Mittwoch, 2. August 2023

Unter Wilden – Anmerkungen zu den bayerisch-rumänischen Beziehungen und Barbara Stamm

Das Rumänien-Virus – oder im Diktum bayerischer Politikerinnen: der Rumänien-Virus – ist kein Drei-Tage-Fieber. Es scheint sich dabei um eine hartnäckige, ansteckende Krankheit zu handeln, die die CSU-Politikerin Barbara Stamm in ihrer Funktion als Staatssekretärin Anfang der 90er Jahre erwischte und seitdem ihr Leben lang begleitete, ob als Abgeordnete, Ministerin oder Landtagspräsidentin. 

Selbst nach ihrem Tod im Oktober letzten Jahres bleibt das Virus mit dem Namen Barbara Stamm auf weitere Zeiten verknüpft, denn das Bayerische Sozialministerium hat eine neue Auszeichnung geschaffen, die Barbara-Stamm-Medaille, mit der alle zwei Jahre bis zu fünf Empfänger*innen gewürdigt werden, die sich besonders um die Förderung der bayerisch-rumänischen Beziehungen verdient gemacht haben.  

Man könnte natürlich auch von einer Begeisterung, gar Liebe zu Rumänien sprechen, als aber Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) gestern Abend im Max-Joseph-Saal der Münchner Residenz erstmals die Auszeichnung übergab und Lorand Szüszner, Beate Blaha, Erika Kern und Wolfgang Schramm (von links nach rechts) damit ehrte, war den Festakt über immer nur vom Rumänien-Virus die Rede, der Barbara Stamms Weggefährten, Freunde und Familie angesteckt hätte.

Als ob wir es mit einer Krankheit, einem Infekt, einer Seuche zu tun hätten. Natürlich wurde auch, einmal, erwähnt, wie schön Rumänien sei. Ohne sich in Details zu verlieren. Weit ausufernder wurde dagegen in Anekdoten erzählt, wie sehr man unter dem Virus leide. Opa erzählt vom Krieg? Nein, nicht dieses Mal, die Zeiten, als deutsche Truppen Rumänien besetzt hatten, liegen schon länger zurück. Diesmal sind Politik und Hilfsorganisationen einmarschiert, und verstehen sie mich bitte nicht falsch, sie haben Großartiges geleistet. Aber muss man sein eigenes soziales Engagement überhöhen, indem man die Empfänger klein oder gar schlecht redet, die Zustände pauschal in düstersten Farben ausmalt anstatt auf Augenhöhe zu agieren? 

Wie gefährlich die nächtlichen Fahrten durch Rumänien in Dienstwagen der bayerischen Staatsregierungen gewesen wären, auf unbeleuchteten Straßen, wo jederzeit die Begegnung mit Vieh und Pferdekutschen drohte, höchste Unfallgefahr. Natürlich ist ein Land, in dem nicht nur Pferdefuhrwerke, sondern auch Hühner, Schweine, Kinder und Betrunkene die Straßen bevölkern, eine besondere Herausforderung. Nur finde ich, eine besonders schöne, natürliche, wo Freiheit keinen autogerechten Maßstäben unterliegt.

Noch schlimmer scheinen die Straßen gewesen zu sein, wenn man zu Fuß unterwegs war. Stets war man in Sorge um Barbara Stamms „Schühchen“. Ich habe dagegen in den 90er Jahren überlegt, ob ich nicht die Branche wechseln und ein Schuhgeschäft in Rumänien eröffnen sollte. Denn nirgendwo habe ich so viele Frauen, auch tagsüber, im Alltag, auf hochhackigen Schuhen herumlaufen sehen. Egal, in welchem Zustand der Bürgersteig war.

Besonders wichtig scheint es der bayerischen Entourage gewesen zu sein, in Rumänien stets genug fränkische Bocksbeutel mit sich zu führen. Damit die gute Laune gewährt bleibt. In einem Weinland wie Rumänien?

Die Hotels, so die Klage während des Festaktes in der Residenz, seien sehr teuer und verwanzt gewesen. Und die Festgesellschaft meinte nicht die Wanzen der Securitate, sondern die Parasiten. Nun war ich in den 90ern auch viel in Rumänien unterwegs, in Brașov, București, Cluj, Iași, Sibiu Suceava oder Timișoara, und es stimmt, die Hotels waren teuer … für Touristen und ausländische Geschäftsreisende. Denn es gab immer zwei unterschiedliche Preise, für Rumänen und Ausländer. Hinsichtlich der Wanzen fällt mir dagegen aus jener Zeit eher das Hilton in Chicago während der Bookfair America an. Es kann sie eben überall geben.

Doch schwelgte man beim Festakt nicht nur von den ersten Jahrzehnten nach der Revolution, sondern auch von den aktuellen Zeiten und Nöten, von den „EU-Waisen“, Kindern, die bei ihren „überforderten“ Großmüttern lebten, während die Eltern in anderen EU-Ländern für den Lebensunterhalt sorgten. Doch wenn man schon von EU-Waisen spricht, sollte man auch vielleicht über die EU-Sklaven nachdenken, über die Arbeitsbedingungen vieler Rumän*innen in Deutschland, wie sie ausgebeutet werden, ob als Auslieferer der Subunternehmer von Amazon, Erntehelfer, Pflegekräfte, Busfahrer, Sex Worker oder in der Gastronomie.

Aber das hätte den Festakt mit seiner Idylle zwischen Harfenklängen und Holunderschorle wohl getrübt, wenn man nicht nur über die elendigen Verhältnisse in diesem fernen Land namens Rumänien nachgedacht und gesprochen hätte, sondern auch, wie man in Bayern und dem restlichen Deutschland davon satt profitiert.

Update: Am 23. Oktober 2023 lädt die Hanns-Seidel-Stiftung zu einem Symposium, Festakt und Stehempfang zu Ehren von Barbara Stamm. Neben Podiumsgesprächen zu Barbara Stamms „Engagement für die Schwachen“ und ihren „besonderen Beitrag zur Förderung der bayerisch-rumänischen Beziehungen“ wird es eine Gedenkrede von Markus Söder geben.  

Fotos: Martina Nötel/StMAS (2), Dorin Popa

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