Donnerstag, 22. Mai 2025
Der teuerste Titel im Popa-Verlag
Dienstag, 20. Mai 2025
Für mehr Existenz als Minimum: Ermäßigungen und Gebührenbefreiungen bei Bezug von Grundsicherung
Es gibt für diese Menschen, ob Arbeitslose, Kranke oder Aufstocker, aber auch gezielte Vergünstigungen, die die Teilhabe am Leben nachhaltig erleichtern. Am bekanntesten ist die Befreiung vom Rundfunkbeitrag, weil der entsprechende Antrag automatisch dem Leistungsbescheid angehängt ist. Andere Ermäßigungen oder gar Gebührenbefreiungen sind dagegen weniger bekannt. Daher lege ich hier eine Liste an, die laufend ergänzt werden wird.
Der Schwerpunkt liegt auf München, das Menschen in prekären Verhältnissen besonders teuer kommt. In der Landeshauptstadt sind derzeit etwa 60.000 München-Pässe im Umlauf. Der Artikel wird laufend aktualisiert. Im Rahmen meiner Möglichkeiten werde ich diesen Beitrag auch um Angebote im ganzen Bundesgebiet ergänzen. Für Ergänzungen und Korrekturen via Kommentar bin ich dankbar. Insbesondere da bei der Recherche für diese Liste auffällt, dass die zuständigen Pressestellen der Behörden und Institutionen sehr zurückhaltend scheinen, selbst einfachste Anfragen zu dem Thema zu beantworten.
Amazon Prime
Analog der Gebührenbefreiung beim Rundfunkbeitrag bietet Amazon seit dem Jahr 2021 ein zumindest ermäßigtes Abomodell an. Statt 8,99 Euro monatlich (oder 89,90 Euro im Jahr) zahlt man bei Bezug von Grundsicherung nur 4,49 Euro monatlich.
Banken
Die Stadtsparkasse München bietet bei Vorlage des München-Passes ihr München-Giro Premium für 4,95 Euro statt 11,95 Euro an. Es gäbe mit dem München-Giro zwar noch ein günstigeres Kontomodell für 2,95 Euro, das aber durch gesondert zu zahlende Buchungsposten (Gutschriften, Lastschriften, Daueraufträge, Zahlungen mit der Sparkassen-Card über zehn Euro …) à 0,49 Euro bzw. 0,50 Euro (Kontoauszüge am SB-Terminal) schnell sehr viel teurer ausfallen kann. Im Giro Premium ist alles inklusive.
Führungszeugnis
Das Münchner Kreisverwaltungsreferat verzichtet auf die Gebühr in Höhe von 13 Euro für die Bestellung eines Führungszeugnisses beim Bundesamt für Justiz. Auf der Webseite des KVR ist das etwas versteckt und verklausuliert formuliert: „Bei mittellosen oder ehrenamtlich tätigen Personen kann im Einzelfall bei Vorlage entsprechender Nachweise eine Befreiung von der Gebühr beantragt werden.“ Faktisch reicht es, beim Termin im Bürgerbüro am Schalter darauf hinzuweisen und zu belegen, dass man Grundsicherung bezieht. Der Leistungsbescheid wird dabei gegenüber dem München-Pass als Nachweis bevorzugt. Laut KVR-Pressestelle ist sogar „die Vorlage des München Passes in der Regel nicht ausreichend“. Welche weiteren Leistungen im KVR bei Bezug der Grundsicherung ermäßigt oder gebührenfrei sind, wollte man nicht detailliert verraten und verwies nur allgemein auf die jeweiligen Gesetze, denen das zu entnehmen sei.
Kino
Im ABC und den Leopold-Kinos zahlt man mit München-Pass zehn statt zwölf Euro Eintritt.
Mit dem München-Pass zahlt man im Arena, Monopol-Kino, Neuen Maxim und Rio-Palast nur 9,50 Eintritt statt 11,50 bzw. 12,50 Euro sowie im Lichtspielhaus Fürstenfeldbruck neun statt elf Euro.
Das Studio im Isabella ermäßigt bei München-Pass-Inhaber*innen den regulären Eintrittspreis von elf Euro auf 9,50 Euro.
Im Neuen Rottmann und im Kino Solln erhält man als Arbeitsloser bzw. mit dem München-Pass einen Euro Rabatt.
Im Theatiner zahlen Arbeitslose und Inhaber*innen des München-Passes sechs statt zehn bzw. elf Euro.
Museen
Erwerbslose zahlen im BMW-Museum acht statt 14 Euro Eintritt.
Im Deutschen Museum zahlt man mit München- oder Landkreis-Pass acht statt 15 Euro Eintritt.
Im Haus der Kunst zahlt man mit dem München-Pass fünf Euro Eintritt statt neun bis 15 Euro.
In der Kunsthalle zahlen Arbeitslose acht statt 18 Euro Eintritt.
Freier Eintritt mit dem München-Pass im Lenbachhaus.
Schwimmbäder
Mit dem München-Pass zahlt man in den Hallenbädern der Stadtwerke München zwischen 3,90 und 5,80 Euro Eintritt je nach Schwimmbad. In den Freibädern gilt freier Eintritt.
Theater
In München zeigt sich bei den Ermäßigungen eine deutliche Diskrepanz zwischen städtischen Bühnen und dem Staatsschauspiel. In den städtischen Kammerspielen kostet der Eintritt bei Besitz des München-Passes acht Euro – auch im Vorverkauf. Online kann man bei Verfügbarkeit zu dem Preis auch einen Platz in der ersten Reihe buchen.
Im städtischen Münchner Volkstheater zahlen Arbeitslose und Inhaber*innen des München-Passes gegen Vorlage des jeweiligen Berechtigungsausweises für eine Karte im Vorverkauf 8,50 Euro und an der Abendkasse sechs Euro (ausgenommen Fremdveranstaltungen wie Lesungen oder Konzerte). „Die Platzierung der Karten legt das Theater fest“, aber bestellt man online, kann man sich eine ermäßigte Karte zu 8,50 Euro auch in der ersten Reihe aussuchen, soweit der Platz verfügbar ist.
Die Münchner Staatstheater sind dagegen weitaus restriktiver. Man könnte fast glauben, sie wollen kein prekäres Publikum im Saal haben. Die Vorgaben des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst bei den Benutzungsbedingungen der Bayerischen Staatstheater sehen keine Benachteiligung von Einkommensschwachen vor, sondern behandeln sie wie etwa Jugendliche, Azubis, Schüler*innen, Studierende oder Behinderte. Das Staatstheater Augsburg setzt das im Vorverkauf (30 Prozent Ermäßigung) oder bei seinen Standby-Tickets für neun Euro am Vortag auch entsprechend um. Das Staatstheater Nürnberg bietet den Inhaber*innen des Nürnberg-Passes sogar 50 Prozent Ermäßigung im Vorverkauf.
In der Auslegung der Münchner Staatstheater wird dagegen recht scharf zwischen allgemeinen Ermäßigungen und Einkommensschwachen unterschieden. Gerade das prekäre Publikum wird wie Kurzentschlossene behandelt und kann nur darauf hoffen, an der Abendkasse vielleicht noch eine Restkarte zu ergattern oder unverrichteter Dinge wieder heimfahren zu müssen.
Während Kinder und Erwachsene unter 30 ermäßigte Karten für die Bayerische Staatsoper und das Staatsballett im Nationaltheater vorab kaufen können, haben die Inhaber*innen von Sozial-Pässen aller bayerischen Städte nur an der Abendkasse eine Stunde vor Vorstellungsbeginn die Möglichkeit, eine Restkarte ab zehn Euro zu erwerben. Bei den vergünstigten Karten ist keine freie Platzwahl möglich, die ermäßigten Karten werden automatisch zugeteilt.
Ähnlich im Staatstheater am Gärtnerplatz. Inhaber*innen des München-Passes erhalten an der Abendkasse ermäßigte Restkarten für zehn Euro.
Weit strenger geht es im Residenztheater zu: Schüler*innen, Studierende, Auszubildende und Freiwilligendienstleistende bis zum vollendeten 30. Lebensjahr erhalten ermäßigte Karten für zehn Euro im Vorverkauf. Wer auf Grundsicherung angewiesen ist, hat dagegen nur an der Abendkasse eine Chance. Diese öffnet eine Stunde vor Vorstellungsbeginn. Die ermäßigten Karten zu zehn Euro für Inhaber*innen des München-Passes kommen aber erst „ab ca. 30 Minuten“ vor Beginn der Vorstellung nach Verfügbarkeit in den Verkauf, wie auf einer Resterampe.Montag, 19. Mai 2025
Traumtagebuch (24): Neue Freundin, neues Notebook
Frühmorgens im Bett. Ich habe die erste Nacht bei ihr verbracht. Sie pendelt zwischen Bad und Schlafzimmer, bereits angezogen, und macht sich für die Uni oder Arbeit fertig. Ich liege noch nackt zwischen den Laken und weiß nicht, ob ich liegen bleiben darf oder auch aufstehen und verschwinden muss.
Sie kommt zu mir, ein Notebook in der Hand, und zeigt mir das Foto eines Grundschulkindes. „Sahst Du in dem Alter auch so aus?“, fragt sie, gibt mir den Computer und verschwindet wieder im Bad. So ein Notebook habe ich noch nie gesehen. Der Monitor besteht aus einzelnen, Smartphone-großen Screens, die lose verbunden sind und man irgendwie ausbalancieren muss, damit die vier einzelnen Bildschirme einen großen bilden. Woran ich beständig scheitere. Die Einzelteile schwingen hin und her, ohne dass ich sie zusammenbringe.
Auch die Tastatur ist ungewöhnlich. Ein eigenes, metalliges Device. Aber ohne Tasten, sondern mit eingravierten Zeichen und Symbolen, die zum Teil den üblichen Buchstaben und Sonderzeichen entsprechen, manchmal aber auch Symbole für Shortcuts enthalten.
Ich will meinen Blog aufrufen, um ihr ein Foto von mir als Kind heraiuszusuchen. Statt der langen URL https://nice-bastard.blogspot.com entscheide ich mich für das kürzere www.dorinpopa.de, abr selbst da scheitere ich, die richtigen Tasten für die Buchstaben zu finden.
Wochenplan (Updates)
Mittwoch, 14. Mai 2025
Der grüne Knoblauch
So wie in Bayern das Radieserl gehören in Rumänien die Knoblauchstengel zu jedem Brotzeitbretterl neben Wurst und Käse. Serviert mit einem Schälchen Salz, in das man den Stengel immer tupft, bevor man abbeißt. Aber auch bei warmen Mahlzeiten wird der Knoblauch als Vorspeise serviert.
Derart auf den Geschmack gekommen, wollte ich auch daheim in Deutschland den Genuss erleben. Aber ich konnte jahrelang auf keinem Münchner Markt den Frühlingsknoblauch entdecken. Ein einziges Mal wurde ich am Elisabethmarkt fündig. Das war wohl ein Ausnahmefall, denn seitdem gab es ihn am selben Marktstand nicht mehr.
In letzter Zeit habe ich die Suche aufgegeben. Vielleicht hat sich angesichts zehntausender Rumän*innen in München das Angebot verbessert. Aber als ich zufällig auf Facebook entdeckte, dass der Neufahrner Minimarkt La Românul gestern frisches Gemüse aus Rumänien erhalten hat, bin ich sofort hingefahren.
Usturoi, das rumänische Wort für Knoblauch, ist übrigens ein lustiges Wort. Das rumänische Verb ustura bedeutet nämlich jucken, stechen, brennen und ist wiederum auf den türkischen Ausdruck für Rasiermesser zurückzuführen. Das Substantiv existiert ähnlich auch im Armenischen, Persischen oder auf Hindi.
Montag, 12. Mai 2025
Wochenplan (Updates)
Samstag, 10. Mai 2025
Deutschland kann Hollywood: Der Deutsche Filmpreis
Freitag, 9. Mai 2025
Traumtagebuch (23): Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin
Zufällig treffe ich meinen Münchner Bruder, mit dem ich normalerweise keinen Kontakt pflege. Es ist vormittags und er ist am Bahnhof, um mit dem Zug nach Berlin zu fahren. Spontan beschließe ich, ihm Gesellschaft zu leisten und mit ihm, so wie ich bin, ohne Gepäck, nach Berlin zu fahren. Er denkt, ich würde dann auch länger in Berlin bleiben, aber ich plane, noch am selben Tag wieder zurückzufahren.
Im Großraumabteil – oder ist es der Speisewagen? – sitzt neben uns eine Gruppe junger Sportler*innen, irgendeine junge, angesagte Trendsportart, für die es eine Red-Bull-Academy geben könnte. Darunter eine junge Frau, mit langen, lockigen blonden Haaren. Die Hälfte ihres Gesichts ist mit roten Flecken übersät, Folgen einer Krankheit oder eines Unfalls. Sie heißt Svizzera und ich kenne sie von früher aus Berlin. Wir haben einen gemeinsamen Freund, der eine Kaffeerösterei und/oder eine Kaffeekette betreibt, aber sie erinnert sich nicht an mich, als ich sie darauf anspreche.
Plötzlich laufe ich durch eine Berliner Hauptstraße, an meiner Seite nicht mein Bruder, sondern meine Mutter, die aus München zu Besuch ist. Ich habe gerade eine Wohnung in Berlin gemietet und meine Mutter äußert den Wunsch, die Wohnung mal zu sehen. Ich vertröste sie auf einen anderen Zeitpunkt, wenn die Wohnung fertig eingerichtet sei. Aber während wir gehen, sage ich plötzlich: „Ach, ich zeige sie Dir jetzt“, und gehe auf ein Haus zu, an dem wir gerade zufällig vorbeigelaufen sind.
Vor dem Gebäude verharre ich aber. Das ist gar nicht das Haus, in dem ich wohne. Es ist nicht einmal der richtige Bezirk. Aber die Haustür sieht genau so aus, wie meine Haustür, weshalb ich die Häuser miteinander verwechselt habe.
Donnerstag, 8. Mai 2025
Dienstag, 6. Mai 2025
Eher Grimm denn Gosse: Alexa Hennig von Langes Debütroman „Relax“
Auf die roten Haare fiel sogar der Werbetexter von Zweitausendeins herein und fabuliert im Merkheft, daß Alexa Hennig von Lange vor ein paar hundert Jahren als Hexe verbrannt worden wäre.
Der Klappentext ihres Debütromans „Relax“ heischt mit auflagesteigernden Schlagworten wie Ficksau nach einer Leserschaft, die das Buch nur unbefriedigt weglegen wird. Denn die Protagonisten dieses jede Entwicklung verneinenden Romans treiben es nicht mal mehr miteinander, sondern treiben in ihrem Frust nur noch dahin. Trotz aller dabei konsumierten Drogen, trotz des Biers, Shits, Kokains und Ecstasys schlägt auch nie der harte Rhythmus der Gosse durch, sondern nur das sanfte, entrückte Herzpochen Grimmscher Märchenwelten.
Alexa, die das Buch nicht nur ihrem Ex-Freund widmet, sondern auf Erlebnisse in der Clubszene zwischen Hamburg und München stützt, hätte man wohl zu keiner Zeit auch nur ein Haar gekrümmt. Denn das Multitalent strahlt jene Kombination aus verspielter Aufmerksamkeit, bescheidener Gutmütigkeit und vifem Verantwortungsbewußtsein aus, die Freunde schafft. Gute Freunde, die sie stets dankbar anführt, wenn man fragt, wie sie mit 24 bereits sämtliche deutsche Metropolen abgehakt und Karrierestufen als Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und – im Augenblick – Storylinerin von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht haben kann.
Daß Alexa noch weit mehr erreichen wird, läßt sich erahnen, wenn man die 87 Stufen zu ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hochsteigt. (Nach der Lektüre von,,Relax“ entwickelt man ein Gespür für Details wie die Anzahl von Treppenstufen oder den Geschmack von Zahnpasta.) Die Wohnung strahlt jenes Flair von Design und Leere aus, das den Schlafstätten Viel(-außer-Haus-)beschäftigter in der Medienwelt zu eigen ist. Alexa, das Objekt begierlicher Interviewanfragen und Jobangebote, ist noch mit Kollegen von arte zugange. Neuer Anlauf ein bißchen später in einem Café. Sie bringt ein Tamagotchi mit – kein Grund zur Häme. Das virtuelle Monster gehört natiirlich nicht ihr. Sie bemuttert es nur für eine verreiste Freundin. Kann jemand so gut sein?
Alexa hat bereits als Kind geschrieben, im Radio Selbstverfaßtes vorgetragen und von ihren Eltern die entsprechende Förderung genossen – unter der Bedingung, ihre Texte nicht in der Nachbarschaft zu verbreiten. Schon damals wird sie den präzisen Blick für die angenehmen wie unangenehmen Wahrheiten des Zusammenlebens gehabt haben: die Niederlagen und Träume, nervösen Ticks und unkontrollierten Glücksgefiihle, die man gern verbirgt.
Mit 14 hat sie dann Salingers ,,Fänger im Roggen“ und Bukowski entdeckt – Erweckungsmomente, die Alexas Debütroman zehn Jahre später noch prägen: Das Wechselspiel zwischen Exzessen und Antriebslosigkeit, eine bis ins Manierierte durchgehaltene Scheinauthentizität, was den Jugendslang und jeden Gefühlspups betrifft. Ein Sommerwochenende lang begleitet Alexa Chris und seine,,Kleine“, ein Münchner Liebespaar, das nur wenig, zu wenig Zeit miteinander verbringt. Enervierend echt wird protokolliert, was Männercliquen im Suff so von sich geben, quälend präzise beobachtet, wie eine junge, aufrichtige Liebe an Mißverständnissen und Sprachlosigkeit leidet. Vielleicht sogar scheitert, denn eine Überdosis läßt Chris verstummen.
Männliche Leser halten das meist für ein offenes Ende, während Leserinnen – durchaus im Sinne der Autorin – den Exitus erkennen. Präzise werden die letzten Stunden geschildert, erst aus seiner Sicht und dann, da capo, aus der Sicht der Frau. Das ist mitunter redundant, immer wieder erschreckend genau, gelegentlich auch nur monoton und schwingt sich oft genug in brillant vorangetriebene, phantasievolle Höhen. Eben gute Seiten, schlechte Seiten.
Nach dem Gespräch guckt Alexa nach dem Tamagotchi und erblaßt. Es rührt sich nicht. Panisch drückt sie herum, bis jemand fragt, ob es vielleicht gerade schläft. ,Stimmt, um die Zeit schläft es. Mein Gott, jetzt hätte ich es beinahe aufgeweckt!“ Doch selbst der Fehler unterläuft ihr nicht.
#MeToo beim Tagesspiegel oder warum das selbst in den 1990er-Jahren nicht einfach normal war
Dieser Tage erreichte mich so ein Vorwurf. Auf ihrem Instagram-Account reflektierte die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange darüber, warum sie sich als 24-Jährige für die Titelgeschichte im „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ halb nackig machen musste.
Die Geschichte anläßlich ihres Debütromans „Relax“ hatte ich geschrieben, möglicherweise war ich damals auch schon Redaktionsleiter. Fotografiert hat Henrik Jordan, wobei ich beim Shooting nicht anwesend gewesen bin. Stattdessen aber Henriks damalige Freundin – wohl um die junge Autorin in Sicherheit zu wiegen.
Auf Instagram schrieb Alexa (wir duzen uns und haben uns seit dem Interview alle paar Jahre mal wieder gesehen) nun: »Es ist mir noch immer schleierhaft, warum ich mich beim Fotoshooting für das Titelmotiv des Beilageblattes „Ticket" vom Tagesspiegel obenrum ausziehen sollte, Ich war 24 Jahre alt, mein Debütroman „Relax" war gerade erschienen, ich wollte gesellschaftlich und literarisch wirksam werden. Ich dachte, ich sollte besser unkompliziert sein, was die Medien anbelangt; damit ich weiterschreiben kann. Es war niemand da, der gesagt hat: „Alexa, das musst du nicht tun." Es ist immer wieder eine Übung, zu erkennen, wann man die eigene Integrität verletzt; aus Angst, ansonsten alles zu verlieren.«
Womit man wieder einmal sieht, wie lange Grenzüberschreitungen und Verletzungen, die vielleicht nicht das klassische Bild sexualisierter Gewalt erfüllen, dennoch nachwirken.
Ich war beim Fotoshooting wie gesagt nicht dabei. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Henrik und ich uns vorab darauf verständigt hätten, die jüngere Schriftstellerin auszuziehen. Wir waren damals beide Anfang bis Mitte 30, um den auf Instagram von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu entkräften, dass sicherlich ein Mann über 40 oder 50 dahinter gesteckt hätte.Andererseits war Henrik aber ein Erotoman und Fotograf, von dem ich wusste, dass er jede Frau, die vor seine Linse kam, nackig zu machen versuchte. So auch bei meiner damaligen Freundin, die für Bewerbungsfotos zu ihm gekommen war. Er schlug dabei vor, auch noch ein paar Bilder oben ohne zu schießen, was sie aber ablehnte. Nach Henriks Tod wimmelte es auf der Trauerfeier nicht nur vor Künstlerwitwen. Die Klügste von ihnen handelte auch schnell, um die pornografischen Fotos, die Henrik von sich mit ihr auf einer alten Plattenkamera geschossen hatte, aus dem Nachlass zu sichern, bevor sie in falsche Hände gerieten.
Wenn ich mir heute, fast drei Jahrzehnte später und um einiges für sexualisierte Gewalt sensiblisierter die alten „Ticket“-Ausgaben durchblättere, ob nun meine eigenen Texte oder die von mir später als Redaktionsleiter verantworteten Ausgaben, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass es vor übergriffigen Formulierungen, damals hätte man sie schlüpfrig genannt, nur so wimmelte. „Ticket“ richtete sich an die Kinder der Dahlemer „Tagesspiegel“-Abonnent*innen. Es sollte provokativ sein und die Eltern in Rage versetzen. Sei es, indem wir unseren eigenen Herausgeber Hellmuth Karasek angriffen, zu Weihnachten ein Rezept für Suppe aus Mutterkuchen veröffentlichten oder grundsätzlich sexpositiv berichteten.
Aber dafür musste man sicherlich nicht eine Schlagzeile nach der anderen im Stil von Altherrenwitzen verfassen. Geschweige denn eine junge, noch unerfahrene Schriftstellerin bedrängen, sich auszuziehen und ihr dann auch noch den Kopf einer Männerfigur in den Mund zu stecken.
Update vom 13. Mai 2025: Inzwischen habe ich auch mit der Frau gesprochen, die damals beim Fotoshooting teilgenommen hat. Sie war zwar auch mal die Freundin des Fotografen gewesen, aber als Maskenbildnerin dabei. Sie erinnert sich: „Wir hatten eine sehr entspannte und wie ich dachte vertraulich sehr nette Atmosphäre. Sie wurde von uns gefragt, aber es wurde sehr darauf geachtet, dass man später auf dem Bild keine explizite Nacktheit sieht. Es waren auch echt noch andere Zeiten, wo das Thema noch nicht mit der Brisanz wahrgenommen wurde. In der Rückschau wurde sie weder gedrängt noch verunsichert durch Henrik und mich.“ Es sei immer schwierig, die heutige Sicht mit der damaligen Zeit in Übereinstimmung zu bringen. „Damals war sowas möglich und heute würde mich das keiner mehr fragen, noch würde ich das tun.“ Und sie meint, dass mögliche Unsicherheiten und Zweifel Alexas an der Motivwahl während der Aufnahmen „an keiner Stelle spürbar“ gewesen wären.