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Sonntag, 4. Mai 2025

Trauer muss man sich leisten können

Meine erste Leiche war Frau Ritter. Ich war im Grundschulalter und sie war die Besitzerin des Mehrfamilienhauses in der Wilhelm-Düll-Straße, bei mir um die Ecke. Im ersten Stock mit der Terrasse lebte sie. Im zweiten Stock wohnte eine Polizistenfamilie, deren Sohn damals mein bester Freund war. Das Erdgeschoss hatten meine Eltern mal gemietet. Als erste Wohnung meiner großen Brüder. Später kam dann auch mein Vater kurze Zeit mal dort unter. Nach ihrem Tod wurde Frau Ritter im offenen Sarg aufgebahrt. Meine erste Leiche.

Dann kam fast zwei Jahrzehnte lang keine Leiche. Nur der Tod. Mein Vater Iani Popa starb am 28. Oktober 1982. Ich war 21 und der letzte, der ihn lebend sah. Meine Brüder waren ausgezogen, meine Mutter zu Besuch in Paris. Am Morgen hatte mein Vater mir Frühstück gemacht, dann war ich auch nach Paris geflogen. Dort ereilte uns die Nachricht, dass er gestorben sei. Wir brachen den Urlaub ab. Für meine Mutter hatte einer meiner Brüder ein Flugticket hinterlegt. Ich fuhr mit zum Flughafen. Mit der naiven Vorstellung, ich könnte das Bodenpersonal überreden, mein Flugticket für eine Woche später aufgrund des Todesfalles auf einen sofortigen Rückflug umzubuchen. Ging natürlich nicht. Und so flog meine Mutter allein zurück, während ich die Woche in Paris blieb und erst mit meinem ursprünglich geplanten Flug nach München zurückkehrte. Ich selbst hätte mir kein neues Flugticket leisten können. Und von meiner Familie sah wohl keiner die Notwendigkeit, mich auch sofort zurückzuholen. Und so kehrte ich erst gerade rechtzeitig für die Trauerfeier heim. Ohne meinen toten Vater wiedergesehen zu haben. 

Die erste Leiche, die ich als Erwachsener zu sehen bekam, war ein Fremder. Ein Bruder meines Vaters. Da mein Vater 1945 bei Nacht und Nebel und wohl eher aus einer spontanen Laune heraus aus dem kommunistischen Rumänien geflohen war, wo er Frau und Tochter zurückließ, und später dann auch noch für das regimekritische Radio Freies Europa gearbeitet hatte, gab es nahezu keinen Kontakt zu unseren Verwandten väterlicherseits. Meine Halbschwester und ihre Familie besuchten uns in München und irgendwie schaffte es mein Vater auch, alle vier legal aus Ceaușescus Reich loszueisen und illegal nach Deutschland zu bringen. Von seinen Geschwistern hatten mit Ausnahme seiner Vasilica aber alle anderen den Kontakt abgebrochen, um es sich nicht mit dem kommunistischen Regime zu verderben. 

Nach der Revolution konnte ich nun aber endlich auch nach Rumänien reisen. Weggefährten und Verwandte meiner Eltern kennenlernen. Und einen Bruder meines Vaters. Oder zumindest dessen Leiche. Er war während eines meiner Aufenthalte in Bukarest gestorben und ein gemeinsamer Cousin nahm mich selbstverständlich zum Trauern mit. Der Leichnam war auf der Couch im Wohnzimmer aufgebahrt. Die Wohnung war voll mit Verwandten, Kollegen und Klageweibern. Denn wir Verwandte mussten still sein, durften nicht lauthals trauern. Das übernahmen die Klageweiber.

Dann wurde der Leichnam in einen offenen Sarg gelegt. Die Sargträger hatten Handtücher auf der Schulter, die anschließend an den Außenspiegeln der Autos in der Trauerkolonne gebunden wurden. Der Sarg selbst lag offen auf der Ladefläche eines Transporters. Der Korso fuhr durch die Stadt an sämtlichen Stationen seines Lebens vorbei, an den Filialen seiner Bäckerei, hin zum Friedhof, wo die Sargträger wieder die Handtücher von den Autos losbanden, auf die Schulter legten und darauf den Sarg zum Grab trugen, wo neben den Trauernden auch bereits viele Arme warteten. Denn bei jeder Beerdigung wird Essen mit ihnen geteilt.

In meinem Alter verbringe ich inzwischen mehr Zeit am Friedhof denn im Nachtleben. Das allgegenwärtige Sterben begann mit den Vorbildern, Mentoren, Tanten und Onkeln. Schließlich die Eltern. Dann erwischte es die eigene Generation: Schulkameraden, Kolleg*innen, Freund*innen, Geschwister. Aber trotz all dieser Gelegenheiten habe ich bis heute nicht verstanden, welche Regeln greifen. Wer wo sitzt. Ob der Leichenschmaus Pflicht ist und wer dazu einlädt. Jede Trauerfeier, jede Beerdigung oder Einäscherung unterscheidet sich von den anderen. Je nach Nationalität oder Glaubensgemeinschaft. Je nachdem, ob Hinterbliebene, die Nachbarn oder die Stadt die letzten Dinge geregelt hat.

Als meine Mutter Rica Popa nach jahrelanger Pflege daheim starb, fand ich die Vorstellung, für sie eine Trauerfeier abzuhalten, absurd. Die letzten neun Jahre hatte außer uns drei Söhnen niemand sie mehr besucht. Ich hatte sie noch schwer schnaufen gehört, als ich die Einkäufe in der Küche abgestellt hatte. War dann in der Burda-Bar nebenan frühstücken gewesen und als ich wieder kam, um sie zu wecken und ihr Frühstück zu machen, lag sie tot im Bett. Zumindest wirkte sie tot. Und es war ein absurdes, nahezu slapstickhaftes Unterfangen, festzustellen, ob sie es tatsächlich war. Soll man da nicht den Puls fühlen? Sie zwiscken oder piksen? Einen Spiegel vor den Mund halten? 

Meine Mutter hatte sich immer gewünscht, eingeäschert und im Meer verstreut zu werden. Mein Frankfurter Bruder und ich wollten keine Trauerfeier, mein Münchner Bruder hat trotzdem eine bestellt und bezahlt. Florica Popa, Hausfrau, stand in der Tageszeitung bei den Traueranzeigen. Zur Trauerfeier ist wohl niemand erschienen, auch nicht derjenige, der sie bestellt hat. Ich hätte die Asche im Schwarzen Meer verstreut, wo meine Mutter ihre schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen hatte. Auch als Rückkehr in ihre Heimat. Mein Bruder bestand auf die Côte d'Azur, wo sie als Erwachsene schöne Erlebnisse hatte. Ich hätte ihn dorthin begleiten können, aber ich meide meinen Bruder und ich denke, dass das alles für meine tote Mutter auch keine Rolle mehr spielt, Trauerfeiern den Lebenden Trost spenden sollen, wo das noch möglich ist.

Der Bruder meiner Mutter, Jean „Ţuţi“ Dragesco, ebenfalls ein Kind des Exils, starb in den Corona-Jahren in seiner französischen Wahlheimat. Bei Montpellier. Und ich wäre gern hingefahren. Aber meine Cousins und Cousinen verständigten mich leider recht kurzfristig von der Trauerfeier. Ich hätte ein, zwei Tage Zeit gehabt, um von München dorthin zukommen. Angesichts der Reisebeschränkungen während der Pandemie kaum machbar und so kurzfristig wohl für mich auch nicht finanzierbar.

Wenn ich andere Expats und Familien im Exil erlebe, bin ich immer erstaunt, wie sie durch die Welt reisen. Ob zu Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen. Bei uns war das immer anders, und ich weiß nicht, ob das an der Zurückgezogenheit meines Vaters lag, der zu Zeiten von Radio Freies Europa den Kontakt zu den meisten Menschen abgebrochen hatte, oder ob es daran lag, dass meine Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg mittellos waren und lange auf jeden Pfennig achten mussten. Vielleicht strahlte die Dysfunktionalität meiner Familie auch nur auf den Umgang mit weiteren Verwandten aus.

Dann erwischte es meinen Frankfurter Bruder Dinu Popa. Creutzfeldt-Jacob. Als die Diagnose kam und die Krankheit so wild wie schnell voranschritt, reiste ich kurzfristig zu ihm ins Krankenhaus nach Mainz, um ihn zumindest noch halbwegs so zu erleben, wie ich ihn in Erinnerung behalten will. Und wahrscheinlich spricht man über solche Banalitäten nicht, aber einfach von heute auf morgen die hundert Euro für die Zugfahrt morgens hin und abends zurück zu organisieren, war nur mit Anstrengung und einigen Problemen in den darauf folgenden Wochen möglich.

Wenige Wochen später dann sein Tod und die Trauerfeier. Und wieder keine Ahnung, wie so etwas abläuft und wie man sich zu verhalten hat. In der Traueranzeige, auf der Trauerkarte und auf einem Kranz stand mein Name, ohne dass jemand mit mir darüber gesprochen hätte. Und wer entscheidet darüber, wer allein genannt wird und wer mit Partner*in oder Familie? Zum Leichenschmaus hatte mich niemand eingeladen. Aber vielleicht muss man dafür auch nur einfach nach der Trauerfeier vor der Kirche rumstehen, bis einen jemand mitnimmt. Die Urnenbeisetzung sollte laut Traueranzeige „zum späteren Zeitpunkt im engsten Kreis der Familie“ stattfinden. Ich erfuhr davon erst im Nachhinein durch ein Foto vom Grab. Auf welchem Friedhof das ist, weiß ich bis heute nicht.

Samstag, 3. April 2021

Jean Dragesco şi Brâncuşi

»Dragesco către Brâncuşi

(mesaj pe versoul cărţii de vizită a lui Jean Dragesco, „Madame et Monsieur Galvani 66.00 / 6, rue Albert Samain, XVIIe“)

Vous souhaitent: joyeuses Pâques! et vous annoncent avec joie: la naissance de leur fille DIANE (le 20-IV-46)


(carte de urări cu text imprimat: „Avec tous les meilleurs Vœux et Souhaits très sincères“)

J. Dragesco et Ruth Dragesco« 

Doina Lemni şi Cristian-Robert Velescu: „Brâncuşi inedit – Însemnări şi corespondenţă românească“, Humanitas, Bucureşti 2004


 

Donnerstag, 27. August 2020

R.I.P. Jean Dragesco

Dienstag nacht ist mein Onkel Jean „Ţuţi“ Dragesco gestorben. (Auf dem Foto mit meiner Mutter Florica „Rica“ Popa, geborene Dragu.)

* 26. April 1920, Cluj 
† 26. August 2020, Saint-Clément-de-Rivière 

About 100 papers and books on Astronomy. The papers were published in journals as „Sky and Telescope“, „Astronomy Magazine“, „Journal of British Astronomical Association“, „Strolling Astronomer“, „Orion“, „L'Astronomie“, „Ciel et Espace“, „Astro-Ciel“, „Pulsar“. 

Among his books, „High Resolution Astrophotography“ (Cambridge University Press, 1995) is to be remarked. 
 More than 160 papers and books on Protozoology, Wild Birds and Mammals, Photography, Cinematography, Ballistics, etc. 
„Optique et photographie appliquées aux sciences biologiques (le microscope, la microphotographie, la microcinématographie, la macrophotographie, la photographie des plantes et des animaux), CDU, Centre de Documentation Univ., Paris 1948 
„Manuel de photographie scientifique, sciences physiques et biologiques“, by Gérard de Vaucouleurs, Jean Dragesco et Pierre Selme, Éditions de la „Revue d'optique“, 1956 
„Les Ciliés mésopsammiques littoraux, systématique, morphologie, écologie“, Thèse. Sc. nat. Paris. 1956.
„Ciliés mésopsammiques littoraux: systématique, morphologie, écologie“, Travaux de la Station biologique de Roscoff, 1960 
„Etude cytologique de quelqes Flagellés mésopsammiques“, „Cahiers de Biologie Marine“, 1965 
„Chasse d'Afrique“, by Philippe Diole et Jean Dragesco, Marguerat, Lausanne 1965
„Tiere in Afrika“, by Philippe Diole et Jean Dragesco, Fretz & Wasmuth, Zürich 1965 
„La photographie astronomique d'amateur“, by Pierre Bourge, Jean Dragesco and Yvon Dargery, Publications photo-cinéma Paul Montel, Paris 1977
„Flore et faune aquatiques de l'Afrique sahélo-soudanienne“, by André Iltis, Aline Raynal-Roques, Jean Dragesco, Jacqueline Goy, etc., Éd. de l'ORSTOM, 1980 
„Ciliés libres de l'Afrique intertropicale“, by Armelle Kernéis-Dragesco and Jean Dragesco, Éd. de l'ORSTOM, 1986. 
„Revision des Geléiides (Ciliophora, Karyorelictea)“, Biologiezentrum des OÖ Landesmuseums Linz, 1999 

Chevalier de l’ordre national du Mérite Commandeur des Palmes Académiques 
Secretary of the Planet Commission of the SAF (1964-1969) 
President of the same Commission (1969-1986) 
Chairman of the GIOSP - International group of planetary observers, France (since 1986) 
Jupiter Assistant Recorder of the ALPO (USA)

1946: SAF prize for planetary observations 
1965: SAF prize for planetary visual observations
1975: Prix des Dames, the highest SAF prize, for general contribution to amateur astronomy 
1981: French prize of „the best technical photographic book“, a book on astronomical photography, written with P. Bourge and Y. Dargery
1984: First prize at the Lunar photography contest of the BAA (Great Britain)
1985: Prize for black and white solar system photography („Astrophoto6“)
1986: Halley comet photo prize („Science et Vie“)
1987: „Walter Haas Award“ of the ALPO (USA) for visual and photographic planetary observations
1988: Prize of the Centenary of SAF, awarded to the 12 best known amateur astronomers
1988: Prize for the better photographic contribution to the magazine „The Astronomer“ (Great Britain)
1990: „Stevenson Award“ for observational astronomy (British Astronomical Association)

In 2000, on the occasion of his 80th anniversary, his name was assigned to the asteroid 12498

„Cet autodidacte est à l'origine d'une centaine d'articles et d'ouvrages sur l'astronomie, qu'il écrit tout au long de sa carrière. Il publie au moins 160 articles sur la protozoologie, les oiseaux et les mammifères qu'il photographie. Jean Dragesco est aussi l'inventeur du premier fusil photographique, le Dragesco Tar.“ (Astrosurf)

„Am cunoscut o mulțime de personalități, dar nici una nu se poate compara cu Jean Dragesco… el a reușit să-și transpuna în realitate toate visele copilăriei”, Alexandru Marinescu (via „Evenimentul Zilei“). 




Sonntag, 18. Juni 2017

Fundsachen (34): Nürnberg 1938

Meine Mutter Florica Popa, geb. Dragu, mit meiner Großmutter Angela „Maia“ Dragu, geb. Paleologu, und meinem Onkel Jean „Țuți“ Dragesco in Nürnberg während ihres Deutschland-Besuchs 1938. Im Hintergrund die Lorenzkirche. (Das Foto ist gespiegelt, vielleicht korrigiere ich das einmal…)