Ein Mädchen, blond und zart, kämpft sich voran, durch Sturm und Regen. Mit letzter Kraft erreicht die Hochschwangere ein düsteres Anwesen, das Armenhaus einer kleinen, englischen Gemeinde, wo sie ihrem Sohn das Leben schenkt und stirbt. Ein Gentleman ist geboren, Oliver Twist hat das Licht einer Welt erblickt, die ihm trotz schrecklicher asozialer Verhältnisse nichts anhaben können wird.
Pünktlich zu Weihnachten kommt die x-te Verfilmung von Charles Dickens' Klassiker in die Kinos, „Oliver Twist“, nicht mehr singend oder in Schwarz-weiß, sondern als opulentes Farbspektakel mit drei aufregenden Schauspielern in den bösen Rollen: Altmime George C. Scott, Frank'nfurter Tim Curry und die „Excalibur“-Schönheit Cherie Lunghi verkörpern das Milieu der korrupten und korrumpierenden Existenz.
An diese drei gerät das Waisenkind Oliver, vor Armenhaus und Kinderarbeit flüchtend, auf dem Weg in die Hauptstadt. Doch in diesem London des angehenden 19. Jahrhunderts, im Pfuhl der Armut und des Verbrechens bleibt der Kleine rein und fein, nicht umsonst ist er von besserem Blut. Nach einer aufregenden Odyssee wird Oliver als Sohn und Erbe eines edlen Herrn anerkannt.
Diese deterministische Vorstellung von der Vererbbarkeit der Klassenunterschiede schwächt die Sozialkritik des Werkes bedenklich ab. Erträglich und wohl auch ertragreich bleibt dieser Familienfilm dennoch, nicht zuletzt dank der Schauspieler und Dekors, die der altbekannten Geschichte immer neue Höhepunkte verschaffen.
Diese Filmkritik erschien in der „Münchner Stadt-Zeitung“, Ausgabe 12/1982.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen