Leidenschaft ist keine Frage der Masse. Die Steigerung der Lust durch Häufchenbildung mag noch für kleine Kinder gelten, die Bauklötzchen aufeinanderstapeln oder Fruchtzwerge in sich hineinspachteln. In Fragen der Liebe erscheint die Vorstellung recht kindisch, daß eine Frau, die zwei Männer liebt, allein deswegen schon größere Leidenschaften durchlebt als eine Frau mit nur einem Partner.
Aber Regisseur Peter Sehr („Kaspar Hauser“) ist in diese Vorstellung so vernarrt, daß er es nicht einmal dabei beläßt, sondern gleich zwei Ménages à trois in seinen Film packen muß: zwei Frauen mit jeweils zwei Männern und keinem Hauch von Leidenschaft. Allein der intellektuelle Kraftakt, sechs Figuren samt ihrer Handlungsstränge zu entwickeln und miteinander zu verknüpfen, hätte die 114 Filmminuten anstrengend werden lassen.
Doch gemach, da steckt noch mehr drin: ein dem Holocaust entkommener Jude, der gerne glitzernde Knöpfe stiehlt und darob vom bösen, deutschen Kaufhausdetektiv gejagt wird; ein französischer Wissenschaftler, der dem Tod ein Schnäppchen schlagen will und mit Herzen experimentiert; ein weißer Afrikaner, dessen Großmutter vom Opa erschossen wurde und der die Erklärung für das Familiendrama in altem Zelluloid sucht; eine Schwangere, die aus Unachtsamkeit vom Rad fällt und ihr Kind verliert; Berliner Rechtspfleger; Pariser Straßenkünstler; Brandenburger Sakralbauten; Burgunder Dorfidyll, die Niagarafälle und so weiter und so fort.
Statt klarer Ideen und nachvollziehbarer Emotionen wird ohne jedes Gefühl für Dramaturgie und Rhythmus ein kunterbuntes Kindermenü aus dem Fastfoodangebot pittoresker Gefühle und dramatischer Spitzen hingeklatscht. Ein McGuffin auf den nächsten.
Es mag nur Berliner Zuschauer irritieren, wenn eine Verfolgungsjagd über ein paar hundert Meter in den Galeries Lafayette beginnt, nahtlos vor dem KaDeWe fortgesetzt wird und schließlich im U-Bahnhof Alexanderplatz endet. Ein für das Medium typisches Aneinanderklittern idealisierter Schauplätze ohne Rücksicht auf Gegebenheiten. Film als Fiktion.
Doch was bei Kulissen noch funktionieren mag, wirkt als Inhaltsmaxime schnell enervierend. Selbst wenn Babyface Heike Makatsch durch diesen Handlungssalat stakst, als Musikerin einer Frauenband namens „Berlin United“ sogar Pieps machen darf und die süßeste Verkörperung weiblicher Unentschiedenheit spielt.
Diese Filmkritik erschien zuerst im Kultursupplement des Berliner „Tagesspiegels“: „Ticket“ 35/97 vom 28. August 1997
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