Montag, 15. Dezember 2025

Die Entschleunigung von „Cabaret“ – oder: Wenn das Resi am Sprechtheater scheitert

Erinnerungen sind eine fragwürdige Angelegenheit. Und je älter ich werde, desto unzuverlässiger fallen sie aus. Aber meine früheste Erinnerung an das Münchner Residenztheater ist eine Inszenierung des Musicals „Sweet Charity“ mit Paul Hubschmid. wenn ich mich nicht täusche, Ende der 1970er-Jahre. Insofern schloß sich für mich ein Kreis, als ich gestern die zweite Vorstellung von „Cabaret“ besuchte. Sprechtheater hin oder her, das Bayerische Staatsschauspiel hat durchaus eine musikalische Tradition.

Gerade die Musiknummern sind beim Münchner „Cabaret“ die Höhepunkte der Inszenierung, ob „Mein Herr“, „Two Ladies“ oder „Money“, nie überzeugt das Resi so wie in diesen Momenten, in denen auch das gesamte Team, von den Darstellenden über die Kapelle bis hin zu den für Regie, Choreografie, Kostüm, Maske und Bühnenbild Verantwortlichen brillieren.

Und Vassilissa Reznikoff muss sich nicht an Liza Minelli messen lassen, weil sie eben die Rolle der Sally Bowles ganz anders anlegt, weniger burschikos, weniger draufgängerisch, mehr wie eine haltlos im Wind schwebende, hoffnungslos verlorene Feder, die dann ganz unvermittelt doch kraftvoll Haltung zeigt, ob stimmlich oder an der Pole Dance Stange. 

Wobei letzteres leider nur wie ein einfallsloser Abklatsch von Ewelinas Marciniaks „Salome“-Inszenierung wirkt, wo eben dieselbe Reznikoff vor nicht einmal einem Jahr im Cuvilliéstheater bereits an der Stange brillierte.

Als Sprechtheater verfällt Claus Guths Inszenierung aber dem fatalen Fehler, dem Stück eine Rahmenhandlung aufzuzwängen, die dem Musical jeden Schwung raubt. Ein Hotelzimmer aus der Zukunft, ein gleich doppelt besetzter Schriftsteller namens Cliff, mal alt, mal jung, aber meist gleichzeitig auf der Bühne, wie ein lähmendes Schattenspiel.

Die Münchner Kritik („Süddeutsche Zeitung“, „Münchner Merkur“, „Abendzeitung“) deutet Schwächen an, feiert das entschleunigte Musical aber dann doch recht unverblümt. Seltsamerweise interpretieren sie die über die Bühne schwebenden Flocken unisono als Schnee, der die zunehmende Kälte in Nazideutschland symbolisieren soll.

Wir Ausländer im Publikum assoziierten die Flocken dagegen eher mit dem Ascheregen der KZ-Krematorien.

Gerade nach der Pause zielt die Inszenierung deutlich auf den faschistischen Schrecken ab. Das kann uns Zuschauenden den Schrecken in die Glieder treiben. Oder man ignoriert es, wie größtenteils ein Münchner Publikum, das sich offenbar im Musikantenstadl wähnt und Schlussnummer wie Zugabe rhythmisch klatschend begleitet. 

(Fotos: Monika Rittershaus/Residenztheater, Birgit Hupfeld/Residenztheater, Dorin Popa)

Keine Kommentare: