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Montag, 6. Oktober 2025

Agora (12): Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Annette Ramelsberger

Alle drei Jahre wird der Publizistikpreis der Landeshauptstadt München verliehen. Heuer wurde die Gerichtsreporterin der „Süddeutschen Zeitung“, Annette Ramelsberger, damit ausgezeichnet. Ihre Dankesrede anläßlich der Preisverleihung im Literaturhaus hat die „SZ“ online gestellt. Hier die Laudatio, die die mehrmalige Bundesjustizministerin und FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt:

Es ist für mich eine große Ehre, zur Verleihung des diesjährigen Münchner Publizistikpreises die Laudatio halten zu dürfen. Und es ist mir eine besondere persönliche Freude, weil ich die diesjährige Preisträgerin Annette Ramelsberger seit langem in ihrer journalistischen Arbeit kennen und schätzen lernen konnte.

Es wird heute mit dem Publizistikpreis nicht nur eine engagierte, erfahrene, fachlich überaus versierte Journalistin ausgezeichnet, die seit bald 40 Jahren ihrem Beruf mit großer Leidenschaft nachgeht und große Wertschätzung im Kollegen- und Verlagskreis und in der Leserschaft der SZ geniesst. Sondern es geht mit ihrer Auszeichnung auch um die Würdigung der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit und die Arbeit der unabhängigen Medien, die Voraussetzung für eine informative Berichterstattung sind.

Und es geht um die Auszeichnung des seriösen, faktenbasierten Journalismus, den Annette Ramelsberger so hervorragend verkörpert. Der auf sorgfältige Recherche und Investigation setzt. Das ist das exakte Gegenteil der allein meinungsgetriebenen Berichterstattung, die sich die Realität so dreht, bis sie in das eigene Vorstellungsbild passt.

Nie war es so wichtig, Presse und Medien in ihrer Bedeutung für die liberale Demokratie zu stärken. Denn noch nie ist ihre Unabhängigkeit weltweit so unter Druck geraten, wird sie inhaltlich von autokratischen Machthabern auch in europäischen Mitgliedstaaten angegriffen und versucht zu zerstören. Aber auch von zivilgesellschaftlichen besonders rechtspopulistischen Parteien und Akteuren wird immer stärker die Arbeit unabhängiger Medien beschimpft und die Journalisten und Journalistinnen verbal und auch körperlich angegriffen. Auch hier in Deutschland.

Der Vorwurf der angeblichen „Lügenpresse" gehört zum Standardrepertoire der AfD. Im Klartext heißt das, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk als Staatsfunk, als System-Medien diffamiert wird und von gekauften Journalisten vom „gleichgeschalteten journalistischen Establishment“ im Fernsehen, Rundfunk und in den Zeitungen die Rede ist – vor allem dann, wenn es um Themen wie Flucht, Terrorismus und Integration geht.

Dabei zeigt sich deutlich die übergeordnete Funktion des Begriffs „Lügenpresse“, denn gemeint ist nicht, dass sich die Presse (die es eigentlich nur im Plural gibt) hin und wieder täuscht, dass eine Zeitung oder Sendung manchmal falsch liegt, was nicht immer vermieden werden kann. Gemeint ist, dass „die da oben“ systematisch mittels der Presse manipulieren und zu ihrem Vorteil „das Volk“ betrügen (sollen). Der Begriff hat ein verführerisches Identifikations-Potential, das sich für die Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern gut eignet: Wir gegen die!

Die Stimmung in Deutschland wird zu bestimmten Themen von den Rändern bewusst aufgeheizt. Die Ausübung des Journalistenberufs ist schwieriger und auch gefährlicher geworden. Journalisten werden nicht mehr als neutrale, objektive Beobachter gesehen, sondern parteiisch auf der Seite der sogenannten Elite, die sich den Staat untertan mache. Medien werden von manchen zum Schlachtfeld gemacht. Hass und Hetze gegen Journalisten in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien sind leider nicht mehr hinweg zu denken. Auf manchen Demos brauchen die Journalisten Schutz von der Polizei. Je nach inhaltlicher politischer medialer Berichterstattung sind Journalisten massiver Kritik ausgesetzt. Das gab es zu Beginn der Arbeit von Annette Ramelsberger in den 80iger Jahren in dieser Dimension noch nicht. 


In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit 2025 von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Deutschland den 11. Platz weltweit, ganz gut, aber ein Rückschritt um einen Rang im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland fällt damit aus den Top Ten der Länder mit der höchsten Pressefreiheit. Gründe dafür sind unter anderem das zunehmend feindliche Arbeitsumfeld für Journalisten, insbesondere durch Angriffe aus dem rechtsextremen Milieu, sowie der anhaltende wirtschaftliche Druck auf Medienhäuser.

In den USA wird aus dem Weißen Haus gezielt gegen Journalisten öffentlich Stimmung gemacht und sie werden an den Pranger gestellt. Das trifft auch deutsche Journalisten im Ausland, wie zum Beispiel vom ZDF (Elmar Theveßen und Dunja Hayali), deren Abberufung von Trump persönlich gefordert wird. Eine ungenierte staatliche politische Einmischung in die Pressearbeit, wie ich sie mir in Deutschland auch heute nicht vorstellen kann. Platz 57 für die USA in der Liste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist auch angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf Zeitungen, Fernsehen und soziale Medien noch zu positiv.

Jede Kritik an der Regierung ist nach diesem Verständnis schon fast als terroristischer Akt zu bewerten. Meinungsfreiheit verstehen die Rechtspopulisten nur für ihre Auffassung und Äußerungen. Kritik, gegenteilige Meinungen und Fakten sind „illegal“.

Vor diesem Hintergrund ist die Pressefreiheit längst nicht mehr selbstverständlich. Sie ist nicht mehr unumstritten. Und Berichterstattung mit Bezug zu aktuellen Themen kann sehr schnell und nicht steuer- und kontrollierbar zu heftigen Reaktionen bis zum Shitstorm verbunden mit Drohungen und persönlichen Beleidigungen führen. Das erleben besonders Frauen.

Und ein so verändertes gesellschaftliches Klima kann auch dazu führen, dass Journalisten eine Schere im Kopf haben und sich überlegen, wie sie zu bestimmten Themen berichten, um mögliche Hetze und Diffamierung zu vermeiden. Diese Selbstkontrolle/Selbstzensur kann sich auch negativ auf die objektive Berichterstattung auswirken.

In dieser gesellschaftlichen Stimmungslage arbeitet unsere Preisträgerin und sie ist sich dessen voll bewußt. Sie befasst sich mit vielen Themen, die zum Schüren von Ängsten instrumentalisiert werden können und auch werden, die Emotionen schüren, zu Hass und Hetze führen und die sehr aktuell sind: Rechtsextremismus, Faschismus, Antifa, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Terrorismus. Und Wackersdorf nicht zu vergessen.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in ihren zeitlichen Veränderungen schlagen sich in ihrer Arbeit auf einmalige Weise nieder. Voller Empathie, immer mit einem besonderen Zugang zu den Personen, mit einem einzigartigen Blick auf Hintergründe, Stimmungen und Zusammenhänge.

Sehr häufig sind Gegenstand ihrer Gerichtsreportagen die Taten von Rechtsextremisten wie beispielsweise des Norwegers Andreas Breivik und der Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Mitglieder des NSU. Das Strafverfahren gegen Franco A, der als Bundeswehrsoldat Terrortaten plante, weil er davon überzeugt war, dass Deutschland von Innen - von Ausländern, Muslimen zersetzt würde. Dafür stand für ihn die Amadeu Antonio Stiftung mit ihrer damaligen Geschäftsführerin Annetta Kahane, die er für sich zum Feindbild erklärte.

Als politische Journalistin und Gerichtsreporterin hat sich Annette Ramelsberger sehr schnell einen herausragenden Ruf erworben.

Sie berichtet nicht im üblichen Stil von Gerichtsverhandlungen, also vom Ablauf, den einzelnen Elementen wie Anklageverlesung, Zeugenvernehmung und Urteilsverkündung, Ihr geht es um die gesellschaftlichen Hintergründe. Sie will nicht die Menschen in den Strafprozessen als ausschließlich Kriminelle sehen und sie so darstellen. Jedes Gerichtsverfahren spiegelt auch ein Schicksal wider, selbst verschuldet oder nicht. Und sie ordnet die den Gerichtsverfahren zugrunde liegenden Verhaltensweisen und Rechtsverstöße ein – gesellschaftspolitisch, sozial, justizpolitisch, ob sie dem Gerechtigkeitsanspruch Rechnung tragen und ob das im Namen des Volkes gesprochene Urteil von diesem auch verstanden werden kann.

Und es geht ihr um die Opfer. Anders als im Krimi, lässt sie nicht verbal das Blut spritzen, beschreibt nicht Waffenkaliber, schildert nicht Gänsehaut verursachende Tötungsvorgänge. Sie will nicht wohliges Gruseln erzeugen, sie will aus der Sichtweise der Opfer aufzeigen, wozu rechtsextremistische, fremdenfeindlich gesinnte Täter in der Lage sind und was das für die Opfer bedeutet. Es mag ein einmaliges schreckliches Ereignis gewesen sein, die Nachwirkungen können lebenslang sein. Wie es auch immer gesellschaftliche Entwicklungen sind, die Hintergrund für Haltungen und Taten sein können. Vor Gericht wird auch die Gesellschaft verhandelt, wie es die Preisträgerin sagt.

Ihre Berichterstattung zeigt sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, unfassbare Taten wie die des Massenmörders Breivik und beeindruckende, ja fast beschämend mutiges Verhalten von Opfern, die nach Todesangst und schwersten Verletzungen im Prozess als Zeugen aussagen.

Andreas Behring Breivik, ein rechtsterroristischer und islamfeindlicher Massenmörder, beging am 22. Juli 2011 Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, davon 69 Teilnehmer eines Zeltlagers der Jugendorganisation der Arbeiterpartei.

Bei der Berichterstattung über solche Taten, die nur unmissverständlich verurteilt werden können und für die es keine Rechtfertigung gibt, haben Journalisten eine besondere Verantwortung – die Information der Öffentlichkeit ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Gut, aber genauso ist darauf zu achten, dem rechtsextremen Breivik nicht die mediale Bühne zu geben, die er so sehr anstrebt. Bis heute aus dem Gefängnis.

Annette Ramelsberger ist das gelungen, in dem sie die Überlebenden zu Wort kommen lässt. Und mit deren Worten die Brutalität und Menschenverachtung dieses Kriminellen mit ausgeprägter rechtsextremistischer Gesinnung darstellt.

Manche Gerichtsverfahren machen auch Jahrzehnte nach der/den Taten neugierig. Mir ging es so, als ich den Bericht von Annette Ramelsberger zu einer der vielen Anklagen gegen den in den 70-/80iger Jahren gefährlichsten Terroristen der Welt Carlos gelesen habe. Seine Mordserien, seine Verachtung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, auch gegenüber den eigenen Mitstreitern wie den RAF-Terroristen Weinrich und gegen die deutsche Freundin, die er dem Kumpel Weinrich ausgespannt hat. Dominant, herrisch, unterdrückend.

Über die Terrortaten konnte man viel lesen, über das Innenleben und den Umgang der Terroristen miteinander eher wenig. Auch das hilft beim Einordnen und erlaubt einen Blick auf die unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen. Ans Herz wachsen sie einem nicht.

Für Ihre Berichterstattung zum NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe hat Annette Ramelsberger 2019 gemeinsam mit ihrem Team den Nannen-Preis erhalten, zudem die Auszeichnung als „Reporterin des Jahres“ (2014), als „Team des Jahres“ 2019 und 2020 die Auszeichnung der Stadt Kassel, den „Kasseler Demokratie-Impuls“. Sie hat akribisch Protokoll der über 400 Verhandlungstage geführt. Denn sonst gäbe es keins. Das Gericht hätte keins erstellt, ein nicht nachvollziehbarer Vorgang und ein Versagen. Hoffentlich gibt es bald die schon lange diskutierte elektronische Aufzeichnung der mündlichen Verhandlungen. Ihr Buch „Der NSU-Prozess. Das Protokoll“ (gemeinsam mit drei KollegInnen) gilt als Standardwerk.

Mal einen ganz anderen Blick hat Annette Ramelsberger auf die Familien der beiden Täter geworfen, es ist erschreckend, in welchem Ausmaß die Eltern der beiden Uwes Ignoranz, Desinteresse, Wegschauen und Verharmlosen an den Tag gelegt haben. In so einem sozialen familiären Umfeld, in dem es keine beruflichen Brüche mit dem Fall der Mauer gab, gibt es so gut wie keine Widerstände gegen die sich rechtsextremistisch radikalisierenden jungen Menschen, keine Gespräche über diese Geisteshaltung und ihre Gefahren. Kein wirkliches Interesse an ihren politischen radikalen Haltungen. Solange der Sohn die Anordnungen der Eltern zum Beispiel zum Rasenmähen gehorsam befolgte, war für die Eltern alles in Ordnung. Ein guter Sohn. So konnten die Mörder noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen ihren Eltern gegenüber entwickeln. Dass die Eltern von Uwe Böhnhardt noch Jahre lang Kontakt zu den Mördern im Untergrund pflegten, grenzt schon fast an Unterstützung von Straftätern. Aber nicht die mögliche Strafbarkeit dieses Verhaltens entsetzt, sondern diese Art von Kumpanei, die Verantwortungslosigkeit, die Offenheit gegenüber den abstossenden rassistischen Einstellungen der Söhne und die Arroganz, das Versagen an einer Verhinderung weiterer Morde allein den Sicherheitsbehörden zu zuschieben. Die haben sich überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert, auch nicht bei den Ermittlungen nach dem Tod der Mörder und der Festnahme der Dritten im Bunde. Aber die Eltern hätten mit einer Anzeige eine frühere Festnahme ermöglichen und wohl einige Morde verhindern können. War es das jahrelange Leben im Unterdrückungsstaat DDR mit einer allgegenwärtigen Staatssicherheit, das sie davon abhielt?

Annette Ramelsberger sagt es so: „Man muss Brigitte Böhnhardt vor Gericht erleben, um zu verstehen. Hier sitzt die Intelligenzija der früheren DDR, aufgewachsen in dem sicheren Gefühl, dass es Neonazis nur im Westen gibt. Und dass ihre Welt geordnet ist. Vor allem das Schulsystem der DDR, das sie geprägt hat. Dann wurde dieses System einfach zerschlagen. Aus diesem Schlag heraus erklärt die Mutter alles, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Es ist das Erklärmuster der Kolonisierten, die alles Übel auf die Sieger schieben.“

Nur Annette Ramelsberger hat den Leserinnen und Lesern diesen Einblick in eine spezifische individuelle ostdeutsche Befindlichkeit gegeben und das treffend formuliert.

Bei ihrer Befassung mit dem Rechtsextremismus, den daraus gespeisten Menschenwürdeverletzungen und seinen Ausdrucksformen zeigt sie auch die Hilflosigkeit mancher Politiker in der Auseinandersetzung mit Neonazis, mit früheren Mitgliedern der NPD, mit deren selbstbewußter Frechheit, gegen die eine klare Ansage helfen kann, aber nicht das Anbiedern nach dem Motto – ich bin ja auch eher rechts der Mitte. Bis heute ist in der Schule und der politischen Bildung die inhaltliche argumentative Befassung mit der völkischen Ideologie vernachlässigt worden.

Annette Ramelsberger hat schon vor mehr als 20 Jahren die Gefahren des Rechtsextremismus für die liberale Demokratie erkannt, benannt und vor allem nicht nur extreme Situationen als Grundlage für ihre Einschätzung gewählt, sondern hat die Präsenz rechtsextremer Zeichen, Tätowierungen, Äußerungen, Graffities, verbale Angriffe im Alltag aufgezeigt und damit auch nachdrücklich die Gefahren.

Auch der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten beruht auf ganz grundsätzlicher Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und nährte sich aus dem Eintreten des Opfers für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geflüchteten.

Leider sprengt es den zeitlichen Rahmen, intensiver auf sehr bemerkenswerte Berichte einzugehen. Aber einen möchte ich noch erwähnen. Ihren ganzseitigen Artikel zu dem Verfahren gegen Hanna S., Mitglied der Antifa und nach Gerichtsurteil des OLG München vor wenigen Tagen Beteiligte an der gezielten Schlägerei gegen einige Neonazis in Budapest bei deren jährlichem Aufmarsch zum „Tag der Ehre“.

Annette Ramelsberger hat ihren Artikel in der SZ vor der Urteilsverkündung gute Gewalt, schlechte Gewalt überschrieben. Wird gegen rechtsextreme Taten nicht so hart geurteilt wie bei linksextremistisch motivierten Taten? Es ist gut, dass sie diese Betrachtung anstellt. Die Richter haben den Bericht möglicherweise gelesen. Bei der Urteilsbegründung sagte der Richter: Es gibt keine gute oder böse Gewalt. Gewalt darf nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Hanna S. wurde am 26. September nicht wie beantragt wegen versuchten Mordes zu 9 Jahren, sondern wegen schwerer Körperverletzung zu 5 Jahren verurteilt.

Annette Ramelsberger zeigt aber auch, wie die Justiz den Gerichtsreporten das Leben schwer macht. Laptop benutzen während der Gerichtsverhandlung? Gar nicht selbstverständlich. Das Tastenklappern störe, musste sich Anette Ramlesberger vom Richter anhören. Dass sie bis zum späten Nachmittag ihren Bericht der Redaktion übermitteln muss und das nicht mit dem Fahrrad zur Redaktion fahren und dem Tippen auf der Schreibmaschine zu erreichen ist, ist vielen in der Justiz nicht bewusst.

Annette Ramelsberger erklärt mit ihrer journalistischen Arbeit auch den Rechtsstaat, seine wichtige, unverzichtbare Voraussetzung für eine liberale Demokratie. Sie wirbt für ihn, in dem sie seine wichtige Funktion erklärt – Recht zu sprechen ohne Ansehen der Person, für Gerechtigkeit einzustehen. Sie wirbt für den Rechtsstaat durch seine Sichtbarmachung anhand konkreter Verfahren, erklärt auch Unzulänglichkeiten wie lange Verfahrensdauer, überfüllte Gerichtssäle und Störungen während der Verhandlungen, und sie zeigt die häufig unterschätzte Kompetenz und Fähigkeit der Richterinnen und Richter.

Nach den Anforderungen an den Preis soll die Ausgezeichnete zu einer positiven Sicht auf die Stadt ihres Wirkens als Medienstadt  beitragen. Da braucht es kein langes Überlegen. Was ist positiver als eine Vertreterin der ansässigen Zeitung auszuzeichnen, die in ganz Deutschland gelesen und geschätzt wird und die den unabhängigen seriösen Journalismus so überzeugend personifiziert.

Bereits 1999 wurde ihr der Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungsverleger verliehen. Im Jahr 2021 wurde ihr der Bayerische Verdienstorden verliehen für Ihre langjährige Expertise als Terrorismus-Expertin und ihren Mut bei der Gerichtsberichterstattung.

Heute bekommt sie den Publizistikpreis der Stadt München, der nur alle drei Jahre verliehen wird und mit 10.000 Euro Preisgeld dotiert ist.

Meine Gesamtbewertung ist ganz eindeutig und wenig überraschend. Annette Ramelsberger ist als vierte mit dem Publizistikpreis ausgezeichnete Frau eine würdige Vertreterin ihrer Profession und in herausragender Weise eine Repräsentantin des anspruchsvollen Journalismus, derso dringend gebraucht wird und sich nicht überholt hat. Wenn er jetzt noch in die sozialen Netzwerke und stärker zu den jungen Menschen gebracht werden könnte, wäre das wunderbar.

Freitag, 18. Juli 2025

Vorhang für Claus Peymann

Am Residenztheater war Claus Peymann vorletztes Jahr noch ein gern gesehener Gast, der mit dem Staatsintendanten Andreas Beck ganz nebenbei Auftritte vereinbarte und zuverlässig die Reihen füllte. Dann las er etwa aus Thomas Bernhards „Meine Preise“ und gab sich gegenüber dem Publikum ganz entspannt: „Sie brauchen ihre Handys nicht auszuschalten, das stört mich nicht. Und telefonieren sie ruhig, wenn Ihnen langweilig ist.“ Aber wen würde ein Claus Peymann schon langweilen? 

Er war eine Legende. Ob als Direktor des Wiener Burgtheaters (1986–1999), Intendant des Berliner Ensembles (1999–2017) oder Protagonist von Thomas Bernhardts „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“. Aber angefangen hatte er als enfant terrible. Ob er nun als Schauspieldirektor in Stuttgart half, Geld für die in Stammheim inhaftierte RAF-Terroristin Gudrun Ensslin zu sammeln. Oder am Bochumer Schauspielhaus reihum Leute feuerte. 

Eigen blieb er auch als viel gefeierter Theater-Papst. Am Berliner Ensemble setzte er sich für den ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar ein, der dort ein Praktikum absolvieren wollte. Und auch sonst hatte er keine Angst vor dem populistischen Volkszorn und den Schlagzeilen des Boulevards. Theatergeschichte hatte er mit seinen Inszenierungen und Intendanzen schon längst geschrieben. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ berichtete, ist Peymann am 16. Juli 2025 im Alter von 88 Jahren nach schwerer, längerer Krankheit in Berlin gestorben.

Eine Version dieses Beitrages erschien in der „tz“ vom 17. Juli 2025.

Sonntag, 21. Oktober 2007

„Man war links und irgendwo Sympathisant“

„Zum einen ein unterhaltsamer Elvis-Abend, zum andern die persönlich-sentimental, kabarettistisch, betriebs- und lokalhistorisch getönte Late-Night-Show eines gut aufgelegten Harald Schmidt.“ Martin Halter in der „F.A.S.“ über „Mit Elvis an Hitlers Krankenbett“, Harald Schmidts schrägen Liederabend zwischen Rock’n’Roll und RAF, Presley und Peymann, den 3sat heute abend um 21 Uhr ausstrahlt.

„Auf der Bühne steht ein Entertainer, der aus allen Lagen Pointen abfeuert, wenn er nicht gerade 'voll in die Emotion geht' oder leise 'Love me tender' summt. Das Schwabenland ist schon eine Wiege des Schreckens, wenn Pfarrerstöchter, Gebetshäuser und Innenminister ins Spiel kommen. Der schrecklichste aller Schrecken aber ist der in Neu-Ulm geborene Schmidt, der aus seiner Moderation eine derartige Dialektik-Performance machen kann, dass der Rest der Republik neidlos anerkennen muss: Mancher Schwabe kann halt doch mehr als nur kein Hochdeutsch.“ Jürgen Berger in der „Süddeutschen Zeitung“

„Vor 30 Jahren stand Stuttgart im Zentrum der deutschen und internationalen Öffentlichkeit. Die RAF-Prozesse in Stammheim, die Entführungen und Ermordungen von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, Jürgen Ponto und Hanns Martin Schleyer markierten ebenso wie der Selbstmord von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan Carl Raspe den Höhepunkt der Gewaltspirale, die die Bundesrepublik erschütterte. Die ganze Republik? Nein! Eine von unbeugsamen Theatermachern bevölkerte Spielstätte hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Und das Leben ist herrlich leicht für dieses Ensemble, das als Band in den befestigten Lagern des Staatstheaters Stuttgart einen Elvis-Liederabend spielt. Harald Schmidt war dabei - als Fan. Harald Schmidt erinnert gemeinsam mit dem Ensemble des Staatstheaters an 'sein Stuttgart' im Jahr 1977, wo man sich gut und gern auch ohne Debatten unterhielt. Das Ensemble, begleitet von einer Band, singt Elvis-Lieder, und Harald Schmidt moderiert den Abend. Das Programm ist Teil der Projektwochen 'Endstation Stammheim', die das Staatstheater Stuttgart im September, Oktober und November zum Thema 'Deutscher Herbst' veranstaltet.“ 3sat-Pressetext

Update! Nur fürs Protokoll: Selten so einen langweiligen, mißlungenen Theaterabend erlebt. Keine Ahnung, was den Kritikern während der Premierenvorstellung präsentiert worden ist, aber die anderthalb Stunden auf 3sat waren zum Einschlafen. Hoffe, daß Schmidt und Pocher Donnerstag alles wieder gut machen.

(Foto: David Graeter/Schauspiel Stuttgart/ZDF)