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Sonntag, 7. Dezember 2025

Das Schlimmste kommt noch. München prüft drastische Einsparmaßnahmen

Letzte Woche erschien wie ein Menetekel im Rathaus. Seit langem sorgen drastische Beschlussvorlagen für den städtischen Haushalt 2026 reihum für schlechte Stimmung, aber bei einem reinen Subventionsbetrieb wie der Kultur erreichte die Empörung jetzt mitten im Kommunalwahlkampf ihren Höhepunkt.

Das Bündnis #MünchenIstKultur warnte, dass die überproportional starken Kürzungen im Kulturhaushalt die eh längst ausgeschöpfte Belastungsgrenze überschreiten würden und zu einem strukturellen Substanzverlust führten.

Nicht weniger dramatisch äußerte sich Bayerns Kunstminister Markus Blume, der der Landeshauptstadt unverhohlen mit Vergeltung drohte, wenn sie ihre marginalen Beiträge zu den staatlichen Musikbühnen, dem Gärtnerplatztheater und der Staatsoper, streichen sollte.

Dabei sind die aktuellen radikalen Kürzungen nur ein mildes Vorgeplänkel auf das, was München bevorsteht. Denn seit Monaten prüfen externe Berater*innen von PD Partnerschaft Deutschland quer durch alle städtischen Referate, was sich noch an Ausgaben streichen lässt. Oder in den Worten der Kämmerei: „PD unterstützt die verstärkte Suche nach sogenannten best-practice-Lösungen aus dem öffentlichen Sektor. Darüber hinaus unterstützt die PD bei der – aufgrund der aktuellen Haushaltslage – notwendigen Aufgabenkritik.“

Oder um aus dem Eckdatenbeschluss vom Juli zu zitieren: „In Anbetracht der Entwicklungen im Haushalt und deren Auswirkungen auf die Fortschreibung der Mittelfristigen Finanzplanung hat die Stadtkämmerei in Zusammenarbeit mit einer externen Beratung durch PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH – und der innerstädtischen Organisationsberatung consult.in.M zu Beginn des Jahres 2025 damit begonnen, die Teilhaushalte der Referate im Rahmen einer eingehenden Analyse noch intensiver auf dauerhaft angelegte Einsparpotenziale zu untersuchen. Mit dieser Analyse soll eine nachhaltige und langfristige angelegte Konsolidierung ab dem Haushaltsjahr 2027 auf Basis eines dauerhafte Konsolidierungskonzeptes erreicht werden. Die Ergebnisse werden dem Stadtrat mit einem entsprechende Konsolidierungskonzept voraussichtlich im Frühjahr 2026 vorgelegt.“

In einigen Referaten liegen die mitunter recht drastischen Ergebnisse längst vor und werden eifrig diskutiert. Dem Stadtrat will die federführende Kämmerei die Streichliste nunmehr „im ersten oder zweiten Quartal 2026 vorlegen“, wobei es im Stadtrat und den Referaten heißt, dass man „auf jeden Fall erst nach der Wahl“ am 8. März die Hosen herunterlassen will, also frühestens gegen Ende des ersten Quartals. 

Unter Mitarbeitenden des Baureferats kursiert sogar der 9. März als konkreter Termin, also der Montag nach der Kommunalwahl, wenn die Wahlhelfer*innen noch damit beschäftigt sein werden, herauszufinden, wer die Häufelkönig*innen sind. Das wäre politisch so ungeschickt, dass ich es der Landeshauptstadt durchaus zutraue.

Während die Kandidierenden im Kommunalwahlkampf ein Interesse an direktem Austausch mit den Wahlvolk propagieren und öffentlich eifrig politische Versprechungen abgeben, werden die ihnen bekannten Streichlisten nur im Hinterzimmer erörtert, obwohl es gerade wegen der Vorschläge der Consultants um so mehr darauf ankommen wird, wen man diesmal ins Rathaus wählt. Welche Ausgaben sich die neue Stadtratsmehrheit politisch leisten will, wenn man sich nicht alle Ausgaben leisten kann. Aber das würde einen Dialog auf Augenhöhe erfordern.

Kommunikation und damit Transparenz muss man können und wollen. Auch bei der Wahl der Totengräber, wie Consultants oft geschmäht werden, hat sich die Landeshauptstadt für ein scheinbar sparsames, aber leider mauschelhaft intransparentes Modell entschieden. Denn PD ist nicht nur „durch ihre langjährige und breite Erfahrung im öffentlichen Bereich prädestiniert, die Stadt hierbei nachhaltig zu unterstützen“, um die Kämmerei zu zitieren. Partnerschaft Deutschland verdankt ihre breite Erfahrung auch einem gerissenen Trick: „Die PD – Berater der öffentlichen Hand GmbH ist eine auf die Beratung der öffentlichen Hand spezialisierte Gesellschaft, deren Gesellschafterkreis ausschließlich aus öffentlichen Auftraggebern besteht. Hierzu gehören die BRD, eine Vielzahl an Bundesländern, sowie von kommunaler Seite mehrere Großstädte und die kommunalen Spitzenverbände.“, hieß es in einer Beschlussvorlage des Finanzausschusses des Münchner Stadtrates im Dezember 2024. 

Für einmalig 5000 Euro hat nun eben auch die Landeshauptstadt Anteile erworben und sich damit von der Pflicht befreit, Beratungsverträge öffentlich ausschreiben zu müssen. Denn „die spezielle Gesellschafterstruktur ermöglicht eine Inhouse-Vergabe ähnlich wie bei städtischen Töchtern.“ Dies führe laut der Kämmerei zu „zeitlichen und finanziellen Ressourceneinsparungen“

Im Stadtrat begrüßt man es, dass nicht mehr Millionen Euro an externe Consultants wie Roland Berger gezahlt werden. Zumindest nicht direkt. Denn PD ist in der Vergangenheit auch schon dadurch aufgefallen, dass sie Rahmenverträge mit McKinsey, Roland Berger und der Boston Consulting Group besitzt, diese als Subunternehmer einsetzt und somit als „Drehscheibe“ („Capital“) dient, um die öffentliche Ausschreibung von Beratungsverträgen zu umgehen.

Zum genauen aktuellen Prüfauftrag will sich die Kämmerei auf Anfrage nicht äußern. Andere Beteiligte und Betroffene kommentieren dagegen längst erste Vorschläge der Consultants.

Hinsichtlich der bereits von PD erarbeiteten Teilergebnisse ist man unter den ehrenamtlichen wie berufsmäßigen Stadtratsmitgliedern zwiespältig. Es gäbe durchaus vernünftige Vorschläge. Manches, wie die von PD empfohlene digitale Verkehrslenkung, wäre auch keineswegs eine neue Idee, bisher aber im Rathaus an den politischen Verhältnissen gescheitert. Andere Vorschläge der externen Berater*innen seien aber auch schlichtwegs „hanebüchen“.

Tendenziell würde sich PD bei ihrer Streichliste darauf konzentrieren, zwischen pflichtigen und freiwilligen Leistungen zu unterscheiden und Letztere opfern zu wollen. Oder um eine*n Stadträt*in zu zitieren: „Die teuren Wirtschaftsberater wollen halt einfach die freiwilligen Leistungen streichen – WOW, muss wirklich ein qualitativ hoch geschultes Team sein, dass das macht.“

Ein Verzicht auf freiwillige Leistungen würde vor allem das Kulturreferat frontal treffen, das kaum etwas anderes leistet. Aber auch beim Sozialreferat würde eine derartige Ausrichtung tiefe Löcher reißen, ob beim München-Pass mit seinen rund 60.000 Nutzenden, vielen Beratungs- und Vermittlungsangeboten wie AKIM oder MUCAware oder der Obdachlosenhilfe. Das Kreisverwaltungsreferat dagegen scheint fein raus zu sein, denn es verdient für die Stadt Geld, wie dort immer gern betont wird.

Manchmal ist es aber auch entlarvend, was der geheime Prüfauftrag der Beratenden offenbar nicht zu enthalten scheint. So sollen die Consultants Top-down-Lösungen favorisieren, während Bottom-up-Ansätze ignoriert werden. Und auch der Abbau von Hierarchieebenen in den Ämtern scheint dem Vernehmen nach kein Thema zu sein. Das wäre dann für die Landeshauptstadt wohl doch ein Tabubruch.

Updates:
 Die „Abendzeitung“ vom 10. Dezember zitiert kurz aus diesem Blog und widmet der Arbeit von PD in den städtischen Referaten eine ganze Seite. „Ist das nicht problematisch, erst die Stadtratswahl abzuwarten, bevor dann die unbequemen Sparvorschläge öffentlich diskutiert werden? Das ermögliche »eine offene Debatte auf der Basis einer solchen Analyse«, findet der Kämmerer. Es sei auch demokratietheoretisch richtig, »dass ein neuer Rat zu Beginn seiner Amtszeit Leitplanken bekommt«, sagt Frey.“

Der Stadtneurotiker hat mich in seinem Blog auch erwähnt.

Mein Blog wirkt. Neulich eine kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Katja Weitzel (SPD) nach meiner Recherche zu den Sozialpässen. Und jetzt eine Anfrage der Fraktion der Linken/Die Partei im Rathaus nach meinem Beitrag über die Verpflichtung einer Consultingfirma für radikale Sparmaßnahmen in den städtischen Referaten:
1. In welchen Referaten und Abteilungen war die Beratungsfirma bereits aktiv?
2. Welche konkreten Streichvorschläge hat die Beratungsfirma gemacht (Bitte nach jeweiligen Referaten aufschlüsseln)?
3. Aus welchem politischen oder verwaltungsinternen Grund sollen diese Einsparpakete erst nach der Kommunalwahl öffentlich werden?
4. Wie werden die Ergebnisse der Beratungsfirma verwaltungsintern kommuniziert und werden die Beschäftigten mit eingebunden?
5. Wie rechtfertigt die Kämmerei eine Vorgehensweise, die den Eindruck erweckt, unangenehme Entscheidungen bewusst zu verschieben, um keine negativen Auswirkungen auf den Wahlkampf zu riskieren?
6. Welche freiwilligen Leistungen – insbesondere in Kultur, Sozialem, Jugend, Umwelt und Mobilität – stehen auf der Liste der möglichen Einsparungen?
7. Wie soll verhindert werden, dass jahrelang aufgebaute Strukturen zerstört werden, deren Wiederherstellung später ein Vielfaches kosten würde?
8. Wie bewertet die Kämmerei den Vorwurf, die Bürger*innen sollen bewusst ohne vollständige Informationen über die finanzpolitischen Absichten der Verwaltung und der Rathauskoalition in die Wahl gehen?
9. Warum werden zentrale Informationen, die für die Wahlentscheidung wesentlich sind, dem Stadtrat und der Öffentlichkeit vorenthalten?
10. Welche konkreten Auswirkungen auf Beratungsstellen, Jugendzentren, Kulturprojekte und soziale Infrastruktur erwartet die Verwaltung bei Umsetzung der internen Einsparvorschläge durch die PD?
11. Welche Maßnahmen zur Einnahmesteigerung wurden geprüft, bevor grundlegende soziale und kulturelle Angebote infrage gestellt wurden?
12. PD ist in der Vergangenheit auch schon dadurch aufgefallen, dass sie Rahmenverträge mit McKinsey, Roland Berger und der Boston Consulting Group besitzt, diese als Subunternehmer einsetzt und somit als „Drehscheibe“ dient, um die öffentliche Ausschreibung von Beratungsverträgen zu umgehen2. Wie wird von der Kämmerei sichergestellt, dass keine Subunternehmer eingesetzt werden?
13. Wie viel Geld hat die Beratungsfirma bis Datum heute mit der Kämmerei abgerechnet und wie viel Geld enthält PD noch?

In einer Presseerklärung weist die Stadtkämmerei darauf hin, dass alle Fraktionen seit November eingeweiht gewesen wären. Und behauptet plötzlich, die Ergebnisse lägen „wie zu Beginn des Projektes angekündigt“ erst im zweiten Quartal 2026 vor. Dabei schrieb die Kämmerei noch letzte Woche auf meine Anfrage „im ersten oder zweiten Quartal“.  

Montag, 6. Oktober 2025

Agora (12): Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Annette Ramelsberger

Alle drei Jahre wird der Publizistikpreis der Landeshauptstadt München verliehen. Heuer wurde die Gerichtsreporterin der „Süddeutschen Zeitung“, Annette Ramelsberger, damit ausgezeichnet. Ihre Dankesrede anläßlich der Preisverleihung im Literaturhaus hat die „SZ“ online gestellt. Hier die Laudatio, die die mehrmalige Bundesjustizministerin und FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt:

Es ist für mich eine große Ehre, zur Verleihung des diesjährigen Münchner Publizistikpreises die Laudatio halten zu dürfen. Und es ist mir eine besondere persönliche Freude, weil ich die diesjährige Preisträgerin Annette Ramelsberger seit langem in ihrer journalistischen Arbeit kennen und schätzen lernen konnte.

Es wird heute mit dem Publizistikpreis nicht nur eine engagierte, erfahrene, fachlich überaus versierte Journalistin ausgezeichnet, die seit bald 40 Jahren ihrem Beruf mit großer Leidenschaft nachgeht und große Wertschätzung im Kollegen- und Verlagskreis und in der Leserschaft der SZ geniesst. Sondern es geht mit ihrer Auszeichnung auch um die Würdigung der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit und die Arbeit der unabhängigen Medien, die Voraussetzung für eine informative Berichterstattung sind.

Und es geht um die Auszeichnung des seriösen, faktenbasierten Journalismus, den Annette Ramelsberger so hervorragend verkörpert. Der auf sorgfältige Recherche und Investigation setzt. Das ist das exakte Gegenteil der allein meinungsgetriebenen Berichterstattung, die sich die Realität so dreht, bis sie in das eigene Vorstellungsbild passt.

Nie war es so wichtig, Presse und Medien in ihrer Bedeutung für die liberale Demokratie zu stärken. Denn noch nie ist ihre Unabhängigkeit weltweit so unter Druck geraten, wird sie inhaltlich von autokratischen Machthabern auch in europäischen Mitgliedstaaten angegriffen und versucht zu zerstören. Aber auch von zivilgesellschaftlichen besonders rechtspopulistischen Parteien und Akteuren wird immer stärker die Arbeit unabhängiger Medien beschimpft und die Journalisten und Journalistinnen verbal und auch körperlich angegriffen. Auch hier in Deutschland.

Der Vorwurf der angeblichen „Lügenpresse" gehört zum Standardrepertoire der AfD. Im Klartext heißt das, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk als Staatsfunk, als System-Medien diffamiert wird und von gekauften Journalisten vom „gleichgeschalteten journalistischen Establishment“ im Fernsehen, Rundfunk und in den Zeitungen die Rede ist – vor allem dann, wenn es um Themen wie Flucht, Terrorismus und Integration geht.

Dabei zeigt sich deutlich die übergeordnete Funktion des Begriffs „Lügenpresse“, denn gemeint ist nicht, dass sich die Presse (die es eigentlich nur im Plural gibt) hin und wieder täuscht, dass eine Zeitung oder Sendung manchmal falsch liegt, was nicht immer vermieden werden kann. Gemeint ist, dass „die da oben“ systematisch mittels der Presse manipulieren und zu ihrem Vorteil „das Volk“ betrügen (sollen). Der Begriff hat ein verführerisches Identifikations-Potential, das sich für die Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern gut eignet: Wir gegen die!

Die Stimmung in Deutschland wird zu bestimmten Themen von den Rändern bewusst aufgeheizt. Die Ausübung des Journalistenberufs ist schwieriger und auch gefährlicher geworden. Journalisten werden nicht mehr als neutrale, objektive Beobachter gesehen, sondern parteiisch auf der Seite der sogenannten Elite, die sich den Staat untertan mache. Medien werden von manchen zum Schlachtfeld gemacht. Hass und Hetze gegen Journalisten in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien sind leider nicht mehr hinweg zu denken. Auf manchen Demos brauchen die Journalisten Schutz von der Polizei. Je nach inhaltlicher politischer medialer Berichterstattung sind Journalisten massiver Kritik ausgesetzt. Das gab es zu Beginn der Arbeit von Annette Ramelsberger in den 80iger Jahren in dieser Dimension noch nicht. 


In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit 2025 von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Deutschland den 11. Platz weltweit, ganz gut, aber ein Rückschritt um einen Rang im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland fällt damit aus den Top Ten der Länder mit der höchsten Pressefreiheit. Gründe dafür sind unter anderem das zunehmend feindliche Arbeitsumfeld für Journalisten, insbesondere durch Angriffe aus dem rechtsextremen Milieu, sowie der anhaltende wirtschaftliche Druck auf Medienhäuser.

In den USA wird aus dem Weißen Haus gezielt gegen Journalisten öffentlich Stimmung gemacht und sie werden an den Pranger gestellt. Das trifft auch deutsche Journalisten im Ausland, wie zum Beispiel vom ZDF (Elmar Theveßen und Dunja Hayali), deren Abberufung von Trump persönlich gefordert wird. Eine ungenierte staatliche politische Einmischung in die Pressearbeit, wie ich sie mir in Deutschland auch heute nicht vorstellen kann. Platz 57 für die USA in der Liste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist auch angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf Zeitungen, Fernsehen und soziale Medien noch zu positiv.

Jede Kritik an der Regierung ist nach diesem Verständnis schon fast als terroristischer Akt zu bewerten. Meinungsfreiheit verstehen die Rechtspopulisten nur für ihre Auffassung und Äußerungen. Kritik, gegenteilige Meinungen und Fakten sind „illegal“.

Vor diesem Hintergrund ist die Pressefreiheit längst nicht mehr selbstverständlich. Sie ist nicht mehr unumstritten. Und Berichterstattung mit Bezug zu aktuellen Themen kann sehr schnell und nicht steuer- und kontrollierbar zu heftigen Reaktionen bis zum Shitstorm verbunden mit Drohungen und persönlichen Beleidigungen führen. Das erleben besonders Frauen.

Und ein so verändertes gesellschaftliches Klima kann auch dazu führen, dass Journalisten eine Schere im Kopf haben und sich überlegen, wie sie zu bestimmten Themen berichten, um mögliche Hetze und Diffamierung zu vermeiden. Diese Selbstkontrolle/Selbstzensur kann sich auch negativ auf die objektive Berichterstattung auswirken.

In dieser gesellschaftlichen Stimmungslage arbeitet unsere Preisträgerin und sie ist sich dessen voll bewußt. Sie befasst sich mit vielen Themen, die zum Schüren von Ängsten instrumentalisiert werden können und auch werden, die Emotionen schüren, zu Hass und Hetze führen und die sehr aktuell sind: Rechtsextremismus, Faschismus, Antifa, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Terrorismus. Und Wackersdorf nicht zu vergessen.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in ihren zeitlichen Veränderungen schlagen sich in ihrer Arbeit auf einmalige Weise nieder. Voller Empathie, immer mit einem besonderen Zugang zu den Personen, mit einem einzigartigen Blick auf Hintergründe, Stimmungen und Zusammenhänge.

Sehr häufig sind Gegenstand ihrer Gerichtsreportagen die Taten von Rechtsextremisten wie beispielsweise des Norwegers Andreas Breivik und der Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Mitglieder des NSU. Das Strafverfahren gegen Franco A, der als Bundeswehrsoldat Terrortaten plante, weil er davon überzeugt war, dass Deutschland von Innen - von Ausländern, Muslimen zersetzt würde. Dafür stand für ihn die Amadeu Antonio Stiftung mit ihrer damaligen Geschäftsführerin Annetta Kahane, die er für sich zum Feindbild erklärte.

Als politische Journalistin und Gerichtsreporterin hat sich Annette Ramelsberger sehr schnell einen herausragenden Ruf erworben.

Sie berichtet nicht im üblichen Stil von Gerichtsverhandlungen, also vom Ablauf, den einzelnen Elementen wie Anklageverlesung, Zeugenvernehmung und Urteilsverkündung, Ihr geht es um die gesellschaftlichen Hintergründe. Sie will nicht die Menschen in den Strafprozessen als ausschließlich Kriminelle sehen und sie so darstellen. Jedes Gerichtsverfahren spiegelt auch ein Schicksal wider, selbst verschuldet oder nicht. Und sie ordnet die den Gerichtsverfahren zugrunde liegenden Verhaltensweisen und Rechtsverstöße ein – gesellschaftspolitisch, sozial, justizpolitisch, ob sie dem Gerechtigkeitsanspruch Rechnung tragen und ob das im Namen des Volkes gesprochene Urteil von diesem auch verstanden werden kann.

Und es geht ihr um die Opfer. Anders als im Krimi, lässt sie nicht verbal das Blut spritzen, beschreibt nicht Waffenkaliber, schildert nicht Gänsehaut verursachende Tötungsvorgänge. Sie will nicht wohliges Gruseln erzeugen, sie will aus der Sichtweise der Opfer aufzeigen, wozu rechtsextremistische, fremdenfeindlich gesinnte Täter in der Lage sind und was das für die Opfer bedeutet. Es mag ein einmaliges schreckliches Ereignis gewesen sein, die Nachwirkungen können lebenslang sein. Wie es auch immer gesellschaftliche Entwicklungen sind, die Hintergrund für Haltungen und Taten sein können. Vor Gericht wird auch die Gesellschaft verhandelt, wie es die Preisträgerin sagt.

Ihre Berichterstattung zeigt sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, unfassbare Taten wie die des Massenmörders Breivik und beeindruckende, ja fast beschämend mutiges Verhalten von Opfern, die nach Todesangst und schwersten Verletzungen im Prozess als Zeugen aussagen.

Andreas Behring Breivik, ein rechtsterroristischer und islamfeindlicher Massenmörder, beging am 22. Juli 2011 Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, davon 69 Teilnehmer eines Zeltlagers der Jugendorganisation der Arbeiterpartei.

Bei der Berichterstattung über solche Taten, die nur unmissverständlich verurteilt werden können und für die es keine Rechtfertigung gibt, haben Journalisten eine besondere Verantwortung – die Information der Öffentlichkeit ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Gut, aber genauso ist darauf zu achten, dem rechtsextremen Breivik nicht die mediale Bühne zu geben, die er so sehr anstrebt. Bis heute aus dem Gefängnis.

Annette Ramelsberger ist das gelungen, in dem sie die Überlebenden zu Wort kommen lässt. Und mit deren Worten die Brutalität und Menschenverachtung dieses Kriminellen mit ausgeprägter rechtsextremistischer Gesinnung darstellt.

Manche Gerichtsverfahren machen auch Jahrzehnte nach der/den Taten neugierig. Mir ging es so, als ich den Bericht von Annette Ramelsberger zu einer der vielen Anklagen gegen den in den 70-/80iger Jahren gefährlichsten Terroristen der Welt Carlos gelesen habe. Seine Mordserien, seine Verachtung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, auch gegenüber den eigenen Mitstreitern wie den RAF-Terroristen Weinrich und gegen die deutsche Freundin, die er dem Kumpel Weinrich ausgespannt hat. Dominant, herrisch, unterdrückend.

Über die Terrortaten konnte man viel lesen, über das Innenleben und den Umgang der Terroristen miteinander eher wenig. Auch das hilft beim Einordnen und erlaubt einen Blick auf die unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen. Ans Herz wachsen sie einem nicht.

Für Ihre Berichterstattung zum NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe hat Annette Ramelsberger 2019 gemeinsam mit ihrem Team den Nannen-Preis erhalten, zudem die Auszeichnung als „Reporterin des Jahres“ (2014), als „Team des Jahres“ 2019 und 2020 die Auszeichnung der Stadt Kassel, den „Kasseler Demokratie-Impuls“. Sie hat akribisch Protokoll der über 400 Verhandlungstage geführt. Denn sonst gäbe es keins. Das Gericht hätte keins erstellt, ein nicht nachvollziehbarer Vorgang und ein Versagen. Hoffentlich gibt es bald die schon lange diskutierte elektronische Aufzeichnung der mündlichen Verhandlungen. Ihr Buch „Der NSU-Prozess. Das Protokoll“ (gemeinsam mit drei KollegInnen) gilt als Standardwerk.

Mal einen ganz anderen Blick hat Annette Ramelsberger auf die Familien der beiden Täter geworfen, es ist erschreckend, in welchem Ausmaß die Eltern der beiden Uwes Ignoranz, Desinteresse, Wegschauen und Verharmlosen an den Tag gelegt haben. In so einem sozialen familiären Umfeld, in dem es keine beruflichen Brüche mit dem Fall der Mauer gab, gibt es so gut wie keine Widerstände gegen die sich rechtsextremistisch radikalisierenden jungen Menschen, keine Gespräche über diese Geisteshaltung und ihre Gefahren. Kein wirkliches Interesse an ihren politischen radikalen Haltungen. Solange der Sohn die Anordnungen der Eltern zum Beispiel zum Rasenmähen gehorsam befolgte, war für die Eltern alles in Ordnung. Ein guter Sohn. So konnten die Mörder noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen ihren Eltern gegenüber entwickeln. Dass die Eltern von Uwe Böhnhardt noch Jahre lang Kontakt zu den Mördern im Untergrund pflegten, grenzt schon fast an Unterstützung von Straftätern. Aber nicht die mögliche Strafbarkeit dieses Verhaltens entsetzt, sondern diese Art von Kumpanei, die Verantwortungslosigkeit, die Offenheit gegenüber den abstossenden rassistischen Einstellungen der Söhne und die Arroganz, das Versagen an einer Verhinderung weiterer Morde allein den Sicherheitsbehörden zu zuschieben. Die haben sich überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert, auch nicht bei den Ermittlungen nach dem Tod der Mörder und der Festnahme der Dritten im Bunde. Aber die Eltern hätten mit einer Anzeige eine frühere Festnahme ermöglichen und wohl einige Morde verhindern können. War es das jahrelange Leben im Unterdrückungsstaat DDR mit einer allgegenwärtigen Staatssicherheit, das sie davon abhielt?

Annette Ramelsberger sagt es so: „Man muss Brigitte Böhnhardt vor Gericht erleben, um zu verstehen. Hier sitzt die Intelligenzija der früheren DDR, aufgewachsen in dem sicheren Gefühl, dass es Neonazis nur im Westen gibt. Und dass ihre Welt geordnet ist. Vor allem das Schulsystem der DDR, das sie geprägt hat. Dann wurde dieses System einfach zerschlagen. Aus diesem Schlag heraus erklärt die Mutter alles, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Es ist das Erklärmuster der Kolonisierten, die alles Übel auf die Sieger schieben.“

Nur Annette Ramelsberger hat den Leserinnen und Lesern diesen Einblick in eine spezifische individuelle ostdeutsche Befindlichkeit gegeben und das treffend formuliert.

Bei ihrer Befassung mit dem Rechtsextremismus, den daraus gespeisten Menschenwürdeverletzungen und seinen Ausdrucksformen zeigt sie auch die Hilflosigkeit mancher Politiker in der Auseinandersetzung mit Neonazis, mit früheren Mitgliedern der NPD, mit deren selbstbewußter Frechheit, gegen die eine klare Ansage helfen kann, aber nicht das Anbiedern nach dem Motto – ich bin ja auch eher rechts der Mitte. Bis heute ist in der Schule und der politischen Bildung die inhaltliche argumentative Befassung mit der völkischen Ideologie vernachlässigt worden.

Annette Ramelsberger hat schon vor mehr als 20 Jahren die Gefahren des Rechtsextremismus für die liberale Demokratie erkannt, benannt und vor allem nicht nur extreme Situationen als Grundlage für ihre Einschätzung gewählt, sondern hat die Präsenz rechtsextremer Zeichen, Tätowierungen, Äußerungen, Graffities, verbale Angriffe im Alltag aufgezeigt und damit auch nachdrücklich die Gefahren.

Auch der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten beruht auf ganz grundsätzlicher Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und nährte sich aus dem Eintreten des Opfers für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geflüchteten.

Leider sprengt es den zeitlichen Rahmen, intensiver auf sehr bemerkenswerte Berichte einzugehen. Aber einen möchte ich noch erwähnen. Ihren ganzseitigen Artikel zu dem Verfahren gegen Hanna S., Mitglied der Antifa und nach Gerichtsurteil des OLG München vor wenigen Tagen Beteiligte an der gezielten Schlägerei gegen einige Neonazis in Budapest bei deren jährlichem Aufmarsch zum „Tag der Ehre“.

Annette Ramelsberger hat ihren Artikel in der SZ vor der Urteilsverkündung gute Gewalt, schlechte Gewalt überschrieben. Wird gegen rechtsextreme Taten nicht so hart geurteilt wie bei linksextremistisch motivierten Taten? Es ist gut, dass sie diese Betrachtung anstellt. Die Richter haben den Bericht möglicherweise gelesen. Bei der Urteilsbegründung sagte der Richter: Es gibt keine gute oder böse Gewalt. Gewalt darf nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Hanna S. wurde am 26. September nicht wie beantragt wegen versuchten Mordes zu 9 Jahren, sondern wegen schwerer Körperverletzung zu 5 Jahren verurteilt.

Annette Ramelsberger zeigt aber auch, wie die Justiz den Gerichtsreporten das Leben schwer macht. Laptop benutzen während der Gerichtsverhandlung? Gar nicht selbstverständlich. Das Tastenklappern störe, musste sich Anette Ramlesberger vom Richter anhören. Dass sie bis zum späten Nachmittag ihren Bericht der Redaktion übermitteln muss und das nicht mit dem Fahrrad zur Redaktion fahren und dem Tippen auf der Schreibmaschine zu erreichen ist, ist vielen in der Justiz nicht bewusst.

Annette Ramelsberger erklärt mit ihrer journalistischen Arbeit auch den Rechtsstaat, seine wichtige, unverzichtbare Voraussetzung für eine liberale Demokratie. Sie wirbt für ihn, in dem sie seine wichtige Funktion erklärt – Recht zu sprechen ohne Ansehen der Person, für Gerechtigkeit einzustehen. Sie wirbt für den Rechtsstaat durch seine Sichtbarmachung anhand konkreter Verfahren, erklärt auch Unzulänglichkeiten wie lange Verfahrensdauer, überfüllte Gerichtssäle und Störungen während der Verhandlungen, und sie zeigt die häufig unterschätzte Kompetenz und Fähigkeit der Richterinnen und Richter.

Nach den Anforderungen an den Preis soll die Ausgezeichnete zu einer positiven Sicht auf die Stadt ihres Wirkens als Medienstadt  beitragen. Da braucht es kein langes Überlegen. Was ist positiver als eine Vertreterin der ansässigen Zeitung auszuzeichnen, die in ganz Deutschland gelesen und geschätzt wird und die den unabhängigen seriösen Journalismus so überzeugend personifiziert.

Bereits 1999 wurde ihr der Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungsverleger verliehen. Im Jahr 2021 wurde ihr der Bayerische Verdienstorden verliehen für Ihre langjährige Expertise als Terrorismus-Expertin und ihren Mut bei der Gerichtsberichterstattung.

Heute bekommt sie den Publizistikpreis der Stadt München, der nur alle drei Jahre verliehen wird und mit 10.000 Euro Preisgeld dotiert ist.

Meine Gesamtbewertung ist ganz eindeutig und wenig überraschend. Annette Ramelsberger ist als vierte mit dem Publizistikpreis ausgezeichnete Frau eine würdige Vertreterin ihrer Profession und in herausragender Weise eine Repräsentantin des anspruchsvollen Journalismus, derso dringend gebraucht wird und sich nicht überholt hat. Wenn er jetzt noch in die sozialen Netzwerke und stärker zu den jungen Menschen gebracht werden könnte, wäre das wunderbar.

Dienstag, 2. September 2025

Villa Stuck: Wiedereröffnung auf Raten

Mit Voraussagen ist es im journalistischen Geschäft immer etwas heikel. Hinterher will man es gerne schon vorher gewusst haben. Hat man sich dagegen beim Orakeln vertan, weist man nach vollendeten Tatsachen eher nicht ausdrücklich darauf hin. Aber manchmal lag man auch zumindest annähernd richtig.

Als der Münchner Stadtrat im November 2023 beschloss, die marode Stuck-Villa zu sanieren, äußerte ich mich hinsichtlich des Zeit- und Finanzplans skeptisch: „Die Wiedereröffnung der Stuck-Villa sei für den Sommer 2025 geplant, die Sanierungskosten werden mit rund 14 Millionen Euro beziffert. Beides Zahlen, die bei solchen Vorhaben mit Vorsicht zu genießen sind.“

Ein halbes Jahr später, im April 2024 war schon nicht mehr vom Sommer 2025 die Rede, sondern von Ende 2025. 

Woran das lag? Im Baugewerbe können das Nachschubprobleme sein, wenn man Material oder Teile früher in der Ukraine bezogen hat. Manchmal tauchen bei einer Sanierung unerwartete Probleme in der Substanz auf. Die Gewerke sind manchmal nicht so verfügbar wie gewünscht. Das Wetter kann den Zeitplan durcheinander wirbeln. 

Die diesmal zutreffende(n) Antwort(en) muss ich hier aber schuldig bleiben, denn weder das Kultur- und Baureferat noch die Villa Stuck wollten sich auf Anfrage konkret zu den Gründen für die Terminänderungen äußern.

Nun wirbt das Haus für sein Comeback am 18. Oktober. Annähernd im Zeitplan, nur ein paar Monate später als anläßlich des Stadtratsbeschlusses angekündigt. Und immerhin früher als die dann auf Ende 2025 korrigierte Umterminierung. Wobei aber die Baumaßnahmen keineswegs abgeschlossen sein werden, wenn das Haus zur Langen Nacht der Museen Mitte Oktober aufsperrt. „Nach der Wiedereröffnung folgt ein zweiter Bauabschnitt: Dabei werden die Freiflächen fertiggestellt und weitere Maßnahmen im Zuge der Ausstellungskonzeption umgesetzt.“

Immerhin wird laut Kulturreferat, Terminsprünge hin oder her, das Budget von 14 Millionen Euro eingehalten. 

Eine Baustelle scheint auch der Presseverteiler der Villa Stuck zu sein. Nachdem ich den oben zitierten Beitrag über das „schöne, aber marode“ Haus in der „tz“ veröffentlicht hatte, erhielt ich letztes und dieses Jahr keine ihrer Pressemitteilungen mehr, obwohl sie in ihrem Ausweichquartier VS in der Goethestraße 54 ein reges Programm bot, wie etwa eine Podiumsdiskussion mit Dana von Suffrin (Foto) zum Thema Wohnen oder zahlreiche Ausstellungen. Das Ausbleiben jeglicher Pressemitteilung nach meiner Veröffentlichung kann natürlich auch nur eine zufällige Koinzidenz gewesen sein, ohne dass eine Kausalität wegen vermeintlich unbotmäßiger Berichterstattung vorlag. 

Von mir darauf angesprochen behauptete die Presseabteilung erst, man hätte die ganze Zeit über keine Pressemitteilungen mehr verschickt, daher hätte ich auch keine mehr erhalten. Und wies mich auf den allgemeinen Newsletter des Hauses als Informationsquelle hin. Als ich vorsichtig darauf hinwies, mich möglicherweise durchaus an Pressemitteilungen erinnern zu können, die in den letzten anderthalb Jahren anderen Redaktionen zugegangen sind, korrigierte man die Auskunft: „Im Zusammenhang mit dem Umzug ins Interimsquartier wurden einige Umstellungen vorgenommen. Vermutlich ist dabei Ihre E-Mail-Adresse versehentlich gelöscht worden.“


Freitag, 13. September 2024

Führungswechsel beim Münchner Stadtmuseum

Es ist schon eine Kunst, als jahrelang wegen Generalsanierung und Umbaus geschlossenes Museum dennoch für negative Nachrichten zu sorgen. Zumal wenn es sich nicht um überraschende Mängel in der Bausubstanz oder Kostensteigerungen beim Baufortschritt handelt. Zuerst sorgte eine unglücklich organisierte Podiumsdiskussion alter weißer Männer oder vielmehr Werbeveranstaltung für eine Verkaufsausstellung von Leni Riefenstahls rassistischen Nuba-Bildern für so viel Diskussion, dass das Stadtmuseum die Veranstaltung im angegliederten Filmmuseum kurzfristig wieder absagen musste. 

Und jetzt wirft die Direktorin des Münchner Stadtmuseums, Frauke von der Haar, hin. Und das so überraschend, dass selbst Mitglieder des Kulturausschusses im Rathaus das nur indirekt erfuhren, indem sie dieser Tage auf die Anfang September veröffentlichte Stellenanzeige für die Neubesetzung stießen.

Nachdem das Stadtmuseum am 7. Januar voraussichtlich bis Mitte 2031 schloss, kündigten Kulturreferent Anton Biebl und Museumsdirektorin Frauke von der Haar in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit den Architekten und weiteren beteiligten städtischen Referaten den weiteren Weg für die Generalsanierung und Neuorganisation des Museums an. Von einem Wechsel an der Spitze war da noch keine Rede.

„Wir sind trotz Sanierung weiterhin für sie da“, versprach von der Haar auf dem Youtube-Kanal des Stadtmuseums und verwies auf das Interimsprogramm, etwa in den Räumen der Kunsthalle.

Inzwischen muss aber von der Haar in ihrem Ausweichquartier auf dem Arri-Gelände die Lust am Warten auf bessere Zeiten verloren haben. Auf Nachfrage hin kommentiert die Pressestelle des Stadtmuseum die Stellenanzeige in dürren Worten, für deren Ausformulierung sie aber dennoch über 24 Stunden brauchte: „Die Stelle der Direktion des Münchner Stadtmuseums ist ab dem 1. Juli 2025 neu zu besetzen. Sie wird die inhaltliche und steuernde Direktionstätigkeit übernehmen und die Wiedereröffnung 2031 vorbereiten. Dr. Frauke von der Haar hat sich entschieden, diese wichtige Phase der Neuaufstellung an ihre Nachfolge zu übergeben.“ 

Dabei hat von der Haar die Leitung des Münchner Stadtmuseums überhaupt erst im Januar 2020 übernommen, als die Generalsanierung längst feststand. 2012 hatte der Stadtrat erste Weichen gestellt, seit 2015 arbeitete das Architekturbüro Auer Weber bereits an den Plänen. 2019 genehmigte der Stadtrat die Baumaßnahmen.

Es ist auch keine Frage des persönlichen Alters. Die Direktorin wird zum Zeitpunkt ihres Vertragsendes 65 Jahre alt sein. Also rund anderthalb Jahre bis zur Regelaltersgrenze brauchen. Und Frauke von der Haar will sich auch keineswegs vorzeitig zur Ruhe setzen: „Sie wird sich zu einem geeigneten Zeitpunkt nach passenden Engagements umsehen.“

So muss sich nun ein*e neue*r Direktor*in der Zukunftsperspektiven im Wartezustand annehmen. Vielleicht die letzte große Personalentscheidung, an der Kulturreferent Anton Biebl beteiligt ist, der selbst auch nur noch bis nächsten Sommer im Amt bleibt. Biebl, der dann noch zwei Jahre bis zum Ruhestand hätte, geht aber nicht aus freiem Willen, sondern weil im Rahmen des Rathausgeschachers ein Kandidat der Grünen den Parteilosen ablösen soll.  

Update vom 20. September: In einem ganzseitigen Interview mit Katja Kraft erklärt Frauke von der Haar in „tz“ und „Merkur“ vom 21. September 2024 ihre Beweggründe: Nachdem sich der Eröffnungstermin nach der Generalsanierung auf 2031 verschoben hat, kollidiere der Beginn der „tieferen Konzeptionsphase der 4000 Quadratmeter großen Dauerausstellung“ 2026 mit von der Haars Renteneintritt im Oktober 2026.

„Wenn erst dann eine neue Leitung käme, finge die Diskussion wieder von vorne an. Ich möchte, dass das Haus gut aufgestellt ist, damit es diesen Prozess erfolgreich hinkriegt. Bis zum Vertragsende zu bleiben, nur um der Konzeption meinen Stempel aufzudrücken, wäre meiner Meinung nach kontraproduktiv.“

Anders als von der Pressestelle angedeutet, scheint von der Haar keine beruflichen Pläne nach ihrem Ausscheiden Ende Juni zu haben: Sie wolle „in Ruhe lesen, kochen, Sport machen, solche Dinge, die in meinem Alltag gerade wenig Platz finden.“  

(Foto: Screenshot aus dem Youtube-Kanal des Stadtmuseums)

Donnerstag, 9. Mai 2024

Leni und die alten weißen Männer

Open Scene am Donnerstag – so heißt ein offenes Format des Münchner Filmmuseums, das für aktuelle Veranstaltungen reserviert ist, die in der Regel recht kurzfristig, etwa acht Tage vorher festgelegt werden. Heute vor drei Wochen, am 18. April, wollte „das Kino der Stadt“ (so die Eigenwerbung) Leni Riefenstahls Nuba-Reportagen feiern, ihre zwischen 1962 und 1977 im Sudan entstandenen Film- und Fotoaufnahmen eines entlegen lebenden indigenen Volks.

Die Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt. Und diese Absage und nicht etwa die verwunderliche Terminierung, Ausgestaltung und Bewerbung der Veranstaltung sorgt längst für Verschwörungsgeraune. „Stadt verbietet Filmvorführung“ fabulierte die „Abendzeitung“ am 19. April auf ihrer Titelseite. Ein paar Tage später trifft sich das gehobene Münchner Bürgertum am 30. April im Auktionshaus Neumeister zum Podiumsgespräch „Verdrängen, deponieren, ausstellen, verkaufen? Zum Umgang mit Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus“. In ihren Begrüßungsworten beklagt Gastgeberin Katrin Stoll, dass „klug inszenierte politische Proteste“ zur Absage der Filmvorführung geführt hätten. Die Polarisierung mache ihr Sorgen, denn: „audiatur et altera pars“, man müsse auch die andere Seite hören. 

Eben die tatsächliche andere Seite, die in der Vorstellung des städtischen Filmmuseums offenbar ursprünglich nie gehört werden sollte, die Koalition der betroffenen BlPoC-Community (Black and People of Color), traf sich inzwischen vorletzte Woche mit dem Zweiten Bürgermeister, Dominik Krause.

Höchste Zeit vielleicht, mal einige Fakten und Merkwürdigkeiten in ihrer Chronologie zusammenzufassen. Aber vorab einige Zwischenbemerkungen. Vor zwei Jahren bekam ich im Rahmen einer Haushaltsauflösung in der Nachbarschaft von Leni Riefenstahls letzter Bleibe ein Konvolut mit Memorabilia in die Hände. Riefenstahl-Bücher mit Widmungen an ihre Nachbarn, Ansichtskarten aus Kenia („Das Wetter ist nicht besonders, aber das Schwimmen in den Wellen macht trotzdem Spaß“ – als wären wir in einer Filmszene aus „Schtonk!“) und den Malediven, eine handschriftliche Notiz ihres Ehemanns Horst Kettner, in der er die Nachbarn in Pöcking von ihrem Tod unterrichtete („nach einem erfolgreichen und erfüllten Leben entschlief …“). Das löste viele Fragen aus: Vernichten? In den Giftschrank damit? Oder verkaufen und die ewiggestrigen Fanboys der Riefenstahl bedienen, damit ihre Flamme der Verehrung weiter lodert?

Als „schwieriges Erbe“ bezeichnet auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) die Film- und Fotografiebestände, Briefe und Dokumente, die in ihrem Besitz sind, seitdem der vollständige Nachlass Riefenstahls an sie ging. Die ehemalige Sekretärin Leni Riefenstahls und Alleinerbin Gisela Jahn entschied sich für die Stiftung. „Erst sollte alles zur Deutschen Kinemathek gehen“, erzählte Fernsehproduzent Holger Roost-Macias der „Abendzeitung“. „Das wollte Frau Jahn aber nicht, weil der ehemalige Leiter, Rainer Rother, ein ,böses Buch' über Leni Riefenstahl geschrieben hatte.“

Also organisierte der willfährige Roost-Macias die Übergabe des Nachlasses an einen scheinbar politisch genehmeren, weniger bösen Empfänger. Und erhielt selbst mit seiner LaTresor Kreativ-Handelsgesellschaft mbH von Gisela Jahn die kommerziellen Verwertungsrechte für den Nachlass.

Die Deutsche Kinemathek kam dennoch an das Vermächtnis, weil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie beteiligte. Und als einer der ersten hat Regisseur Andres Veiel („Beuys“, „Black Box BRD“, „Wer, wenn nicht wir?“) den 700 Kisten umfassenden Nachlass auswerten können. Auf den nächste Woche beginnenden Filmfestspielen in Cannes wird Veiel seinen Dokumentarfilm „Riefenstahl“ im Rahmen des Filmmarktes vorstellen: 

„Seit mehr als zwei Jahren beschäftige ich mit dem Nachlass von Riefenstahl. Als ich mit den Recherchen begann, legte ich den Fokus auf unbekannte Dokumente wie Tagebücher, Notizzettel, private Fotos und Filme. Sie machten auf Anhieb neugierig, ermöglichten neue Einsichten jenseits der bekannten Erzählungen. Und doch blieb immer ein Misstrauen: Hat sie bestimmte Materialien gezielt hinterlassen? Rechnete sie damit, dass jemand aus den Dokumenten des Nachlasses einen Film machen würde? Verbaue ich mir mit meiner Skepsis einen unvoreingenommenen Blick? Aber wie kann ich mich einer Protagonistin offen annähern, die sich zeitlebens hinter einem Gestrüpp von Legenden, Halbwahrheiten und Lügen verschanzt hat? 

Je tiefer ich in diese Widersprüche eintauchte, desto klarer wurde mir, dass ich das Material nicht für sich sprechen lassen kann. Anders als in meinen früheren Filmen würde es die Stimme eines Autors brauchen, der das Material einordnet und in Beziehung zu dem setzt, was nicht im Nachlass erhalten ist. In welchen Momenten glaube ich ihr? Welche anderen Materialien aus weiteren Recherchen müssen hinzugezogen werden? Wofür stehen ihre Legenden, wofür braucht sie sie, wofür benutzt sie sie? Und wo weisen sie über sich hinaus? 

Nach dem Krieg steht sie mit der Leugnung jeglicher Mitverantwortung für die NS- Verbrechen stellvertretend für viele im Land. Briefe, mitgeschnittene Telefonanrufe und Notizen von ihr erzählen davon, wie sie ab Mitte der 1970er Jahre eine Projektionsfigur für eine bis dahin schweigende Minderheit wurde, die genug von dem ,Schulddiktat' hatte und forderte, dass nun endlich ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gezogen werden müsste. 

Angesichts solcher Schlüsselszenen von Leugnung und Verdrängung lässt sich ein finales moralisches Urteil über Riefenstahl leicht fällen. Aber die Notwendigkeit, sich mit ihr zu beschäftigen, ist damit nicht erledigt. Zu gegenwärtig sind ihre Bildwelten, in dem mit dem ,Grauen' kokettierenden Pop ebenso wie in der Ikonografie der Neuen Rechten. Und dann in den letzten Monaten auch in den neuen Inszenierungen imperialer Größe, in Moskau, in China und anderswo. 

Heute wie damals geht es in diesen Bildwelten darum zu siegen – über den Zweifel, die Ambivalenz, die vermeintliche Schwäche, das nicht Nicht-Perfekte. Ein Film über Riefenstahl hat für mich damit eine unerwartete Dringlichkeit erfahren.“ 

Und Veiels Produzentin Sandra Maischberger unterstreicht laut dem Branchendienst „Spot“: „Leni Riefenstahls hundertjährige Lebens- und Wirkungsgeschichte ist ein Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen von Manipulation, wie sie uns gerade wieder begegnen. Das macht die Reise in die Tiefen ihres Nachlasses nicht nur zu einer wichtigen kulturgeschichtlichen Aufgabe. Ihr Werk zu dechiffrieren heißt, die Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen, um sie im Heute wiedererkennen zu können.“

Roost-Macias hat nun seine kommerziellen Verwertungsrechte zu nutzen gewusst. In einer Pop-up-Galerie im Münchner Hofgarten präsentierte er im April eine Verkaufsausstellung mit Leni Riefenstahls Nuba-Bildern. Und zeitlich passend wollte er parallel im Filmmuseum auch seinen Dokumentarfilm „Sehnsucht nach Unschuld“ vorführen, der sich mit Riefenstahls unvollendeten Nuba-Film aus dem Jahr 1963 beschäftigt. (Ein Filmtitel übrigens, der das rassistische Bild des „unschuldigen Wilden“ aufzugreifen scheint.)

Nicht nur eine zeitliche Koinzidenz. In der Pressemitteilung des Filmmuseums („Rathaus-Umschau“ 73/2024 vom 15. April) wird im Rahmen des Veranstaltungshinweises auf den Abend im Filmmuseum zugleich deutlich für die private Verkaufsausstellung geworben: „Eine Fotoausstellung mit ausgewählten Bildern der Nuba von Leni Riefenstahl ist von 10. bis 30. April in der Galeriestraße 6a am Hofgarten in München zu sehen.“ Der Hinweis auf „Ausstellungen oder Buchpublikationen oder andere Veranstaltungen, die in Zusammenhang mit der Filmvorführung stehen“, sei laut dem Filmmuseum „üblich und dient der Transparenz, was den Anlass zur Veranstaltung gegeben hat. Zum Zeitpunkt der Pressemitteilung war dem Filmmuseum nicht bekannt, dass es sich um eine Verkaufsausstellung handelt.“

Roost-Macias' 89-minütiger Dokumentarfilm „Sehnsucht nach Unschuld“ sollte in der Open Scene vom 18. April im Filmmuseum um 19 Uhr gezeigt werden. Danach war eine Podiumsdiskussion terminiert, die laut Roost-Macias bis nach 23 Uhr dauern würde. Nun gibt Riefenstahl sicherlich viel Stoff her, um zweieinhalb Stunden zu streiten. Aber wer saß da auf dem Podium? Schließlich ging es laut der Webseite des Filmmuseums um den „Umgang mit Filmmaterial als zeithistorische Dokumente“, um „die Ästhetik von Leni Riefenstahls Inszenierung der Wirklichkeit“ und ausdrücklich auch um „den kolonialen Blick auf fremde Kulturen“.

Auf der Webseite des Filmmuseums waren bis zuletzt Regisseur Holger Roost-Macias (Jahrgang 1960), der Leiter des Filmmuseums Stefan Drößler (Jahrgang 1961) und der Filmhistoriker Martin Loiperdinger (Jahrgang 1952) angekündigt. Loiperdinger hat 1985 über Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ promoviert.

Keine Frau. Und kein Vertreter der BlPoC-Community, obwohl der „koloniale Blick auf fremde Kulturen“ Gesprächsthema sein sollte und viele Leni Riefenstahls Nuba-Bilder als rassistisch, sexistisch und kolonialistisch empfinden.

Der Aufstand ließ nicht lange auf sich warten, kam aber dennoch spät, weil die betroffenen Münchner Communities überhaupt erst aus einem Vorbericht der „Abendzeitung“ am 10. April von der geplanten Veranstaltung erfuhren. Am 12. April gab es eine gemeinsame Pressemitteilung vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern, dem Migrationsbeirat München, dem Netzwerk der Münchner Migrantenorganisationen MORGEN e.V. und weiteren Vertreter*innen der Schwarzen Community. 

„Diese Bilder verkörpern ein rassistisches, sexistisches und kolonialistisches Weltbild, das von den Nationalsozialisten, wie zu erwarten war, geprägt wurde, und erinnern an die schwer zu ertragenden Völkerschauen, die in Deutschland stattgefunden haben. Dies darf nicht reproduziert werden“, kritisierte man in einer Pressemitteilung primär die Verkaufsausstellung im Hofgarten und rief zu einer Protestkundgebung am 13. April auf.

„Die Repräsentation der Nuba aus dem Sudan (noch dazu durch eine geplante Filmvorführung im Filmmuseum) durch diese voyeuristischen und sexualisierten Darstellungsweisen der dem Nationalsozialismus zugewandten Fotografin und Filmemacherin Leni Riefenstahl zementieren kolonialrassistische Vorstellungen, um so bedenklicher ist die Kommerzialisierung dieser Bilder. Diese Art der NS-Ästhetik geht auf Kosten der Würde von Menschen afrikanischer Herkunft“, so Modupe Laja von der Black Community in München und vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern.

„Diese Form kulturalisierender rassistischer Reproduktion erinnert an vergangene Menschenzoos, sogenannte Völkerschauen, die in Deutschland stattgefunden haben“, sagt Fadumo Korn von der Black Community in München und fährt fort: „Im kolonialen Kontext war es leider gang und gäbe, dass Afrikaner*innen und schwarze Menschen als “exotische und minderwertige Wilde” abgebildet und beschrieben wurden. Noch heute werden weiterhin, aus Kolonialnostalgie, Schwarze Menschen sexualisiert und exotisiert – wie es eben auch in dieser Ausstellung der Fall ist.“ 

 „In einer Zeit, in der wir einen erstarkten Rassismus, Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft bekämpfen müssen, ist es die Pflicht von uns allen, jeder Reproduktion dieser Gesinnung ein Stopschild zu zeigen und einen Beitrag dafür zu leisten, dass solche Phänomene keinen Nährboden bekommen“, so Hamado Dipama vom Vorstand des Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern. 

„Wir appellieren an dieser Stelle für mehr Zivilcourage, damit Rassismus in unserer weltoffenen Stadt München nicht geduldet wird, denn es gefährdet das friedliche Miteinander und die Demokratie“, so Dimitrina Lang, Vorsitzende des Migrationsbeirat der Stadt München.

Dem Protestaufruf folgten keine 100 Menschen vor den Räumen der Pop-up-Galerie im Hofgarten (zeitgleich gab es in München eine große Pro-Choice-Demo). Roost-Macias (erstes Bild ganz oben) stellte sich der Kundgebung. Und auch wiederum nicht. Denn auf kritische Redebeiträge reagierte er mit der Frage nach der Rasse: Ob die betroffene Person denn selbst Nuba sei? Als ob man im Sinne der Nürnberger Gesetze sich erst rassisch das Recht auf Kritik verdienen müsste.

Während der Veranstaltungshinweis auf der Webseite des Filmmuseums unverändert blieb, enthielt die „Rathaus-Umschau“ vom 15. April eine bemerkenswerte Korrektur: Statt dem Chef des Filmmuseums Drößler sollte nun plötzlich Ray Müller (Jahrgang 1948) an der Podiumsdiskussion teilnehmen, Regisseur der Riefenstahl-Dokumentation „Die Macht der Bilder“. Laut dem Filmmuseum handelt es sich dabei um einen Fehler. Drößler sei weiterhin als Moderator der Diskussionsrunde vorgesehen gewesen, Müller immer schon angefragt, aber nicht bestätigt.

Doch zu der Veranstaltung kam es nicht mehr. Am 17. April reagierte das Filmmuseum auf die Proteste und sagte die für den folgenden Tag geplante Veranstaltung ab: Das Stadtmuseum München samt des dazugehörigen Filmmuseums hätten „großes Interesse daran, ein Forum für die ganze Stadtgesellschaft zu sein und aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen und Debatten Raum zu geben.“ Aus diesem Grund lud es nun doch noch die BlPoC-Akteur*innen ein, „um sich in einem persönlichen Gespräch über mögliche Präsentationen und Kontextualisierungen auszutauschen“

„Als Kulturinstitution der Landeshauptstadt München ist dem Münchner Stadtmuseum und dem dazugehörigen Filmmuseum München eine antirassistische und diskriminierungskritische Repräsentationspolitik wichtig.“ Umso „bedauerlicher“ sei es, „dass es uns im Vorfeld des Screenings nicht gelungen ist, Perspektiven der Black Community von Anfang an einzubeziehen“.

Auf meine wiederholte Nachfrage hin schrieb mir das Filmmuseum Ende April, dass „ein persönliches Gespräch zwischen der Leitung des Filmmuseums, des Münchner Stadtmuseums und Vertreter*innen der am Protest beteiligten Gruppen in Planung“ sei. „Dies bedarf einiger Vorbereitungs- und Abstimmungszeit.“ Oder wie eine Beteiligte auf der Gegenseite mir gegenüber meinte: „Die Reaktionszeit der Presse ist da schneller als Prozesse in der Verwaltung.“ 

Für eine Beschleunigung sorgt da vielleicht, dass die Aktivist*innen auf den Zweiten Bürgermeister der Landeshauptstadt, Dominik Krause, zugegangen sind und sich mit ihm getroffen haben. Krause habe laut seinem Büro daraufhin „ein Gespräch zwischen Aktivist*innen und Filmmuseum/ Stadtmuseum unter Federführung der Kulturreferats angeregt“.

Mal sehen, was dabei herauskommt. Das von mir erwähnte Riefenstahl-Konvolut aus ihrer Pöckinger Nachbarschaft enthielt übrigens noch eine Überraschung: ein Führerbild. 

Update vom 23. Juli 2024: Regisseur Andres Veiels neuer Film „Riefensthal“ feiert seine Weltpremiere im Wettbewerb (außer Konkurrenz) der 81. Internationalen Filmfestspiele von Venedig.

Update vom 17. Oktober 2024: Was München selbst über fünf Monate später nicht einmal annähernd hinbekommen hat, steht jetzt in Berlin auf dem Programm: Wie blicken die Nuba heute auf Leni Riefenstahls Fotografien und was bedeutet das für den Umgang in der Zukunft? Diesen Fragen widmet sich das interdisziplinäre Symposium „Deutsch-Sudanesische kollaborative Erschließung und Präsentation des Nuba-Werks von Leni Riefenstahl“ der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am 25. und 26. Oktober.

Update vom 27. Oktober 2024: In einem Interview mit der „Abendzeitung“ vom Wochenende zieht Produzentin Sandra Maischberger eine Linie von den Riefenstahl-Fans der 1970er- bis 1990er-Jahre zu rechten Umtrieben und Schwurblern heute:
»Riefenstahl genoss bei ihren Talkshowauftritten großen Rückhalt in der Bevölkerung. Tatsächlich war das für mich einer der schwierigsten Momente. Ich weiß noch, dass ich an diesem Tag leicht benommen aus dem Schneideraum gegangen bin. Die Kollegen haben erst einmal viel von dem hintereinander geschnitten, was sie an Stimmen auf diesen Tonbändern gefunden hatten. Das war mehr als eine halbe Stunde, nur ein Ausschnitt, aber dennoch grauenhaft. 
Angefangen beim SS-Mann, der sagte, sie wären doch alle Idealisten gewesen, über den Panzerbauer, der immer noch stolz über seine „Kinder“ redete. Es haben aber auch junge Menschen angerufen und gesagt, sie wollen zur Kenntnis geben, dass ihre Generation hinter ihr stehe. Zu einem Arbeiter sagte sie, er solle seine Komplimente für sie auch gleich als Leserbrief an die Zeitungen schreiben. 
In Teilen war das hasserfüllt ‒ das, was wir heute „Hate Speech“ nennen: „Ich verachte diesen Scheißstaat“, oder „Lassen Sie sich von diesen Schweinen nicht unterkriegen.“ Das klang damals schon so wie heute Facebook oder X. In dieser Hinsicht war es ein Blick in unsere Gegenwart.«

Update vom 28. Oktober: „Die Feier des Schönen und Starken geht immer mit der Verachtung, des Fremden, Schwachen und Anderen einher, letztlich mit seiner Vernichtung.“ Regisseur Andres Veiel im „Tagesspiegel“ vom 29. Oktober 2024.  

Fotos: Dorin Popa (3) Kontaktbogen aus dem Bestand von Heinrich Hoffmann, Bayerische Staatsbibliothek/ Bildarchiv

Samstag, 11. November 2023

Stuck-Villa muss umziehen

Ende Juli organisierte die Villa Stuck noch eine Parade der italienischen Künstlerin Marinella Senatore vom Museum in der Prinzregentenstraße Richtung Innenstadt. Nächstes Jahr folgt nun quasi das Museum selbst, denn am 11. Februar werden alle Museumsräume geschlossen und ausgeräumt, während der Ausstellungsbetrieb provisorisch an einem Interimsquartier in der Goethestraße 54 fortgesetzt wird. 
Das Stammhaus am Friedensengel ist schön, aber marode. Das ehemalige Atelier und Wohnhaus Franz von Stucks wurde zwar erst vom 1999 bis 2004 generalsaniert, aber die technischen Anlagen hinter der neoklassizistischen Fassade seien eben nach zwanzig Jahren bereits wieder an das „Ende ihrer Gebrauchsfähigkeit“ angelangt, wie das Kulturreferat am Donnerstag mitteilte. Außerdem wären an der Fassade notwendige Sanierungen zum Substanzerhalt und der Verkehrssicherheit nötig. Zusätzlich sollen die extrem verschachtelten Ausstellungsräume, die für jeden Besucher zur Herausforderung werden können, endlich etwas mehr Barrierefreiheit bieten. 
„Mit der Erneuerung der Klima- und Sicherheitstechnik wird das Baudenkmal Villa Stuck und seine Kunst geschützt“, erklärte Baureferentin Jeanne-Marie Ehbauer. „Und wenn wir schon bauen, verbessern wir auch gleich die Zugangssituation. Durch die Neuordnung des Wirtschaftshofs entsteht ein barrierefreier Zugang. Auch im Inneren werden wir etwas für die Barrierefreiheit in diesem denkmalgeschützten Gebäude tun.“ 
Die Museumssammlung geht währenddessen auf Reisen. Am vorübergehenden Standort im Klinikviertel will das Team der Villa Stuck stattdessen mit einem „experimentellen Programm aus Ausstellungen, Veranstaltungen und Kunstvermittlung“ in der Münchner Öffentlichkeit weiterhin zumindest etwas Präsenz zeigen. 
Die Wiedereröffnung der Stuck-Villa sei für den Sommer 2025 geplant, die Sanierungskosten werden mit rund 14 Millionen Euro beziffert. Beides Zahlen, die bei solchen Vorhaben mit Vorsicht zu genießen sind. „Von einem gewissen Punkt gibt es keine Rückkehr mehr“, wird in der aktuellen Ausstellung „Kafka 1924“ (Foto) der Schriftsteller auf einem Plakat zitiert. Zumindest diese Furcht ist unbegründet.
Eine Version dieses Textes erschien zuerst in der „tz“ vom 10. November 2023.

Mittwoch, 26. Juli 2023

Agora (8): Amelie Frieds Laudatio auf Maren Kroymann

Am 25. Juli 2023 wurde Maren Kroymann im Alten Rathaus mit dem Dieter-Hildebrandt-Preis der Stadt München ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Amelie Fried:

Verehrte Anwesende, liebe Freunde und Freundinnen, Weggefährten- und Gefährtinnen der Preisträgerin, liebe Maren! 

Frauen sind nicht komisch. Also, sie sind...“komisch“. Aber nicht komisch. Das ist es, was uns lange eingeredet wurde, so ähnlich wie die Behauptung, dass Frauen angeblich nicht Spitzenköchinnen oder Dirigentinnen sein können. Zum Glück kommt immer irgendwann eine Frau und widerlegt solche Vorurteile. 

Was den Humor angeht, gehört Maren Kroymann in Deutschland zu den Künstlerinnen, die uns gezeigt haben: Humor kann weiblich sein, ohne dämlich zu sein, er kann sogar scharf und politisch sein, und er ist dann am besten, wenn er die Stereotype männlichen Humors auf den Kopf stellt und dadurch entlarvt. 

Denn tatsächlich galt Humor Jahrhunderte lang als männlich; sogar wissenschaftlich wollte man das festgestellt haben. Sam Shuster, ein emeritierter Professor der englischen University of East Anglia stellte die These auf, Humor sei eine Sache der Hormone, genauer gesagt eine Frage des Testosteronspiegels. Humor resultiere aus Aggressivität, die in eine verbale Äußerung kanalisiert würde und bestenfalls als Witz ende. Aus dem Faustschlag werde also gewissermaßen ein Scherz. Auch sprachlich passt das: Ein Witz muss genauso sitzen wie ein Schlag (punch) – Punch line ist der englische Begriff für Pointe. 

Nun hauen Männer bekanntlich humortechnisch gerne mal daneben, die Witze fallen dann derb oder sogar sexistisch aus, und lange nahm man das – auch als Frau – eben so hin. Nicht so Maren Kroymann. Sie verwendet eine Technik aus dem Judo: Den Schwung des Gegners auffangen und sich zunutze machen. Am Ende liegt er auf der Matte. „Keine Parodie misslingt ihr, nichts gerät ihr peinlich!“ schrieb die TAZ 2019, anlässlich ihres 70. Geburtstages. Und dieser Instinkt, diese Geschmackssicherheit ist es wohl auch, die sie durchgetragen hat durch eine 40-jährige Karriere auf der Bühne und vor der Kamera, die in Deutschland ihresgleichen sucht. 

Maren Kroymann wurde in ein bürgerlich-akademisches Elternhaus geboren, wuchs mit vier Brüdern im beschaulichen Tübingen auf und ihr erster Berufswunsch war: Englischlehrerin. Aber dann muss irgendwas passiert sein, das ihre andere, unbürgerliche Seite geweckt hat. Zum Glück, möchte man sagen.

 Seit 1982 steht sie auf der Bühne, zunächst als Sängerin, die das gängige Frauenbild anhand von Schlagern kritisch hinterfragt, und mit ihrem ersten Soloprogramm „Auf du und du mit dem Stöckelschuh“ liefert sie gewissermaßen den Soundtrack zur damaligen Debatte, ob enge Kleider und hohe Absätze der Emanzipation schaden, weil sie die Frau zum Objekt männlicher Begierde degradieren, oder ob sie – im Gegenteil – ein Ausdruck weiblichen Selbstbewusstseins sind. 

Über diese Frage ist übrigens bis heute kein Konsens erzielt worden, aber Maren Kroymann hat sich der Debatte früh entzogen, indem sie sehr entspannt unter Beweis gestellt hat, dass Eleganz und Intelligenz sich keineswegs ausschließen, ja, dass man sogar Feministin sein kann, ohne Sackkleider und Gesundheitsschuhe zu tragen und die Achselhaare wuchern zu lassen.

1985 war sie zum ersten Mal im Fernsehen – als Gast in Dieter Hildebrandts Sendung „Scheibenwischer“. Als Kabarettistin war sie eine neuartige Figur, an die das Publikum sich erst gewöhnen musste. Politisches Kabarett gab es hierzulande schon, Comedy war erst im Kommen, und Maren Kroymann verkörperte irgendwas dazwischen, ein eigenständiges Genre, das nicht den predigerhaften Charakter der amerikanischen Stand up Comedy hatte (die nicht zufällig aus dem Land der evangelikalen Prediger kommt), aber auch nicht die schwarz-weiß-moralischen Gewissheiten deutschen Polit-Kabaretts. Und so dauerte es etwas, bis sie sich ihren Platz in der Kabarett-Szene erobert hatte. 

Was vielen nicht bewusst ist: Maren Kroymann schrieb ihre Texte lange Zeit selbst und entwickelte ihre Figuren eigenständig; sie war als Kabarettistin nicht das Produkt männlicher Phantasien und männlich geprägter Produktionsfirmen – etwas, das sie von ihren wenigen Kolleginnen damals und vor allem von vielen weiblichen Comedy-Stars der jüngeren Zeit unterscheidet. 

Aber, wie sie selbst sagt, sie musste erst dazu überredet werden, etwas Eigenes zu machen, weil sie es sich – typisch Frau - selbst nicht zutraute. Übrigens wurde sie dazu von einem Mann überredet (Jürgen Breest, dem damaligen Unterhaltungschef von Radio Bremen), wie sie überhaupt – wie sie selbst sagt – durchaus auch Unterstützung von Männern bekam, aber eben nicht nur. Manche erklärten ihr auch, sie solle bitte nur singen und dabei mit dem Hintern wackeln. Sogar mit Tomaten wurde sie mal beworfen, so befremdlich fanden es offenbar manche, dass eine Frau nicht vorgefertigte Texte spricht, sondern eigene Gedanken auf die Bühne bringt.

Bis heute, wo Maren Kroymann mit einem Autor:innenteam arbeitet, ist es ihr wichtig, kein „Meinungskabarett“ zu machen, nicht vorzugeben, sie sei im Besitz der einzig richtigen Wahrheit, sondern eher dialektisch zu arbeiten, Anregungen zum Nachdenken zu geben und nicht auf die reflexhafte Zustimmung des Publikums zu setzen. 

Gehen wir nochmal zurück auf der Zeitachse: 1993 kam der Durchbruch mit ihrer ersten eigenen Sendung „Nachtschwester Kroymann“, in der sie vor allem ihr Talent zur Parodie unter Beweis stellen konnte. Kaum eine prominente Frau war vor ihr sicher, und ihre Imitationen konnten recht gnadenlos sein. Meine Lieblingsparodie war die von Regine Hildebrandt (übrigens nicht verwandt oder verschwägert mit dem Namensgeber dieses Preises), der SPD-Politikerin aus dem Osten, die eine fürchterliche Nervensäge sein konnte, dabei aber ungeheuer engagiert und in ihrer Schnoddrigkeit sehr liebenswert war – und genau diese Mischung war auch in der Parodie zu spüren. 

Parallel dazu entwickelte sich Maren Kroymanns Karriere als Schauspielerin. In „Oh Gott, Herr Pfarrer!“ war sie an der Seite von Robert Atzorn – wie sie es selbst formuliert – „die erste feministische Serienmutter“, und in der Serie „Vera Wesskamp“ spielte sie eine Frau, die nach dem Unfalltod ihres Mannes drei Kinder aufziehen und das Familienunternehmen retten soll. 

Die Liste ihrer Film- und Fernsehrollen ist schier endlos, und es waren fast immer starke Frauen, die sie gespielt hat, auf jeden Fall Frauen, die gegen Konventionen verstoßen und auch mal Tabus brechen. Ein Film, der ihr besonders am Herzen liegt, ist der Kinofilm „Verfolgt“ von Angelina Maccarone, die Geschichte einer sado-masochistischen Beziehung zwischen einer älteren Frau und einem sehr jungen Mann, gespielt von Kostja Ullmann. Der Film, in kunstvollem schwarz-weiß gedreht, erhielt 2006 den Goldenen Leoparden beim Filmfestival in Locarno. 

1993 geschah etwas, dessen Auswirkungen – so kann man sagen – nicht nur für Maren Kroymann bis heute spürbar sind. Die Zeitschrift STERN hatte die Kampagnen „Ich habe abgetrieben“ und „Ich bin schwul“ publiziert – nun sollte „Ich bin lesbisch“ folgen. Maren Kroymann gibt zu, dass sie lange überlegt, sich dann aber entschlossen hat, mitzumachen, weil sie es wichtig fand und solidarisch sein wollte. Leider sagten kurz vorher alle anderen bekannten Frauen ab, und so war sie die einzige Prominente, die noch dabei war. Die Folge war, ich zitiere sie selbst: „Üble Reaktionen, Verrisse, ein Jahr lang kein Angebot zum Spielen.“ 

Maren Kroymann dachte damals, sie bereite den Weg für ihre queeren Kolleginnen und Kollegen – aber als die sahen, wie es ihr nach ihrem Outing erging, taten sie natürlich einen Teufel, ihrem Beispiel zu folgen. Es sollte noch Jahre dauern, bis viele Schauspieler:innen, Moderator:innen, Sportler:innen und andere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sich nicht mehr gezwungen fühlten, ihre Homosexualität zu verstecken. Ganz allmählich hat man den Eindruck, dass es hierzulande kaum eine Rolle mehr spielt, welche sexuellen Präferenzen eine Person hat. Und wenn es irgendwann hoffentlich ganz egal geworden ist, wird unsere Preisträgerin einen nicht unerheblichen Anteil daran haben. 

Sie selbst sagt heute im Rückblick auf diese Zeit, die Erfahrung habe sie gestärkt. Sie habe gelernt, sich unabhängig zu machen und Gegenwind auszuhalten – und das sei das Wichtigste für eine Kabarettistin. Sie geht sogar noch weiter und sagt, als weiße alte Frau wäre sie doch wahrscheinlich längst weg vom Fenster, da sei es nicht von Nachteil, einer diskriminierten Randgruppe anzugehören. „Meine Queerness schützt mich“, so ihre Worte. 

Ob das wirklich stimmt, oder ob es mehr mit ihrem Können, ihrer Vielseitigkeit und ihrer Coolness zu tun hat, dass auch junge Leute sie toll finden, lasse ich jetzt mal dahingestellt. Tatsache ist, dass Maren Kroymann in einem Alter, in dem andere über ihre Zipperlein klagen und höchstens noch Butterfahrten ins Emsland planen, einen Karriereschub erlebt hat, der wirklich außergewöhnlich ist. Seit zehn Jahren wird sie mit Preisen und Auszeichnungen regelrecht überhäuft, seit 2017 ist sie mit dem TV-Format „Kroymann“ wieder regelmäßig auf Sendung, und darüber hinaus dreht sie unaufhörlich Filme. 

Man kann sagen, je älter sie wird, desto erfolgreicher wird sie, und auch darin ist sie ein wunderbares Role Model für uns Frauen, die wir ja dazu neigen, uns ab einem gewissen Alter nicht nur unsichtbar zu fühlen, sondern auch unsichtbar zu machen. Maren Kroymann zeigt uns, dass es auch anders geht. 

An dieser Stelle würde ich gern eine ganz persönliche Beobachtung einflechten. Man sagt uns Frauen ja gerne nach, wir seien „stutenbissig“, konkurrierten untereinander und ließen uns gern mal abfällig über unsere Geschlechtsgenossinen aus. Und wenn wir jetzt mal ehrlich sind, ja, sowas kommt vor, und gar nicht selten. 

Seit ich Maren Kroymann kenne, und ich kenne sie auch persönlich, habe ich noch nie erlebt, dass sie sich hämisch oder herablassend über Kolleginnen geäußert hätte. Es ist, als fühle sie so etwas wie eine Grundsolidarität mit Frauen und insbesondere mit Frauen aus der Film- und Fernsehbranche – weil sie weiß, wie schwer es denen oft gemacht wird, gegen wie viel Ignoranz und Voreingenommenheit sie sich wehren müssen. Auch wenn sie vielleicht persönlich nicht alles gut findet, was eine Kollegin beruflich macht, Maren würde sich immer hinter sie stellen und sie unterstützen. Sie hat es einfach nicht nötig, sich auf Kosten anderer zu profilieren oder ihnen gar schaden zu wollen. Und das ist – ich spreche aus eigener Erfahrung – in dieser Branche alles andere als selbstverständlich. 

Gerade sagte ich, dass auch junge Leute sie toll finden. Und das liegt daran, dass sie nicht versucht, mit Gewalt jung zu bleiben oder jung auszusehen, sondern dass sie selbstbewusst und selbstironisch mit dem Thema Alter umgeht. Ich empfehle Ihnen dringend, sich das Musikvideo „Wir sind die Alten“ anzusehen – es hat inzwischen über eine Million Klicks auf Facebook und zeigt all denen sehr humorvoll den Mittelfinger, die glauben, Jugend sei ein Verdienst und Alter eine Schande. Auch in ihr Bühnenprogramm „In my Sixties“ kommen immer mehr junge Leute, denen die Mischung aus selbstbewusster Weiblichkeit, Haltung, Humor und Professionalität gefällt. 

Außerdem – und auch das ist übrigens nicht selbstverständlich - geht Maren Kroymann als Künstlerin mit der Zeit und ist nicht nur in Fernsehen und Kino präsent, sondern auch auf sozialen Medien, wodurch sie sich neue Publikumsschichten erschließt. Das ist „in unseren Kreisen“ und in unserer Generation ja oft noch verpönt, und viele (mich eingeschlossen) nehmen nur höchst widerwillig zu Kenntnis, dass man ohne diese Medien heute eigentlich nichts mehr verkaufen kann, keine Meinungen, keine Bücher, keine Kunst. Aber das ist ein anderes Thema. 

Maren Kroymann ist auch eine politische Künstlerin, aber nicht nur. Sie ist aber durch und durch eine politische Frau, und als solche zeigt sie Haltung, wenn sie es für notwendig hält. Für sehr notwendig hielt sie es, sich bei der Verleihung des Deutschen Comedy Preises 2021 zum Thema Metoo und dem Umgang der Branche damit zu Wort zu melden. Nachdem sie den Preis für ihr Lebenswerk entgegengenommen hatte, sagte sie unter anderem: „Ich werde jetzt dafür ausgezeichnet, dass ich lustige Geschichten erzähle. Und es gibt Frauen, die eben Geschichten erzählen, die ihre Geschichten sind, die nicht lustig sind. Und sie werden nicht so gerne gehört. (...) Ich würde mir wünschen, dass ihre Geschichte gehört wird. Dass diese Frauen ernst genommen werden. Dass sie respektiert werden. Dass man ihnen glaubt.“ 

Für diese Rede wurde Maren Kroymann von der Jury des Seminars für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen mit dem Preis für die Rede des Jahres ausgezeichnet. Und ich glaube, ich behaupte nicht zu viel, wenn ich sage, dass ihr diese Auszeichnung eine der wertvollsten ist. Sie kann eigentlich nur noch durch eine einzige andere Auszeichnung getoppt werden ;-) 

Liebe Maren, die Jury des Dieter-Hildebrandt-Preises wundert sich in ihrer eigenen Jury-Begründung, warum du den Dieter-Hildebrandt-Preis eigentlich noch nicht hast. Nun bekommst du ihn, und eines steht fest: Dieter Hildebrandt hätte sich darüber unglaublich gefreut! 

Herzlichen Glückwunsch! 

Montag, 24. August 2020

Die Flüsterpreise der Landeshauptstadt München

So kleinlaut habe ich das Kulturreferat nicht mehr erlebt, seit Jürgen Kolbe vor zig Jahren einen Schlaganfall erlitten hatte und alle Welt es geheimhalten wollte… Dabei war der Anlaß heuer grundsätzlich erst einmal ein erfreulicher.
Es war sogar eine der letzten rauschenden Kulturnächte in München, bevor sich Corona wie Mehltau über die Stadt legte. Die Förderpreise der Landeshauptstadt München standen an und zur Vernissage in der Lothringer 13 strömte am 5. März tout Munich oder zumindest der kulturell interessierte Teil davon nach Haidhausen.
Alle zwei Jahre vergibt die Stadt sechs dieser jeweils mit 6.000 Euro dotierten Förderpreise als Auszeichnung einer künstlerisch herausragenden Leistung in den Bereichen Architektur, Design, Fotografie, Schmuck und sogar an zwei Preisträger*innen der Bildenden Kunst. Beurteilt wird dabei von der aus Stadträt*innen und Fachleuten gebildeten Jury das gesamte bisherige Schaffen.
Die Jurysitzungen sollten dann in den Wochen nach der Vernissage in den Ausstellungsräumen stattfinden, die Preisverleihung am 7. Mai. Doch dann schlugen die coronabedingten Ausgangsbeschränkungen Mitte März ein. Die Zeit, als in den Münchner Straßen Polizei und Feuerwehr via Lautsprecherdurchsagen davor warnten, das Haus ohne triftigen Grund zu verlassen. Im Wording des Kulturreferats: „ein kurzfristiger Shut Down“.
Und obwohl Kulturförderung und die Ausübung eines Wahlamtes sicherlich ein ausreichend triftiger Grund gewesen wären, die Lothringer 13 zudem groß genug, um sogar die jeweilige Fachjury mit ausreichend Sicherheitsabstand zu empfangen, und obwohl die Ausstellung selbst umgehend auch in digitaler Form online bereit stand und Jurysitzungen via Videokonferenz denkbar gewesen wären, geschah erst einmal gar nichts.
Außer einer Kommunalwahl, die dazu führte dass die aus dem Stadtrat entsandten Jurymitglieder nicht mehr zur Verfügung standen und der bürokratische Rattenschwanz: Wahl des Stadtrats, Besetzung des Kulturausschusses, Nominierung der Jurymitglieder für den Förderpreis, Wahl der Jurymitglieder von Neuem begann, während die für die Förderpreise Nominierten gerade während einer Pandemie, in der jedes Preisgeld ersehnt gewesen wäre, nicht einmal vertröstet wurden, sondern gar nichts mehr hörten. Stillstand. Schweigen.
Während die Stadt keine Probleme hatte, die Kinoprogramm- und Schwabinger Kunstpreise trotz Covid-19 wie geplant zu verleihen. Um Stadträtin Mona Fuchs von den Grünen zu zitieren: „Gerade Preisgelder sind in der jetzigen Situation ein wichtiges Zubrot.“
Anfang Mai nahm der neue Stadtrat seine Arbeit auf. Aber erst am 17. Juni erbarmte sich die in der Philharmonie im Gasteig tagende Vollversammlung endlich auch der Förderpreise und setzte die Kür der neuen Jury auf die Tagesordnung.
Weitere zwei Monate später wurden denn auch tatsächlich die Förderpreise verliehen. Der Feriensenat des Münchner Stadtrats folgte den Empfehlungen der Jurys und eine kleine Meldung in der „Rathaus-Umschau“ kündete davon. 
Die Nominierten sollen angeblich Nominierte und sogar Preisträger sind währenddessen tagelang nicht etwa vom Kulturreferat benachrichtigt worden, nichts davon erfahren und sondern haben erst auf Eigeninitiative der Webseite der Stadt München entnommen haben oder durch mich erfahren, wer die glücklichen Gewinner*innen sind: Der Designer Leonhard Rothmoser, die Architekten Carsten Jungfer & Norbert Kling/zectorarchitects, die Schmuckdesignerin Carina Shoshtary und die Fotografin Saskia Groneberg. In Bildender Kunst gewannen Sophia Süßmilch (Foto unten) und Maria VMier. Wobei Kulturreferent Anton Biebl (Foto oben) in seinem offiziellen Glückwunschschreiben Süßmilch zum Förderpreis für Architektur gratulierte…
Vielleicht die letzten Förderpreisträger*innen überhaupt. Bisher wurde nur bei den Ausstellungskosten der Förderpreise gespart. (Zum Vergleich: In den städtischen Kunstarkaden erhalten die Ausstellenden beispielsweise ein Budget in Höhe von 1.500 Euro zur Deckung ihrer Kosten.) Ausgerechnet bei den Förderpreisen erhalten aber die teilnehmenden Künstler*innen weder eine Aufwandsentschädigung, noch eine Ausstellungsvergütung. Wir wurden dazu angehalten, Werkzeug selbst mitzubringen und zur Installation/zum Aufbau gab es keine Hilfskräfte vor Ort. Man hat ja Unkosten und Zeitaufwand und es ist ein städtischer Preis in einer städtischen Einrichtung einer der reichsten Städte Deutschlands. Das geht einfach nicht. Man lässt ja auch nicht umsonst mehrere Musiker für ein öffentliches Konzert aufspielen und gibt dann nur einem davon Geld. Fehlende Vergütung ist mitunter ein Grund. warum Künstler so prekär leben, und die Stadt müsste hier eigentlich Vorreiter sein, immerhin einen Mindestlohn für den Aufwand zahlen. Es reicht nicht, dass EINER einen prestigeträchtigen Preis bekommt und alle anderen mit Unkosten dastehen – und die Stadt sich für ihre Großzügigkeit auf die Schultern klopft.“
Inzwischen ist gerüchteweise sogar die Rede davon, nicht mehr nur bei der Ausstellung zu sparen, sondern im Rahmen der pandemiebedingten kommunalen Einsparungen die Förderpreise nicht mehr nur aufzuschieben, sondern abzuschaffen. 
Vielleicht schafft man es aber im Gegenteil auch, die Förderpreise nicht nur zu bewahren, sondern auch in ihrem Profil zu schärfen? Es gibt keine festgelegten Förderkriterien: gewinnt der Nachwuchs, der oder die Bekannteste, der/die kommerzielle oder der künstlerische Designer/Künstler/...? Die Jury ist nicht unabhängig. Die Nominierenden sind gleichzeitig die Jury, zusammen mit einer Auswahl vom Stadträten, die über keinerlei Expertise verfügen, aber deren Mehrheit schließlich entscheidet (gegeben, dass jeder Nominierende sich wohl für seinen Vorschlag aussprechen dürfte). Der Preis wird fürs Lebenswerk bzw. das gesamte Schaffen verliehen – aber das ist ja in der Ausstellung nicht zu sehen, man muss auch keine Mappe oder ähnliches abgeben. Es hängt dann wohl am eigenen Nominierenden/Juror, den anderen Teilnehmern der Jury das Lebenswerk nahe zu bringen oder man muss hoffen, dass die Jury schon mal irgendwo irgendwas von einem gesehen hat.“
Nominiert waren heuer übrigens aus der Bildenden Kunst Felix Burger, Lena Grossmann, Maria VMier, Cordula Schieri, Angela Stiegler und Sophia Süssmilch. Die Fotograf*innen Maria Leonardo Cabrita, Jutta Görlich & Edward Beierle, Saskia Groneberg, Peter Langenhahn, Michael Mönnich, Sigrid Reinichs und Anne Wild. Die Schmuckdesigner*innen Eunmi Chun, Nadine Kuffner, Nicola Scholz, Barbara Schrobenhauser und Carina Shoshtary. Die Architekt*innen Florian Heim & Markus O. Kuntscher, Wolfgang Huß, Martin Kühfuss & Christian Schühle, Julian Chiellino, Felix Reiner & Sophie Reiner, Max Otto Zitzelsberger, Carsten Jungfer & Norbert Kling und Carmen Wolf. Und die Designer*innen Mario Kellhammer, Ana Relvao & Gerhardt Kellermann, Leonhard Rothmoser, Maximilian Schachtner, Conor Trawinski und Barbara Yelin.
Die fünf Teiljurys werden turnusgemäß im Herbst des Vorjahres per Kommissionenbeschluß vom Stadtrat gekürt. Jeweils sechs Fachjuroren auf Vorschlag des Kulturreferats. Dazu jeweils fünf Mitglieder des Stadtrats, die diesen Sommer teilweise ausgetauscht wurden. 2020 waren das in der Bildenden Kunst: Lisa Britzger, Babylonia Constantinides (Preisträgerin 2018), Anita Edenhofer, Christian Landspersky (Preisträger 2014), Konstantin Lannert und Leo Lencses sowie vom alten Stadtrat Kathrin Abele, Beatrix Burkhardt, Sabine Krieger, Marian Offman und Constanze Söllner-Schaar. In der Fotografie: Gürsoy Dogtas, Ulrich Gebert, Elke Jordanow, Nadine Loes, Mara Pollak (Preisträgerin 2018) und ein mir vom Kulturreferat vorenthaltenes Mitglied sowie vom alten Stadtrat Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Marian Offman, Julia Schönfeld-Knorr und Otto Seidl. Im Design: Xugen Dam, Erika Groll, Johannes Gumpp, Ulrike Rehwagen, Tanja Seiner und Antonia Voit sowie vom alten Stadtrat Kristina Frank, Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Otto Seidl und Constanze Söllner-Schaar. In der Architektur: Nicola Borgmann, Gabriela Cianciolo, Natalie Essig, Urs Greutmann, Karl R. Kegler und ein mir vom Kulturreferat vorenthaltenes Mitglied sowie vom alten Stadtrat Kristina Frank, Sabine Krieger, Horst Lischka (vertreten durch Klaus Peter Rupp), Julia Schönfeld-Knor (vertreten durch Constanze Söllner-Schaar) und Walter Zöller. Und im Schmuckdesign: Angela Böck, Unk Kraus, Karen Pontoppidan, Annamaria Leiste (Preisträgerin 2018), Doris Sacher und Gisbert Stach sowie vom alten Stadtrat Horst Lischka, Thomas Niederbühl, Marian Offman, Richard Quaas und Constanze Söllner-Schaar.