Ein gemeinsames „Tagebuch der Chefredakteure“ von Helmut Markwort und Uli Baur zum Einstieg (nach dem Inhaltsverzeichnis und Foto der Woche)? Bevor man auch nur über den aparten Gedanken sinniert, daß sie dann im Laufe des Jahres vielleicht einen flotten Editorial-Dreier mit Wolfram Weimer schöben, platzt die Illusion: Auch das Doppeleditorial bleibt ein One-Night-Stand, eine Ausnahme zum 17. Geburtstag und zur lang erwarteten Rundumerneuerung des „modernen Nachrichtenmagazins“.
Der neue „Focus“ also, seit Monaten beherrschendes Thema im Arabellapark und in den Medienredaktionen, die längst überfällige Neuordnung im Reich des „ersten Journalisten“, der verzweifelte Versuch, ein vormals stattliches Erbe in geordneten Verhältnissen zu übergeben. Uli Bauer hatte neulich bereits dementiert, daß es sich um einen Relaunch handle, Helmut Markwort schreibt nun im Editorial von einer Renovierung, Rebrush träfe es auch ganz gut. Für mich, als nur gelegentlichen „Focus“-Durchblätterer ist kaum ein Unterschied zu erkennen.
Die ironiefreie und jeglichen Diskurses scheinbar unwillige, wenn nicht sogar unfähige Redaktion bleibt ein Reich der Textmarker-Generation, nun auch zusätzlich in der neuen Rubrik „Dechiffriert“, in der einige Aussagen Guido Westerwelles FDP-gelb angemarkert und in Randnotizen erläutert werden.
Das gestern von Jochen Wegner bereits via Twitter verbreitete Inhaltsverzeichnis zeigt, wo es im Erscheinungsbild hingeht. Großzügigere Optik, weniger Freisteller, mehr abfallende Bilder, wie auch das mutig angeschnittene Titelbild des US-Notenbank-Chefs Ben Bernanke andeutet. (Und da der „Spiegel“ seiner morgigen Ausgabe eine DVD über Amerikas Kriege in Korea, Vietnam, Irak und Afghanistan beilegt, steht wohl auch schon fest, wer diese Woche am Kiosk mehr verkaufen wird.)
Der Textanteil escheint mir nicht größer, wenn Artikel großzügiger daher kommen, dann eben aufgrund der opulenteren Optik, während die Inhalte, nun ja... Googles Marissa Mayer seitenlang als „It-Girl der IT-Szene“ zu feiern, ist zwar ein netter Willkommensgruß zum DLD, aber bereits im letzten Jahrhundert selbst von Frauenzeitschriften schon durchexerziert worden.
Und während die Kolleginnen ein Haus weiter unter dem Motto „freundin tut es“ früher erzählten, wie sich Redakteurinnen auf ein neues Gebiet wagten, heißt die Rubrik bei „Focus“ nun „Selbstversuch“. Zum Auftakt verrät Gregor Dolak, wie er sich als Dirigent der Jungen Sinfonie Berlin versucht hat, und gerade bei dem Thema hätte man sich ein paar reportagige Fotos statt eines Symbolbildes gewünscht.
Apple das zweite Titelthema zu widmen, obwohl man ebenso wenig wie die anderen Redaktionen über das iPad, iSlate – oder was auch immer Steve Jobs nun am Mittwoch präsentieren wird, weiß, ist letztlich auch nicht viel mehr als über fünf Druckseiten verwirbelte heiße Luft.
Ein „Brennpunkt“ (heißt wirklich so!) zum Thema Erdbeben, die Tabelle mit einer Kosten- und Leistungsübersicht von 161 gesetzlichen Krankenkassen, der Promi-Fragebogen auf der letzten Seite, die als redaktioneller Beitrag getarnte Anzeige für HP Drucker, nichts, was einem irgendwie neu oder auch nur aufgepeppt vorkäme.
Immerhin hat man – wie von Kai-Hinrich Renner gestern bereits gemeldet – jetzt die ansonsten unverändert weiter bestehende Hefteinteilung um ein Medizin-Ressort ergänzt. Und investigativ kann die gut besetzte Redaktion immer noch durchaus trumpfen: Pünktlich zur Verleihung des Lifetime Achievement Awards der History Makers in New York an Guido Knopp zählt „Focus“ Merkwürdigkeiten bei Knopps Nebeneinnahmen und Dienstreisen auf.
Updates: DWDL-Blattkritik, kress-Check, Meedia-Check, Print würgt, Sebastian Essers ausführliche Blattanalyse in V.i.S.d.P. (pdf-Download)
3 Kommentare:
Wenn Weimer kommt, ist sowie alles vorbei.
Wer soll den geistigen Müll aus der rechts-konservativen Ecke dann eigentlich lesen? Selbst die 1-Cent-Ausgaben für Fluglinien und Ärztewartezimmer bleiben unberührt liegen.
Vielleicht sorgt der Untergang des "Focus" aber vielleicht dazu, dass im deutschen Journalismus wieder folgende Tugend hochgeschrieben wird: "Fakten! Fakten! Fakten! (und mehr an die Leser denken)".
Ach, der Weimer hat mit „Cicero“ doch immerhin Themen gesetzt und einen intellektuellen Diskurs versucht, wobei er sich durchaus auch aus der konservativen Ecke gewagt hat. Ich denke, daß es mit ihm nur besser werden kann und er sicherlich in der Lage ist, mit der Aufgabe zu wachsen.
Focus hatte schon immer eine andere Zielgruppe wie z.B. der SPIEGEL. Nicht nur ist Focus konservativer ausgerichtet, er versuchte auch mit vermeintlicher "Lebenshilfe" à la "Die besten 100 Krebsärzte" zu punkten.
Daher bin ich dem SPIEGEL treu geblieben, obwohl die politische Linie des Focus mir näher steht. Auch die ZEIT ist für mich kauf- und lesenswert, wiederum nicht mein politisches Zuhause, ABER lange Texte, teilweise durchaus sperrig. Aber gut recherchiert und wenn ich Internet und TV-Nachrichten hinter mir habe, braucht es schon etwas mehr um mich z.B. für eine Reportage die schon zigfach medial durchgekaut wurde (z.B. aktuell, Erdbeben in Haiti) zu begeistern.
Und zur Lesefreudigkeit und intellektuellen Neugier des BURDA Nachwuchses, zitiere ich den Hr. Papa Burda aus einem SPIEGEL-Interview vom Dezember 2009:
"SPIEGEL: Lesen Ihre Kinder Ihre Zeitschriften überhaupt noch?
Burda: Jacob ist bei Facebook und Twitter, ich war mit ihm bei Mark Zuckerberg in Palo Alto. Er liest den "Economist" und kommt damit sehr gut zurecht. Lisa liest selbstverständlich "InStyle", aber "Focus" und SPIEGEL sind beiden etwas zu weit weg. Aber ich habe mit 18 und 19 auch nicht viel gelesen. Tageszeitungen waren mir zu kompliziert, vor allem der Wirtschaftsteil."
link: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-68167820.html
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