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Samstag, 26. August 2023

Von der APO zum Opa: Nachruf auf Claus Schreer

Wenn die Münchner Friedensbewegung ein Gesicht hatte, dann seins. Und das über ein halbes Jahrhundert lang. Claus Schreer war schon in den 1960er-Jahren dabei, als bei den Ostermärschen noch tausende Friedensbewegte durch die Stadt zogen. 
Und Münchens hochkarätiges Treffen von Militärvertretern und Verteidigungspolitikern mag im Lauf der Zeit seinen Namen von Wehrkundetagung über Konferenz für Sicherheitspolitik zu Munich Security Conference geändert haben, aber eins blieb über Jahrzehnte gleich: Der Pazifist Claus Schreer organisierte den Protest dagegen und verpasste der Veranstaltung gleich noch einen weiteren Namen: Nato-Kriegstagung. 
Denn leise, abwägend oder gar diplomatisch war der gelernte Grafiker nie. Er konnte nerven, wollte es auch, aber nie aus Geltungsdrang, sondern immer nur, um jene in Schutz zu nehmen, die weniger wehrhaft waren: Die Opfer von Krieg, Faschismus oder Rassismus. Und so stand er bei jedem Wetter auf den Bühnen seiner Protestkundgebungen oder in der ersten Reihe seiner Demos. Meist ein Mikro zur Hand, einen Stapel Flugblätter in den Fingern und eine um Freiheit und Gerechtigkeit ringende Wut in der Stimme, deren Grundton in seiner Zeit als Klosterschüler im Dachauer Hinterland angelegt wurde. 
Im Hintergrund blieb die unermüdliche Arbeit, all die überparteilichen linken Bündnisse zu schmieden. Dabei verstand er selbst sich als Revolutionär und war Kommunist, erst bei der DKP, dann die Linke unterstützend. Stets bereit, für seine Überzeugung festgenommen zu werden oder einen Strafbefehl zu kassieren. 
In der Nacht zum Donnerstag ist Claus Schreer gestorben. Er wurde 85 Jahre alt.

Versionen dieses Textes erschienen in der „tz“ und im „Münchner Merkur“ vom 26./27. August 2023.

Update: Die Trauerfeier findet am 4. Oktober um 12.30 Uhr bei AETAS in der Baldurstraße 39 statt.

Samstag, 12. August 2023

Twitter-Reichweite

Mein bislang erfolgreichster Tweet (X?) heuer kam – mit Ausnahme des Hashtags #noafd – ohne ein einziges Wort von mir aus …



Mittwoch, 2. August 2023

Unter Wilden – Anmerkungen zu den bayerisch-rumänischen Beziehungen und Barbara Stamm

Das Rumänien-Virus – oder im Diktum bayerischer Politikerinnen: der Rumänien-Virus – ist kein Drei-Tage-Fieber. Es scheint sich dabei um eine hartnäckige, ansteckende Krankheit zu handeln, die die CSU-Politikerin Barbara Stamm in ihrer Funktion als Staatssekretärin Anfang der 90er Jahre erwischte und seitdem ihr Leben lang begleitete, ob als Abgeordnete, Ministerin oder Landtagspräsidentin. 

Selbst nach ihrem Tod im Oktober letzten Jahres bleibt das Virus mit dem Namen Barbara Stamm auf weitere Zeiten verknüpft, denn das Bayerische Sozialministerium hat eine neue Auszeichnung geschaffen, die Barbara-Stamm-Medaille, mit der alle zwei Jahre bis zu fünf Empfänger*innen gewürdigt werden, die sich besonders um die Förderung der bayerisch-rumänischen Beziehungen verdient gemacht haben.  

Man könnte natürlich auch von einer Begeisterung, gar Liebe zu Rumänien sprechen, als aber Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) gestern Abend im Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz erstmals die Auszeichnung übergab und Lorand Szüszner, Beate Blaha, Erika Kern und Wolfgang Schramm (von links nach rechts) damit ehrte, war den Festakt über immer nur vom Rumänien-Virus die Rede, der Barbara Stamms Weggefährten, Freunde und Familie angesteckt hätte.

Als ob wir es mit einer Krankheit, einem Infekt, einer Seuche zu tun hätten. Natürlich wurde auch, einmal, erwähnt, wie schön Rumänien sei. Ohne sich in Details zu verlieren. Weit ausufernder wurde dagegen in Anekdoten erzählt, wie sehr man unter dem Virus leide. Opa erzählt vom Krieg? Nein, nicht dieses Mal, die Zeiten, als deutsche Truppen Rumänien besetzt hatten, liegen schon länger zurück. Diesmal sind Politik und Hilfsorganisationen einmarschiert, und verstehen sie mich bitte nicht falsch, sie haben Großartiges geleistet. Aber muss man sein eigenes soziales Engagement überhöhen, indem man die Empfänger klein oder gar schlecht redet, die Zustände pauschal in düstersten Farben ausmalt anstatt auf Augenhöhe zu agieren? 

Wie gefährlich die nächtlichen Fahrten durch Rumänien in Dienstwagen der bayerischen Staatsregierungen gewesen wären, auf unbeleuchteten Straßen, wo jederzeit die Begegnung mit Vieh und Pferdekutschen drohte, höchste Unfallgefahr. Natürlich ist ein Land, in dem nicht nur Pferdefuhrwerke, sondern auch Hühner, Schweine, Kinder und Betrunkene die Straßen bevölkern, eine besondere Herausforderung. Nur finde ich, eine besonders schöne, natürliche, wo Freiheit keinen autogerechten Maßstäben unterliegt.

Noch schlimmer scheinen die Straßen gewesen zu sein, wenn man zu Fuß unterwegs war. Stets war man in Sorge um Barbara Stamms „Schühchen“. Ich habe dagegen in den 90er Jahren überlegt, ob ich nicht die Branche wechseln und ein Schuhgeschäft in Rumänien eröffnen sollte. Denn nirgendwo habe ich so viele Frauen, auch tagsüber, im Alltag, auf hochhackigen Schuhen herumlaufen sehen. Egal, in welchem Zustand der Bürgersteig war.

Besonders wichtig scheint es der bayerischen Entourage gewesen zu sein, in Rumänien stets genug fränkische Bocksbeutel mit sich zu führen. Damit die gute Laune gewährt bleibt. In einem Weinland wie Rumänien?

Die Hotels, so die Klage während des Festaktes in der Residenz, seien sehr teuer und verwanzt gewesen. Und die Festgesellschaft meinte nicht die Wanzen der Securitate, sondern die Parasiten. Nun war ich in den 90ern auch viel in Rumänien unterwegs, in Brașov, București, Cluj, Iași, Sibiu Suceava oder Timișoara, und es stimmt, die Hotels waren teuer … für Touristen und ausländische Geschäftsreisende. Denn es gab immer zwei unterschiedliche Preise, für Rumänen und Ausländer. Hinsichtlich der Wanzen fällt mir dagegen aus jener Zeit eher das Hilton in Chicago während der Bookfair America an. Es kann sie eben überall geben.

Doch schwelgte man beim Festakt nicht nur von den ersten Jahrzehnten nach der Revolution, sondern auch von den aktuellen Zeiten und Nöten, von den „EU-Waisen“, Kindern, die bei ihren „überforderten“ Großmüttern lebten, während die Eltern in anderen EU-Ländern für den Lebensunterhalt sorgten. Doch wenn man schon von EU-Waisen spricht, sollte man auch vielleicht über die EU-Sklaven nachdenken, über die Arbeitsbedingungen vieler Rumän*innen in Deutschland, wie sie ausgebeutet werden, ob als Auslieferer der Subunternehmer von Amazon, Erntehelfer, Pflegekräfte, Busfahrer, Sex Worker oder in der Gastronomie.

Aber das hätte den Festakt mit seiner Idylle zwischen Harfenklängen und Holunderschorle wohl getrübt, wenn man nicht nur über die elendigen Verhältnisse in diesem fernen Land namens Rumänien nachgedacht und gesprochen hätte, sondern auch, wie man in Bayern und dem restlichen Deutschland davon satt profitiert.

Update: Am 23. Oktober 2023 lädt die Hanns-Seidel-Stiftung zu einem Symposium, Festakt und Stehempfang zu Ehren von Barbara Stamm. Neben Podiumsgesprächen zu Barbara Stamms „Engagement für die Schwachen“ und ihren „besonderen Beitrag zur Förderung der bayerisch-rumänischen Beziehungen“ wird es eine Gedenkrede von Markus Söder geben.  

Fotos: Martina Nötel/StMAS (2), Dorin Popa

Sonntag, 16. März 2014

Die Freiheit und BIA im toten Winkel der „Süddeutschen Zeitung“

Die Presse hat ihre Tücken. Einerseits versteht sie sich als unbestechliche vierte Gewalt im Staat, als Hüterin des Schönen, Wahren und Guten. Andererseits sind Medienunternehmen Tendenzbetriebe, die das politische Geschehen durchaus auch aus Eigeninteresse beeinflussen wollen. Einige tragen ihre Gesinnung wie eine Monstranz vor sich, so der Axel Springer Verlag, andere handeln gelegentlich verschwiemelt, wie gerade die „Süddeutsche Zeitung“.
Mitte Januar schrieb deren Online-Redaktion Kandidaten für den Münchner Stadtrat an, um ihnen zwanzig Fragen zu stellen: „Wir wollen den zahlreichen Lesern unserer Seite vor der Stadtratswahl in München ein Gefühl dafür geben, welcher Partei sie inhaltlich nahestehen.“
 Wen sie nicht anschrieben, waren die Kandidaten der rechtsradikalen Die Freiheit und BIA.
Im Fragebogen deuten sie das nur recht indirekt an, indem sie „ein Meinungsbild aus den demokratischen Parteien“ ankündigen. Ohne ausdrücklich zu erwähnen, daß sie nicht alle Parteien befragen. Und bei allen berechtigten Vorbehalten gegenüber den politischen Brandstiftern der BIA: immerhin sitzt die Bürgerinitiative Ausländerstopp im alten Stadtrat, stellt also in Karl Richter ein vom Volk gewähltes Mitglied der kommunalen Selbstverwaltung. Kein Demokrat? Par ordre de mufti?
Am 6. März ging der Wahlthesen-Test dann online. Wieder ohne ausdrücklich auf den blinden rechten Fleck hinzuweisen. Zumindest wurde man etwas konkreter als drei Wochen zuvor gegenüber den Kandidaten: 14 Parteien und Wählergruppen bewerben sich um die 80 Sitze im Rathaus. (...) SZ.de hat jetzt mehr als 350 Kandidaten aller zwölf demokratischen Parteien und Wählergruppen gefragt, was sie über 20 zentrale Thesen zur Münchner Kommunalpolitik denken. 14. Zwölf. Da fehlen doch zwei.
Wieder wurde aber nicht ausdrücklich erwähnt, welche Parteilisten außen vor blieben. Und vor allem: warum?
Online-Chef Stefan Plöchinger erklärte auf Nachfrage: „Wir wollen Parteien, die sich an der Grenze unserer Grundordnung bewegen und von Stimmungsmache leben, keine Bühne bieten und haben das auch beim Wahlthesentest zur Bundestagswahl so gehalten. Wie wir über beide Parteien berichtet haben, sehen Sie an unserer Berichterstattung — wie bei jeder Partei kann sie jeder selbst beurteilen. Wir werden jedenfalls nicht, wie kürzlich eine bayerische Regionalzeitung, Parolen von Parteien am rechten Rand publizieren.“
So fiel im Wahlthesen-Test der „SZ“ zur Bundestagswahl etwa neben NPD und MLPD auch die AfD unter den Tisch – als Nichtdemokraten oder als Splitterpartei? Im Hessen Jochen Paulus hätte die AfD zumindest einen zu befragenden Landtagsabgeordneten gehabt. Bei der Kommunalwahl wenige Monate später war die AfD der „SZ“ jetzt doch gut genug, berücksichtigt zu werden.
Nur welche Bühne böte so ein Wahlomat sogenannten Antidemokraten? Die Thesen waren von der Redaktion vorgegeben. Viel mehr politischen Inhalt enthält der Beitrag nicht.
Die Angst vor einer Querfront mag die Redaktion getrieben haben – wobei Plöchinger Fragen nach dem Entscheidungsprozeß, nach dem Verantwortlichen für den Tabuspruch unbeantwortet ließ. Querfront, das heißt „die BIA gibt sich nach außen scheinbar bürgerlich, ist für bezahlbaren Wohnraum, Kita-Plätze“, schreibt ein Kritiker. Anders formuliert: Womöglich hätten ein paar „SZ“-Abonnenten entdeckt, daß ihre Standpunkte mit denen rechter Randgruppen übereinstimmen. Und wären in Versuchung gekommen, für sie zu stimmen. Nur: ist es Aufgabe von Journalisten, das zu verhindern? Wäre es nicht vernünftiger, diese Gefahr zu bannen, indem man sie konkret anspricht und die Taktik der Rechten mit Argumenten statt Schweigen bekämpft? Und wenn man sich schon fürs Ausschließen entscheidet: Hätte der Leser nicht verdient, darauf ausdrücklich hingewiesen zu werden?
Noch gestern behauptete die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrem Lokalteil: „Wer in seiner Wahlentscheidung noch unschlüssig ist, kann sich hier informieren: Unter sz.de/wahl-thesentest erfahren Sie, wie die Münchner Stadtratskandidaten über zentrale Themen denken.“ DIE Stadtratskandidaten? Das ist, drastisch formuliert, gelogen.
„Die NPD dürfe kein Argument bekommen, sich als Märtyrer zu inszenieren, weil man ihre Existenz verschweige“, hieß es dieser Tage in einem anderem Beitrag und natürlich in völlig anderem Zusammenhang in der „Süddeutschen“.

Sonntag, 20. November 2011

Schubsen und sperren – bei Bildungsdemos sieht die Münchner Polizei rot

Bei allen Vorbehalten, die ich als Linker und displaced person der 2. Generation natürlich gegenüber jeder Staatsgewalt hege, sind wir bisher ein halbes Leben lang leidlich gut miteinander ausgekommen.
Als Demonstrant kam es zu der einen oder anderen Rangelei, als Journalist bin ich dagegen stets vorbildlich respektiert worden. Das unangenehmste Erlebnis war da noch, vom Polizeisprecher Christoph Reichenbach einmal mit Handschlag begrüßt zu werden, was meiner street credibility sicherlich kaum gut tat. Ansonsten: nada.
Selbst in den brenzligsten Situationen während der Sicherheitskonferenz oder eines Sechzger-Spiels hat die Polizei stets Respekt für die Presse gezeigt. Schließlich machen wir beide nur unsere Arbeit. Da kann man auch aufeinander Rücksicht nehmen.
Wie bei jeder Regel gibt es aber auch die berüchtigte Ausnahme, zuletzt am Donnerstag während des Bildungsstreiks. Die ausgesprochen ruhig verlaufene Demonstration war am Odeonsplatz eingetroffen. Ein paar Demonstranten hatten samt iher Banner die öffentlich zugängliche Feldherrnhalle erklommen, die Demonstrationsleitung ihrerseits per Lautsprecher dazu aufgerufen, dieses öffentliche Fiskaleigentum des Freistaats Bayern wieder zu räumen. Die Menge folgte der Aufforderung, Bereitschaftspolizisten mit der Kennung 14/20 und 14/21 rückten auf und drängten den weichenden Schülern und Studenten nach. Ich stand oben in der Feldherrnhalle, wo sich bei Demonstrationen Journalisten und Fotografen dank der erhöhten Position gern ein besseres Bild von den Kundgebungen machen.
Ein Polizeibeamter der 14/21er forderte mich auf, auch den Platz zu räumen, woraufhin ich ihm meinen Presseausweis zeigte und erklärte, ich sei Journalist und würde mir gern noch von oben einen besseren Eindruck verschaffen.
Ohne weitere Vorwarnung stieß mich daraufhin der Polizist von der obersten Kante der Feldherrnhalle die Treppe herunter und sagte gleichzeitig: „Das ist mir wurscht“.
Glücklicherweise bin ich nicht gestürzt, habe mich daher auch nicht verletzt. Alles paletti, könnte man sagen. Aber natürlich bleibt es ein Exzess, wenn ein Polizist in so einer ruhigen Situation unmittelbaren Zwang einsetzt. Und offenbar einen Sturz und damit eine Verletzung billigend in Kauf nimmt.
Schwerer wiegt die Entscheidung des Beamten, Presse mit Demonstranten gleichzusetzen. Man mag jetzt einwerfen, daß heutzutage allen möglichen Leuten der Presseausweis quasi nachgeworfen wird. Das ändert aber nichts an den – gerichtlich untermauerten – Spielregeln, daß eben Journalisten gegenüber der Polizei wie auch generell gegenüber dem Staat besondere Freiheiten genießen. Ein Grundrecht übrigens. Und wo gegenüber der unüberschaubaren Schar von Journalisten ein zusätzlicher Raster nötig ist, gibt es die Möglichkeit von besonderen Akkreditierungsmaßnahmen. Das mag vielleicht bei einem G20-Gipfel oder der Sicherheitskonferenz auch von Nöten sein, aber sicher nicht bei einer gewöhnlichen Schüler- und Studenten-Demo. (Und daß dann auch noch ausgerechnet in der Feldherrnhalle ein Uniformierter die Pressefreiheit mit Füßen tritt respektive mit der Hand wegschiebt, ist natürlich ganz besonders apart.)
Da kann man sich schon fragen, wieso ein Polizeibeamter ausgerechnet bei einer so friedlichen Kundgebung sich zu einem körperlichen Angriff hinreißen läßt. Wird da allein die Anwesenheit hunderter fröhlich demonstrierender Schüler und Studenten als Provokation empfunden? Diese Lackel, die es sich an Gymnasien und Unis gut gehen lassen, während der Herr Polizist hart arbeiten muß!
Oder hat es System? Denn das war nun in meinem Berufsleben bereits das zweite Mal, daß Polizeibeamte meine Arbeit derart behinderten. Das erste Mal war im Dezember 2009, als die Ludwig-Maximilians-Universität mit einer Aussperrung auf die Besetzung des Audimax durch Studenten reagierte. Unter Berufung auf den LMU-Präsidenten Bernd Huber ließ die Polizei damals auch die Presse nicht mehr in die Uni. Eine Entscheidung, die nicht nur vom Deutschen wie Bayerischen Journalisten-Verband verurteilt wurde, sondern für die sich Huber in einem höchstoffiziellen Kotau auch noch entschuldigte. Ein „Mißverständnis“.
Interessanterweise war der Einsatzleiter, der vor zwei Jahren der Presse höchstpersönlich den Zutritt zur Uni versagte, sich dabei ausdrücklich auf Professor Huber berief und jede weitere Diskussion mit den Journalisten rüde ablehnte, auch diesen Donnerstag zwischen Geschwister-Scholl- und Odeonsplatz präsent.

Donnerstag, 17. November 2011

Sonntag, 18. September 2011

Geleakte Exit-Polls in Berlin?

Nachdem es bei den letzten Landtagswahlen recht still um Twitter-Leaks geblieben war (vielleicht aber auch nur, weil keiner danach gesucht hat), kam es heute bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus wieder recht dick.
Bereits um 16.17 Uhr twitterte der Chefredakteur der „WirtschaftsWoche“, Roland Tichy, seine „nicht gaaanz eigene Prognose“: SPD 30%, CDU 22%, Grüne 18%, Linke 10%, Piraten 8%.
Um 16.50 Uhr kursierte dann via Twitter der Google-Cache-Screenshot einer  – zwischenzeitlich wieder offline genommenen – „B.Z.“-Prognose: SPD 30%, CDU 24%, Piraten 8%.
Gemessen an den deutlich später um 18 Uhr veröffentlichten, auf Auswertungen der Wahlnachfrage bis 17.45 Uhr beruhenden offiziellen Prognosen keine schlechten Voraussagen: SPD (ARD: 29,5 - ZDF: 28,5%). CDU (ARD: 23,5 - ZDF: 23%). Grüne (ARD: 18 - ZDF: 18,5%). Linke (ARD - ZDF: 11,5%). FDP (ARD - ZDF: 2%). Piraten (ARD: 8,5 - ZDF: 9%).
Also doch wieder vor Schließung der Wahllokale geleakte Zahlen aus den Exit-Polls der Forschungsgruppe Wahlen und infratest dimap? Nein, weil doch nicht sein kann, was nicht sein darf. Mit Sicherheit kein Prognosenverrat und damit auch kein Fall für die Landeswahlleiterin, denn wie würde Jörg Schönenborn feststellen: Die zwischen 16 und 17 Uhr kursierenden Zahlen würden ja überhaupt nicht mit den bis 18 Uhr errechneten Zahlen übereinstimmen. Und vor 17 Uhr gäbe es sowieso noch überhaupt keine Prognosen. Oder etwa doch?

Mittwoch, 22. Dezember 2010

Heubisch & die Studiengebühren: Er hat ganz schön gebohrt

Das kameralistische Prinzip, um jeden Preis das verbliebene Restbudget zum Jahresende rauszuhauen, scheint der Ego-Shooter der Bürokraten zu sein. Denn nur mit einem aufgebrauchten Etat kann man seinen Rang in der Hackordnung halten oder vielleicht sogar in der nächsten Budgetrunde noch eine Schippe dazu bekommen.
Der Zahnarzt vom Arabellapark setzt aber noch eins drauf und überträgt das unsinnige wie überholte Prinzip auf die Verwendung von  Studiengebühren, um sein Bollwerk zu deren Wahrung zumindest propagandistisch zu stärken. Seit gestern kursiert im Internet sein Schreiben vom 19. November an die Vorsitzenden der Leitungsgremien der staatlichen bayerischen Hochschulen zur zeitnahen Verwendung der Restmittel. Zuerst gesehen habe ich es bei Bildungsprotest Würzburg, inzwischen wurde offenbar eigens dafür sogar BayernLeaks  gegründet. Meine schriftliche Anfrage an die Pressestelle des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Authentizität des – mit auffälligen Fehlern versehenen – Briefes blieb bislang unbeantwortet, aber laut der „Augsburger Allgemeinen“ hat das Ministerium die Authentizität inzwischen bestätigt (Fettungen im Lauftext durch mich):

Studienbeiträge:
zeitnahe Verwendung der Restmittel

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Herren Präsidenten,
sehr geehrter Herr Rektor,

mit meinem Schreiben vom 13. April 2010 habe Sie gebeten, darauf zu achten, dass noch vorhandene größere Restmittel aus eingenommenen Studienbeiträgen früherer Erhebungszeiträume zeitnah bedarfsgerecht verausgabt werden. In meinem Bericht an den Bayerischen Landtag über die Erhebung und Verwendung der Studienbeiträge an den staatlichen Hochschulen in Bayern 2009 habe ich angesichts der zum 31.12.2009 auf 106 Mio. Euro weiter angewachsenen Reste zugesichert, Sie an diesen Appell erneut zu erinnern.

Die Schwierigkeiten im Zusammenhang mit einer zügigen und zweckentsprechenden Verwendung der Studienbeiträge zur Verbesserung der Studienbedingungen sind mir sehr wohl bewusst. Vor allem das komplexe Verfahren unter paritätischer Studierendenbeteiligung muss daher in Rechnung gestellt werden. In meinem Bericht an den Landtag habe ich auf diese Rahmenbedingungen hingewiesen, die einen zeitnahen und vollständigen Mittelabfluss hemmen.

Um die politische Unterstützung für die Erhebung der Studienbeiträge in Bayern nicht zu gefährden, möchte ich aber im nächsten Jahr dennoch nicht von einem weiteren Ansteigen der Restmittel berichten müssen, sondern auf einen Abfluss der angesparten Reste hinweisen können. Der politische Druck gegen eine Beibehaltung der Studienbeiträge hat im Zusammenhang mit der Abschaffung der Studienbeiträge und der vergleichbaren Gebühren in anderen Ländern zugenommen. Außerdem ist es für die Akzeptanz der Studierenden wesentlich, dass die eingenommen Mittel zeitnah eingesetzt werden und die Studierenden als Beitragszahler die Verbesserungen noch als „ihre unmittelbare Beitragsleistung“ wahrnehmen können.

Die bayerische Staatsregierung hat sich eindeutig für eine Beibehaltung der Studienbeiträge und der damit verbundenen Möglichkeiten der Hochschulen zur Verbesserung der Studienbedingungen über die staatliche Grundausstattung hinaus ausgesprochen.

In diesem Sinne wäre Ihnen sehr dankbar, wenn sie für einen zeitnahen Resteabfluss Sorge tragen könnten.

Mit bestem Dank für Ihre Unterstützung und freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang Heubisch

Samstag, 18. September 2010

Focus: Burdas böses Spiel mit der Burka

Diese Woche hat mir die Integrationsdebatte erstmals ein wohlwollendes Lächeln abgenötigt: Denn die Vorstellung, daß Frankreich und Belgien Sandalen, graue Socken und Shorts verböten, weil deutsche Touristen damit die Welt verunstalten, wäre zu schön. Nun kann man mich zurecht fragen, was Touristen überhaupt mit der Integrationsdebatte zu tun haben.
Vielleicht hat Wolfram Weimer eine Antwort darauf, denn diese Woche hat der „Focus“ seine Titelgeschichte zu Sarrazin und Multikulti mit einem Bild des israelischen Fotografen Naftali Hilger aufgemacht. Das Foto illustriert Oswald Metzgers Thesen von einer Bringschuld hier lebender Ausländer für Integration („Das Ende von Multikulti“). Und in der Bildunterschrift schreibt die Redaktion: Unterm Schleier Drei Muslimas bummeln durch die Münchner Fußgängerzone und ziehen Blicke auf sich“.
Der Bildbeschreibung kann man kaum widersprechen. Nur was hat das mit der Integrationsdebatte zu tun? Die Original-Caption der Fotoagentur laif ist da ausführlicher: „Deutschland Muenchen am Stachus (Karlsplatz) Gastronomie Strassencafe Aussengastronomie Passantinnen Frauen verschleiert verschleierte Muslima Cafe Strassenszene Glaube Religion Islam Gesellschaft Sommer Europa 2009; QF; (Bildtechnik sRGB 34.48 MByte vorhanden) Geography / Travel Deutschland Bayern München Bavaria Bayern Deutschland Germany Karlsplatz Menschen Muenchen Munich people Stachus Tourismus Touristen“
Touristen! Was wir sehen, ist „Frau Scheich auf Shoppingtour“ („Süddeutsche Zeitung“), sind reiche Urlauber vom Golf, wie sie jeden Sommer die Münchner Maximilianstraße, Fußgängerzone und auch den Arabellapark unmittelbar vor der Haustür der „Focus“-Redaktion bevölkern und Millionen in die Kassen der Stadt spülen.  Hilger ist sich „nicht 100% sicher, aber sagen wir 90%, dass die Damen aus Dubai kommen.“  Wir sehen eine Burberry-Burka*, eine nicht minder kostspielige Designertasche, ein kostspieliges Seidentuch. Und lesen dazu Metzger gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“, „Zuwanderer“, „Sozialtransfers“ und „Sprachverweigerer im Hartz-IV-Bezug“ wettern. Sieht so Weimers Relevanz aus?
Es ist sicherlich kein Zufall, daß das neu gegründete Debattenressort ein paar „Focus“-Seiten weiter statt Fotos lieber eine gezeichnete Optik einsetzt, denn behaupten kann man viel, aber mit Bildern nachhaltig dokumentieren schon weit weniger.

*Update: Von hinten läßt es sich nicht mit letzter Sicherheit feststellen, aber wahrscheinlich handelt es sich nicht um Burkas, sondern um eine weniger vollständige Verschleierung.

Freitag, 13. August 2010

Chipkarte für Kinder: Mehr Schein als Sein?

Bei der Diskussion um die Einführung einer Chipkarte für die Kinder von Hartz-IV-Beziehern wird derzeit in vielen Medien (heute, „Süddeutsche Zeitung“, update: „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“) die Familienkarte der Stadt Stuttgart hochgejubelt.
Natürlich ist es generös, allen Familien mit einem Jahreseinkommen unter 60.000 Euro (!) per Chipkarte ein Guthaben von 60 Euro pro Kind (früher 90 Euro) zu schenken, das in Schwimmbädern, Sportvereinen, Musikschulen, dem Zoo und Planetarium eingesetzt werden kann.
Andererseits: was sind schon 60 Euro? Und wäre es nicht gerechter und vom Verwaltungsaufwand auch viel effizienter, die Subvention für Besserverdienende mit Monatsgehältern von 3.000, 4.000 Euro bei so einem Projekt einzusparen und stattdessen einfach allen Hartz-IV-Empfängern, Aufstockern und Niedrigverdienern beispielsweise grundsätzlich freien Eintritt zu gewähren – wie es etwa bei Schwerbehinderten auch möglich ist?
Nur ein paar Kostenbeispiele: Eine Alleinerziehende, die mit ihrem Kind den Tierpark Wilhelmina besucht, muß dafür 18 Euro bezahlen. Mit der Familienkarte darf sie sich so ein Vergnügen also genau fünfmal jährlich erlauben. Ein Nachmittag im Schwimmbad käme die beiden auf 5,70 Euro – das sind also für Mutter und Kind zehn Besuche im Jahr. Und die vielzitierten Waldheime und Musikschulen gewähren Karteninhabern zwar zusätzlich noch einen Rabatt von zwanzig Prozent. Ein Jahr Musikunterricht inklusive Anmeldegebühr käme damit aber immer noch auf mindestens 110 Euro und ein 1-wöchiger Aufenthalt im Waldheim auf 51,20 Euro.Und bei alldem heißt es für die Hartz-IV-Familie auswählen: Beispielsweise entweder Waldheim oder Schwimmbad, denn beides läßt sich von der Chipkarte nicht finanzieren.
Angesichts solcher Rechenbeispiele liegt es nahe, daß die Familienkarte, die bei mehr als drei Kindern gänzlich auf eine Vermögensgrenze verzichtet, weniger Kinder und Eltern in armen Verhältnissen fördern soll, denn ein Zuckerl für Familien im Allgemeinen sein soll und sich vor allem an den Mittelstand richtet. Was auch schön ist, aber die Bedürfnisse der Ärmsten in Deutschland letztendlich ignoriert.

Freitag, 2. April 2010

K1 reloaded – Wetten, daß keiner blank zieht?

Die Mission: Eine Ikone der 68er, Thomas Hesterbergs Nacktfoto der Kommune 1, nachzustellen. Der Ort: Das Studio 9 der Bavaria in Geiselgasteig, wo für das ZDF gestern abend Thomas Gottschalks Geburtstagsrevue „My Sixties“ inszeniert wurde. Das Problem: Genügend Leute zu finden, die unbezahlt blank ziehen. Denn es mangelt den Castingshow-geprüften Produzenten von Tresor TV sicherlich nicht an genügend Komparsen in der Kartei, die für ein paar Euro nackte Tatsachen sprechen ließen. Aber manchmal geschehen kleine Wunder, und das Produktionsteam wollte tatsächlich auf Überzeugungstäter setzen, die um der Sache willen posieren und nicht wegen der Gage:
„Thomas Gottschalk sucht für seine Zeitreise 'My Swinging Sixties' - Samstag, 3. April 2010, 20.15 Uhr, im ZDF - 'nackte Tatsachen': Einer der legendärsten 'Schnappschüsse' der wilden 60er ist zur Ikone dieser Zeit geworden. Sieben Männer und Frauen ziehen blank und zeigen der biederen Welt: Spießigkeit war gestern, es lebe die Freiheit und der Nonkonformismus!
Was die Kommune 1 damals konnte, sollte im Jahr 2010 schon lange drin sein: Für eine ganz besondere Neuauflage des bekannten Fotos im Rahmen seiner Show 'My Swinging Sixties' sucht Thomas Gottschalk jetzt unerschrockene Fotomodelle in Rückansicht, die die Aufnahme im Studio nachstellen.
Die wilden 60er sind Party und gute Laune, aber sie haben mit ihren revolutionären Errungenschaften auch das gesellschaftliche Denken nachhaltig geprägt. Wer den überzeugenden - und vor allem unbekleideten - Beweis antreten möchte, dass der Geist von damals auch heute noch lebendig ist, kann sich ab sofort melden.“

Nun ist es keineswegs so, daß ich alles tun würde, um Samstag abend in der prime time von Thomas Gottschalk im ZDF interviewt zu werden, aber als ich den unter anderem von der „Abendzeitung“ veröffentlichten Aufruf las, dachte ich nicht lange nach und sagte sofort zu.
Ob es nun an den Osterferien, dem angeblich prüden Bayern oder einer unzureichenden Kommunikationsarbeit lag, jedenfalls fanden sich nur etwa drei Exhibitionisten, die wie ich bereit gewesen wären, vor laufender Kamera das legendäre Bild nachzustellen – wahlweise mit oder ohne hautfarbenem Tanga. (Selbst der „Spiegel“ hat das Original seinerzeit nur retuschiert veröffentlicht. Von wegen Swinging!)
Zwar lautete die Ansage ursprünglich, man würde in der Sendung auf jeden Fall über die K1 und unsere Gründe, das Bild nachzustellen, sprechen, und je nach Anzahl der Freiwilligen im Studio entscheiden, ob man das Shooting dann tatsächlich noch einmal mit einem Sechziger-Jahre-Fotografen wiederhole. Aber welcher Fernsehsender will schon in einer Samstagabendshow sein Scheitern thematisieren? Also wurde der Programmteil kurzfristig durch einen Auftritt der schlechtesten Beatles-Cover-Band ever ersetzt.
So blieb es Helmut Berger vorbehalten, etwas Anarchie und Widerspenstigkeit in die ansonsten recht glatt gebügelte Retroshow zu schmuggeln, genug, um die Regie wild mit „Verabschieden!“-Schildern wedeln zu lassen, die Thomas Gottschalk aber souverän ignorierte. Mal sehen, was von Bergers lyrischem Weltschmerz morgen abend in der zurechtgestutzten Sendung noch übrig bleibt.

Updates: Sie haben nur herausgeschnitten, wie Berger und Gottschalk zum Schluß zu „Honky Tonk Woman“ tanzen. Hier Helmut Bergers Auftritt auszugsweise als Video in der ZDF-Mediathek, und etwas ausführlicher auf YouTube. Michael Graeter über Bergers München-Aufenthalt.


(Fotos: ZDF/Astrid Schmidhuber)

Donnerstag, 18. März 2010

CDU, Twitter und das Strafrecht: Von der Vortäuschung einer Vortäuschung

Unbekannte Hacker, intrigante Parteifreunde aus der Jungen Union oder gar die NPD? Als während der sächsischen Landtagswahl am 30.August 2009 anderthalb Stunden vor Schließung der Wahllokale eine ziemlich präzise Prognose vom Account des CDU-Politikers Patrick Rudolph getwittert wurde, waren zwei Dinge klar: Laut Rudolph, daß er diese Zahlen nicht veröffentlicht habe, sondern Dritte sich seines Kontos bemächtigt hätten („Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat“), ja noch schlimmer sogar: „sein Account sei von Unbekannten gehackt worden“. Und für mich, daß die umgehend eingeleitete Untersuchung des mutmaßlichen Prognosenverrats im Nichts versanden verlaufen würde.
Und tatsächlich hat die Landeswahlleiterin, Prof. Dr. Irene Schneider-Böttcher, nunmehr ein halbes Jahr später das Verfahren eingestellt, da kein direkter Zusammenhang zwischen den Nachwahlbefragungen am Tag der Wahl des 5. Sächsischen Landtages einerseits und den Twitter-Meldungen vor Ablauf der Wahlzeit andererseits nachgewiesen werden“ konnte. Wie schon im vergleichbaren Ausplaudern erster Hochrechnungen durch bild.de während der hessischen Landtagswahl waren auch dieses Mal die beiden Meinungsforschungsinstitute Forschungsgruppe Wahlen und infratest dimap Kronzeugen und damit Herren des Verfahrens.
Interessanter ist aber, daß keine Rede mehr von finsteren Mächten war, sondern die Landeswahlleiterin mir gestern recht einsilbig Patrick Rudolph als Urheber der Prognosen bestätigte.
Demnach hätte der Radebeuler Stadtrat und Vorsitzende der örtlichen CDU letztes Jahr nur vorgetäuscht, daß Dritte mutmaßlich durch eine Straftat – etwa durch das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB) – vorgetäuscht hätten, daß er eine Ordnungswidrigkeit durch Veröffentlichung der Wahlnachfragen – § 31 (2) SächsWahlG – begangen hätte. Mal sehen, was die Exit-Polls-Nomenklatur bei der kommenden Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen an Merkwürdigkeiten zu bieten hat.

Montag, 8. März 2010

BILD halluziniert von nackigen Protesten

Mal ganz im Vertrauen, träumen nicht viele von uns gelegentlich von einem Playmate? Die Kunst besteht eben darin, zu wissen, wann man phantasiert, und nicht wie die Kollegen von der „BILD“ München so eine Halluzination auch noch ins Blatt zu hieven.
„So sexy kann protestieren sein! Bei frostigen Temperaturen und nur mit zarten Dessous bekleidet, räkelte sich Playmate Doreen Seidel am Samstag in der Münchner Fußgängerzone auf einem kuscheligen Bett! Eine Aktion, die für Aufsehen sorgte“, dichtet das Lügenblatt heute auf Seite 6 seiner Münchner Ausgabe.
Zu dumm, daß diese Anti-Pelz-Aktion von Peta am Samstag (Ihr erinnert Euch, es schneite wie wild!) kurzfristig um 9.29 Uhr abgesagt wurde, da Peta-Aktivistin Tanja Wiemann, „als auch das für diese Aktion benötigte Bett auf einer gesperrten Autobahn feststecken“, es war die A8, um genau zu sein. Haben die Kollegen vom Isartorplatz nun die Story mit einem Archivbild aus dem „Playboy“ illustriert, weil sie vom Peta-Auftritt grundsätzlich nichts ausreichend nackiges erwartet haben oder weil, warum nur, kein Bild von dem Ereignis aufzutreiben war?

Samstag, 20. Februar 2010

Bayerischer Journalisten-Verband kritisiert LMU

Im „BJV-report“ 1/2010 äußert sich jetzt anderthalb Monate nach dem Deutschen Journalisten-Verband auch der Bayerische Journalisten-Verband Mitte Februar (der aber meine Mail von Ende Dezember bis heute unbeantwortet ließ): „Ein reiner Verfahrensfehler“, zitiert Alois Knoller in seinem Artikel die LMU-Pressesprecherin Luise Dirscherl, die sich am 2. Februar mit LMU-Kanzler Christoph Mülke und BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel zusammensetzte, um die Aussperrung der Medien zu diskutieren.
Denn „der BJV hatte sich 'mit großer Verwunderung' über die von Münchner Kollegen berichtete Behinderung der freien Berichterstattung ans LMU-Pressereferat gewandt und um Aufklärung der Vorgänge gebeten.“  
 „Möglicherweise“ hätten Wachleute nicht nur Besetzern und Sympathisanten, sondern auch Journalisten den Zugang zur LMU verweigert. In einer vergleichbaren Situation, so Mülke, würde man heute anders entscheiden.
Wie nun? War es ein Irrtum der Wachleute? Dann müßte die Universitätsleitung auch nicht anders entscheiden. Oder war die Behinderung der Presse von der LMU gewollt? Dann läge kein Verfahrensfehler vor.
So oder so: Kein Wort dazu, daß nicht nur die Wachleute zuständig waren, sondern ein massives Aufgebot an Einsatzkräften der Polizei nach Rücksprache mit der LMU Journalisten den Zutritt zur Universität verweigerten.

Update vom 24. Januar 2020
Über zehn Jahre später scheint die LMU nichts dazugelernt zu haben. Bei einer #unibrennt-Veranstaltung sind wieder Studenten ein- und Journalisten ausgesperrt worden. „Unartige Kinder einzusperren, gehört zu den Methoden der Schwarzen Pädagogik von Erwachsenen. Damit jüngere Menschen zur Räson zu bringen wirkt 2020 - jedenfalls hierzulande - wie ein inadäquates Mittel aus vordemokratischen Zeiten. Und wie schon früher: Gebracht hat es auch am Mittwochabend in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nicht viel“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“.

Montag, 18. Januar 2010

Wehret den Kochtöpfen statt Minaretten: Münchens Kampf der Kulturen

Aufstelltafeln, Drehdisplays, Plakathalter, Warenstellagen, als Fahrradständer getarnte Werbeflächen, von den Sitzplätzen, Heizpilzen und Schirmen der Lokale auf ihren Außenflächen ganz zu schweigen, oft genug hatte ich Mühe, mir meinen Weg durch die Leopold- oder Türkenstraße zu bannen, weshalb ich durchaus Verständnis dafür habe, wenn die Stadt diesem Wildwuchs ein Ende bereiten will und die Nutzung der Bürgersteige strengeren Regeln unterwirft.
Die Protokolle der Bezirksausschüsse bestätigen dabei meinen persönlichen Eindruck: Ganz weit vorne beim rücksichtslosen Besetzen der Fußgängerwege sind neben den Gaststätten Münchens Optiker und Handyläden. Um so überraschter war ich, als am 12. November bei der Bürgerversammlung der Stadtteile Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt der Bezirksausschußvorsitzende Alexander Miklosy, immerhin ein Vertreter der Rosa Liste und Mitgründer des Alternativradios Lora, während seiner „Informationen über aktuelle Themen aus dem Stadtbezirk“ zu einer Suada über die Warenpräsentation im öffentlichen Raum ausholte und ihm dabei eben nicht Drehdisplays und Werbeträger der Brillen- und Handyboutiquen oder gar die Warenkörbe von Schlecker, Rossmann & Co als Negativexempel einfielen, sondern „Kochtöpfe, Dessous, Koffer und Reifen vor den Läden der Landwehr-, Goethe- und Schillerstraße seinen Zorn erregten. „Ich mag ja auch Basare“, führt Miklosy weiter aus, und wer hat dieses entschuldigende „Ich mag ja auch“ nicht schon öfters gehört, wenn Biedermänner zu ihren brandstiftenden Stammtischtiraden gegen Andersdenkende und -ausschauende ausholen. Absurder Höhepunkt von Miklosys Verteidigungsrede auf die neuen – zwischenzeitlich wieder ausgesetzten – Sondernutzungsrichtlinien war ein Foto des Hotel Goethe mit der türkischen Flagge im O, das für ihn die drohende, ja wohl schon hereingebrochene Islamisierung Münchens zu verkörpern scheint.
Wobei er den Bildausschnitt geschickt – wie oben dargestellt – auswählte, denn die Hotelfront schmücken Fahnen aller Herren Länder. „Was würde Goethe darüber denken“, schimpfte er mit bebender Stimme, als ob die Schlacht auf dem Amselfeld erneut bevorstünde.
Ja, was hätte Goethe wohl gesagt? Vielleicht: „Wer sich selbst und andere kennt wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.“ („Faust“-Handschrift von 1826 – mehr zu Goethe und seinem Verhältnis zum Islam)

Mittwoch, 30. Dezember 2009

DJV: „Uni München – Journalisten unerwünscht“

„Schlechte Karten hatten Journalisten über die Weihnachtsfeiertage bei der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Wer die Studenten interviewen, filmen oder fotografieren wollte, die seit dem 11. November das Audimax besetzt hielten, stand vor verschlossenen Türen und vor privaten Wachschützern, die außer Uni-Mitarbeitern niemanden hinein ließen. Dass sich Journalisten mit Hilfe des Presseausweises legitimieren können, hat die Uni-Leitung dem Wachdienst nicht mitgeteilt, räumte LMU-Sprecherin Luise Dirscherl gegenüber dem DJV ein.
Wenig pressefreundlich ging es zwischen den Jahren weiter. Fotos vom leeren Audimax nach der Räumung am 28. Dezember untersagte die Pressesprecherin. Solche Bilder seien unangemessen.
Der DJV meint: Diese Entscheidung können Bildjournalisten am besten selber treffen.“
„DJV-news 136“

Updates: Es liegt nicht allein am Wachdienst. Am Freitag abend hat die Einsatzleitung der Polizei ausdrücklich den vor Ort Verantwortlichen der Universitätsleitung gefragt, ob Journalisten, die sich wie ich mit Presseausweis legitimiert haben, ins Haus dürften, um sich ein Bild von der Situation zu machen. Die Universitätsleitung hat daraufhin explizit entschieden, daß sie auch gegenüber der Presse von ihrem Hausrecht Gebrauch macht und wir die LMU nicht betreten dürften.

Im „BJV-report“ 1/2010 äußert sich jetzt auch der bayerische Journalisten-Verband Mitte Februar (der aber meine Mail von Ende Dezember bis heute unbeantwortet ließ): „Ein reiner Verfahrensfehler“, zitiert Alois Knoller in seinem Artikel die LMU-Pressesprecherin Luise Dirscherl, die sich am 2. Februar mit LMU-Kanzler Christoph Mülke und BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel zusammensetzte, um die Aussperrung der Medien zu diskutieren. „Möglicherweise“ hätten Wachleute nicht nur Besetzern und Sympathisanten, sondern auch Journalisten den Zugang zur LMU verweigert. In einer vergleichbaren Situation, so Mülke, würde man in einer vergleichbaren Situation anders entscheiden.
Wie nun? War es ein Irrtum der Wachleute? Dann müßte die Universitätsleitung auch nicht anders entscheiden. Oder war die Behinderung der Presse von der LMU gewollt? Dann läge kein Verfahrensfehler vor.
So oder so: Kein Wort dazu, daß nicht nur die Wachleute aktiv waren, sondern Einsatzkräfte der Polizei nach Rücksprache mit der LMU Journalisten den Zutritt zur Universität verweigerten.

Update vom 24. Januar 2020
Über zehn Jahre später scheint die LMU nichts dazugelernt zu haben. Bei einer #unibrennt-Veranstaltung sind wieder Studenten ein- und Journalisten ausgesperrt worden. „Unartige Kinder einzusperren, gehört zu den Methoden der Schwarzen Pädagogik von Erwachsenen. Damit jüngere Menschen zur Räson zu bringen wirkt 2020 - jedenfalls hierzulande - wie ein inadäquates Mittel aus vordemokratischen Zeiten. Und wie schon früher: Gebracht hat es auch am Mittwochabend in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nicht viel“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“.

Montag, 28. Dezember 2009

Endet die Freiheit der Presse in der Universität?

Wer die Vorgänge der letzten drei Tage an der Ludwig-Maximilians-Universität in den Münchner Medien nachlesen will, wird sich durch zahlreiche Anführungszeichen und Konjunktive kämpfen müssen, denn bei allem Nachrichtenwert (Audimax besetzt, Polizeieinsatz auf dem Universitätsgelände, Sperrung von Fluchtwegen trotz etwa 60 im Gebäude Anwesender) gab es nur eine Quelle: die Besetzer, und somit nur Beiträge vom Hörensagen, ohne die Möglichkeit, die Fakten zu überprüfen.
Denn mit der Aussperrung von Studenten und Sympathisanten ohne vorherige Ankündigung am ersten Weihnachtsfeiertag hat Prof. Dr. Bernd Huber, Präsident der Universität, auch sämtliche Journalisten des Hauses verwiesen. Mit der Begründung, die Uni sei „geschlossen“ durfte die Presse vom 25. Dezember bis heute nicht mehr aufs Universitätsgelände. Auf Rückfrage durch die Einsatzleitung der Polizei am Freitag abend bekräftigte die Universitätsleitung, daß sie auch gegenüber den Journalisten von ihrem Hausrecht Gebrauch macht.
Auf gut deutsch: Hausverbot für die Medien an einer deutschen Uni, wodurch – ausgerechnet in der Ära des FDP-Ministers Heubisch – der Begriff Exzellenzuni eine neue Bedeutung erhält: die akademische Freiheit schlägt nun im Verfassungsrang die Pressefreiheit, selbst wenn dies wie letzten Freitag mit Polizeigewalt durchgesetzt werden muß. Die Besetzung des Audimax mag heute morgen beendet worden sein, aber über den Platzverweis für die Presse während der letzten drei Tage wird noch zu reden sein.

Updates: „Neutrale Berichterstatter wurden von der Uni allerdings trotz mehrfacher Nachfrage nicht ins Gebäude gelassen.“ ddp

Tatsächlich, selbst nach der Räumung bleibt die Presse weiter ausgesperrt und durfte sich beispielsweise heute nicht selbst ein Bild von den Zuständen im Hauptgebäude machen. Wie ein Securitas-Mitarbeiter heute zu mir meinte, wäre es so sicherer.

Gegenüber dem von mir eingeschalteten Deutschen Journalisten-Verband erklärte die Pressesprecherin der Universität, Luise Dirscherl, es seien zwar während der Weihnachtsfeiertage Journalisten vom Wachdienst abgewiesen worden. Sie selbst sei jedoch über Handy erreichbar gewesen und habe in mehreren Fällen dafür gesorgt, dass Journalisten die Uni betreten konnten, beispielsweise ein Mitarbeiter der „Süddeutschen Zeitung“. Am gestrigen Montag habe sie entschieden, dass nach der Räumung keine Foto- und Filmaufnahmen vom leeren Audimax gemacht werden durften. Sie habe solche Bilder für „unangemessen“ befunden. Der DJV hält dieses Fotoverbot für fragwürdig und wird in den morgigen „DJV-news“ darüber berichten.



Inzwischen hat sich auch der Bayerische Journalisten-Verband „mit großer Verwunderung“ über die Behinderung der freien Berichterstattung an die Universitätsleitung gewandt und mit den Verantwortlichen getroffen.

Freitag, 25. Dezember 2009

LMU: Geschlossener Vollzug zu Weihnachten






















Die stade Zeit des ersten Weihnachtstages nutzt die Ludwig-Maximilians-Universität, um der Besetzung des Audimax allmählich ein Ende zu bereiten. Seit heute sind die Eingänge zur Amalienstraße abgesperrt und der Haupteingang am Geschwister-Scholl-Platz vergittert. Besetzer, die Heiligabend bei ihrer Familie verbracht haben, dürfen ebensowenig wieder rein wie Sympathisanten oder die Presse. Die wenigen, die die Nacht vom 24. auf den 25. Dezember im LMU-Hauptgebäude verbracht haben, sind teilweise in ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb des Gebäudes eingeschränkt. Die Sicherheitskräfte im Gebäude sollen verstärkt worden sein, wobei man außen nicht viel davon bemerkt: zwei am Geschwister-Scholl-Platz geparkte Autos privater Sicherheitsunternehmen und sanft erhöhte Präsenz von Fußstreifen und umherkreisender Polizeiautos. Zu einer ersten Solidaritätskundgebung versammelten sich zwei Dutzend Münchner vor dem verschlossenen Haupteingang und kommunizierten via Kassiber, Walkie-Talkie, Handy und Internet mit den im Hauptgebäude Verbliebenen. Es wurden sogar große weiße Blätter mit Kurznachrichten hochgehalten, um die etwa zehn Meter breite Demarkationslinie zu überbrücken. Angeblich soll dann Montag die Räumung erfolgen.

Updates:
Kerstin Mattys über das „Fort Knox ohne Armee“.
„Abendzeitung“ zitiert den Verdacht, die Besetzer sollten „ausgehungert“ werden.
Die „Süddeutsche“ über die „Räumung auf Raten“.
Aktuelle Bilderstrecke der „Süddeutschen.“

Nachdem offenbar im Laufe des Nachmittags sich etwa 20 Sympathisanten Zutritt in die LMU verschafft und andere auf der Ludwigstraße spontan demonstriert hatten, kam es zu einem Polizeieinsatz. Die Polizei lieferte auch schwere Eisenketten, mit denen sämtliche Gittertüren am Geschwister-Scholl-Platz, immerhin ausgewiesene Fluchtwege, abgesperrt wurden.

Verordnung über die Verhütung von Bränden (VVB)
§ 22
(1) Zu- und Ausgänge, Durchfahrten, Durchgänge, Treppenräume und Verkehrswege, die bei einem Brand als Rettungswege und als Angriffswege für die Feuerwehr dienen können, sind freizuhalten.
(2) Türen im Zug von Rettungswegen aus Räumen, die dem Aufenthalt einer größeren Anzahl von Menschen dienen, dürfen, solange die Räume benutzt werden, in Fluchtrichtung nicht versperrt sein.

Die Vertreter der Unileitung vor Ort erklärten gegenüber der Polizei, daß der Dialog mit den Besetzern endgültig für abgebrochen erklärt wird, und auch der Presse kein Zugang ins Gebäude gewährt werden dürfe, da die Uni „geschlossen“ sei.







Stellungnahme der Münchner Branddirektion heute abend zur Sperrung der LMU-Eingänge:

„Generell ist es untersagt ausgewiesene Rettungswege zu versperren, wenn sich Personen in dem dazugehörigen Sicherheitsbereich befinden.

Allerdings ist bei einer Personenzahl von 40-60 laut der bayerischen Bauordnung ausreichend, wenn es mindestens zwei voneinander unabhängige Fluchtwege gibt.

In diesem Fall müßte also geprüft werden wie viele Fluchtwege noch zur Verfügung stehen, ob deren Länge nicht überschritten wird und ob sie klar gekennzeichnet sind.

Die Aussage, daß sie im Brandfall oder sonstigen Notfall geöffnet werden könnten ist völlig irrelevant, diese Türen sind in jedem Fall als verschlossen zu betrachten und gelten in keinem Fall als Rettungsweg!“


Update vom 24. Januar 2020

Über zehn Jahre später scheint die LMU nichts dazugelernt zu haben. Bei einer #unibrennt-Veranstaltung sind wieder Studenten ein- und Journalisten ausgesperrt worden. „Unartige Kinder einzusperren, gehört zu den Methoden der Schwarzen Pädagogik von Erwachsenen. Damit jüngere Menschen zur Räson zu bringen wirkt 2020 - jedenfalls hierzulande - wie ein inadäquates Mittel aus vordemokratischen Zeiten. Und wie schon früher: Gebracht hat es auch am Mittwochabend in der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) nicht viel“, berichtet die „Süddeutsche Zeitung“.