Der alte Reiz ist schon seit Jahrzehnten weg. Aber manchmal tut es immer noch ein bisschen weh. Etwa wenn neben Lehmkuhl in der Leopoldstraße 43 ein Bärliner Döner-Grill seine nächste Filiale plant.
In den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren war das tatsächlich noch ein Boulevard, im Grunde ein nur wenige Häuserecken umfassendes Revier, in dem man zu Fuß unterwegs sein konnte und doch alle wichtigen Menschen dieser Stadt traf. Bernd Eichinger, Ingeborg Schober, Charles Schuhmann, Iris Gras, Eckhart Schmidt, Maxim Biller, Sabrina „Sexkoffer“ Diehl, Georg Seitz … Ob Presse, Film oder Gastro – hier trafen sich alle, die in München weltberühmt waren. Und um die Ecke zog die „Vogue“-Redaktion in der Ainmillerstraße die Fotograf*innen und Models aus aller Welt an, die wir Münchner*innen aus dem Café heraus im Vorübergehen begafften.
Meine Generation fläzte in den 1980er-Jahren im Venezia (Leopoldstraße 31), in dessen Hinterhaus Bernd Eichinger wohnte. Die Altvorderen des Neuen Deutschen Films hatten noch ein paar Häuser weiter Ende der 1960er-Jahre im Europa-Espresso (Leopoldstraße 19) den Sturm auf Opas Kino geplant. Und zwischen diesen beiden Generationen war das Eiscafé Capri der Famile del Favero in den 1970er-Jahren das Hauptquartier von Wolf Wondratschek, Nastassja Kinski & Co.
Das Capri schloss 1979, also vor meiner Schwabinger Zeit. Aber wenn ich mich nicht täusche, lag es eben in der Leopoldstraße 43, wo erst ein Pizza-Schnellrestaurant (Spezialität: Pizzaburger) die Lokalität übernahm und später dann das Shere Punjab. Ich habe beide aus Solidarität mit dem alten, mir unbekannten Capri nie betreten.
Das Capri gibt es also schon lange nicht mehr. Aber es ist Legende. Wolfgang Fiereks Drehtagebuch zu Klaus Lemkes „Arabische Nächte“ fängt natürlich mit einem „1. Tag, 12.00 Abfahrt Capri?“ an. In Mirco Hecktors „Mjunik Disco“ ist dem Capri eine Doppelseite gewidmet. Wolf Wondratschek, dessen Gedichte Titel wie „Bei del Favero“ oder „Café Capri“ tragen, pries das Kult-Café als „Ort unserer schläfrigen Ekstase“ und zitierte Klaus Lemke, der prophezeit hätte, sie würden alle sehr berühmt werden, wenn sie sich nur im Capri die Disziplin auferlegten, „einfach weiter nichts zu tun als hier herumzustehen“.Die schönste Anekdote stammt aber von meinem alten Kumpel Marc-Oliver Dreher, der als Großstadtkind schon in frühen Jahren mit 12, 13 oder 14 Jahren Stammgast im Capri war: „Dort hing neben den üblichen Verdächtigen, wie Klaus Lemke, Martin Müller, Peter Przygoda, Mischa Lampert samt Partnerin Silvia Melzer, Paul Lyss, Rainer Werner Fassbinder (sofern er nicht in der Eiche oder mal wieder in Berlin war), Lothar Elias Stickelbrucks, Uschi Obermeier und vielen vielen anderen, deren Namen mir - zumindest momentan entfallen sind - eben auch Hanno Schilf rum. Mit einem Schäferhund. Der ihm - wie ich damals dachte - immer entlief, da ich ihn ständig irgendwo alleine in Schwabing rumtraben sah. Ich also immer den Hund geschnappt, ihn (mächtig stolz) ins Capri geschleppt und für diese Rettungsaktionen Eis bis zum Abwinken bekommen. Wie mir Hanno viele Jahre später erzählte, war der Hund allerdings immer alleine unterwegs und hat auch so alleine zurück gefunden. Aber da alle es so spaßig nett fanden, daß ich den Hund immer wieder auf´s neue anschleppte, brachte es niemand übers Herz mir die Wahrheit zu sagen.“
(Oberstes Foto: Lars Mentrup)






