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Dienstag, 25. August 2015

Heidenau in den Köpfen der sz.de (Updates)

Die Seite Vier der „Süddeutschen Zeitung“, die Kommentarwüste aus der Hultschiner Straße, gibt sich elitär reduziert, trägt quasi Sakko. Kurze Überschriften und statt eines Anrisses nur ein oder höchstens ein paar wenige Schlagworte. Online tickt anders, Online ist schnell, Online will Klicks, Online geht mit der Zeit. Hoodie-Journalismus. Hoodies tragen auch Menschen mit zweifelhaften Ansichten.
Einer in der Online-Redaktion sah da offenbar seine große Stunde. Sei es hoffentlich nur, um Klicks zu generieren. Vielleicht aber auch aus der inneren Überzeugung eines, wie sagt man heute so schön, Asylkritikers.
Constanze von Bullion hatte für die heutige Print-Ausgabe der „SZ“ einen Kommentar zum Ost-West-Gefälle in der finanziellen Ausstattung von Kitas und Ganztagsschulen geschrieben. Überschrift: „Es gäbe jetzt Geld dafür“. Anriß, Vorspann oder genauer gesagt Rubrum: „Kitas“.
Ost-West-Gefälle? Osten? Da brodelt doch gerade etwas. Da sorgt doch etwas aktuell für Schlagzeilen. #Heidenau. Da kann man vielleicht den drögen Kommentar etwas aufpeppen. Und seit Franz Josef Strauß und seinem „Freiheit statt Sozialismus“ wissen wir Bayern, wie das funktioniert.
„Geld für Kinder statt Flüchtlinge“ heißt es plötzlich in der Überschrift der ja in solchen Dingen ausgesprochen unverdächtigen von Bullion, als ihr Text gestern abend um 18.48 Uhr vorab bei sz.de online geht. Und weiter im Anriß: „Bei der Kinderbetreuung herrscht in Deutschland ein inakzeptables Ost-West-Gefälle. Deshalb müssen freiwerdende Mittel aus dem Betreuungsgeld hier investiert werden – und dürfen nicht Flüchtlingen zugutekommen.“
Christopher Lauer (vom konkurrierenden Axel-Springer-Verlag) reagiert gestern gegen 23:01 Uhr: „Haha, bei der SZ darf jetzt einfach mal jeder aufschreiben was er so denkt“. Tatjana Kerschbaumer (die als Autorin u.a. für den konkurrierenden „Tagesspiegel“ schreibt) greift den Tweet auf, prangert um 23.06 Uhr den ungeheuerlichen Ansatz als „billigste Klick-Masche“ an (offenbar ohne den Kommentar überhaupt gelesen zu haben) und formuliert es gegen 23.24 Uhr präziser, aber auch direkter: „Nachgelesen: Bei @SZ nehmen #Flüchtlinge dt. Kindern im Teaser Geld weg, um im Text nicht mehr aufzutauchen. Widerlich.“
Weitere Twitterer greifen die Ungeheuerlichkeit, eine Ungeheuerlichkeit auch gegenüber der Autorin von Bullion, auf. Wenige Minuten nach der sich steigernden Tweet-Welle, aber eben erst Stunden, nachdem der Beitrag in dieser Form von der „Süddeutschen“ publiziert wurde, sind Überschrift und Vorspann dann korrigiert (Abbildung) und inzwischen noch weiter der Printversion angepasst. Über Nacht wurde auch die URL bereinigt. Twitter wirkt!
(SZ-Online-Chef Stefan Plöchinger und Constanze von Bullion sind mit der Bitte um Stellungnahme angefragt. Letztere über eine womöglich veraltete Mailanschrift.)

Updates: Plöchingers Antwort kurz nach elf beschränkte sich mehr oder weniger auf einen Link zu diesem Statement und der Bemerkung, es wäre ihnen nicht um Klicks gegangen.

Am Mittwoch, dem 26. August, schlägt dann derselbe oder ein anderer von der „Süddeutschen“ bei Facebook zu, wie mir eben hier bei den Kommentaren zugesteckt wurde.
Anläßlich von Merkels Besuch in Heidenau teaserte die Redaktion: „Im sächsischen Heidenau spricht die Bundeskanzlerin nur mit Flüchtlingen und Helfern. Weil sie für die Ängste der Menschen kein Ohr hat, schlägt Merkel Hass entgegen.“
Laut Versionsverlauf bei Facebook scheint diese Formulierung etwa 45 Minuten online gewesen zu sein, bevor der zweite Satz dann geändert wurde: „Merkel ignoriert die rechten Pöbler, deren Hass schlägt ihr entgegen.“

Montag, 10. Oktober 2011

Wowigate: Wie die Süddeutsche Zeitung vertrauliche Schulunterlagen besorgt (Updates)

Bei der SPD ist man vorsichtig: Natürlich bietet das Willy-Brandt-Haus ein offizielles Pressefoto Klaus Wowereits online zum Download an, doch bevor ich es redaktionell veröffentliche, bedarf es „generell der vorherigen Genehmigung des SPD-Parteivorstands“. Beim Berliner Landesverband ist man ein wenig großzügiger in rechtlichen Fragen, es reicht ein Plazet der Pressestelle. Aber immerhin: gefragt will man werden, geht ja schließlich um Imagepflege.
Wie es hinter der Fassade des Regiermeisters aussieht, versuchte heute Constanze von Bullion auf der Seite Drei der „Süddeutschen Zeitung“ zu ergründen, weshalb sich die Berlin-Korrespondentin nicht nur dem „alten Leitwolf“ im ungemütlichen tête-à-tête stellte, sondern auch in seinem alten Revier Witterung aufnahm. Und man kann dem Artikel nicht entnehmen, inweit bei den privateren, datenschutzrechtlich relevanten Informationen noch lange gefragt wurde, ob Wowereit damit einverstanden war.
Nun ist man nicht zuletzt seit der Schaffung eines eigenen investigativen Ressorts von der „SZ“ einiges an Wühlarbeit gewohnt, aber in zwei Absätzen setzt von Bullion doch neue Maßstäbe – und droht, den guten Ruf des Hauses zu verspielen.
„X. (Anonymisierung durch mich, im Artikel steht der volle Name) war viele Jahre Rektor am Gymnasium in Lichtenrade, jetzt ist er über siebzig und ein munterer Herr, der seinem alten Haus in Treue verbunden ist. Die Schulschlüssel hat er nie abgegeben, und weil Ferien sind an diesem Tag, ist er so nett, die Tür zu seinem früheren Amtszimmer aufzuschließen. Jetzt steht er hier und zerrt ein dickes Buch aus dem Schrank. Der Ledereinband wird brüchig und das Papier ist vergilbt, es sind Abiturzeugnisse aus dem Jahr 1973.
Klaus Wowereit, steht da, darunter ein Panoptikum eher begrenzter Strebsamkeit. Deutsch X, Politische Weltkunde X, Englisch X, Mathe X, Sozialwissenschaften X, Sport X.“ (X-ungen durch mich)
Mit jedem Satz dünsten diese Sätze die Ehrpusseligkeit alter Zeiten aus, als Berlin (West) noch Posemuckel war, und es reichte, den richtigen Mann zu kennen, um recht zu haben und Recht zu bekommen. Doch die Zeiten haben sich geändert, wir leben in der Ära des Datenschutzes und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Was in der Zeitung so gemütlich wie ein Rührstück aus dem dritten Fernsehprogramm herüberkommt, ist natürlich ein dreister Recherche-Übergriff, wobei ich nicht weiß, worüber ich mich mehr aufregen kann: die Art und Weise, wie von Bullion gleich einem Hardboiled-Schnüffler an ihre Informationen kommt, oder die Unverfrorenheit, mit der sie ihre Quelle bloßstellt und somit ausliefert.
Wenn es schon der Pensionär nicht ahnt, so hätten doch die Journalistin oder ihr Ressortleiter Alexander Gorkow wissen müssen, daß weder die Art der Informationsbeschaffung, noch die Veröffentlichung der Schulnoten zulässig sind. Und es wird niemand behaupten wollen, daß dieser pittoreske Ausflug in Wowis Schulzeit einen redaktionellen Notstand rechtfertige. 
Anja-Maria Gardain, Pressesprecherin des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, bestätigt die beiden Problembereiche: Natürlich unterliegen Abiturzeugnisse der informationellen Selbstbestimmung und dürften – selbst bei einer Person des öffentlichen Interesses – nicht ohne Rechtsgrundlage oder Einwilligung des Schülers veröffentlicht werden. (Eine Anfrage dazu an die Senatskanzlei läuft.) Und selbstverständlich darf ein ehemaliger Rektor nicht weiterhin Zugang zu Amtsräumen und somit Zugriff auf personenbezogene Daten haben, geschweige denn auch noch diesen mit einer Journalistin teilen.

Updates: In einem Vorwurf muß ich mich korrigieren. Offenbar hat Constanze von Bullion doch insofern Rücksicht auf ihre Quelle genommen, als daß sie mit der Veröffentlichung gewartet hat, bis der pensionierte Rektor verstorben war. Was aber wiederum den Schluß zulassen könnte, daß ihr selbst der Vorgang nicht ganz korrekt erschien, denn warum hätte sie sonst mehrere Jahre warten sollen?
Eine Zeit, die möglicherweise auch die damals gewonnenen Erkenntnisse getrübt hat. Denn aus der mittlerweile vorliegenden, per cc auch an fünf weitere Amtsstellen adressierten Stellungnahme der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung geht hervor, daß das Originaldokument, also Klaus Wowereits Abiturzeugnis, falsch zitiert wird.
Die Veröffentlichung der Noten hält auch die Senatsverwaltung für unzulässig, den Zugang zu den Schulräumen nicht („für sich kaum zu beanstanden“). Die Tatsache, daß von Bullion ja offenbar einen ganzen Band mit Abiturzeugnissen, also die persönlichen Daten vieler Schüler in Händen hielt, wird nicht thematisiert. Hier die vollständige Antwort aus Berlin:

„Die Geschichte von der Zeugniseinsicht ist offenbar schon vor langer Zeit entstanden und jetzt erst von der Autorin für ihren Artikel verwendet worden, denn der im Text genannte Lehrer ist bereits seit einigen Monaten tot. Da er zuvor längere Zeit krank war, könnte die beschriebene Szene sogar aus dem Jahr 2009 oder noch viel früherer Zeit stammen. 
Dass der langjährige Schulleiter zuletzt noch Zugang zum Haus hatte, ist nicht zwingend zu beanstanden, da er die Schule auch noch nach Ausscheiden aus dem aktiven Dienst regelmäßig in ihrer Arbeit unterstützt hat. 
Die Überprüfung der Angaben der SZ in ihrem Artikel haben ergeben, dass es Abweichungen zum Originaldokument gibt. 
Es lässt sich daher nicht zweifelsfrei klären, ob die Angaben zu den Noten im Artikel der SZ tatsächlich - wie durch den Text nahe gelegt - aus unmittelbarer Kenntnis des Dokuments oder aus anderen Quellen erwachsen sind. 
Auch wenn wir den Regierenden Bürgermeister für eine absolute Person der Zeitgeschichte halten, was weitgehende Rechte der Presse nach sich zieht, wird das Zeugnis doch als Dokument der Privatsphäre zugerechnet, für das das Recht auf informationelle Selbstbestimmung einschlägig ist. Unsere Juristen schreiben dazu: 
"Bei einem Abiturzeugnis handelt es sich um personenbezogene Daten, für deren Übermittelung an Dritte, auch die Presse, es der Rechtsgrundlage bedarf. Die Daten unterliegen dem informationellen Selbstbestimmungsrecht. Eine Einsichtnahme in ein Zeugnis für einen Dritten beinhaltet eine Datenübermittlung personenbezogener Daten. Die Voraussetzungen für eine Datenübermittlung nach Schulrecht in § 64 Abs. 5 SchulG liegen nicht vor." 
Die bezirkliche Schulaufsicht hat den örtlichen Datenschutzbeauftragten eingeschaltet. 
Uns ist nicht bekannt, dass die Noten bereits anderweitig veöffentlich worden wären - können es aber auch nicht ausschließen. 
Aus dem Gesagten ergibt sich bereits, dass der offenbar lange zurückliegende und für sich kaum zu beanstandende Besuch der SZ in der Schule mit unserem Haus nach heutiger Kenntnis eben so wenig abgestimmt war wie die Veröffentlichung der Noten.“

„Viel Trara“, findet Klaus Graf, „Schule ist keine solipsistische Veranstaltung, sondern Sozialsphäre“. Daher bat ich ihn gleich um Zusendung seines Abiturzeugnisses. Vielleicht können wir ja daraus ein Meme kreieren: Bullioning!

Martin Rath spitzt die Kritik sogar noch zu: „Weil sich die Vertreter politischer Parteien heute kaum noch durch ideologische/ programmatische Überzeugungen auszeichnen, sollte es der Öffentlichkeit möglich sein, sich wenigstens ein Bild von soetwas wie biographischer Kohärenz (oder Brüchen im Lebenslauf) machen zu können. (...) Abiturnoten einer Kernregion des Persönlichkeitsrechts zuzuordnen, finde ich allerdings etwas albern. Und auch gefährlich für die öffentliche Auseinandersetzung, wenn man bedenkt, was sich alles hinter dem Schleier des Datenschutzes verbergen ließe.“