Munde. Und wird jetzt als „echtes BUNTE-Gesicht“ gefeiert.
„2009 wurde sie für den BUNTE new faces award nominiert, verpasste knapp den Sieg, aber hatte danach etwas, was sie vorher nicht gehabt hatte: eine Agentur, die der Schauspielschülerin diese Rolle vermittelte – und diese Chance hat sie genutzt.“ Zu dumm, daß Dominik Grafs Serie im Januar 2009, also lange vor der Nominierung bereits abgedreht war. (Levshins Agentur ließ meine Anfrage dazu unbeantwortet, aber wer will es sich auch schon mit Patricia Riekels Truppe verscherzen.)

Sonntag, 7. November 2010

Buntepedia: Kurschatten und Leine

Keep it simple, stupid, KISS, nach dieser Devise wird in Redaktionen gern getextcheft, von der Headline bis zum Lauftext. Den Kollegen von der „Bunten“ scheint das nicht zu genügen, sie helfen ihren Lesern, die sie alles andere als zu überschätzen scheinen, gern mit Erläuterungen auf die Sprünge, mit in Klammern nachgereichten Begriffserklärungen, um nur ja kein Mißverständnis aufkommen zu lassen.
„Bunte“ 44/2010, Seite 25
Die Nachricht vom „Kurschatten“ (volkstümlich für Heilbad-Bekanntschaft) sprach sich bald im internationalen Jetset herum und erreichte schnell Monaco.
„Bunte“ 45/2010, Seite 13
Die 53-Jährige hat gerade einen Deutschen von der Leine (Fluss durch Hannover) verloren. Diesen vierbeinigen Deutschen hält sie fest an der Leine (Ausführstrick) ...

Samstag, 6. November 2010

Wochenplan

Aura Dione / Ampère, Pressevorführungen „Au revoir Taipei“, „La danse - Le ballet de l'Opéra de Paris“, „Black Swan“ und „Harry Potter und die Heiligtümer des Todes“, Charity-Vernissage „Lebenslinien“ unter Schirmherrschaft von Claudia Effenberg / 8 seasons, Vernissage Ahmet Öğüt / Villa Stuck, Buchpräsentation „Teile dein Glück und du veränderst die Welt“ und Mittagessen mit Jürgen Todenhöfer / Spatenhaus, die neue Staffel des „Kaiser von Schexing“ / Bayerisches Fernsehen, Querdenker-Kongress & Award, Fachtagung „Alles auf dem Schirm – Jugendliche in vernetzten Informationswelten“ / BLM, Ateliereröffnung Wanja Belaga, Webfontday / Halle 27

Freitag, 5. November 2010

Popa pöbelt (2)

Das Internet vergisst nicht. Und während es sich früher versendet hätte, dass Nachrichtensprecherin Christiane Gerboth mitten in der Sendung ihren Stiftzahn verlor, sorgte eine Zuschauerin dafür, dass der Mitschnitt des dentalen Worst Case auf YouTube selbst vier Jahre später einen rätseln lässt, wie die Veränderung der Kauleisten und die des Body-Mass-Index in Relation stehen.
Doch das Web hat nicht nur das unerbittliche Gedächtnis eines böswilligen Pförtners, es ist auch genauso indiskret. Giovanni di Lorenzo kommt einem nicht mehr nur persönlich klein vor, an der entlarvenden Begegnung mit dem Tee trinkenden Nicht-Riesen im RL (Real Life) nimmt nun via Twitter die ganze Welt teil.
Und während früher in den Redaktionen und Agenturen jeder still vor sich hin während der Arbeitszeit mit den Freunden chatten, witzige Videos gucken, schicke Hotels recherchieren und Shopping-Reisen buchen konnte, kriegen es jetzt alle mit, was man so faved und liked.
Selbst das finale Dislike, die innere Kündigung, erfährt man längst nicht mehr vertraulich via Flurfunk, sondern fett und öffentlich im Xing-Profile unter „Ich suche“: Wer da alles trotz gemütlichen, ungekündigten Anstellungsverhältnisses unverschämt offen um neue Herausforderungen heischt, besitzt entweder viel Chuzpe oder die Gewissheit, dass auf den Chefetagen der Rechner immer noch reine Deko ist und selbst Mails weiterhin vom Chefsekretariat ausgedruckt und in die Vorlagenmappe gepackt werden. Dabei erfährt man aus Statusmeldungen inzwischen mehr als aus den einschlägigen Branchendiensten. Boris Hächler sucht neue Mitarbeiter, Eve Maren Büchner hat ein neues Start-up: Xing brachte es als erstes, obwohl das People-Portal immer noch eher den Charme der Ärmelschoner vom Arbeitsamt ausstrahlt, denn hippe Medienkompetenz.
Entsprechend klingen viele Einträge dort eher wie das einsame, höchstens selbstbefriedigende Quäken im Wald, während man sich auf den Flirtwiesen von Facebook und Twitter gern gemeinschaftlich verlustiert. BR-Late-Moderator Richard Gutjahr hat so nicht nur neue Kanäle eröffnet, um sich bei Chefredakteur Sigmund Gottlieb einzuschmeicheln, sondern kann jetzt auch jene Menschen anvisieren, die nicht um Mitternacht bayerische Regionalnachrichten gucken, also nahezu jeder von uns. Gutjahrs Social-Media-Hobby führte kurioserweise dazu, dass der juvenile Beau für die „Abendzeitung“ old-media-mäßig eine Printkolumne schreiben darf, wofür er sich prompt bedankte, indem er lautstark allen Zeitungen nur noch wenige Jahre zu leben prophezeite. Sind ja auch keine BR-Granden, der Rundfunk-Benjamin muß ihnen also nicht schöntun.
Beate Wedekind kann dagegen offenbar mit jedem gut und sich entsprechend vor Freunden kaum retten, 3479, nein, 3480 waren es bei Facebook, als ich diese Zeilen schrieb, und ich habe das Gefühl, dass der Andrang sich exponential vergrößert hat, seitdem es sich herumspricht, dass Wedekind an ihrer im Sommer 2011 erscheinenden Autobiografie sitzt.
An Freunden dürfte es dagegen Gustav Jandek eher mangeln. Nicht weil er bei schnellem Vorbeiblicken optische Gemeinsamkeiten mit einem von Luc Bessons Mangalores zu haben scheint, sondern weil der frühere „BILD“-Mann eine so eindringliche Art besitzt, Strippen zu ziehen, dass sich mancher lieber einen abgeschnittenen Pferdekopf im Bett wünscht als einen Anruf des Beraters und Klatschreporters.
Aber wer braucht schon Freunde, wenn er einen Feind wie das deutsche Finanzamt hat. Erst, so klatschte die Journaille*, waren es nur Steuerschulden, dann eine Anklage wegen Beleidigung seiner Sachbearbeiter. Inzwischen hat Jandeks Kampf mit dem „Fiskal-Terror“ episches Ausmaß, und da die Sender seine Idee von einer Fernsehserie zu dem Thema ablehnten („will keiner sehen“), hat der 57-Jährige seinen eigenen Kanal gefunden: das Internet. Sein Steuer-Wahnsinn.de strahlt zwar den unbeholfenen Charme einer digitalen „Bäckerblume“ aus, aber wenn selbst dieser Digital Naïve im binären Leben angekommen ist, ist das Internet in der bürgerlichen Mitte endgültig angekommen.

Diese Kolumne erschien zuerst im „Clap-Magazin“ #30 Oktober/November 2010
*Ich vermeide den von Goebbels mißbrauchten Ausdruck „Journaille“ sonst, aber die „Clap“-Redaktion hat ihn mir in die Kolumne hineinredigiert. Sorry.