Dienstag, 20. Mai 2025

Für mehr Existenz als Minimum: Ermäßigungen und Gebührenbefreiungen bei Bezug von Grundsicherung

Ob Sozialhilfe, Hartz IV, ALG 2, Bürgergeld oder Grundsicherung: die Begriffe wechseln, die Armut bleibt. Und der Regelsatz ist alles andere als üppig. Darin enthalten sind derzeit gerade mal 54,92 Euro für einen Monat lang Freizeit, Unterhaltung und Kultur. Monatlich 2,03 Euro für Bildung. Monatlich 14,70 Euro, wenn man in einem Lokal oder via Lieferdienst etwas essen oder trinken will. Monatlich 50,49 Euro für Verkehr (das Deutschlandticket etwa kostet allein 58 Euro, wobei es für die Münchner Metropolregion auch ein monatliches MVV-Sozialticket ab 31,50 Euro gibt, das aber mit jeder Zone teurer wird). Oder monatlich 44,93 Euro für andere Waren und Dienstleistungen. Mehr Minimum als Existenz.

Es gibt für diese Menschen, ob Arbeitslose, Kranke oder Aufstocker, aber auch gezielte Vergünstigungen, die die Teilhabe am Leben nachhaltig erleichtern. Am bekanntesten ist die Befreiung vom Rundfunkbeitrag, weil der entsprechende Antrag automatisch dem Leistungsbescheid angehängt ist. Andere Ermäßigungen oder gar Gebührenbefreiungen sind dagegen weniger bekannt. Daher lege ich hier eine Liste an, die laufend ergänzt werden wird. Der Schwerpunkt liegt auf München, das Menschen in prekären Verhältnissen besonders teuer kommt. Der Artikel wird laufend aktualisiert. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich diesen Beitrag auch um Angebote im ganzen Bundesgebiet ergänzen. Für Ergänzungen und Korrekturen via Kommentar bin ich dankbar.

Amazon Prime

Analog der Gebührenbefreiung beim Rundfunkbeitrag bietet Amazon seit dem Jahr 2021 zumindest ein ermäßigtes Abomodell an. Statt 8,99 Euro monatlich (oder 89,90 Euro im Jahr) zahlt man bei Bezug von Grundsicherung nur 4,49 Euro monatlich.  

Banken

Die Stadtsparkasse München bietet bei Vorlage des München-Passes ihr München-Giro Premium für 4,95 Euro statt 11,95 Euro an. Es gäbe mit dem München-Giro zwar noch ein günstigeres Kontomodell für 2,95 Euro, das aber durch gesondert zu zahlende Buchungsposten (Gutschriften, Lastschriften, Daueraufträge, Zahlungen mit der Sparkassen-Card über zehn Euro …) à 0,49 Euro bzw. 0,50 Euro (Kontoauszüge am SB-Terminal) schnell sehr viel teurer ausfallen kann. Im Giro Premium ist alles inklusive.

Führungszeugnis

Das Münchner Kreisverwaltungsreferat verzichtet auf die Gebühr in Höhe von 13 Euro für die Bestellung eines Führungszeugnisses beim Bundesamt für Justiz. Auf der Webseite des KVR ist das etwas versteckt und verklausuliert formuliert: „Bei mittellosen oder ehrenamtlich tätigen Personen kann im Einzelfall bei Vorlage entsprechender Nachweise eine Befreiung von der Gebühr beantragt werden.“ Faktisch reicht es, beim Termin im Bürgerbüro am Schalter darauf hinzuweisen und zu belegen, dass man Grundsicherung bezieht. Der Leistungsbescheid wird dabei gegenüber dem München-Pass als Nachweis bevorzugt.

Kino

Im ABC und den Leopold-Kinos zahlt man mit München-Pass zehn statt zwölf Euro Eintritt.

Mit dem München-Pass zahlt man im ArenaMonopol-Kino, Neuen Maxim und Rio-Palast nur 9,50 Eintritt statt 11,50 bzw. 12,50 Euro sowie im Lichtspielhaus Fürstenfeldbruck neun statt elf Euro.

Das Studio im Isabella ermäßigt bei München-Pass-Inhaber*innen den regulären Eintrittspreis von elf Euro auf 9,50 Euro.

Im Neuen Rottmann und im Kino Solln erhält man als Arbeitsloser bzw. mit dem München-Pass einen Euro Rabatt.

Im Theatiner zahlen Arbeitslose und Inhaber*innen des München-Passes sechs statt zehn bzw. elf Euro.

Museen

Erwerbslose zahlen im BMW-Museum acht statt 14 Euro Eintritt.

Im Deutschen Museum zahlt man mit München- oder Landkreis-Pass acht statt 15 Euro Eintritt. 

Im Haus der Kunst zahlt man mit dem München-Pass fünf Euro Eintritt statt neun bis 15 Euro.

In der Kunsthalle zahlen Arbeitslose acht statt 18 Euro Eintritt.

Freier Eintritt mit dem München-Pass im Lenbachhaus.

Schwimmbäder

Mit dem München-Pass zahlt man in den Hallenbädern der Stadtwerke München zwischen 3,90 und 5,80 Euro Eintritt je nach Schwimmbad. In den Freibädern gilt freier Eintritt.

Theater

In München zeigt sich bei den Ermäßigungen eine deutliche Diskrepanz zwischen städtischen Bühnen und dem Staatsschauspiel. In den städtischen Kammerspielen kostet der Eintritt bei Besitz des München-Passes acht Euro – auch im Vorverkauf. Online kann man bei Verfügbarkeit zu dem Preis auch einen Platz in der ersten Reihe buchen. 

Im städtischen Münchner Volkstheater zahlen Arbeitslose und Inhaber*innen des München-Passes gegen Vorlage des jeweiligen Berechtigungsausweises für eine Karte im Vorverkauf 8,50 Euro und an der Abendkasse sechs Euro (ausgenommen Fremdveranstaltungen wie Lesungen oder Konzerte). „Die Platzierung der Karten legt das Theater fest“, aber bestellt man online, kann man sich eine ermäßigte Karte zu 8,50 Euro auch in der ersten Reihe aussuchen, soweit der Platz verfügbar ist.

Die Münchner Staatstheater sind dagegen weitaus restriktiver. Man könnte fast glauben, sie wollen kein prekäres Publikum im Saal haben. Die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst bei den Benutzungsbedingungen der Bayerischen Staatstheater sehen keine Benachteiligung von Einkommensschwachen vor, sondern behandeln sie wie etwa Jugendliche, Azubis, Schüler, Studierende oder Behinderte. Das Staatstheater Augsburg setzt das im Vorverkauf (30 Prozent Ermäßigung) oder bei seinen Standby-Tickets für neun Euro am Vortag auch entsprechend um. Das Staatstheater Nürnberg bietet den Inhaber*innen des Nürnberg-Passes sogar 50 Prozent Ermäßigung im Vorverkauf.

In der Umsetzung der Münchner Staatstheater wird dagegen recht scharf zwischen allgemeinen Ermäßigungen und Einkommensschwachen unterschieden. Gerade das prekäre Publikum wird wie Kurzentschlossene behandelt und kann nur darauf hoffen, an der Abendkasse vielleicht noch eine Restkarte zu ergattern oder unverrichteter Dinge wieder heimfahren zu müssen.

Während Kinder und Erwachsene unter 30 ermäßigte Karten für die Bayerische Staatsoper und das Staatsballett im Nationaltheater vorab kaufen können, haben die Inhaber*innen von Sozial-Pässen aller bayerischen Städte nur an der Abendkasse eine Stunde vor Vorstellungsbeginn die Möglichkeit, eine Restkarte ab zehn Euro zu erwerben. Bei den vergünstigten Karten ist keine freie Platzwahl möglich, die ermäßigten Karten werden automatisch zugeteilt.

Ähnlich im Staatstheater am Gärtnerplatz. Inhaber*innen des München-Passes erhalten an der Abendkasse ermäßigte Restkarten für zehn Euro.

Weit strenger geht es im Residenztheater zu: Schüler*innen, Studierende, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende bis zum vollendeten 30. Lebensjahr erhalten ermäßigte Karten für zehn Euro im Vorverkauf. Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, hat dagegen nur an der Abendkasse eine Chance. Diese öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Die ermäßigten Karten zu zehn Euro für Inhaber*innen des München-Passes kommen aber erst „ab ca. 30 Minuten“ vor Beginn der Vorstellung nach Verfügbarkeit in den Verkauf, wie auf einer Resterampe.

Da legt die Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater sogar noch einen drauf. Auch da alle anderen üblichen Ermäßigungen im Vorverkauf (außer bei Fremdveranstaltungen). Die Abendkasse öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Aber die Inhaber*innen des München-Passes werden erst „15 Minuten“ vor Vorstellungsbeginn mit Eintrittskarten zu acht Euro bedient.

Das Deutsche Theater München bietet München-Pass-Inhaber*innen jeweils 60 Minuten vor Vorstellungsbeginn Restkarten für zehn Euro an der Theaterkasse an. 

Montag, 19. Mai 2025

Traumtagebuch (24): Neue Freundin, neues Notebook

 Frühmorgens im Bett. Ich habe die erste Nacht bei ihr verbracht. Sie pendelt zwischen Bad und Schlafzimmer, bereits angezogen, und macht sich für die Uni oder Arbeit fertig. Ich liege noch nackt zwischen den Laken und weiß nicht, ob ich liegen bleiben darf oder auch aufstehen und verschwinden muss.

Sie kommt zu mir, ein Notebook in der Hand, und zeigt mir das Foto eines Grundschulkindes. „Sahst Du in dem Alter auch so aus?“, fragt sie, gibt mir den Computer und verschwindet wieder im Bad. So ein Notebook habe ich noch nie gesehen. Der Monitor besteht aus einzelnen, Smartphone-großen Screens, die lose verbunden sind und man irgendwie ausbalancieren muss, damit die vier einzelnen Bildschirme einen großen bilden. Woran ich beständig scheitere. Die Einzelteile schwingen hin und her, ohne dass ich sie zusammenbringe.

Auch die Tastatur ist ungewöhnlich. Ein eigenes, metalliges Device. Aber ohne Tasten, sondern mit eingravierten Zeichen und Symbolen, die zum Teil den üblichen Buchstaben und Sonderzeichen entsprechen, manchmal aber auch Symbole für Shortcuts enthalten.

Ich will meinen Blog aufrufen, um ihr ein Foto von mir als Kind heraiuszusuchen. Statt der langen URL https://nice-bastard.blogspot.com entscheide ich mich für das kürzere www.dorinpopa.de, abr selbst da scheitere ich, die richtigen Tasten für die Buchstaben zu finden.

Wochenplan (Updates)

Hauptverhandlung zur Abseilaktion an der A9 während der IAA 2021 / Amtsgericht Freising; Fachtag „Kritik oder Hetze? Israelbezogener Antisemitismus: erkennen, handeln, vorbeugen!“ / Sozialministerium; Zur Lage der Pressefreiheit – Reporter ohne Grenzen stellen neue Studie vor / Presseclub; Cheers Demo Listening / Kranhalle; Infoabend zur Paketposthalle / Pineapple Park; Munich History Lecture – Elisheva Baumgarten: „Contending with Crises: The Jews of Medieval Germany in the Fourteenth Century“ / LMU; Pressekonferenz zum Corso Leopold / Zur Brezn; „Begrünte Dächer: Lebensraum für Mensch, Tier und Pflanze“ / Plantreff; WOW x Amuse & Amore / WOW Museum; Markus Kavka & Elmar Giglinger: „MTViva liebt dich“ (Foto) / Lustspielhaus; Pressekonferenz zu den neuen Direktverbindungen von München nach Mailand und Rom mit dem Frecciarossa / Bayer-Forum; Eckhart Nickel: „Zur Aktualität der Popliteratur“ / LMU; Michel Friedman spricht mit Alena Buyx über Vertrauen / Kammerspiele; zweite Staffel von „Nine Perfekt Strangers“ mit Nicole Kidman / Hulu; Pressekonferenz zur kommenden Spielzeit des Residenztheaters / Marstall-Salon; Fantasy Filmfest Nights: Luc Bessons „June and John“ u. a. / City; Podiumsgespräch „Erinnerung – Gedächtnis – Kultur: Jüdische Biographien im 21. Jahrhundert“ / Stadtarchiv; Comedy Night / Glitch; Demo zum Tag der Artenvielfalt / Rindermarkt; Vernissagen Susan Sonntag – „Everything Matters“ / Literaturhaus und „Valentin & Karlstadt: Heimatlos“ / Valentin-Karlstadt-Musäum; Infoveranstaltung des Bezirksausschusses 4 Schwabing-West zum Elisabethmarkt / Berufsschule am Elisabethplatz; Standort-Eröffnung Schwitzke Project; Herbert Kapfer („Der Planet diskreter Liebe“) im Gespräch mit Malin Kraus / Optimal; International Dance Festival; Lederhosn-Cup von Marianne & Michael / Golfclub Egmating; BoundCon – The International Fetish Convention / Zenith; Soirée Apéro / La Maison de Jany; Eröffnung des Kulturbiergartens am Neptunbrunnen / Alter Botanischer Garten; Funk You Disco Charity Open Air / Minna Thiel; Pop-up-Stage ft. Mary Mou, Yung Saint Paul, Yungpalo & Lelosa / Dülferanger; Schwabinger Hof-Flohmärkte; Mitgliederversammlung des Fahrgastverbands Pro Bahn mit Gastvortrag der BEG-Geschäftsführerin Bärbel Fuchs zur „Generalsanierung der Hochleistungskorridore in Südbayern“ / Pfarrheim Maria Schutz; „Frühling mit weißen Fahnen“ – 90 Minuten Programm von und mit Alexander Kluge zum Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren / Werkstattkino; Krims & Krams Flohmarkt / Bahnwärter Thiel; Raro Ensemble: SoNoRo Anniversary Tour mit Werken von Johannes Brahms und George Enescu / Allerheiligen-Hofkirche

Mittwoch, 14. Mai 2025

Der grüne Knoblauch

Ich nenne ihn immer Frühlingsknoblauch, die korrekte deutsche Übersetzung für den rumänischen usturoi verde (deutsch: grüner Knoblauch) ist aber wohl Schnittknoblauch. Entdeckt habe ich ihn, als ich Anfang der 1990er-Jahre das erste Mal in Rumänien war.

So wie in Bayern das Radieserl gehören in Rumänien die Knoblauchstengel zu jedem Brotzeitbretterl neben Wurst und Käse. Serviert mit einem Schälchen Salz, in das man den Stengel immer tupft, bevor man abbeißt. Aber auch bei warmen Mahlzeiten wird der Knoblauch als Vorspeise serviert.

Derart auf den Geschmack gekommen, wollte ich auch daheim in Deutschland den Genuss erleben. Aber ich konnte jahrelang auf keinem Münchner Markt den Frühlingsknoblauch entdecken. Ein einziges Mal wurde ich am Elisabethmarkt fündig. Das war wohl ein Ausnahmefall, denn seitdem gab es ihn am selben Marktstand nicht mehr.

In letzter Zeit habe ich die Suche aufgegeben. Vielleicht hat sich angesichts zehntausender Rumän*innen in München das Angebot verbessert. Aber als ich zufällig auf Facebook entdeckte, dass der Neufahrner Minimarkt La Românul gestern frisches Gemüse aus Rumänien erhalten hat, bin ich sofort hingefahren.

Usturoi, das rumänische Wort für Knoblauch, ist übrigens ein lustiges Wort. Das rumänische Verb ustura bedeutet nämlich jucken, stechen, brennen und ist wiederum auf den türkischen Ausdruck für Rasiermesser zurückzuführen. Das Substantiv existiert ähnlich auch im Armenischen, Persischen oder auf Hindi.

Montag, 12. Mai 2025

Wochenplan (Updates)

Pressekonferenz zur Vorstellung einer Neuerwerbung / Alte Pinakothek; Verleihung des Bayerischen Integrationspreises an KulturBunt Neuperlach e.V., Theaterlabor Nürnberg und Musicians for a better life e.V. / Maximilianeum; Verkostung Chianti Classico / Künstlerhaus; Pop-up-Store Günter Mattei & 8080 Affairs / Studio CEin Abend mit Harald Schmidt & Volker Heißmann / Residenztheater; Brotmarkt / Fußgängerzone; Einweihung des Erweiterungsneubaus / Klinikum Bogenhausen; Immobilien-Dialog Metropolregion München / LOVT & Design Offices; Vernissagen Förderpreis BBK / Galerie der Künstler*innen, „Merci Maman – Straßenfotografie in Mali“ / Museum Fünf Kontinente, „What the City. Perspektiven unserer Stadt“ / Historisches Zeughaus im Stadtmuseum, Leif Trenkler: „Mysterious“ / Wolfgang Jahn Landshut und „Hallohallo#2“ / pip; Deutsch-Französischer Dialog: „Is Artificial Intelligence Gender Biased? How Women Reshape AI“ / Institut Français; Buchpräsentation Elisabeth Bronfen: „Shakespeare – und seine seriellen Motive“ / Zur schönen Aussicht im Residenztheater; Erstes Halbfinale des Eurovision Song Contest / One; Press Ahead – Das Newcomer-Camp des BJV / Katholische Akademie; Tag der offenen Tür bei „tz“ & „Münchner Merkur“ / Pressehaus Bayerstraße; Beerdigung Bobby Arnold / Nordfriedhof; Thomas Darchinger liest aus seinem unveröffentlichten Debütroman „Online“ / Goodgeist; Freundschaft im Hof / Pathos; Garteneröffnung / Alpines Museum; Eröffnung des Restaurants Eli / Elisabethmarkt; Akademiegespräch „Vertrauen als Wagnis und Ressource“ mit Ilse Aigner, Vera King, Ursula Münch und Tilmann Schöberl / Maximilianeum; Soft Opening / Nash; „Who Is the Witch? Hexengeschichte, Mythologie und widerständige Praxis“ / Glitch; 40 Jahre bayerisch-französischer Wirtschaftsclub Club éco / Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz; Munich Fashion Award / House of Communication; Europäische Filmklassiker der 1970er-Jahre / Werkstattkino; Erörterungsveranstaltung zum Bebauungsplan Iphitos / Gymnasium Neufreimann; Podiumsdiskussion „Rave the Heritage: Techno und Clubkultur als immaterielles Kulturerbe?“ mit Dr. Motte, Ellen Dosch-Roeingh, Ferdinand Meyen, Sanne Kurz, Upstart, Helmut Groschwitz und Manuel Trummer / Rote Sonne; Zweites Halbfinale des Eurovision Song Contest / One; Big Re-Opening / Prygoshin; Ochsenbraterei x Biergartenwiesn / Michaeligarten; Weekender / Rote Sonne; Hofflohmarkt Glockenbachviertel; Open Air Opening / Wannda Circus; KreativLabor Open / Kreativquartier; Paradise Wow – The Pool Dance Festival / Scheck-Club; Hans Platzgumer: „What Goes Up Must Come Down – Kleine Geschichte der Popmusik“ / Heppel & Ettlich; „Daddy“ / Marstall; Eurovision Song Contest mit Abor & Tynna (Foto) / ARD; „Saturday Night Live 50“ season finale mit Scarlett Johansson / NBC; Charity-Event „Pasta für Zasta“ / Schreiberei„Polizeiruf 110: Ein feiner Tag für den Bananenfisch“ mit mir als Komparsen / ARD

Samstag, 10. Mai 2025

Deutschland kann Hollywood: Der Deutsche Filmpreis

In der letzten Staffel von „White Lotus“ sollte Christian Friedel in der Rolle des Hoteldirektors noch eine Gesangsnummer liefern. Doch von dem Auftritt blieb nur wenig in der fertigen Fassung. Dafür konnte der Schauspieler als Gastgeber des Deutschen Filmpreises am Freitagabend in Berlin mehrmals seiner Sangeslust frönen. 

Die Gala bot, was man sonst von der Oscar-Verleihung gewohnt ist: Einen singenden Moderator, umrahmt von Showtänzern. Doch bevor sich die rund 1700 Gäste am Potsdamer Platz zu sehr dem Vergnügen hingaben, unterbrach Friedel sein Lied zu einer ernsten Zwischenrede und rief zu einer gemeinsamen Haltung gegen die Autokraten weltweit auf. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer rang das nur ein sardonisches Lächeln ab. 

Aber spätestens, als der Pianist Igor Levit auf der Bühne stand, um die Lola für die beste Filmmusik an „Islands“ zu verleihen, verging allen das Grinsen. „Es ist gerade ein bisschen schwer, aber es gibt Momente, die sind größer als jeder Preis“ sagte Levit und ließ die ahnungslosen Gäste wissen, dass Margot Friedländer gestorben sei. Tränen flossen, der Saal erhob sich zu Standing Ovations, alle waren aufgelöst, ob Iris Berben, Andrea Sawatzki, Volker Schlöndorff, Annalena Baerbock oder Sabin Tambrea. 

Und die Preisträger*innen des Abends fügten sich gut in Friedländers Anspruch nach mehr Menschlichkeit ein. „September 5“, das unglaublich dicht erzählte Drama über den Anschlag bei den olympischen Spielen 1972 in München, mit dem der deutsche Film Hollywood-Niveau beweist, gewann die Preise für den besten Spielfilm, Regie (Tim Fehlbaum), Nebendarstellerin (Leonie Benesch), Drehbuch, Schnitt, Kamera, Tongestaltung, Maskenbild und Szenenbild. 

Als bester Dokumentarfilm wurde „Petra Kelly – Act Now!“ von Regisseurin Doris Metz (rechts) und Produzentin Birgit Schulz gekürt. „Welcher Häme und Hetze waren die Klimaaktivist*innen täglich ausgesetzt“, mahnte Metz und forderte mehr Achtung für gesellschaftliches Engagement ein. Kellys Vermächtnis sei wichtiger denn je, ob in den USA oder bei uns in Deutschland.

Versionen dieses Textes erschienen in der „tz“ und im „Münchner Merkur“ vom 10./11. Mai 2025.

(Fotos: Eventpress Fuhr/Deutscher Filmpreis)

Freitag, 9. Mai 2025

Traumtagebuch (23): Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin

Zufällig treffe ich meinen Münchner Bruder, mit dem ich normalerweise keinen Kontakt pflege. Es ist vormittags und er ist am Bahnhof, um mit dem Zug nach Berlin zu fahren. Spontan beschließe ich, ihm Gesellschaft zu leisten und mit ihm, so wie ich bin, ohne Gepäck, nach Berlin zu fahren. Er denkt, ich würde dann auch länger in Berlin bleiben, aber ich plane, noch am selben Tag wieder zurückzufahren.

Im Großraumabteil – oder ist es der Speisewagen? – sitzt neben uns eine Gruppe junger Sportler*innen, irgendeine junge, angesagte Trendsportart, für die es eine Red-Bull-Academy geben könnte. Darunter eine junge Frau, mit langen, lockigen blonden Haaren. Die Hälfte ihres Gesichts ist mit roten Flecken übersät, Folgen einer Krankheit oder eines Unfalls. Sie heißt Svizzera und ich kenne sie von früher aus Berlin. Wir haben einen gemeinsamen Freund, der eine Kaffeerösterei und/oder eine Kaffeekette betreibt, aber sie erinnert sich nicht an mich, als ich sie darauf anspreche.

Plötzlich laufe ich durch eine Berliner Hauptstraße, an meiner Seite nicht mein Bruder, sondern meine Mutter, die aus München zu Besuch ist. Ich habe gerade eine Wohnung in Berlin gemietet und meine Mutter äußert den Wunsch, die Wohnung mal zu sehen. Ich vertröste sie auf einen anderen Zeitpunkt, wenn die Wohnung fertig eingerichtet sei. Aber während wir gehen, sage ich plötzlich: „Ach, ich zeige sie Dir jetzt“, und gehe auf ein Haus zu, an dem wir gerade zufällig vorbeigelaufen sind.

Vor dem Gebäude verharre ich aber. Das ist gar nicht das Haus, in dem ich wohne. Es ist nicht einmal der richtige Bezirk. Aber die Haustür sieht genau so aus, wie meine Haustür, weshalb ich die Häuser miteinander verwechselt habe.

Dienstag, 6. Mai 2025

Eher Grimm denn Gosse: Alexa Hennig von Langes Debütroman „Relax“

Aus gegebenem Anlass mein Porträt der Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange anläßlich ihres Debütromans „Relax“. Die Titelgeschichte erschien in „Ticket“, dem wöchentlichen Supplement des Berliner „Tagesspiegel“, Anfang Januar 1998.

Auf die roten Haare fiel sogar der Werbetexter von Zweitausendeins herein und fabuliert im Merkheft, daß Alexa Hennig von Lange vor ein paar hundert Jahren als Hexe verbrannt worden wäre. 

Der Klappentext ihres Debütromans „Relax“ heischt mit auflagesteigernden Schlagworten wie Ficksau nach einer Leserschaft, die das Buch nur unbefriedigt weglegen wird. Denn die Protagonisten dieses jede Entwicklung verneinenden Romans treiben es nicht mal mehr miteinander, sondern treiben in ihrem Frust nur noch dahin. Trotz aller dabei konsumierten Drogen, trotz des Biers, Shits, Kokains und Ecstasys schlägt auch nie der harte Rhythmus der Gosse durch, sondern nur das sanfte, entrückte Herzpochen Grimmscher Märchenwelten. 

Alexa, die das Buch nicht nur ihrem Ex-Freund widmet, sondern auf Erlebnisse in der Clubszene zwischen Hamburg und München stützt, hätte man wohl zu keiner Zeit auch nur ein Haar gekrümmt. Denn das Multitalent strahlt jene Kombination aus verspielter Aufmerksamkeit, bescheidener Gutmütigkeit und vifem Verantwortungsbewußtsein aus, die Freunde schafft. Gute Freunde, die sie stets dankbar anführt, wenn man fragt, wie sie mit 24 bereits sämtliche deutsche Metropolen abgehakt und Karrierestufen als Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und – im Augenblick – Storylinerin von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht haben kann. 

Daß Alexa noch weit mehr erreichen wird, läßt sich erahnen, wenn man die 87 Stufen zu ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hochsteigt. (Nach der Lektüre von,,Relax“ entwickelt man ein Gespür für Details wie die Anzahl von Treppenstufen oder den Geschmack von Zahnpasta.) Die Wohnung strahlt jenes Flair von Design und Leere aus, das den Schlafstätten Viel(-außer-Haus-)beschäftigter in der Medienwelt zu eigen ist. Alexa, das Objekt begierlicher Interviewanfragen und Jobangebote, ist noch mit Kollegen von arte zugange. Neuer Anlauf ein bißchen später in einem Café. Sie bringt ein Tamagotchi mit – kein Grund zur Häme. Das virtuelle Monster gehört natiirlich nicht ihr. Sie bemuttert es nur für eine verreiste Freundin. Kann jemand so gut sein? 

Alexa hat bereits als Kind geschrieben, im Radio Selbstverfaßtes vorgetragen und von ihren Eltern die entsprechende Förderung genossen – unter der Bedingung, ihre Texte nicht in der Nachbarschaft zu verbreiten. Schon damals wird sie den präzisen Blick für die angenehmen wie unangenehmen Wahrheiten des Zusammenlebens gehabt haben: die Niederlagen und Träume, nervösen Ticks und unkontrollierten Glücksgefiihle, die man gern verbirgt. 

Mit 14 hat sie dann Salingers ,,Fänger im Roggen“ und Bukowski entdeckt – Erweckungsmomente, die Alexas Debütroman zehn Jahre später noch prägen: Das Wechselspiel zwischen Exzessen und Antriebslosigkeit, eine bis ins Manierierte durchgehaltene Scheinauthentizität, was den Jugendslang und jeden Gefühlspups betrifft. Ein Sommerwochenende lang begleitet Alexa Chris und seine,,Kleine“, ein Münchner Liebespaar, das nur wenig, zu wenig Zeit miteinander verbringt. Enervierend echt wird protokolliert, was Männercliquen im Suff so von sich geben, quälend präzise beobachtet, wie eine junge, aufrichtige Liebe an Mißverständnissen und Sprachlosigkeit leidet. Vielleicht sogar scheitert, denn eine Überdosis läßt Chris verstummen. 

Männliche Leser halten das meist für ein offenes Ende, während Leserinnen – durchaus im Sinne der Autorin – den Exitus erkennen. Präzise werden die letzten Stunden geschildert, erst aus seiner Sicht und dann, da capo, aus der Sicht der Frau. Das ist mitunter redundant, immer wieder erschreckend genau, gelegentlich auch nur monoton und schwingt sich oft genug in brillant vorangetriebene, phantasievolle Höhen. Eben gute Seiten, schlechte Seiten. 

Nach dem Gespräch guckt Alexa nach dem Tamagotchi und erblaßt. Es rührt sich nicht. Panisch drückt sie herum, bis jemand fragt, ob es vielleicht gerade schläft. ,Stimmt, um die Zeit schläft es. Mein Gott, jetzt hätte ich es beinahe aufgeweckt!“ Doch selbst der Fehler unterläuft ihr nicht.

#MeToo beim Tagesspiegel oder warum das selbst in den 1990er-Jahren nicht einfach normal war

Wenn man in meinem Alter ist und auf mehr als 40 Berufsjahre zurückblicken kann, stellt man sich als alter, weißer Mann natürlich die Frage, was man selbst als Journalist und Redakteur im Umgang mit anderen Menschen falsch gemacht hat und ob man nicht selbst auch ein Fall für #metoo gewesen sein könnte.

Dieser Tage erreichte mich so ein Vorwurf. Auf ihrem Instagram-Account reflektierte die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange darüber, warum sie sich als 24-Jährige für die Titelgeschichte im „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ halb nackig machen musste.

Die Geschichte anläßlich ihres Debütromans „Relax“ hatte ich geschrieben, möglicherweise war ich damals auch schon Redaktionsleiter. Fotografiert hat Henrik Jordan, wobei ich beim Shooting nicht anwesend gewesen bin. Stattdessen aber Henriks damalige Freundin – wohl um die junge Autorin in Sicherheit zu wiegen.

Auf Instagram schrieb Alexa (wir duzen uns und haben uns seit dem Interview alle paar Jahre mal wieder gesehen) nun: »Es ist mir noch immer schleierhaft, warum ich mich beim Fotoshooting für das Titelmotiv des Beilageblattes „Ticket" vom Tagesspiegel obenrum ausziehen sollte, Ich war 24 Jahre alt, mein Debütroman „Relax" war gerade erschienen, ich wollte gesellschaftlich und literarisch wirksam werden. Ich dachte, ich sollte besser unkompliziert sein, was die Medien anbelangt; damit ich weiterschreiben kann. Es war niemand da, der gesagt hat: „Alexa, das musst du nicht tun." Es ist immer wieder eine Übung, zu erkennen, wann man die eigene Integrität verletzt; aus Angst, ansonsten alles zu verlieren.«

Womit man wieder einmal sieht, wie lange Grenzüberschreitungen und Verletzungen, die vielleicht nicht das klassische Bild sexualisierter Gewalt erfüllen, dennoch nachwirken.

Ich war beim Fotoshooting wie gesagt nicht dabei. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Henrik und ich uns vorab darauf verständigt hätten, die jüngere Schriftstellerin auszuziehen. Wir waren damals beide Anfang bis Mitte 30, um den auf Instagram von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu entkräften, dass sicherlich ein Mann über 40 oder 50 dahinter gesteckt hätte.

Andererseits war Henrik aber ein Erotoman und Fotograf, von dem ich wusste, dass er jede Frau, die vor seine Linse kam, nackig zu machen versuchte. So auch bei meiner damaligen Freundin, die für Bewerbungsfotos zu ihm gekommen war. Er schlug dabei vor, auch noch ein paar Bilder oben ohne zu schießen, was sie aber ablehnte. Nach Henriks Tod wimmelte es auf der Trauerfeier nicht nur vor Künstlerwitwen. Die Klügste von ihnen handelte auch schnell, um die pornografischen Fotos, die Henrik von sich mit ihr auf einer alten Plattenkamera geschossen hatte, aus dem Nachlass zu sichern, bevor sie in falsche Hände gerieten. 

Wenn ich mir heute, fast drei Jahrzehnte später und um einiges für sexualisierte Gewalt sensiblisierter die alten „Ticket“-Ausgaben durchblättere, ob nun meine eigenen Texte oder die von mir später als Redaktionsleiter verantworteten Ausgaben, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass es vor übergriffigen Formulierungen, damals hätte man sie schlüpfrig genannt, nur so wimmelte. „Ticket“ richtete sich an die Kinder der Dahlemer „Tagesspiegel“-Abonnent*innen. Es sollte provokativ sein und die Eltern in Rage versetzen. Sei es, indem wir unseren eigenen Herausgeber Hellmuth Karasek angriffen, zu Weihnachten ein Rezept für Suppe aus Mutterkuchen veröffentlichten oder grundsätzlich sexpositiv berichteten.

Aber dafür musste man sicherlich nicht eine Schlagzeile nach der anderen im Stil von Altherrenwitzen verfassen. Geschweige denn eine junge, noch unerfahrene Schriftstellerin bedrängen, sich auszuziehen und ihr dann auch noch den Kopf einer Männerfigur in den Mund zu stecken.


Update vom 13. Mai 2025:
Inzwischen habe ich auch mit der Frau gesprochen, die damals beim Fotoshooting teilgenommen hat. Sie war zwar auch mal die Freundin des Fotografen gewesen, aber als Maskenbildnerin dabei. Sie erinnert sich: „Wir hatten eine sehr entspannte und wie ich dachte vertraulich sehr nette Atmosphäre. Sie wurde von uns gefragt, aber es wurde sehr darauf geachtet, dass man später auf dem Bild keine explizite Nacktheit sieht. Es waren auch echt noch andere Zeiten, wo das Thema noch nicht mit der Brisanz wahrgenommen wurde. In der Rückschau wurde sie weder gedrängt noch verunsichert durch Henrik und mich.“ Es sei immer schwierig, die heutige Sicht mit der damaligen Zeit in Übereinstimmung zu bringen. „Damals war sowas möglich und heute würde mich das keiner mehr fragen, noch würde ich das tun.“ Und sie meint, dass mögliche Unsicherheiten und Zweifel Alexas an der Motivwahl während der Aufnahmen „an keiner Stelle spürbar“ gewesen wären.

Montag, 5. Mai 2025

Wochenplan (Updates)

„80 Jahre Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg“ / DRK-Suchdienst; Festakt 100 Jahre Deutsches Museum in Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Markus Söder und Oberbürgermeister Dieter Reiter; Vorstellung des Buches „Heidelandschaft“ / Heide-Haus; Eröffnung des neuen Studierendenwohnheims / Wohnanlage Schwere-Reiter-Straße; Wiedereröffnung des südlichen Appartements / Schloss Nymphenburg; Eröffnung der Ausstellung zum Wettbewerb Moosacher St.-Martins-Platz / Wiese vor dem Pelkovenschlössl; Met Gala / vogue.de, Presselunch zur Juni-Auktion / Auktionshaus Ketterer; Vernissagen Bruce Gilden: „A Closer Look“ / Kunstfoyer, „Tischkultur“ / Galerie Handwerk, „Perspektiven 2025“ mit Verleihung der Jury- und Publikumspreise / Platform, „Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?“ ft. Anne Jud, Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer / Wolfgang Jahn, „Anarchic Animism“ / Lothringer 13, Alexander Höller: „Demons“ / Parkhotel Egerner Höfe & Galerie Hegemann, „Only Lovers Left Alive“ ft. Amélie Esterházy, Andreas Greiner, Lothar Hempel, Inȇs Henriques, Isa Melsheimer, Simon Mullan, Gerd Rohling & Pola Sieverding / Behncke, „Breaking the Walls, Dino Appears“ / Rüdiger Schöttle, „Im Portrait“ / Lohaus Sominsky, „WoW! Works of Wonder“ / Eres und Flatz: „Physical Machine“ / OK Linz; „Zwischen Verstecken und Flagge Zeigen – Jüdisches Leben in München“ / Rathaus; Buchpräsentation von Horst Teltschiks „Die 329 Tage zur deutschen Einheit“ / Haus des Deutschen Ostens; Hauptsitzung des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann mit Vorstellung des Bebauungsplans des Tennisstadion Iphitos / Schulcampus Alte Heide; Münchner Premiere von „Wenn das Licht zerbricht“ in Anwesenheit des Regisseurs Rúnar Rúnarsson / Theatiner; Presse-Preview des umgebauten NS-Dokumentationszentrums; Pressekonferenz zur Munich Creative Business Week / Pinakothek der Moderne; Apéro Lav'a Belle / Cœur by Fede & Phil; Weltpremiere des Altbayrischen Bierleberkäses Hupsi / Metzgerei Franz; Pressekonferenz zum Jazzsommer / Bayerischer Hof; Jahrespressekonferenz der Münchner Berufsfeuerwehr / Feuerwache 8 Unterföhring; Terrassen-Opening / Cœur by Fede & Phil; Kinostart von Jan-Ole Gersters „Islands“ mit Sam Riley; Eröffnung des Delvaux Pop-ups / My Theresa; RP Kahls „Die Ermittlung“ / Prinzregententheater; Zweite Staffel von „Poker Face“ mit Natasha Lyonne (Foto) / Peacock; Podiumsdiskussion „Rassismus und rechte Gewalt – Die Sprachlosigkeit überwinden“ / Volkstheater; Deutschlandpremiere des Jaguar Type 00 / Haus der Kunst; Spielzeit-Pressekonferenz / Theater am Gärtnerplatz; Sommerfest Elisabethmarkt; Soft Re-Opening / Prygoshin; Podiumsdiskussion „Olympia in München“ / Luise; Ehemaligentreffen des Wittelsbacher Gymnasiums / Augustinerkeller; Werkschau Ludwig Wüst in Anwesenheit des Regisseurs und seiner Kollaborateurin Gudrun Fürlinger / Werkstattkino; Various Others Opening Party; Deutscher Filmpreis / Theater am Potsdamer Platz & ZDF; Rare Finds Gallery Pop-up / Goldberg-Studios; Buchpremiere von Danilo Art-Merbitz' Gedichtband „Alpenglühen“ / Alter Simpl; „Was uns verbindet. Eine Debatte über den Wert von Kultur“ mit Antje Allroggen, Holger Bergmann, Carsten Brosda, Beatrix Burkhardt, Marie Burneleit, Barbara Mundel, Julian Nida-Rümelin, Jovana Reisinger, Florian Roth, Julia Schönfeld-Knor und Julian Warner / Kammerspiele; Melike Şahin / Muffathalle; „Und dennoch sind wir da – Vom alten und neuen jüdischen München“ / Gärtnerplatztheater; Krims & Krams Flohmarkt / Bahnwärter Thiel; Straßenfest der Glockenbachwerkstatt und des Bellevue di Monaco

Sonntag, 4. Mai 2025

Trauer muss man sich leisten können

Meine erste Leiche war Frau Ritter. Ich war im Grundschulalter und sie war die Besitzerin des Mehrfamilienhauses in der Wilhelm-Düll-Straße, bei mir um die Ecke. Im ersten Stock mit der Terrasse lebte sie. Im zweiten Stock wohnte eine Polizistenfamilie, deren Sohn damals mein bester Freund war. Das Erdgeschoss hatten meine Eltern mal gemietet. Als erste Wohnung meiner großen Brüder. Später kam dann auch mein Vater kurze Zeit mal dort unter. Nach ihrem Tod wurde Frau Ritter im offenen Sarg aufgebahrt. Meine erste Leiche.

Dann kam fast zwei Jahrzehnte lang keine Leiche. Nur der Tod. Mein Vater Iani Popa starb am 28. Oktober 1982. Ich war 21 und der letzte, der ihn lebend sah. Meine Brüder waren ausgezogen, meine Mutter zu Besuch in Paris. Am Morgen hatte mein Vater mir Frühstück gemacht, dann war ich auch nach Paris geflogen. Dort ereilte uns die Nachricht, dass er gestorben sei. Wir brachen den Urlaub ab. Für meine Mutter hatte einer meiner Brüder ein Flugticket hinterlegt. Ich fuhr mit zum Flughafen. Mit der naiven Vorstellung, ich könnte das Bodenpersonal überreden, mein Flugticket für eine Woche später aufgrund des Todesfalles auf einen sofortigen Rückflug umzubuchen. Ging natürlich nicht. Und so flog meine Mutter allein zurück, während ich die Woche in Paris blieb und erst mit meinem ursprünglich geplanten Flug nach München zurückkehrte. Ich selbst hätte mir kein neues Flugticket leisten können. Und von meiner Familie sah wohl keiner die Notwendigkeit, mich auch sofort zurückzuholen. Und so kehrte ich erst gerade rechtzeitig für die Trauerfeier heim. Ohne meinen toten Vater wiedergesehen zu haben. 

Die erste Leiche, die ich als Erwachsener zu sehen bekam, war ein Fremder. Ein Bruder meines Vaters. Da mein Vater 1945 bei Nacht und Nebel und wohl eher aus einer spontanen Laune heraus aus dem kommunistischen Rumänien geflohen war, wo er Frau und Tochter zurückließ, und später dann auch noch für das regimekritische Radio Freies Europa gearbeitet hatte, gab es nahezu keinen Kontakt zu unseren Verwandten väterlicherseits. Meine Halbschwester und ihre Familie besuchten uns in München und irgendwie schaffte es mein Vater auch, alle vier legal aus Ceaușescus Reich loszueisen und illegal nach Deutschland zu bringen. Von seinen Geschwistern hatten mit Ausnahme seiner Vasilica aber alle anderen den Kontakt abgebrochen, um es sich nicht mit dem kommunistischen Regime zu verderben. 

Nach der Revolution konnte ich nun aber endlich auch nach Rumänien reisen. Weggefährten und Verwandte meiner Eltern kennenlernen. Und einen Bruder meines Vaters. Oder zumindest dessen Leiche. Er war während eines meiner Aufenthalte in Bukarest gestorben und ein gemeinsamer Cousin nahm mich selbstverständlich zum Trauern mit. Der Leichnam war auf der Couch im Wohnzimmer aufgebahrt. Die Wohnung war voll mit Verwandten, Kollegen und Klageweibern. Denn wir Verwandte mussten still sein, durften nicht lauthals trauern. Das übernahmen die Klageweiber.

Dann wurde der Leichnam in einen offenen Sarg gelegt. Die Sargträger hatten Handtücher auf der Schulter, die anschließend an den Außenspiegeln der Autos in der Trauerkolonne gebunden wurden. Der Sarg selbst lag offen auf der Ladefläche eines Transporters. Der Korso fuhr durch die Stadt an sämtlichen Stationen seines Lebens vorbei, an den Filialen seiner Bäckerei, hin zum Friedhof, wo die Sargträger wieder die Handtücher von den Autos losbanden, auf die Schulter legten und darauf den Sarg zum Grab trugen, wo neben den Trauernden auch bereits viele Arme warteten. Denn bei jeder Beerdigung wird Essen mit ihnen geteilt.

In meinem Alter verbringe ich inzwischen mehr Zeit am Friedhof denn im Nachtleben. Das allgegenwärtige Sterben begann mit den Vorbildern, Mentoren, Tanten und Onkeln. Schließlich die Eltern. Dann erwischte es die eigene Generation: Schulkameraden, Kolleg*innen, Freund*innen, Geschwister. Aber trotz all dieser Gelegenheiten habe ich bis heute nicht verstanden, welche Regeln greifen. Wer wo sitzt. Ob der Leichenschmaus Pflicht ist und wer dazu einlädt. Jede Trauerfeier, jede Beerdigung oder Einäscherung unterscheidet sich von den anderen. Je nach Nationalität oder Glaubensgemeinschaft. Je nachdem, ob Hinterbliebene, die Nachbarn oder die Stadt die letzten Dinge geregelt hat.

Als meine Mutter Rica Popa nach jahrelanger Pflege daheim starb, fand ich die Vorstellung, für sie eine Trauerfeier abzuhalten, absurd. Die letzten neun Jahre hatte außer uns drei Söhnen niemand sie mehr besucht. Ich hatte sie noch schwer schnaufen gehört, als ich die Einkäufe in der Küche abgestellt hatte. War dann in der Burda-Bar nebenan frühstücken gewesen und als ich wieder kam, um sie zu wecken und ihr Frühstück zu machen, lag sie tot im Bett. Zumindest wirkte sie tot. Und es war ein absurdes, nahezu slapstickhaftes Unterfangen, festzustellen, ob sie es tatsächlich war. Soll man da nicht den Puls fühlen? Sie zwiscken oder piksen? Einen Spiegel vor den Mund halten? 

Meine Mutter hatte sich immer gewünscht, eingeäschert und im Meer verstreut zu werden. Mein Frankfurter Bruder und ich wollten keine Trauerfeier, mein Münchner Bruder hat trotzdem eine bestellt und bezahlt. Florica Popa, Hausfrau, stand in der Tageszeitung bei den Traueranzeigen. Zur Trauerfeier ist wohl niemand erschienen, auch nicht derjenige, der sie bestellt hat. Ich hätte die Asche im Schwarzen Meer verstreut, wo meine Mutter ihre schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen hatte. Auch als Rückkehr in ihre Heimat. Mein Bruder bestand auf die Côte d'Azur, wo sie als Erwachsene schöne Erlebnisse hatte. Ich hätte ihn dorthin begleiten können, aber ich meide meinen Bruder und ich denke, dass das alles für meine tote Mutter auch keine Rolle mehr spielt, Trauerfeiern den Lebenden Trost spenden sollen, wo das noch möglich ist.

Der Bruder meiner Mutter, Jean „Ţuţi“ Dragesco, ebenfalls ein Kind des Exils, starb in den Corona-Jahren in seiner französischen Wahlheimat. Bei Montpellier. Und ich wäre gern hingefahren. Aber meine Cousins und Cousinen verständigten mich leider recht kurzfristig von der Trauerfeier. Ich hätte ein, zwei Tage Zeit gehabt, um von München dorthin zukommen. Angesichts der Reisebeschränkungen während der Pandemie kaum machbar und so kurzfristig wohl für mich auch nicht finanzierbar.

Wenn ich andere Expats und Familien im Exil erlebe, bin ich immer erstaunt, wie sie durch die Welt reisen. Ob zu Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen. Bei uns war das immer anders, und ich weiß nicht, ob das an der Zurückgezogenheit meines Vaters lag, der zu Zeiten von Radio Freies Europa den Kontakt zu den meisten Menschen abgebrochen hatte, oder ob es daran lag, dass meine Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg mittellos waren und lange auf jeden Pfennig achten mussten. Vielleicht strahlte die Dysfunktionalität meiner Familie auch nur auf den Umgang mit weiteren Verwandten aus.

Dann erwischte es meinen Frankfurter Bruder Dinu Popa. Creutzfeldt-Jacob. Als die Diagnose kam und die Krankheit so wild wie schnell voranschritt, reiste ich kurzfristig zu ihm ins Krankenhaus nach Mainz, um ihn zumindest noch halbwegs so zu erleben, wie ich ihn in Erinnerung behalten will. Und wahrscheinlich spricht man über solche Banalitäten nicht, aber einfach von heute auf morgen die hundert Euro für die Zugfahrt morgens hin und abends zurück zu organisieren, war nur mit Anstrengung und einigen Problemen in den darauf folgenden Wochen möglich.

Wenige Wochen später dann sein Tod und die Trauerfeier. Und wieder keine Ahnung, wie so etwas abläuft und wie man sich zu verhalten hat. In der Traueranzeige, auf der Trauerkarte und auf einem Kranz stand mein Name, ohne dass jemand mit mir darüber gesprochen hätte. Und wer entscheidet darüber, wer allein genannt wird und wer mit Partner*in oder Familie? Zum Leichenschmaus hatte mich niemand eingeladen. Aber vielleicht muss man dafür auch nur einfach nach der Trauerfeier vor der Kirche rumstehen, bis einen jemand mitnimmt. Die Urnenbeisetzung sollte laut Traueranzeige „zum späteren Zeitpunkt im engsten Kreis der Familie“ stattfinden. Ich erfuhr davon erst im Nachhinein durch ein Foto vom Grab. Auf welchem Friedhof das ist, weiß ich bis heute nicht.