Um die Diskrepanz zwischen gewährten Nachlässen und Anspruchsberechtigten zu untersuchen, wollte ich auch wissen, wie viele dieser Sozialpässe überhaupt im Umlauf sind. Zu meiner Überraschung wussten das weder das Bayerische Sozialministerium, noch die Wohlfahrtsverbände oder Städte-, Gemeinde- sowie Landkreistage.
Mit der Begründung, dass es sich um freiwillige kommunale Leistungen handle und die Ausgestaltung der diversen Städte- und Landkreispässe sehr unterschiedlich sei, schien sich niemand dafür zu interessieren, wie viele beispielsweise Alleinerziehende, Arbeitslose, Asylbewerber*innen, Kriegsflüchtlinge, Kranke, Aufstocker*innen, Senior*innen mit Grundsicherung oder Freiwilligendienstleistende bayernweit insgesamt diese Möglichkeit nutzen, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Der Münchner Caritas-Verband betonte sogar. dass er diesbezüglich keine Statistiken führte und das auch nicht in seinem Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich läge. Dabei wird der Sozialpass im Landkreis Haßberge etwa vom dortigen Caritas-Verband ausgegeben und nicht etwa vom Landratsamt. Und im Landkreis Landsberg zählt die Caritas zu den Ausstellenden der SozialCard.
Daher habe ich jetzt Landkreise und Gemeinden angeschrieben, die solche Sozialpässe auszustellen scheinen, um diese Zahlen zu erheben. Ein Richtwert für die Gesamtmenge der Antragsberechtigten wären die insgesamt rund 450.000 Menschen, die in Bayern Bürgergeld beziehen.
Leider gibt es Landkreise wie Erding oder Landsberg am Lech, die überhaupt nicht Buch darüber führen, wie viele Landkreispässe oder SozialCards von ihnen ausgegeben werden.
Die Pressesprecherin der Stadt Fürth erklärt sehr schön die recht unterschiedliche Ausgestaltung der lokalen Sozialpässe in ihrem Landstrich: „Der Landkreis Fürth und der Landkreis Erlangen-Höchstadt bieten keine Sozialpässe und auch keine Vergünstigungen des öffentlichen Nahverkehrs an; die Stadt Schwabach bietet einen Sozialpass an, aber keine Vergünstigungen des öffentlichen Nahverkehrs an. Die Städte Erlangen, Fürth und Nürnberg bieten Sozialpässe an und bezuschussen das Deutschlandticket für bestimmte Sozialleistungsempfangende. Schon allein in der mittelfränkischen Region gibt es also signifikante Unterschiede.“
In den Landkreisen der Metropolregion München dient der Landkreispass oft nur als Legitimation für die vergünstigte MVV-Monatskarte S, die aber werktags erst ab 9 Uhr im ÖPNV benutzt werden darf. Entsprechend sind die Nutzerzahlen dieses regionalen Sozialtickets seit Einführung des Deutschlandtickets zurückgegangen.
Bei den erhaltenen Zahlen fällt als erstes das Stadt-Land-Gefälle auf. In Nürnberg, Erlangen, Regensburg oder München haben zwischen 11,91 Prozent und 3,99 Prozent aller Einwohner*innen den Sozialpass, der eben nicht nur zum ermäßigten Öffentlichen Personennahverkehr berechtigt, sondern auch Ermäßigungen in Theatern, Museen und Fortbildungsstätten oder ein ermäßigtes Mittagessen enthält, Möglichkeiten, die nun mal eher in Städten zu finden sind und somit zusätzlichen Grund bieten, das Angebot zu nutzen.
In Landkreisen dagegen haben eher nur zwischen 0,1 und 0,67 Prozent der Bevölkerung einen Landkreispass. Das mag daran liegen, dass die Möglichkeiten zur Nutzung deutlich weniger sind. In der Regel sind das beispielsweise Ermäßigungen im ÖPNV oder Freibad. Aber wenn im Landkreis München nur 0,67 Prozent der Einwohner das Angebot nutzen, obwohl sie ihn in der nahen Landeshauptstadt vielseitig einsetzen könnten, liegt das vielleicht auch daran, dass in der Provinz die Scham eine Barriere darstellt. Man will sich, selbst auf dem Amt, nicht als einkommensschwach outen. Die Stadt ist da anonymer.
Auffällige Ausreißer sind der Landkreis Freising mit nur 70 ausgegebenen Sozialpässen bei 184.564 Einwohnern (0,04 Prozent) und die Stadt Augsburg, deren Sozialticket ÖPNV und Kultursozialticket gerade 967 Mal in Anspruch genommen wird bei über 300.000 Einwohnern (0,32 Prozent).
Im Landkreis Miesbach wurden sogar überhaupt nur drei Landkreispässe bei fast 100.000 Einwohnern (0,003 Prozent) ausgestellt und sechs beantragt. Und das obwohl der Landkreis inzwischen zum MVV-Gebiet gehört. Aber das Sozialticket des MVV mit seiner oben erwähnten zeitlichen Einschränkung und wachsenden Kosten, je weiter man von München entfernt lebt, macht in der Regel das Deutschlandticket attraktiver.
- Stadt Amberg: angefragt, wie viele Familienpässe bei 42.553 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Ansbach: angefragt, wie viele Teilhabepakete AN bei 40.742 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Aschaffenburg: angefragt, wie viele Kulturpässe bei 73.091 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Augsburg: durchschnittlich 967 Sozialtickets ÖPNV und Kultursozialtickets bei 301.105 Einwohnern (0,32 Prozent)
- Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen: angefragt, wie viele Sozialcards bei Einwohnern (Prozent)
- Stadt Bamberg: seit 2021 wurden 308 SozCards ausgestellt bei 77.150 Einwohnern (0,40 Prozent)
- Stadt Bayreuth: 1277 Sozialpässe bei 72.940 Einwohnern (1,75 Prozent)
- Stadt Burghausen: angefragt, wie viele FairTickets bei 19.558 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Coburg: angefragt
- Landkreis Dachau: 161 Landkreispässe bei 153.595 Einwohnern (0,10 Prozent)
- Landkreis Ebersberg: 338 Landkreispässe bei 144.225 Einwohnern (0,23 Prozent)
- Landkreis Erding: Das Landratsamt Erding kann keine Zahlen nennen, wie viele Landkreispässe vom Fachbereich ausgegeben worden sind.
- Stadt Erlangen: 7800 ErlangenPässe bei 115.928 Einwohnern (6,73 Prozent)
- Stadt Forchheim: angefragt, wie viele ForchheimPässe bei 33.017 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Freising: rund 70 Sozialpässe bei 184.564 Einwohnern (0,04 Prozent)
- Landkreis Fürstenfeldbruck: 404 Landkreispässe bei 218.227 Einwohnern (0,19 Prozent)
- Stadt Fürth: 1900 Fürth-Pässe bei 132.036 Einwohnern (1,44 Prozent)
- Landkreis Haßberge: 725 Haßberg-Cards der Caritas, die von 1279 Menschen genutzt werden, bei 83.869 Einwohnern (1,53 Prozent)
- Stadt Ingolstadt: angefragt, wie viele IngolstadtPässe bei 141.185 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Landsberg am Lech: es wird nicht erfasst, wie viele SozialCards bei 122.107 Einwohnern im Umlauf sind
- Landkreis Landshut: angefragt, wie viele Sozialpässe bei 162.170 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Landshut: angefragt, wie viele Sozialpässe bei 71.863 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Miesbach: drei Landkreispässe bei 97.152 Einwohnern (0,003 Prozent)
- Landeshauptstadt München: etwa 60.000 München-Pässe bei 1,5 Millionen Einwohnern (3,99 Prozent)
- Landkreis München: 2369 Landkreispässe bei 354.396 Einwohnern (0,67 Prozent)
- Stadt Nürnberg: 63.074 Nürnberg-Pässe bei 529.508 Einwohnern (11,91 Prozent)
- Stadt Pfaffenhofen: angefragt, wie viele Sozialrabatte bei 26.996 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Regensburg: 1440 Landkreispässe bei 196.213 Einwohnern (0,73 Prozent)
- Stadt Regensburg: rund 7000 Stadtpässe bei 151.389 Einwohnern (4,62 Prozent)
- Stadt Rosenheim: 30 Rosenheim-Pässe für die MVV-Nutzung und 210 Grüne Pässe für den ermäßigten Besuch städtischer Einrichtungen bei 65.274 Einwohnern (0,05 bzw. 0,32 Prozent)
- Stadt Schwabach: angefragt, wie viele Schwabach-Pässe bei 40.835 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Schwandorf: angefragt, wie viele SAD-Pässe bei Einwohnern (Prozent)
- Stadt Schweinfurt: angefragt, wie viele Sozialausweise bei 54.481 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Starnberg: angefragt, wie viele Landkreispässe bei 139.329 Einwohnern (Prozent)
- Stadt Straubing: angefragt, wie viele Sozialpässe bei 49.002 Einwohnern (Prozent)
- Landkreis Weilheim-Schongau: angefragt, wie viele Landkreispässe bei 138.957 Einwohnern (Prozent)