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Donnerstag, 9. Mai 2024

Leni und die alten weißen Männer

Open Scene am Donnerstag – so heißt ein offenes Format des Münchner Filmmuseums, das für aktuelle Veranstaltungen reserviert ist, die in der Regel recht kurzfristig, etwa acht Tage vorher festgelegt werden. Heute vor drei Wochen, am 18. April, wollte „das Kino der Stadt“ (so die Eigenwerbung) Leni Riefenstahls Nuba-Reportagen feiern, ihre zwischen 1962 und 1977 im Sudan entstandenen Film- und Fotoaufnahmen eines entlegen lebenden indigenen Volks.

Die Veranstaltung wurde kurzfristig abgesagt. Und diese Absage und nicht etwa die verwunderliche Terminierung, Ausgestaltung und Bewerbung der Veranstaltung sorgt längst für Verschwörungsgeraune. „Stadt verbietet Filmvorführung“ fabulierte die „Abendzeitung“ am 19. April auf ihrer Titelseite. Ein paar Tage später trifft sich das gehobene Münchner Bürgertum am 30. April im Auktionshaus Neumeister zum Podiumsgespräch „Verdrängen, deponieren, ausstellen, verkaufen? Zum Umgang mit Kunst aus der Zeit des Nationalsozialismus“. In ihren Begrüßungsworten beklagt Gastgeberin Katrin Stoll, dass „klug inszenierte politische Proteste“ zur Absage der Filmvorführung geführt hätten. Die Polarisierung mache ihr Sorgen, denn: „audiatur et altera pars“, man müsse auch die andere Seite hören. 

Eben die tatsächliche andere Seite, die in der Vorstellung des städtischen Filmmuseums offenbar ursprünglich nie gehört werden sollte, die Koalition der betroffenen BlPoC-Community (Black and People of Color), traf sich inzwischen vorletzte Woche mit dem Zweiten Bürgermeister, Dominik Krause.

Höchste Zeit vielleicht, mal einige Fakten und Merkwürdigkeiten in ihrer Chronologie zusammenzufassen. Aber vorab einige Zwischenbemerkungen. Vor zwei Jahren bekam ich im Rahmen einer Haushaltsauflösung in der Nachbarschaft von Leni Riefenstahls letzter Bleibe ein Konvolut mit Memorabilia in die Hände. Riefenstahl-Bücher mit Widmungen an ihre Nachbarn, Ansichtskarten aus Kenia („Das Wetter ist nicht besonders, aber das Schwimmen in den Wellen macht trotzdem Spaß“ – als wären wir in einer Filmszene aus „Schtonk!“) und den Malediven, eine handschriftliche Notiz ihres Ehemanns Horst Kettner, in der er die Nachbarn in Pöcking von ihrem Tod unterrichtete („nach einem erfolgreichen und erfüllten Leben entschlief …“). Das löste viele Fragen aus: Vernichten? In den Giftschrank damit? Oder verkaufen und die ewiggestrigen Fanboys der Riefenstahl bedienen, damit ihre Flamme der Verehrung weiter lodert?

Als „schwieriges Erbe“ bezeichnet auch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) die Film- und Fotografiebestände, Briefe und Dokumente, die in ihrem Besitz sind, seitdem der vollständige Nachlass Riefenstahls an sie ging. Die ehemalige Sekretärin Leni Riefenstahls und Alleinerbin Gisela Jahn entschied sich für die Stiftung. „Erst sollte alles zur Deutschen Kinemathek gehen“, erzählte Fernsehproduzent Holger Roost-Macias der „Abendzeitung“. „Das wollte Frau Jahn aber nicht, weil der ehemalige Leiter, Rainer Rother, ein ,böses Buch' über Leni Riefenstahl geschrieben hatte.“

Also organisierte der willfährige Roost-Macias die Übergabe des Nachlasses an einen scheinbar politisch genehmeren, weniger bösen Empfänger. Und erhielt selbst mit seiner LaTresor Kreativ-Handelsgesellschaft mbH von Gisela Jahn die kommerziellen Verwertungsrechte für den Nachlass.

Die Deutsche Kinemathek kam dennoch an das Vermächtnis, weil die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sie beteiligte. Und als einer der ersten hat Regisseur Andres Veiel („Beuys“, „Black Box BRD“, „Wer, wenn nicht wir?“) den 700 Kisten umfassenden Nachlass auswerten können. Auf den nächste Woche beginnenden Filmfestspielen in Cannes wird Veiel seinen Dokumentarfilm „Riefenstahl“ im Rahmen des Filmmarktes vorstellen: 

„Seit mehr als zwei Jahren beschäftige ich mit dem Nachlass von Riefenstahl. Als ich mit den Recherchen begann, legte ich den Fokus auf unbekannte Dokumente wie Tagebücher, Notizzettel, private Fotos und Filme. Sie machten auf Anhieb neugierig, ermöglichten neue Einsichten jenseits der bekannten Erzählungen. Und doch blieb immer ein Misstrauen: Hat sie bestimmte Materialien gezielt hinterlassen? Rechnete sie damit, dass jemand aus den Dokumenten des Nachlasses einen Film machen würde? Verbaue ich mir mit meiner Skepsis einen unvoreingenommenen Blick? Aber wie kann ich mich einer Protagonistin offen annähern, die sich zeitlebens hinter einem Gestrüpp von Legenden, Halbwahrheiten und Lügen verschanzt hat? 

Je tiefer ich in diese Widersprüche eintauchte, desto klarer wurde mir, dass ich das Material nicht für sich sprechen lassen kann. Anders als in meinen früheren Filmen würde es die Stimme eines Autors brauchen, der das Material einordnet und in Beziehung zu dem setzt, was nicht im Nachlass erhalten ist. In welchen Momenten glaube ich ihr? Welche anderen Materialien aus weiteren Recherchen müssen hinzugezogen werden? Wofür stehen ihre Legenden, wofür braucht sie sie, wofür benutzt sie sie? Und wo weisen sie über sich hinaus? 

Nach dem Krieg steht sie mit der Leugnung jeglicher Mitverantwortung für die NS- Verbrechen stellvertretend für viele im Land. Briefe, mitgeschnittene Telefonanrufe und Notizen von ihr erzählen davon, wie sie ab Mitte der 1970er Jahre eine Projektionsfigur für eine bis dahin schweigende Minderheit wurde, die genug von dem ,Schulddiktat' hatte und forderte, dass nun endlich ein Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit gezogen werden müsste. 

Angesichts solcher Schlüsselszenen von Leugnung und Verdrängung lässt sich ein finales moralisches Urteil über Riefenstahl leicht fällen. Aber die Notwendigkeit, sich mit ihr zu beschäftigen, ist damit nicht erledigt. Zu gegenwärtig sind ihre Bildwelten, in dem mit dem ,Grauen' kokettierenden Pop ebenso wie in der Ikonografie der Neuen Rechten. Und dann in den letzten Monaten auch in den neuen Inszenierungen imperialer Größe, in Moskau, in China und anderswo. 

Heute wie damals geht es in diesen Bildwelten darum zu siegen – über den Zweifel, die Ambivalenz, die vermeintliche Schwäche, das nicht Nicht-Perfekte. Ein Film über Riefenstahl hat für mich damit eine unerwartete Dringlichkeit erfahren.“ 

Und Veiels Produzentin Sandra Maischberger unterstreicht laut dem Branchendienst „Spot“: „Leni Riefenstahls hundertjährige Lebens- und Wirkungsgeschichte ist ein Schlüssel zum Verständnis der Mechanismen von Manipulation, wie sie uns gerade wieder begegnen. Das macht die Reise in die Tiefen ihres Nachlasses nicht nur zu einer wichtigen kulturgeschichtlichen Aufgabe. Ihr Werk zu dechiffrieren heißt, die Ursünde der Filmpropaganda offen zu legen, um sie im Heute wiedererkennen zu können.“

Roost-Macias hat nun seine kommerziellen Verwertungsrechte zu nutzen gewusst. In einer Pop-up-Galerie im Münchner Hofgarten präsentierte er im April eine Verkaufsausstellung mit Leni Riefenstahls Nuba-Bildern. Und zeitlich passend wollte er parallel im Filmmuseum auch seinen Dokumentarfilm „Sehnsucht nach Unschuld“ vorführen, der sich mit Riefenstahls unvollendeten Nuba-Film aus dem Jahr 1963 beschäftigt. (Ein Filmtitel übrigens, der das rassistische Bild des „unschuldigen Wilden“ aufzugreifen scheint.)

Nicht nur eine zeitliche Koinzidenz. In der Pressemitteilung des Filmmuseums („Rathaus-Umschau“ 73/2024 vom 15. April) wird im Rahmen des Veranstaltungshinweises auf den Abend im Filmmuseum zugleich deutlich für die private Verkaufsausstellung geworben: „Eine Fotoausstellung mit ausgewählten Bildern der Nuba von Leni Riefenstahl ist von 10. bis 30. April in der Galeriestraße 6a am Hofgarten in München zu sehen.“ Der Hinweis auf „Ausstellungen oder Buchpublikationen oder andere Veranstaltungen, die in Zusammenhang mit der Filmvorführung stehen“, sei laut dem Filmmuseum „üblich und dient der Transparenz, was den Anlass zur Veranstaltung gegeben hat. Zum Zeitpunkt der Pressemitteilung war dem Filmmuseum nicht bekannt, dass es sich um eine Verkaufsausstellung handelt.“

Roost-Macias' 89-minütiger Dokumentarfilm „Sehnsucht nach Unschuld“ sollte in der Open Scene vom 18. April im Filmmuseum um 19 Uhr gezeigt werden. Danach war eine Podiumsdiskussion terminiert, die laut Roost-Macias bis nach 23 Uhr dauern würde. Nun gibt Riefenstahl sicherlich viel Stoff her, um zweieinhalb Stunden zu streiten. Aber wer saß da auf dem Podium? Schließlich ging es laut der Webseite des Filmmuseums um den „Umgang mit Filmmaterial als zeithistorische Dokumente“, um „die Ästhetik von Leni Riefenstahls Inszenierung der Wirklichkeit“ und ausdrücklich auch um „den kolonialen Blick auf fremde Kulturen“.

Auf der Webseite des Filmmuseums waren bis zuletzt Regisseur Holger Roost-Macias (Jahrgang 1960), der Leiter des Filmmuseums Stefan Drößler (Jahrgang 1961) und der Filmhistoriker Martin Loiperdinger (Jahrgang 1952) angekündigt. Loiperdinger hat 1985 über Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ promoviert.

Keine Frau. Und kein Vertreter der BlPoC-Community, obwohl der „koloniale Blick auf fremde Kulturen“ Gesprächsthema sein sollte und viele Leni Riefenstahls Nuba-Bilder als rassistisch, sexistisch und kolonialistisch empfinden.

Der Aufstand ließ nicht lange auf sich warten, kam aber dennoch spät, weil die betroffenen Münchner Communities überhaupt erst aus einem Vorbericht der „Abendzeitung“ am 10. April von der geplanten Veranstaltung erfuhren. Am 12. April gab es eine gemeinsame Pressemitteilung vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern, dem Migrationsbeirat München, dem Netzwerk der Münchner Migrantenorganisationen MORGEN e.V. und weiteren Vertreter*innen der Schwarzen Community. 

„Diese Bilder verkörpern ein rassistisches, sexistisches und kolonialistisches Weltbild, das von den Nationalsozialisten, wie zu erwarten war, geprägt wurde, und erinnern an die schwer zu ertragenden Völkerschauen, die in Deutschland stattgefunden haben. Dies darf nicht reproduziert werden“, kritisierte man in einer Pressemitteilung primär die Verkaufsausstellung im Hofgarten und rief zu einer Protestkundgebung am 13. April auf.

„Die Repräsentation der Nuba aus dem Sudan (noch dazu durch eine geplante Filmvorführung im Filmmuseum) durch diese voyeuristischen und sexualisierten Darstellungsweisen der dem Nationalsozialismus zugewandten Fotografin und Filmemacherin Leni Riefenstahl zementieren kolonialrassistische Vorstellungen, um so bedenklicher ist die Kommerzialisierung dieser Bilder. Diese Art der NS-Ästhetik geht auf Kosten der Würde von Menschen afrikanischer Herkunft“, so Modupe Laja von der Black Community in München und vom Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern.

„Diese Form kulturalisierender rassistischer Reproduktion erinnert an vergangene Menschenzoos, sogenannte Völkerschauen, die in Deutschland stattgefunden haben“, sagt Fadumo Korn von der Black Community in München und fährt fort: „Im kolonialen Kontext war es leider gang und gäbe, dass Afrikaner*innen und schwarze Menschen als “exotische und minderwertige Wilde” abgebildet und beschrieben wurden. Noch heute werden weiterhin, aus Kolonialnostalgie, Schwarze Menschen sexualisiert und exotisiert – wie es eben auch in dieser Ausstellung der Fall ist.“ 

 „In einer Zeit, in der wir einen erstarkten Rassismus, Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in unserer Gesellschaft bekämpfen müssen, ist es die Pflicht von uns allen, jeder Reproduktion dieser Gesinnung ein Stopschild zu zeigen und einen Beitrag dafür zu leisten, dass solche Phänomene keinen Nährboden bekommen“, so Hamado Dipama vom Vorstand des Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern. 

„Wir appellieren an dieser Stelle für mehr Zivilcourage, damit Rassismus in unserer weltoffenen Stadt München nicht geduldet wird, denn es gefährdet das friedliche Miteinander und die Demokratie“, so Dimitrina Lang, Vorsitzende des Migrationsbeirat der Stadt München.

Dem Protestaufruf folgten keine 100 Menschen vor den Räumen der Pop-up-Galerie im Hofgarten (zeitgleich gab es in München eine große Pro-Choice-Demo). Roost-Macias (erstes Bild ganz oben) stellte sich der Kundgebung. Und auch wiederum nicht. Denn auf kritische Redebeiträge reagierte er mit der Frage nach der Rasse: Ob die betroffene Person denn selbst Nuba sei? Als ob man im Sinne der Nürnberger Gesetze sich erst rassisch das Recht auf Kritik verdienen müsste.

Während der Veranstaltungshinweis auf der Webseite des Filmmuseums unverändert blieb, enthielt die „Rathaus-Umschau“ vom 15. April eine bemerkenswerte Korrektur: Statt dem Chef des Filmmuseums Drößler sollte nun plötzlich Ray Müller (Jahrgang 1948) an der Podiumsdiskussion teilnehmen, Regisseur der Riefenstahl-Dokumentation „Die Macht der Bilder“. Laut dem Filmmuseum handelt es sich dabei um einen Fehler. Drößler sei weiterhin als Moderator der Diskussionsrunde vorgesehen gewesen, Müller immer schon angefragt, aber nicht bestätigt.

Doch zu der Veranstaltung kam es nicht mehr. Am 17. April reagierte das Filmmuseum auf die Proteste und sagte die für den folgenden Tag geplante Veranstaltung ab: Das Stadtmuseum München samt des dazugehörigen Filmmuseums hätten „großes Interesse daran, ein Forum für die ganze Stadtgesellschaft zu sein und aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen und Debatten Raum zu geben.“ Aus diesem Grund lud es nun doch noch die BlPoC-Akteur*innen ein, „um sich in einem persönlichen Gespräch über mögliche Präsentationen und Kontextualisierungen auszutauschen“

„Als Kulturinstitution der Landeshauptstadt München ist dem Münchner Stadtmuseum und dem dazugehörigen Filmmuseum München eine antirassistische und diskriminierungskritische Repräsentationspolitik wichtig.“ Umso „bedauerlicher“ sei es, „dass es uns im Vorfeld des Screenings nicht gelungen ist, Perspektiven der Black Community von Anfang an einzubeziehen“.

Auf meine wiederholte Nachfrage hin schrieb mir das Filmmuseum Ende April, dass „ein persönliches Gespräch zwischen der Leitung des Filmmuseums, des Münchner Stadtmuseums und Vertreter*innen der am Protest beteiligten Gruppen in Planung“ sei. „Dies bedarf einiger Vorbereitungs- und Abstimmungszeit.“ Oder wie eine Beteiligte auf der Gegenseite mir gegenüber meinte: „Die Reaktionszeit der Presse ist da schneller als Prozesse in der Verwaltung.“ 

Für eine Beschleunigung sorgt da vielleicht, dass die Aktivist*innen auf den Zweiten Bürgermeister der Landeshauptstadt, Dominik Krause, zugegangen sind und sich mit ihm getroffen haben. Krause habe laut seinem Büro daraufhin „ein Gespräch zwischen Aktivist*innen und Filmmuseum/ Stadtmuseum unter Federführung der Kulturreferats angeregt“.

Mal sehen, was dabei herauskommt. Das von mir erwähnte Riefenstahl-Konvolut aus ihrer Pöckinger Nachbarschaft enthielt übrigens noch eine Überraschung: ein Führerbild.

Donnerstag, 4. März 2021

Fundsachen (41): Ion Popa

Eines von vielleicht drei oder vier bei Radio Freies Europa entstandenen Bildern meines Vaters. Er mied Kameras, weil er davon ausging, dass die Fotos prompt an die Securitate weiter geleitet wurden.
Mein Vater (3. von links) mit Mitarbeiter*innen von Radio Freies Europa in München (Octavian Vuia 3. von rechts).

Korrekt geschrieben hieß die Tageszeitung „Progresul“.

Mein Vater mit meiner Mutter Florica Popa, seiner zweiten Ehefrau.


Mein Vater mit der unvermeidlichen Zigarette in der Hand.

August 1941 vor dem Goethe-Haus in Weimar.


1950 in Paris.

Vorne mein Vater, hinten Werbung für Leni Riefenstahl.



Freitag, 24. Mai 2013

Fundsachen (15): Mariana Drăgescu

Wie bei Leni Riefenstahl und Beate Uhse so auch bei meiner Tante Mariana Drăgescu: daß die bösen Frauen, die so gut mit den Nazis konnten (Verdienstorden vom Deutschen Adler), so alt werden... (Nachrufe Agerpress, Stirile Pro TV, Adevarul sowie ein ausführlicheres Porträt von Daniel Focșa)

Freitag, 29. Oktober 2010

Bryan Ferrys nette, unkomplizierte Schwärmerei für Nazis

So langsam mache ich mir Sorgen um Alexander Gorkow. Seine männlich-pubertäre Schumann's-Phase, als er beim Saufen nur in Ruhe gelassen werden und mit jedem Störenfried vor die Tür gehen wollte oder zumindest so tat, war ja noch putzig. Seitdem er aber im SZ-Hochhaus direkt neben der Chefredaktion sitzt, scheint ihn entweder die Midlife Crisis erwischt zu haben oder er regrediert in die vorpubertäre Phase eines bedingungslosen Fans. Nichts gegen seine einfühlsamen Porträts älterer Herren wie Klaus Lemke, Phil Collins oder – in der gestrigen „Süddeutschen Zeitung“ – Bryan Ferry. Aber es fällt schon auf, wie er dabei alles Negative ausblendet.
„Im Interview schwärmte er damals, wie leicht das Leben sogar für ihn sein könne, hach ja, und erzählte vom Landleben in Surrey und seinen fünf Hunden. Nett, dieser plötzlich unkomplizierte Bryan Ferry“
, so Gorkow über das Jahr 2007, als Ferry in Gorkows Augen wohl nur einen Fehler begang: Bob Dylan zu covern.
Dabei schwärmte der Dandy im März 2007 nicht nur fürs englische Landleben, sondern in einem berüchtigten Interview mit der „Welt am Sonntag“:
Ferry: Ich möchte auf ein Leben zurückblicken, in dem ich Dinge vollbracht habe. Deshalb nenne ich mein Studio in Westlondon auch ... aber halt, das darf ich Ihnen als Deutscher gar nicht erzählen.
WamS: Etwa "Führerbunker"?
Ferry: Da haben Sie mich ertappt. Normalerweise behaupte ich gegenüber deutschen Journalisten immer, ich würde mein Studio als mein "Hauptquartier" bezeichnen. Das ist weniger verfänglich. Aber die Art und Weise, wie sich die Nazis inszeniert und präsentiert haben, meine Herren! Ich spreche von den Filmen von Leni Riefenstahl und den Gebäuden von Albert Speer und den Massenaufmärschen und den Flaggen - einfach fantastisch. Wirklich schön.


(Foto: Neil K./EMI)

Montag, 14. Juni 2010

Katrin Müller-Hohensteins „innerer Reichsparteitag“ (Updates)

Fernsehen, insbesondere Live-Fernsehen und ganz besonders Fußball-übertragungen sind ein flüchtiges Medium, aber es versendet sich – anders als „Die Welt“ uns in einer ersten, den Faux-pas auch noch ausgerechnet mit „Euphorie“ erklärenden, inzwischen geänderten Meldung dazu glauben machen wollte – eben nicht, wenn zur Halbzeitpause des Deutschland-Spiels kommentiert wird: „Und für Miroslav Klose ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass der heute hier trifft.“
 
Und wenn Katrin BedauernMüller-Hohenstein sich für ihre verbale Entgleisung entschuldigen oder gar härtere Konsequenzen ziehen sollte, wird man mit Sicherheit wieder die Twitterer und Blogger dafür verantwortlich machen, wenn sie sich das in ihrem unerschütterlichem Mangel an Selbstvertrauen nicht schon gleich selbst präpotent ans Revers heften. Dabei ist nur einer schuld, die ZDF-Moderatorin selbst.
Natürlich ist nicht jeder davor gefeit, sich im „Wörterbuch des Unmenschen“ zu bedienen, das verniedlichende „Reichskristallnacht“ kam mir früher ebenso aus dem Mund – weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß es jemand verharmlosend verstehend könnte. Oder Goebbels' infames „Journaille“  – weil ich den Zusammenhang nicht kannte, aber das änderte sich in dem Augenblick, in dem mir der Kontext und die Wirkung dieser Worte bewußt wurde (während etwa ein Don Alphonso da weniger Skrupel zeigt).
Selbst der „innere Reichsparteitag“ entschlüpft mir im Privatgespräch gelegentlich und führt dann dazu, daß mich Mo oder andere Freunde dafür kritisieren. Und das zurecht. Denn anders als bei der „Reichskristallnacht“ oder „Journaille“ ist die Konnotation beim „inneren Reichsparteitag“ eine ausschließlich positive, letztendlich Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ und „Sieg des Glaubens“ fortführende (update: oder vielleicht doch nicht?).
Von der Journalistin, die nicht (mehr) für einen regionalen Larifari-Sender, sondern das öffentlich-rechtliche ZDF arbeitet, kann man erwarten, daß sie es besser weiß, zumal sie als Erlangerin auch noch lokalen Bezug zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände haben wird.
Wer Carmen Thomas' „Schalke 05“ zum Maßstab nimmt, kann nur hoffen, daß sich Müller-Hohenstein angemessen, das heißt persönlich und nicht via Vorgesetztem entschuldigen wird.

Updates:  Niggemeier findet's nicht schlimm und schiebt einen Autobahn-Witz hinterher. Die 11 Freunde sehen es kritischer. Blogmedien bekennt sich zu einer eigenen sprachlichen Entgleisung.
Spiegel Online: „Zudem warnte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, vor Hysterie. 'Die Moderatorin hat es bedauert, das ZDF hat es bedauert. Da gibt es deutlich keine böse Absicht', sagte er der 'Leipziger Volkszeitung' (Dienstagausgabe). 'Ich glaube, dass ist ihr einfach so rausgerutscht', sagte Graumann. Der Begriff sei inzwischen leider zu einem umgangssprachlichen Idiom geworden. 'Viele Menschen denken gar nicht an die NSDAP in dem Moment, wenn sie es sagen.'

„'Ein innerer Reichsparteitag' - das ist nicht Nazi-Sprache. Das ist vielmehr gerade die Persiflierung des bombastischen Nazi-Jargons, wie er im Dritten Reich gang und gäbe war. Das ist, wie man damals gesagt hätte, Berliner Mutterwitz, frech, respektlos, nicht ohne Anteile von Zynismus, wie sie ja auch im Wort von der 'Reichskristallnacht' aufscheinen, welches das verbrecherische Spektakel des Pogroms vom 9. November 1938 als staatsoffiziellen Budenzauber entlarvte, den die Nazis als 'spontane Äußerung des Volkszorns' verkaufen wollten.“ Tilmann Krause in der „Welt“

„Die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein ist sprachlich schwer entgleist, als sie beim WM-Torschützen Miroslav Klose nach dessen Tor auf 'inneren Reichsparteitag' erkannte. Für den handelsüblichen Nazi-Alarm reicht das nicht.“
Joachim Huber im „Tagesspiegel“

Im großen Wochenend-Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 16. Januar 2016 erklärt Katrin Müller-Hohenstein darauf angesprochen:  „Kollege Manni Breuckmann hat mir mal erzählt, dass er das auch mal gesagt hat. Ich habe das –wie er auch – völlig sinnentleert gemeint. Trotzdem: wenn ich einem einzigen Menschen damit zu nahe getreten bin, war’s einer zu viel.“ (Vollständiges Interview via kostenpflichtigen Blendle-Link.)

Donnerstag, 22. März 2007

Heil Ferry

„Einfach fantastisch. Wirklich schön“, findet Bryan Ferry die Filme von Leni Riefenstahl, die Gebäude von Albert Speer und was die Nazis sonst so an Massenaufmärschen und Symbolen zelebriert haben. Da wird sich der Salonfaschist aber im Haus der Kunst ganz besonders wohl fühlen, wenn er dort am 18. Mai den Stargast beim „Ball der Künste“ gibt. Mal sehen, ob er sich die passende Naziuniform als Kostüm aussucht.

Montag, 19. März 2007

Clan-Disclaimer

Familie sucht man sich nicht aus, sie ist (meistens) einfach da. Und mit Erstaunen stelle ich fest, wer da so alles inzwischen online ist – sei es in eigener Regie oder als Porträtierter. Ich bitte daher, es auch nicht mißzuverstehen, wenn ich der Vollständigkeit halber auf jeden verlinke, den ich finden kann. Das muß nicht immer ein Ausdruck von Sympathie sein. Tante Mariana, als uhse-riefenstahlsches Amalgam mein ganz persönliches Haßobjekt, ist etwa im Zweiten Weltkrieg für die Deutschen geflogen und pflegt bis heute den einen oder anderen Irrglauben.