Auf die roten Haare fiel sogar der Werbetexter von Zweitausendeins herein und fabuliert im Merkheft, daß Alexa Hennig von Lange vor ein paar hundert Jahren als Hexe verbrannt worden wäre.
Der Klappentext ihres Debütromans „Relax“ heischt mit auflagesteigernden Schlagworten wie Ficksau nach einer Leserschaft, die das Buch nur unbefriedigt weglegen wird. Denn die Protagonisten dieses jede Entwicklung verneinenden Romans treiben es nicht mal mehr miteinander, sondern treiben in ihrem Frust nur noch dahin. Trotz aller dabei konsumierten Drogen, trotz des Biers, Shits, Kokains und Ecstasys schlägt auch nie der harte Rhythmus der Gosse durch, sondern nur das sanfte, entrückte Herzpochen Grimmscher Märchenwelten.
Alexa, die das Buch nicht nur ihrem Ex-Freund widmet, sondern auf Erlebnisse in der Clubszene zwischen Hamburg und München stützt, hätte man wohl zu keiner Zeit auch nur ein Haar gekrümmt. Denn das Multitalent strahlt jene Kombination aus verspielter Aufmerksamkeit, bescheidener Gutmütigkeit und vifem Verantwortungsbewußtsein aus, die Freunde schafft. Gute Freunde, die sie stets dankbar anführt, wenn man fragt, wie sie mit 24 bereits sämtliche deutsche Metropolen abgehakt und Karrierestufen als Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und – im Augenblick – Storylinerin von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht haben kann.
Daß Alexa noch weit mehr erreichen wird, läßt sich erahnen, wenn man die 87 Stufen zu ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hochsteigt. (Nach der Lektüre von,,Relax“ entwickelt man ein Gespür für Details wie die Anzahl von Treppenstufen oder den Geschmack von Zahnpasta.) Die Wohnung strahlt jenes Flair von Design und Leere aus, das den Schlafstätten Viel(-außer-Haus-)beschäftigter in der Medienwelt zu eigen ist. Alexa, das Objekt begierlicher Interviewanfragen und Jobangebote, ist noch mit Kollegen von arte zugange. Neuer Anlauf ein bißchen später in einem Café. Sie bringt ein Tamagotchi mit – kein Grund zur Häme. Das virtuelle Monster gehört natiirlich nicht ihr. Sie bemuttert es nur für eine verreiste Freundin. Kann jemand so gut sein?
Alexa hat bereits als Kind geschrieben, im Radio Selbstverfaßtes vorgetragen und von ihren Eltern die entsprechende Förderung genossen – unter der Bedingung, ihre Texte nicht in der Nachbarschaft zu verbreiten. Schon damals wird sie den präzisen Blick für die angenehmen wie unangenehmen Wahrheiten des Zusammenlebens gehabt haben: die Niederlagen und Träume, nervösen Ticks und unkontrollierten Glücksgefiihle, die man gern verbirgt.
Mit 14 hat sie dann Salingers ,,Fänger im Roggen“ und Bukowski entdeckt – Erweckungsmomente, die Alexas Debütroman zehn Jahre später noch prägen: Das Wechselspiel zwischen Exzessen und Antriebslosigkeit, eine bis ins Manierierte durchgehaltene Scheinauthentizität, was den Jugendslang und jeden Gefühlspups betrifft. Ein Sommerwochenende lang begleitet Alexa Chris und seine,,Kleine“, ein Münchner Liebespaar, das nur wenig, zu wenig Zeit miteinander verbringt. Enervierend echt wird protokolliert, was Männercliquen im Suff so von sich geben, quälend präzise beobachtet, wie eine junge, aufrichtige Liebe an Mißverständnissen und Sprachlosigkeit leidet. Vielleicht sogar scheitert, denn eine Überdosis läßt Chris verstummen.
Männliche Leser halten das meist für ein offenes Ende, während Leserinnen – durchaus im Sinne der Autorin – den Exitus erkennen. Präzise werden die letzten Stunden geschildert, erst aus seiner Sicht und dann, da capo, aus der Sicht der Frau. Das ist mitunter redundant, immer wieder erschreckend genau, gelegentlich auch nur monoton und schwingt sich oft genug in brillant vorangetriebene, phantasievolle Höhen. Eben gute Seiten, schlechte Seiten.
Nach dem Gespräch guckt Alexa nach dem Tamagotchi und erblaßt. Es rührt sich nicht. Panisch drückt sie herum, bis jemand fragt, ob es vielleicht gerade schläft. ,Stimmt, um die Zeit schläft es. Mein Gott, jetzt hätte ich es beinahe aufgeweckt!“ Doch selbst der Fehler unterläuft ihr nicht.