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Samstag, 6. Februar 2021

Hot Shot

Danny Boyles „Lebe lieber ungewöhnlich“ läuft heute abend um 22.30 Uhr auf One. Ich kann mich noch erinnern, wie Cameron Diaz dafür nach Berlin kam und im Privatjet in Tempelhof landete. Henrik Jordan (†) war als Fotograf dabei, obwohl wir später doch Promobilder des Filmverleihs für die Geschichte verwendet haben. Vielleicht hatte ich ihn nur mitgenommen, damit er privat Bilder für sein Portfolio schießt. Später ging es zum Interview auf einem Haveldampfer (oder Spree?).  Ein zweites Mal sah ich Cameron Diaz – aus der Ferne – in der Münchner Olympiahalle, als Justin Timberlake ein Konzert gab und sie an der Bühne lauschte und tänzelte.

Sie war auch nur ein Fotomodell, aber bei ihrer Filmkarriere stützt sich Cameron Diaz geschmackssicher auf schräge Regisseure und wilde Stoffe. Nur im Boot mit Dorin Popa blieb sie brav und bescheiden.

Ihr erster Auftritt schien programmatisch zu sein. Eines jener Leinwanddebüts schauspielernder Models, bei denen Hollywood nur tits & as im Auge hat. Oder – in Cameron Diaz' Fall – Brust und Beine, mit denen sie sich in Jim Carreys „Die Maske“ nachhaltig einführte, indem sie den Schauplatz nicht einfach betrat, sondern wie eine Fata Morgana plötzlich dastand, weit vorgebeugt, um an ihren Oberschenkeln herumzufummeln und dabei die kürzeste Verbindung zwischen Dekolleté und Kleiderschlitz herzustellen.
Doch der erste Eindruck täuscht. Cameron Diaz ist keine weitere Traumfigur in der Traumfabrik, sondern etabliert sich vom ersten Film an als Idealbesetzung der unartigen Frau der 90er Jahre, die im Tête-à-tête mit den unfähigen, linkischen Männern ihrer Generation ein Spiel auf Leben und Tod wagt. Zielstrebig, dickköpfig, lustorientiert und in einer Zeit des Werteverfalls nur den eigenen Maßstäben verpflichtet, die sich oftmals beständiger erweisen als die Sitten ihres Umfelds. Regiedebütanten und unabhängige Filmemacher lieben sie, und Cameron Diaz erwidert die Leidenschaft durch eine Rollenauswahl, die eher bei den Kritikern als beim großen Publikum Anklang findet. Ob sie nun in „Last Supper“ reaktionäre Politiker vergiftet, in „Feeling Minnesota“ nach der Trauung den Schwager vögelt, in „She's the one“ als Callgirl arbeitet oder sich in „Kopf über Wasser“ mit Harvey Keitel einen mörderischen Ehekrieg liefert – stets rebelliert sie gegen alle Konventionen. Und selbst ihre Rückkehr ins Hollywoodfach als zuckersüße Braut in „Die Hochzeit meines besten Freundes“ kulminiert in der größten aller Unartigkeiten: dem Star Julia Roberts den Traummann vorzuenthalten!
Die Akne, die Cameron Diaz bereits in der „Hochzeit…“ hatte und natürlich wie du und ich wirken ließ, ziert sie auch in Berlin – so man ein Auge dafür hat. Denn auf den ersten Blick scheint Diaz' Kopf nur aus Mund und Augen zu bestehen, aus dem unverschämt breiten Mund und den unermeßlich blauen Augen. Erst das ständige Kaugummikauen und ihre Knipserei während der Wannsee-Bootsfahrt holt einen in die Realität des All American Girls zurück.
Ihre Filmkarriere? Zufall! Das Drehbuch zur „Maske“ lag bei ihrer Agentin herum, und da sie als Model nur Mittelmaß war, schien ihr die Filmbranche ein vielversprechender Aus- bzw. Aufstieg. Ihre Figur? Gottgegeben, da sie alles frißt und nicht trainiert. Der Unfall bei den Drehvorbereitungen zu „Mortal Combat“? Ein Glücksfall, denn dank der gebrochenen Hand blieb ihr die Kampfsportorgie erspart, die sich auch nicht in ihre sonst makellose Filmographie eingefügt hätte. Ihre Rollenauswahl demnach kein raffiniertes Arrangement. Frank und frei erzählt sie von Alkoholvergiftungen und berufsbedingten Magengeschwüren, kennt keine Geheimnisse und und wird nur diplomatisch, wenn es um Kollegen geht. Wie es denn sei, mit Künstlern wie Holly Hunter und Harvey Keitel zu arbeiten und andererseits mit Stars wie Jim Carrey und Julia Roberts? Unterschiedslos gut, beteuert sie, schließlich seien das alles Schauspieler, gute sogar.
Wer eine freche, aggressive Cameron Diaz erleben will, muß schon in Danny Boyles („Trainspotting“) neuesten Geniestreich „Lebe lieber ungewöhnlich“ gehen. Als durchtriebene Milliardärstochter wird ausgerechnet sie vom Himmel dazu auserkoren, einen hilflosen Verlierertypen aufrichtig zu lieben, den sie nicht einmal kennt, geschweige denn ernst nehmen kann.
Der „Rolling Stone“ hat Cameron Diaz zum „Hot Shot“ gekürt, die amerikanischen Kinobesitzer zum „Female Star of Tomorrow“. Dabei will die 25-Jährige doch nur mit kreativen Regisseuren unanständig gute Filme machen. Schließlich gibt's schon genug Stars.    
Dieser Text erschien zuerst in „Ticket“ 4/1998, der wöchentlichen Kulturbeilage des Berliner „Tagesspiegel“.

Samstag, 2. Januar 2021

R.I.P. Henrik Jordan (Update)

Wie Helge Birkelbach berichtet, ist der Berliner Fotograf und DJ Henrik Jordan am Silvestermorgen im Alter von 55 Jahren viel zu früh verstorben, nachdem es ihm schon die letzten Wochen nicht so gut ging. 
Während meiner Berliner Zeit Ende der neunziger Jahre war Henrik (rechts im Bild vor den Wilmersdorfer Eva Lichtspielen) ein guter Freund, mein Lieblingsfotograf bei vielen gemeinsamen Reportagen für das „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ und ein Vorbild an Lebenskunst und Style (die französische Billigkette Tati war für ihn nicht Kult, sondern der gräßlichste Laden der Welt). Nicht zuletzt war Henrik – obwohl vier Jahre jünger – für mich aber auch ein unerreichtes Vorbild als homme à femmes. 
Der Tuna-Garten im Tresor, Trödelmärkte, Kinos, Alexa Hennig von Lange – im Grunde haben Henrik und ich damals unser Leben in Reportagen gegossen…
Wir hatten uns dann leider entzweit, weil ich mit einer Ex von ihm ausgegangen war. Ich hatte sie zu einer Premiere im Deutschen Theater eingeladen. In der Pause küsste ich sie, und ihr knickten buchstäblich die Beine weg. Einen Augenblick später kam Henrik ins Foyer. Er hatte vom Date erfahren und ihr ein Tagebuch ihrer Beziehung gebastelt. Punkt für Henrik.
Sein Portfolio ist noch online.

Legendär: Henriks Sammlung von Zeitungsschürzen der „B.Z.“ und Berliner „BILD“.

Henriks Porträt von Ewan McGregor 1997 am Flughafen Tempelhof.

Der Nachruf des Clubs Berliner Filmjournalisten (Ernst-Lubitsch-Preis) scheint leider nicht mehr inline zu sein.

Die Berliner Fotografin Ulrike Schamoni gedachte seiner auf Instagram. Leider nicht mehr online.

Traueranzeige im „Tagesspiegel“ vom 24. Januar 2021.

Nachruf im „Tagesspiegel“ vom 28. März 2021.






Sonntag, 15. August 2010

Berliner Boulevard at it's best – die schrägsten Zeitungsschürzen der 90er Jahre

Bei uns in München stand die „BILD“-Zeitung schon immer im Schatten der großen Boulevardschwestern „tz“ und „Abendzeitung“, aber als ich in den achtziger Jahren das erste Mal nach Westberlin zog, war ich doch überrascht, wie viel unbedeutender Deutschlands größte Tageszeitung dort war. Im Grunde nicht mehr als ein Wurmfortsatz im Springer-Konzern, der an der Spree mit der „BZ“ den Boulevard beherrschte. (Die „Bild am Sonntag“ gab's in Berlin bis zum Mauerfall sogar überhaupt nicht, um die Sonntagsausgabe der „Berliner Morgenpost“ zu schützen.)
Nach der Wende setzten dann Aboblätter wie der „Tagesspiegel“ (Giovanni di Lorenzo, Hellmuth Karasek!) oder die „Berliner Zeitung“ (Erich Böhme, Michael Maier, der Traum von der „deutschen Washington Post“) vorübergehend auf eine Qualitätsofffensive, aber die „BILD“ hatte nun neben der altverhaßten „BZ“ auch noch weitere Konkurrenten: den im Ostteil der Stadt übermächtigen „Berliner Kurier“ sowie – wenn auch nur etwas über ein Jahr lang – die von Burda verbrochene „Super!“ („Angeber-Wessi mit Bierflasche erschlagen – Ganz Bernau ist froh, daß er tot ist.“).
Nun kläffen kleine Köter gern besonders laut, wie man an den Schlagzeilen sieht, mit denen die „BILD“ in den neunziger Jahren sich vor allem gegen den hauseigenen Konkurrenten profilieren und die Berliner Käufer locken wollte. Manches klingt, als wären die Redakteure beim Titeln mit dem Kopf gegen den Balken geknallt.
Der Fotograf Henrik Jordan, mit dem ich Mitte der neunziger Jahren für den „Tagesspiegel“ unterwegs war, sammelte die schönsten Zeitungsschürzen der „BILD“ und „BZ“ und veröffentlicht sie jetzt nach und nach auf Facebook. Hier eine Auswahl.



Samstag, 17. April 2010

Urlaub in Berlin (1998)

Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Sehenswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen irgendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Republik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschinen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, Tête-à-têtes und Verpflichtungen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen.

Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäppchenreise oder Lebemanns Städtetrip zwischen Grand Palais und Croisette. Zuhause geblieben, weil potentielle Reiseziele in Israel oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt erreichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarrangement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den verplanten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswoche entgegenzusetzen. Einfach mal hierbleiben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen.

Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn – oder kleine Verrücktheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donnerstag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Theaterbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position beziehen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren.

Dabei darf man keineswegs mitpulsieren, Fußmärsche absolvieren, einen Schaufensterbummel machen oder sich gar ins Café setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, warten und den Strom an sich vorbeiziehen lassen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gästen wie Einwohnern.
Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schicker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehrlich, schlicht, authentisch erleben, als Teil eines Ganzen.

Für Salomon's Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufüllen, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der nächsten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Verkaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbeitet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salomon's Bagel in die Joachimsthaler Straße retten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) haben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schneidersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte.

Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wechselt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den wenigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiesprache mit den geschichtsträchtigen Jahrhunderten halten und ihren kapitalen kontinentalen Zauber spüren, gerade wenn der unvermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht.

Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucherstäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstücken, dem orientalischen Markttreiben zusehen, den Pariser cheap chic von Tati gegenüber im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören und vollkommen vergessen, ob man nun in Istanbul, Paris oder doch nur zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt.

Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind – so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen.
Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen.

Unmittelbar dahinter liegt die Strandvogelvoliere, das kleine Charlottenburger Seeidyll. Ich weiß nicht mehr, ob das nun Seeschwalben, Goldammern oder irgendwelche Strandläufer waren, da ich urlaubsbedingt ganz ohne Reporterblock das Vogelparadies genossen habe. Mit Sicherheit kann ich mich aber an kein abgeschiedeneres, kein romantischeres Plätzchen in unmittelbarer City-Lage erinnern. Vormittags und nachmittags soll eine sedative Wellenanlage in Betrieb sein, mir hat bei meinen Besuchen am frühen Abend die Bewegung der Vogelkolonie völlig genügt. Man betritt die Voliere, nimmt auf Tuchfühlung mit den Tieren Platz und hat ein fesselndes Programm vor Augen: Dallas auf der Düne, ein verästeltes Balz-, Kampf-, Sozialverhalten, in dem man rasch kurz- und lang-, rot- und schwarzschnabelige Arten unterscheidet, und dann bei all den Flugmanövern, Tauchgängen und Sandspielen allmählich auch Jung und Alt, Chef und Mitläufer, Sammler und Saboteure identifiziert.

Nahezu ebenso spannend kann ein Abend, der Donnerstagabend im Far Out sein, der altgedienten Ku'damm-Disco neben der Schaubühne, die ich nach zwölfjähriger Pause wiederbetreten habe, wie ein Tourist an eine Stätte früherer Vergnügungen zurückkehrt. Die Mas und Swamis haben die gleiche Metamorphose durchgemacht, wie sie unberührten Strandabschnitten und ländlichen Geheimtips widerfährt – man selbst ist auch nicht vor Erleuchtung strahlend geblieben, geschweige denn jünger geworden.

Aber es bleibt noch immer Berlins einziger Club, vor dessen Einlaß man gern, weil entspannt und in freundlicher Gesellschaft Schlange steht. Das Barpersonal setzt seinen besorgten Blick auf, wenn man Wodka pur ordert. Und die Gäste sind jung, gut gelaunt, international gemischt, promiskuitiv – eben all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der DJ will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf.

Beim Thema Jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schon wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan.

In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in andere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat.

Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen, verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten.
Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

Dieser Text erschien erstmals im „Tagesspiegel“ vom 2. August 1998 unter der Überschrift „Schick, charmant und gutgelaunt – Wie ein Berliner Berlin lieben lernt“ und wurde in einer von mir leicht gekürzten Fassung im „Sympathie Magazin“ zum Thema „Tourismus verstehen“ 1999 nachgedruckt. Auch wenn einige darin beschriebene Institutionen und Läden umgezogen sind, ersetzt wurden oder wie das Far Out, GAP oder Tati nicht mehr in Berlin existieren, habe ich diese Woche während meines Besuchs der re:publica viele Stimmungsmomente hie und da wiederfinden können.

(Foto: Henrik Jordan)