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Sonntag, 13. Oktober 2024

Feine erste Sätze (68)

„Menschen, die behaupten, Ohrfeigen hätten ihnen nicht geschadet, beweisen fast immer das Gegenteil.“

Kolumnistin Aline von Drateln über Thomas Gottschalk im „Tagesspiegel“ vom 14. Oktober 2024.

Freitag, 9. September 2022

Traunmtagebuch (6)

Ich betrete mittags die Kantine des „Tagesspiegel“. Auf dem Menü steht „Hasenende“. Als ich bei der Kantinenkraft, die dem Zerberus im Informationsministerium aus Terry Gilliams „Brazil“ nicht unähnlich sieht, meine Bestellung aufgeben will, erklärt er mir, dass es für Journalisten kein Essen gäbe und guckt mich vorwurfsvoll an. Ein Terrorist sei gefasst worden und wir müssten alle an unsere Schreibtische zurück, um darüber zu berichten. Mein Einwand, dass ich vom Spätdienst wäre und noch gar nicht erwartet würde, interessiert ihn nicht. 

Montag, 29. März 2021

Martina Gedeck – Konsequent gut (1998)

Heute hat die Staatskanzlei bekannt gegeben, dass der Ehrenpreis des Ministerpräsidenten beim Bayerischen Filmpreis dieses Jahr an Martina Gedeck geht. Sicher verdient. Und einerseits überraschend früh, wenn man bedenkt, dass Gedeck mein Jahrgang, 1961, ist, während früher für ihr Lebenswerk Ausgezeichnete in den 30er oder 40er Jahren geboren wurden und Senioren wie Lauterbach (1953) und Roland Emmerich (1955) zu den Jüngsten zählen. Andererseits aber auch spät. Denn als ich Martina Gedeck 1998 zu einem Interview in Berlin traf, hatte sie schon „nahezu alle wichtigen Preise kassiert.“
Das stundenlange Gespräch mit ihr war in vielerlei Hinsicht denkwürdig. Kurz zuvor hatte eine Redaktionskollegin von mir Ulrich Wildgruber, Gedecks damaligen Partner, interviewt – und es war faszinierend, die Facetten ihrer Beziehung aus zwei sehr divergierenden Perspektiven dargestellt zu bekommen. Erst seiner, dann ihrer. Ohne, dass wir das publiziert hätten.
Wie auch das Beste, was Gedeck sonst mir an dem Abend erzählte, unter drei mitgeteilt wurde, also nicht zur Veröffentlichung bestimmt. Und last but not least haben wir während des Interviews so viel Wein getrunken, dass ich nicht genug Geld für die Zeche dabei hatte. Gedeck pumpte mir einen Hunni, den ich ihr am nächsten Tag per Kurier erstattete. 

Martina Gedeck hat mehr Auszeichnungen abgeräumt als so manche Diva und ist doch unbekannter als die meisten Fernsehstarlets. Dorin Popa traf die Berliner Vollblutschauspielerin.

Andere Schauspielerinnen mögen selbst bei Nacht und Nebel Sonnenbrille tragen, Martina Gedeck trägt Augenringe. Die anderen mögen blond sein, die Gedeck wäre selbst blond nicht so wie diese Kolleginnen. Die anderen mögen sich jetzt, wo der deutsche Film im viel beschrieenen, viel beschriebenen Nichts herumwatet, Fernsehrollen annehmen, deren reißerische Titel nur noch von ihrem Inhalt unterboten werden. Martina Gedeck arbeitet lieber daran, Filmpakete zu schnüren, Projekte mit guten Büchern, fähigen Regisseuren und überzeugenden Hauptrollen. Denn auch wenn Martina Gedeck den meisten Zuschauern kein Begriff ist, hat sie sich doch zumindest in der Branche einen Ruf erspielt, der es ihr jetzt erlaubt, Produktionen nach ihrer eigenen Vorstellung zu initiieren und vielleicht sogar durchzusetzen.
Die Gewinnerin von Bundesfilmpreisen, dem RTL-Löwen, Bayerischen Fernsehpreis, Telestar, Grimme-Preis etc. pp. wird sogar den bevorstehenden Doppelstart ohne Imageschaden überstehen, bei dem zwei ihrer schwächeren Arbeiten jetzt unabsichtlich konzertiert ins Kino kommen und dabei in jeder Hinsicht die Not des deutschen Films widerspiegeln: ,,Frauen lügen nicht“, die bessere der beiden Beziehungskomödien, ist eine zwei Jahre abgehangene Regiearbeit des Doris-Dörrie-Drehbuchautors Michael Juncker. ,,Frau Rettich, die Czerny und ich“ die nicht ganz so lang verschobene, aber auch von Verleihproblemen gebeutelte Adaption von Simone Borowiaks gleichnamigen Weiberkultroman. Beide handeln von Frauenkumpaneien, gemeinsamen Urlaubstrips – mit Iris Berben in dem einen und Jennifer Nitsch in dem anderen Werk – sowie Sonne, Strand und sexuellen Eskapaden, die das Leben der Damen nachhaltig verändern. Und Martina Gedeck ist jeweils die anfangs darbende, im Hintergrund stehende Spröde, die im Verlauf der zurückgelegten Kilometer und Amouren letztendlich mit dem größeren emotionalen und erotischen Potential überrascht.
Die Wandlungsfähigkeit, die die Presse Martina Gedeck gerne zuspricht, um sie zumindest in diese Schublade packen zu können, beruht weniger auf solche ambivalenten Auftritte, sondern auf das beachtliche Gesamtwerk, das sich gegen jede schlagzeilenträchtige Etikettierung sträubt: Ob als bucklige „Hölleisengretl“, Katja Riemanns Nebenbuhlerin in „Stadtgespräch“, Prollbraut in „Das Leben ist eine Baustelle“, superitalienische Kellnerin in „Rossini“, „Kriminalpsychologin“ im ZDF oder Alkoholikerin in einer „Bella-Block“-Folge, stets ist sie anders und doch immer gleich in ihrer unvoreingenommenen Wahrhaftigkeit, mit der sie sich jeder Rolle nähert und diese in Mimik, Gestik und Sprache umsetzt.
So wie Martina Gedeck zum Interview beim Edelitaliener im Alltagslook mit Gartendreck unter den Fingernägeln erscheint, ganz sie selbst, kreiert sie auch jede noch so unterschiedliche, neue Rolle aus sich selbst und ihrer Phantasie heraus. Kein method acting, kein Stanislawski. Martina Gedeck erfindet sich jedesmal neu, und bleibt dabei sich und ihrem wachen Verstand treu, geht mit offenen Augen durchs Leben, ohne die an sie gestellten Erwartungen zu bedienen. Und ohne zu lügen.
Der Beitrag erschien zuerst in der wöchentlichen Kulturbeilage des Berliner „Tagesspiegel“: „Ticket“ 18/1998 vom 30. April 1998. Das Titelfoto schoss Gundula Krause.

Samstag, 6. Februar 2021

Hot Shot

Danny Boyles „Lebe lieber ungewöhnlich“ läuft heute abend um 22.30 Uhr auf One. Ich kann mich noch erinnern, wie Cameron Diaz dafür nach Berlin kam und im Privatjet in Tempelhof landete. Henrik Jordan (†) war als Fotograf dabei, obwohl wir später doch Promobilder des Filmverleihs für die Geschichte verwendet haben. Vielleicht hatte ich ihn nur mitgenommen, damit er privat Bilder für sein Portfolio schießt. Später ging es zum Interview auf einem Haveldampfer (oder Spree?).  Ein zweites Mal sah ich Cameron Diaz – aus der Ferne – in der Münchner Olympiahalle, als Justin Timberlake ein Konzert gab und sie an der Bühne lauschte und tänzelte.

Sie war auch nur ein Fotomodell, aber bei ihrer Filmkarriere stützt sich Cameron Diaz geschmackssicher auf schräge Regisseure und wilde Stoffe. Nur im Boot mit Dorin Popa blieb sie brav und bescheiden.

Ihr erster Auftritt schien programmatisch zu sein. Eines jener Leinwanddebüts schauspielernder Models, bei denen Hollywood nur tits & as im Auge hat. Oder – in Cameron Diaz' Fall – Brust und Beine, mit denen sie sich in Jim Carreys „Die Maske“ nachhaltig einführte, indem sie den Schauplatz nicht einfach betrat, sondern wie eine Fata Morgana plötzlich dastand, weit vorgebeugt, um an ihren Oberschenkeln herumzufummeln und dabei die kürzeste Verbindung zwischen Dekolleté und Kleiderschlitz herzustellen.
Doch der erste Eindruck täuscht. Cameron Diaz ist keine weitere Traumfigur in der Traumfabrik, sondern etabliert sich vom ersten Film an als Idealbesetzung der unartigen Frau der 90er Jahre, die im Tête-à-tête mit den unfähigen, linkischen Männern ihrer Generation ein Spiel auf Leben und Tod wagt. Zielstrebig, dickköpfig, lustorientiert und in einer Zeit des Werteverfalls nur den eigenen Maßstäben verpflichtet, die sich oftmals beständiger erweisen als die Sitten ihres Umfelds. Regiedebütanten und unabhängige Filmemacher lieben sie, und Cameron Diaz erwidert die Leidenschaft durch eine Rollenauswahl, die eher bei den Kritikern als beim großen Publikum Anklang findet. Ob sie nun in „Last Supper“ reaktionäre Politiker vergiftet, in „Feeling Minnesota“ nach der Trauung den Schwager vögelt, in „She's the one“ als Callgirl arbeitet oder sich in „Kopf über Wasser“ mit Harvey Keitel einen mörderischen Ehekrieg liefert – stets rebelliert sie gegen alle Konventionen. Und selbst ihre Rückkehr ins Hollywoodfach als zuckersüße Braut in „Die Hochzeit meines besten Freundes“ kulminiert in der größten aller Unartigkeiten: dem Star Julia Roberts den Traummann vorzuenthalten!
Die Akne, die Cameron Diaz bereits in der „Hochzeit…“ hatte und natürlich wie du und ich wirken ließ, ziert sie auch in Berlin – so man ein Auge dafür hat. Denn auf den ersten Blick scheint Diaz' Kopf nur aus Mund und Augen zu bestehen, aus dem unverschämt breiten Mund und den unermeßlich blauen Augen. Erst das ständige Kaugummikauen und ihre Knipserei während der Wannsee-Bootsfahrt holt einen in die Realität des All American Girls zurück.
Ihre Filmkarriere? Zufall! Das Drehbuch zur „Maske“ lag bei ihrer Agentin herum, und da sie als Model nur Mittelmaß war, schien ihr die Filmbranche ein vielversprechender Aus- bzw. Aufstieg. Ihre Figur? Gottgegeben, da sie alles frißt und nicht trainiert. Der Unfall bei den Drehvorbereitungen zu „Mortal Combat“? Ein Glücksfall, denn dank der gebrochenen Hand blieb ihr die Kampfsportorgie erspart, die sich auch nicht in ihre sonst makellose Filmographie eingefügt hätte. Ihre Rollenauswahl demnach kein raffiniertes Arrangement. Frank und frei erzählt sie von Alkoholvergiftungen und berufsbedingten Magengeschwüren, kennt keine Geheimnisse und und wird nur diplomatisch, wenn es um Kollegen geht. Wie es denn sei, mit Künstlern wie Holly Hunter und Harvey Keitel zu arbeiten und andererseits mit Stars wie Jim Carrey und Julia Roberts? Unterschiedslos gut, beteuert sie, schließlich seien das alles Schauspieler, gute sogar.
Wer eine freche, aggressive Cameron Diaz erleben will, muß schon in Danny Boyles („Trainspotting“) neuesten Geniestreich „Lebe lieber ungewöhnlich“ gehen. Als durchtriebene Milliardärstochter wird ausgerechnet sie vom Himmel dazu auserkoren, einen hilflosen Verlierertypen aufrichtig zu lieben, den sie nicht einmal kennt, geschweige denn ernst nehmen kann.
Der „Rolling Stone“ hat Cameron Diaz zum „Hot Shot“ gekürt, die amerikanischen Kinobesitzer zum „Female Star of Tomorrow“. Dabei will die 25-Jährige doch nur mit kreativen Regisseuren unanständig gute Filme machen. Schließlich gibt's schon genug Stars.    
Dieser Text erschien zuerst in „Ticket“ 4/1998, der wöchentlichen Kulturbeilage des Berliner „Tagesspiegel“.

Samstag, 2. Januar 2021

R.I.P. Henrik Jordan (Update)

Wie Helge Birkelbach berichtet, ist der Berliner Fotograf und DJ Henrik Jordan am Silvestermorgen im Alter von 55 Jahren viel zu früh verstorben, nachdem es ihm schon die letzten Wochen nicht so gut ging. 
Während meiner Berliner Zeit Ende der neunziger Jahre war Henrik (rechts im Bild vor den Wilmersdorfer Eva Lichtspielen) ein guter Freund, mein Lieblingsfotograf bei vielen gemeinsamen Reportagen für das „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ und ein Vorbild an Lebenskunst und Style (die französische Billigkette Tati war für ihn nicht Kult, sondern der gräßlichste Laden der Welt). Nicht zuletzt war Henrik – obwohl vier Jahre jünger – für mich aber auch ein unerreichtes Vorbild als homme à femmes. 
Der Tuna-Garten im Tresor, Trödelmärkte, Kinos, Alexa Hennig von Lange – im Grunde haben Henrik und ich damals unser Leben in Reportagen gegossen…
Wir hatten uns dann leider entzweit, weil ich mit einer Ex von ihm ausgegangen war. Ich hatte sie zu einer Premiere im Deutschen Theater eingeladen. In der Pause küsste ich sie, und ihr knickten buchstäblich die Beine weg. Einen Augenblick später kam Henrik ins Foyer. Er hatte vom Date erfahren und ihr ein Tagebuch ihrer Beziehung gebastelt. Punkt für Henrik.
Sein Portfolio ist noch online.

Legendär: Henriks Sammlung von Zeitungsschürzen der „B.Z.“ und Berliner „BILD“.

Henriks Porträt von Ewan McGregor 1997 am Flughafen Tempelhof.

Der Nachruf des Clubs Berliner Filmjournalisten (Ernst-Lubitsch-Preis) scheint leider nicht mehr inline zu sein.

Die Berliner Fotografin Ulrike Schamoni gedachte seiner auf Instagram. Leider nicht mehr online.

Traueranzeige im „Tagesspiegel“ vom 24. Januar 2021.

Nachruf im „Tagesspiegel“ vom 28. März 2021.






Sonntag, 7. Oktober 2018

Berliner Jahre: Nabelschau mit Catherine Flemming

Woche für Woche lag Mitte bis Ende der neunziger Jahre dem Berliner „Tagesspiegel“ das Kultursupplement „Ticket“ bei. Anfangs eine veritable Stadtzeitung, die auch eigenständig verkauft wurde, später dann nur noch ein recht reduziertes Programm-Magazin. Und wie viele Veranstaltungsbeilagen litt auch „Ticket“ unter den Sommerpausen der Theater und vieler anderer Veranstaltungsstätten. Um das Heft nicht allzusehr ausdünnen, kreierten wir 1997 daher die Sonderseite „Sommerloch“ mit Rubriken wie „Strandgeflüster“, „Absolut sonnenfrei“ oder „Zum Abhängen“.
Besonders stolz waren wir aber auf unsere Rubrik „Nabelschau“, in der wir den Bauchnabel mehr oder weniger bekannter Kulturgrößen wie Christoph Azone, Verona Feldbusch, Thomas Platt, Sharon Brauner oder Hilary Swank porträtierten und um ein Kurzinterview ergänzten. In Heft 33/1997 vom 14. August 1997 kam diese Ehre der gebürtigen Ostberlinerin Catherine Flemming zuteil, die in Dana Vávrovás Regiedebüt „Hunger – Sehnsucht nach Liebe“ eine bulimiekranke Managerin spielte.

Ticket: Hast du während der Dreharbeiten tatsächlich Unmengen verschlungen und wieder erbrochen. Oder hast du nur so getan?

Catherine Flemming: Alles ist echt, ich kotze live. Nur bei der Szene, wo ich mich damit einreibe, ist es Babyfood, sonst wäre es für den Dreh unerträglich gewesen. Ich habe das zweieinhalb Monate gelebt, unter ärztlicher Aufsicht. Ich wäre im falschen Beruf, wenn ich das einfach nur spielen würde.

Was ist das für ein Gefühl, Heißhungeranfälle zu haben und sich dann zu übergeben?

Du frißt Unmengen von Sachen in dich rein und bringst sie im selben Moment wieder raus. Danach bist du wie gereinigt, total relaxt. Es ist wie eine Droge, von der du nur psychisch abhängig bist.

Verdirbst du nicht mit deinen Kotzszenen den Zuschauern den Appetit?
In der Pressevorführung saß ein Mann, der immer die Augen schloß. Das war für mich ein Zeichen, daß er Probleme hat. Man kann Ekel empfinden, Abscheu, aber warum sich abgrenzen, sich nicht damit auseinandersetzen? Da frage ich mich schon, wovor er noch seine Augen verschließt?

Kannst du dich so einfach übergeben?

Das ist Training. Finger in den Hals und es geht. Wenn du es öfters machst, dann gibt's Halzschmerzen. Aber es war mir sehr viel wert, es glaubwürdig zu machen. Selbst wenn ich in die Toilette kotze, und du siehst nur mein Gesicht, habe ich es wirklich gemacht. Nur so spürt man die Anspannung, sieht es in den Augen.

Wie war es für dich, zum ersten Mal mit einer Frau als Regisseurin zu arbeiten?

Ganz anders, das liegt aber auch daran, daß Dana Vávrová selber Schauspielerin ist. Sie hat einiges aus mir rausgeholt.

Sonntag, 9. September 2018

Wenn Engel morden: „God's Army“

Wenn Engel morden, wird selbst der Himmel auf Erden zum Inferno. Gregory Widens brillanter Thriller vom erbitterten Kampf unter den himmlischen Heerscharen bildet den Höhepunkt der Retrospektive, mit der sich das Fantasy Filmfest zum Jubiläum selber feiert. Zumal es das souverän mit den Genres spielende Meisterwerk bei uns nur bis in die Videotheken geschafft hat. Dabei muß man Dialogwitz, Phantasiereichtum und die Schauspieler dieses teuflich guten Mordfalls auf der großen Leinwand erlebt haben.

Diese Kurzkritik erschien im Rahmen meiner Titelgeschichte über das Fantasy Filmfest in „Ticket“, dem Supplement des Berliner „Tagesspiegel“, Ausgabe 32/1996.

Freitag, 27. Mai 2016

Im Taxi mit Regina Ziegler (1996)

Heute abend bekommt Regina Ziegler in Berlin beim Deutschen Filmpreis den Ehrenpreis 2016 verliehen für herausragende Verdienste um den deutschen Film. Eine Krönung ihrer Arbeit als Filmproduzentin, aber noch keineswegs das Ende. Vor zwanzig Jahren behauptete sie mir gegenüber beim Interview für „Ticket“, die wöchentliche Kulturbeilage des „Tagesspiegel“, sie könne sogar „gut“ ohne Arbeit leben. „Das glaubt mir nur keiner. Damit bin ich fast im Zugzwang, es zu beweisen.“ Aber eben nur fast.

TICKET: Sie haben gar keinen Ihrer schönen Hüte auf? 
REGINA ZIEGLER: Der Hut hat Ausgang. Schließlich war ich heute morgen beim Friseur. 
Extra für uns? 
Nein, dienstags ist immer mein Friseurtag im Kempi. 
Welchen Hut setzen Sie sich beim Produzieren auf? 
Ich mache Nischengeschichten. Es hat ja keinen Zweck, wenn ich jetzt auch „Lehrer Specht“ oder die „Schwarzwaldklinik“ produziere. Ich mache lieber so etwas wie die „Erotic Tales“, das hat eben kein anderer auf der Palette.
Wenn man sich die Regisseure anschaut, die Sie produziert haben: Peter Stein, Hans Neuenfels oder Andrzej Wajda, dann ist das eine sehr illustre Runde. Verkörpern diese Namen eine vergangene Ära?
Das hat nichts mit Zeiten oder Entwicklungen zu tun. Das Wichtigste ist, daß der Regisseur eine Vision hat. Ein Regisseur ohne Vision ist auch kein guter Regisseur. Einfach zu sagen, die Kamera steht da, und du gehst jetzt von links nach rechts, das ist Handwerk, das muß ein Regisseur sowieso beherrschen. Wichtig ist die eigene Handschrift. Wie Peter Stein bei den „Sommergästen“. Wir hatten da mit Michael Ballhaus an der Kamera wirklich tolle Einstellungen, die dazu geführt haben, daß der Film ein Klassiker geworden ist. Und ich bin auch sehr stolz, ihn produziert zu haben. Wenn möglich, möchte ich mit den Besten arbeiten.
Zählt für Sie auch Detlev Buck dazu, der bei Ihren „Erotic Tales“ neben Weltstars wie Nicolas Roeg oder Ken Russell Regie führte?
Ich habe mit verschiedenen deutschen Regisseuren gesprochen, und Buck hatte einfach eine gute Idee. Bei den neuen Folgen will ich Volker Schlöndorff dabei haben.
Haben Sie keine Probleme damit, daß Schlöndorff jetzt in Babelsberg das Sagen hat, nachdem Sie vergeblich versucht haben, die DEFA zu übernehmen?
Das war eine Herausforderung, von der ich nicht weiß, wie sie ausgegangen wäre. Aber Volker und ich sind jetzt bester Dinge. Ich gucke immer nach vorne.
Machen Sie eine Mischkalkulation auf: Diese Filme produziere ich um der Kunst willen und jene, um Geld zuverdienen?
Nehmen Sie die Kinderserie „Sprechstunde bei Dr. Frankenstein“, wo Unterhaltung eine große Rolle spielt und wir zugleich etwas Ungewöhnliches umgesetzt haben, ohne daß es viel Geld gekostet hat. Da hat die Phantasie zugeschlagen. Wenn ich sage, der Regisseur muß eine Vision haben, dann muß er auch Phantasie haben. Genauso der Produzent. Wenn ein Produzent glaubt, daß das Filmgeschäft mit einer Nagelfabrik zu vergleichen wäre, ist er einfach falsch gewickelt.
Gibt es bei Ihnen eine Verlagerung von der Kino- zur Fernsehproduktion? 
Das ist gerade wieder am Umkippen. Wir haben schöne Kinostoffe entwickelt, wie „Solo für Klarinette“, ein Psycho-Erotic-Thriller, wo eine Single-Frau unheimliche Geschichten erlebt. Und ich habe auf mehrere Bestseller eine Option: Etwa „Suche impotenten Mann fürs Leben“ oder „Männer sind wie Schokolade“. Komödien, von denen ich glaube, daß sie im Kino eine gute Chance haben. Man darf nicht den Fehler machen, zu sagen, jeder Stoff ist gut fürs Kino. Nur zu sagen: Ich mach Kinofilme, was leider einige Kollegen tun‚ das reicht nicht. Das sind dann Filme, die meistens gar nicht bis ins Kino kommen.
Wie kamen Sie zum Kino? 
Ich habe 1973 das Debüt von Wolf Gremm, meinem Mann, produziert. Damals war ich noch Produktionsassistentin beim SFB, und Wolf hat mich bestärkt, mich selbständig zu machen. Ich hatte ja keine große Perspektive beim SFB. Ich glaube, es gibt dort heute noch immer keine Frau in einer bedeutenden Position.
Sie haben gedroht, bis zum Jahr 2000 so weit zu sein, daß Sie nicht mehr arbeiten müssen. Könnten Sie denn ohne Arbeit leben?
Das war Spaß, aber es wäre toll, wenn mir das gelange. Nur sieht es damit schlecht aus. Ich kann gut ohne Arbeit leben. Das glaubt mir nur keiner. Damit bin ich fast im Zugzwang, es zu beweisen.

Dienstag, 24. November 2015

Berliner Jahre: Nabelschau mit Christoph Azone

„To explore strange new worlds, to seek out new life and new civilizations, to boldly go where no man has gone before“. Als wir beim Berliner „Tagesspiegel“ die wöchentliche Kulturbeilage „Ticket“ produzierten, haben wir gern unsere Grenzen ausgelotet. Sei es, dass wir den eigenen Herausgeber, Hellmuth Karasek, umgegrätscht haben, das Sommerloch zu einer saisonalen Rubrik erkoren oder 1997 Interviewpartner wie Hilary Swank darum baten, ihren Bauchnabel fotografieren zu dürfen. Für letztere Nabelschau-Serie mußte man nicht wirklich prominent sein. Lokale Bedeutung reichte, wie bei dem Radiomoderator und Gelegenheitsrapper Christoph Azone aka Mallorca Joe.


Freitag, 21. Februar 2014

Déjà-vu: Hilary Swank

Morgen sitzt Hilary Swank bei „Wetten, dass...“ auf der Couch. Vor 17 Jahren stand sie während des Münchner Filmfests mir noch in der Muffathalle gegenüber und präsentierte ihren Bauchnabel. Wir haben damals im „Ticket“-Supplement des „Tagesspiegel“ schon recht durchgeknallte Rubriken ausprobiert, wie eben die „Nabelschau“...
„Ich liebe es, liebe es leidenschaftlich zu spielen. Das ist auch der einzige Weg, es in diesem Geschäft auszuhalten. Es geht so brutal zu, daß man es ohne Liebe und Leidenschaft nicht überlebt. Nur ein Beispiel. Wenn ein männlicher Kollege am Set Verbesserungsvorschläe einbringt, sagen alle: Wie brillant. Mache ich das gleiche als Frau, heißt es, ich sei zickig.“

Samstag, 4. Dezember 2010

Berliner Jahre (5):
Kohl, Vogts, Kruse, Popa (1998)

Als der Berliner „Tagesspiegel“ sich 1995 mit „Ticket“ im Stadtzeitungsmarkt versuchte, war ich als freier Autor und – unter dem Pseudonym Dolce Rita – Klatschkolumnist mit von der Partie. Dann mutierte das ambitionierte, von Moritz Müller-Wirth konzipierte Kulturmagazin zum dünnen Supplement, aber es machte doch noch Spaß, nicht nur mitzumischen, sondern das Blatt sogar zwei Jahre als Redaktionsleiter mitzuprägen und die West-Berliner Abonnenten, etwa mit unserer Attacke auf „Tagesspiegel“-Herausgeber Hellmuth Karasek, zu verunsichern. Silvester 1998 hatte ich dann genug. Hier der in Heft 53/98 erschienene Abschiedsgruß meines Redaktionskollegen Christian Beck:

Popa?
Popa!
Vorname??
Dorin.
???
Wie Doris.
????
Nur mit n.
Noris?????
Alles hat ein Ende, nur dies' Ticket-Jahr hat zwei. Beziehungsweise drei. Oder vier: den 31. Dezember; den Abschied des Art Directors und Objektleiters Volkart Kruse; die Demission dessen Redaktionsleiters Dorin Popa; und beider letztes Heft, das Sie, geneigte Leserschaft, gerade offenbar in Händen halten. Der Rest ist Anfang. Doch dazu nächstes Mal. Denn vor den Ritt in die Zukunft unter neuem Kommando hat der alte Commandante die Rückschau gesetzt. Auf drei bis vier Jahre Ticket, von denen einiges bleiben wird, auch wenn nun beide Alt-61er mit Überschreitung der 37er-Grenze ins wirkliche Leben entlassen werden.
Erinnern wir uns an „Dolce Vita“ mit der unvergeßlichen Dolce Rita, das „Stehrumchen“, die „Amuse-gueule“: Noris, wie er leibte und lebte. Ein griffiges „Möpse Mörder Mutationen“ über Pamela Andersons besten Stücke zum Thema „10 Jahre Fantasy Filmfest“: Noris, wie er liebte und ins Wesentliche lappte. Den Hinweis „Falls man beim Dolly-Buster-Video nicht aufgepaßt hat, kann man bei der Rückgabe auch gleich die Hose für 2,99 wieder reinigen lassen“ über die L&M Voll-Reinigungs/Videowelle im legendären Videothekentest: Noris, wie er laberte und läpperte.
Schade nur, daß eine höhere weibliche Instanz (Apropos: Danke, Anke!) ihrem Nachfolger seine Weihnachtswitze 96 nicht durchgehen ließ: „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Hängepartie unterm Weihnachtsbaum“ hätten – mit der entsprechendem Optik – Kollegen Kruse, Art Director von Ticket-Beginn an und seinerzeit längst auch schon so eine Art Direktor, sicher mindestens ebenso gut gefallen wie ihrem Schöpfer. So mußte El Chefe bis Weihnachten 98 warten, bis er der anderen großen Führungspersönlichkeit der westlichen Welt ihrer beiden Lebensmotto returnieren konnte: Freßetage im KaDeWe? „Schmeckt gut!“
Mindestens so gut wie die Weihnachtssuppe eines alten Kruse-Spezis aus seligen taz-Tagen: Wiglaf Droste. Oder desselben Meinung zum Thema „Das Magazin“, die bekanntlich nicht jedem im Hause und dem Hause verbundenen Partnerhäusern so gut mundete. Aber so ist es eben, wenn die Gedanken frei sind, ein Journalist eine eigene Meinung haben darf, und Synergieeffekte und Vetternwirtschafterei der Wahrheit von souveränen Blattmachern zumindest gelegentlich noch mal ein Stück weit aus dem Weg gehalten werden.
Bahn frei, Kartoffelbrei! Und nach Kruse und Popa die Sintflut konkurrierender Medien, die sich an Tickets Wirken und Werken mitunter enger orientieren, als man gern glauben möchte. Jetzt dürfen andere von beider Fähigkeiten profitieren – von ihrer Gelassenheit, ihrem Spielwitz, ihrer Kreativität: uns doch wurscht!
Nehmt euren Prosecco, für den ihr – je nach Fasson – weit über die Grenzen der Redaktion hinaus berühmt und/oder berüchtigt seid, und verpißt euch! Wie „Hut ab“! Nur mit a: Haut ab! Bis nächstes Mal...

Samstag, 13. Juni 2009

Berliner Jahre (3): Hellmuth Karasek

„Etwa zwölf Stunden veritabler Arbeits- und Lebenszeit muß man hergeben, bis man Hellmuth Karaseks 429 Seiten langes Buch 'Das Magazin' durchgelesen hat. Das ist keine schöne Arbeit und keine schöne Zeit: Durch viel Brei muß man hindurch, und am Ende hat man, außer reichlich Langeweile, nichts gewonnen. Denn Karasek, über zwanzig Jahre Angestellter beim Spiegel, hatte zwar die Ambition, einen Schlüsselroman über den Spiegel und die Spiegel-Leute zu schreiben. Andererseits aber ist er genau der Adabei-Journalist, als den man ihn kennt, und der möchte er auch bleiben. (...) So ist es fast schon egal, worüber Karasek schreibt, denn so, wie er schreibt, macht er alles gleich: In seinen Händen wird die Welt zu Soße.“
Wiglaf Droste in „Ticket“, dem Veranstaltungskalender und Kultursupplement des „Tagesspiegel“, 37/1998

Martina Kaden: In der Beilage Ihrer eigenen Zeitung, Tagesspiegel-Ticket, ist auch ein Verriß erschienen.
Hellmuth Karasek: Ja, da frage ich mich, wieviel Wut muß da vorhanden sein, daß sich jemand bei Ticket einschleicht, bei einer Beilage, in der sonst nie, nie Buchkritiken erscheinen? Das war eine echt linke Nummer. Und dann schreibt der Kritiker, er habe so eine unendliche Mühe, sich durch den Roman durchzuquälen. Warum tut er's dann überhaupt, frage ich mich. (...)
Kaden: Wird Wiglaf Droste, der Ticket-Kritiker, weiter für den Tagesspiegel schreiben?
Karasek: Ich werde einen Teufel tun und auf Personalentscheidungen Einfluß nehmen. Ich werde nur nicht mehr seine eigenen Werke lesen, das hat er sich jetzt verdient.“

„BZ“ vom 18. September 1998

„'Sehr, sehr langfristig', können sich die Tagesspiegel-Geschäftsführer Joachim Meinhold und Hans Homrighausen eine 'Synergie' zwischen ihrem Neuerwerb Zitty und der Tagesspiegel-Beilage Ticket vorstellen – was nichts anderes heißen dürfte, als den teuren Verlustbringer Ticket sehr, sehr langfristig abzuwickeln. Sehr, sehr kurzfristig kam dagegen der erste Querschläger aus dem eigenen Hause. Ticket-Redaktionsleiter Dorin Popa hatte in der letzten Ausgabe den neuen Schlüssel-Roman ('Das Magazin') des Tagesspiegel-Herausgebers Hellmuth Karasek verrissen – und für den Verriß den zweifellos besten Experten in dieser Gattung gewonnen: Wiglaf Droste. Zitat: 'Karasek ... ein Schmock unter Schmöcken.' Das sorgte für ein mittleres Erdbeben in der Holtzbrinck-Etage, beim Herausgeber für üble Verstimmung – die Noch-Chefredakteure schauten betreten – und bei allen anderen für die Vermutung, daß die angestrebte Synergie mit Zitty nun doch nicht so lange auf sich warten läßt. Wie dem auch sei: wenn es Popas Absicht war, den Arbeitgeber von einer beschleunigten Freistellung vom Vertrag (inkl. Abfindung) zu überzeugen, dann dürfte er mit dem Droste-Stück weitergekommen sein.“
„tip“ 20/1998

Denkste! Es gab weder eine keine Kündigung, geschweige denn eine Abfindung. Der Art Director/Objektleiter und ich verließen zum Jahresende 1998 aus eigenem Entschluß das Haus. In einer der letzten von uns verantworteten Ausgaben schrieb Wiglaf Droste zu Weihnachten über Hausgeburten, Nachgeburten und die perfekte Festtagssuppe.