Mittwoch, 12. September 2007

Explicit: Internet klärt kaum auf

Heute hat die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ihre Repräsentativerhebung 2007 zum Verhütungsverhalten Erwachsener vorgestellt, und es hat mich doch überrascht, wie wenig das Internet zur Aufklärung beiträgt. Etwaige Kenntnisse über Empfängnisverhütung verdanken gerade mal 16 Prozent dem Internet, womit es immer noch weniger Bedeutung als Bücher (42%), Aufklärungsbroschüren (35%) oder Schul- und andere Vorträge (23%) hat. Daß „Bravo“ und andere Printtitel mit 45 Prozent weit vorne liegen, war dagegen zu erwarten. Spitzenreiter mit 65 Prozent sind „Gespräche mit Freunden, Verwandten, Bekannten“. Online-affiner sind offenbar junge Männer, die zu 29 Prozent per Computer aufgeklärt werden. Aber wahrscheinlich halten die es schon für Empfängnisverhütung, wenn bei den Pornoanbietern ins Gesicht und auf die Brüste abgespritzt wird...

Fast Food Vitamine oder: wie man Äpfel verkauft

Kommendes Frühjahr ergänzt Burger King sein Sortiment um „Fresh Apple Fries“, pommesartig geschnittene Äpfel, die in der Pommes-Schachtel verkauft werden – wenn auch ohne Mayo oder Ketchup. Vom Erdapfel zum Apfel. So bescheuert, daß es fast schon wieder gut ist.

Tête-à-tête mit dem Basic-Vorstand

Etwas über zwei Stunden saßen heute morgen unter anderem die Vorstandmitglieder Josef Spanrunft und Johann Priemeier von der Bio-Supermarktkette Basic mit Vertretern von attac, dem Sozialforum und mir zusammen. Den ganzen Vormittag wurde der Einstieg der Schwarz-Gruppe (Lidl, Kaufland) bei ihnen diskutiert, und bei aller Kommunikationsbreitschaft läuft es darauf hinaus, daß die Schwarz-Gruppe beteiligt bleibt und wir weiter dagegen agitieren werden. Der von Thomas Knüwer – auch nur vom Hörensagen – verbreiteten Behauptung, daß nur etwa sieben Prozent der Basic-Anteile vinkulierte Namensaktien wären, widerspricht aber der Basic-Vorstand entschieden. Hundert Prozent der Aktien seien vinkuliert, ein Kauf nur mit Zustimmung des Vorstands möglich und der Verkauf weiterer Anteile an die Schwarz-Gruppe daher nicht möglich. (alle Beiträge zum Thema)

Burda läuft – Keiner sieht's?

Leeres Stadion, großes Hubert Burda Media – ist das alles, was es vom gestrigen Mitarbeiterevent im Olympiastadion zu sehen gibt? Letztes Jahr wurden wenigstens noch der schöne Marcel, Playboy-Bunnies und gut gelaunte Mitarbeiten aufgeboten, von den Sportlern ganz zu schweigen...

Blogparade: Was ist Heimat? (2)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart gestern dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. (Update: Hier ein erster Zwischenbericht zum Feedback.) Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben. Dieser hier über Urlaub daheim ist erstmals am 2. August 1998 im „Tagesspiegel“ erschienen, als Berlin bereits acht Jahre meine Wahlheimat war. In leicht gekürzter Form hat ihn dann auch das „Sympathie Magazin“ in seinem Themenheft „Tourismus“ 1999 nachgedruckt.

Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Sehenswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen irgendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Republik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschinen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, Tête-à-têtes und Verpflichtungen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen.

Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäppchenreise oder Lebemanns Städtetrip zwischen Grand Palais und Croisette. Zuhausegeblieben, weil potentielle Reiseziele in Israel oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt erreichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarrangement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den verplanten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswoche entgegenzusetzen. Einfach mal hierbleiben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen.

Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn - oder kleine Verrückheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donnerstag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Theaterbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position beziehen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren.

Dabei darf man keinesfalls mitpulsieren, Fußmärsche absolvieren, einen Schaufensterbummel machen oder sich gar ins Café setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, warten und den Strom an sich vorbeiziehen lassen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gästen wie Einwohnern.

Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schicker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehrlich, schlicht, authentisch erleben, als Teil eines Ganzen.

Für Salomons Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufüllen, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der nächsten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Verkaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbeitet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salomons Bagel in die Joachimsthaler Straße retten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) haben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schneidersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins. Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte.

Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wechselt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den wenigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiesprache mit den geschichtsträchtigen Jahrhunderten halten und ihren kapitalen kontinentalen Zauber spüren, gerade wenn der unvermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht.

Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucherstäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstücken, dem orientalischen Markttreiben zusehen, den Pariser cheap chic von Tati gegenüber im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören und vollkommen vergessen, ob man nun in Istanbul, Paris oder doch nur zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt.

Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind – so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen.

Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen.

Unmittelbar dahinter liegt die Strandvoliere, das kleine Charlottenburger Seeidyll. Ich weiß nicht mehr, ob das nun Seeschwalben, Goldammern oder irgendwelche Strandläufer waren, da ich urlaubsbedingt ganz ohne Reporterblock das Vogelparadies genossen habe. Mit Sicherheit kann ich mich aber an kein abgeschiedeneres, kein romantischeres Plätzchen in unmittelbarer City-Lage erinnern. Vormittags und nachmittags soll eine sedative Wellenanlage in Betrieb sein, mir hat bei meinen Besuchen am frühen Abend die Bewegung der Vogelkolonie völlig genügt. Man betritt die Voliere, nimmt auf Tuchfühlung mit den Tieren Platz und hat ein fesselndes Programm vor Augen: Dallas auf der Düne, ein verästeltes Balz, Kampf-, Sozialverhalten, in dem man rasch kurz- und lang, rot- und schwarzschnabelige Arten unterscheidet, und dann bei all den Flugmanövern, Tauchgängen und Sandspielen allmählich auch Jung und Alt, Chefs und Mitläufer, Sammler und Saboteure identifiziert.

Nahezu ebenso spannend kann ein Abend, der Donnerstagabend im Far Out sein, der altgedienten Ku'damm-Disco neben der Schaubühne, die ich nach zwölfjähriger Pause wiederbetreten habe, wie ein Tourist an eine Stätte früherer Vergnügungen zurückkehrt. Die Mas und Swamis haben die gleiche Metamorphose durchgemacht, wie sie unberührten Strandabschnitten und ländlichen Geheimtips widerfährt – man selbst ist auch nicht vor Erleuchtung strahlend geblieben, geschweige denn jünger geworden.

Aber es bleibt noch immer Berlins einziger Club, vor dessen Einlaß man gern, weil entspannt und in freundlicher Gesellschaft Schlange steht. Das Barpersonal setzt seinen besorgten Blick auf, wenn man Wodka pur ordert. Und die Gäste sind jung, gut gelaunt, international gemischt, promiskuitiv – eben all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der Dj will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf.

Beim Thema Jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schon wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan.

In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in andere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat.

Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten.

Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

Blogparade: Was ist Heimat? (1)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart gestern dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. (Update: Hier ein erster Zwischenbericht zum Feedback.) Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben.

Ein Cappuccino von Starbucks, das Sommerkleid von Zara, die neuesten Intrigen der „Desperate Housewives“: Viele lieb gewonnenen Dinge gibt's auch da, wo immer man gerade hinreist. Die Welt ist zum globalen Dorf geworden, in dem man sich ganz gut zurechtfindet, egal ob man in Lausanne oder London, München oder Mannheim gelandet ist. Heimisch fühlt man sich deshalb noch lange nicht. Dabei ist Heimat wichtiger denn je. In der rasanten Gegenwart werden Arbeitsplätze, Beziehungen und Wohnorte immer schneller gewechselt. Die wenigsten können mit einiger Sicherheit voraussagen, wo und mit wem sie alt werden. Für 56 Prozent der Deutschen hat Heimat im Zeitalter der Globatisierung an Bedeutung gewonnen,
ermittelte eine Emnid-Umfrage (pdf). „Zukunft braucht Herkunft“, betont auch der Philosoph Odo Marquard. Seine These: Die wachsende Mobilität schwächt den Gemeinsinn und macht einsam – ein Defizit, über das prägende Erinnerungen, etwa an die Eltern oder vertraute Rituale aus der Kindheit, hinweghelfen können.

Für die einen liegt dieses unverwechselbare Stück heile Welt im Schoß der Familie. Für andere ist es der vertraute Ort ihrer Kindheit. Bei einer weiteren Emnid-Umfrage beantworteten nur elf Prozent die Frage nach ihrer Heimat mit Deutschland. Die überwältigende Mehrheit dachte zuerst an die Familie, an Freunde oder den Heimatort – die nähere Gemeinschaft, in der man Geborgenheit und Wärme erlebt hat.

Es gibt eine neue Heimatbewegung. Die Menschen sind wieder auf ihre Herkunft neugierig und bekennen sich zu ihren Wurzeln. Mit vor Stolz geschwellter Brust trägt man Shirts, auf denen der Name des Geburtsorts oder des eigenen Stadtteils steht. Stammbäume feiern Renaissance: Sie bieten Gesprächsstoff zwischen den Generationen und führen häufig weit entfernte Verwandte zusammen. Internet-Dienste, mit deren Hilfe man verloren geglaubte Schulfreunde wiederfinden kann – wie Stayfriends –, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Im Großraum Düsseldorf zählen Ortswappen zu den beliebtesten kostenpflichtigen Handy-Logos.

Der Kontakt zu Verwandten, Freunden und Nachbarn bietet nach Ansicht des Diplom-Psychologen Heiko Ernst die beste Möglichkeit, das Heimatgefühl zu stärken: Netzwerk statt Fachwerk, persönliche Kontakte statt bloßer Postkartenidylle. Erstaunlich, wie vertraut man sich sofort wieder ist, auch wenn man sich zehn Jahre oder länger nicht mehr gesehen hat. Fast wie beim Wiedersehen mit der ersten großen Liebe.

Heimat ist nicht unbedingt die erste, aber sicherlich eine der beständigsten Liebesbeziehungen. Sie stillt die Sehnsucht nach Sicherheit, denn sie kommt uns vor wie ein Refugium, das immer auf uns wartet. „Wer ein gutes Selbstgefühl hat, der hat Heimat“, so der Psychoanalytiker Paul Parin.

Meist wird der Wert von Heimat erst richtig wahrgenommen, wenn man sich von ihr entfernt hat. Wenn der Wald vor der Tür des Elternhauses plötzlich Hunderte von Kilometern entfernt ist. Ebenso wie das gute Brot, das es immer beim Bäcker gab, oder die Grillabende mit den Nachbarn. Manchmal genügt schon ein kurzer sinnlicher Reiz, um Heimatgefühle zu wecken. Es kann die Grenzenlosigkeit des weiß-blauen Himmels an einem lauen Frühlingstag sein. Kuchengeruch, der durchs Treppenhaus zieht. Das Rattern einer Straßenbahn. So kann man sich auch plötzlich in London oder München heimisch fühlen, bloß weil ein Tourist im altvertrauten Dialekt redet oder man auf dem Flohmarkt die Schallplatte entdeckt, die man sich als erste vom Taschengeld gekauft hat.

Erschienen in der „freundin“ 7/2006.

Dienstag, 11. September 2007

Blogparade: Was ist Heimat? (2)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart heute dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben. Dieser hier ist erstmals am 2. August 1998 im „Tagesspiegel“ erschienen, als Berlin bereits acht Jahre meine Wahlheimat war. In leicht gekürzter Form hat ihn dann auch das „Sympathie Magazin“ in seinem Themenheft „Tourismus“ 1999 nachgedruckt. Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Se- henswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen ir- gendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Re- publik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschi- nen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, T~te-ä-t~tes und Verpflichtun- gen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen. Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäpp- chenreise oder Lebemanns Städtetrip zwi- schen Grand Palais und Croisette. Zuhause- geblieben, weil potentielle Reiseziele in Isra- el oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt er- reichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarran- gement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den ver- planten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswo- che entgegenzusetzen. Einfach mal hierblei- ben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen. Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn - oder kleine Verrückheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donners- tag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Thea- terbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position bezie- hen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren. Dabei darf man keinesfalls mitpulsieren, -Fußm~irsche absolvieren, einen Schaufen- sterbummel machen oder sich gar ins Caf~ setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, war- ten und den Strom an sich vorbeiziehen las- sen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gä- sten wie Einwohnern. Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schik- ker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehr- lich, schlicht, authentisch erleben, als Teil ei- nes Ganzen. Für Salomons Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufül- len, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der näch- sten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Ver- kaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbei- tet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salo- mons Bagel in die joachimsthaler Straße ret- ten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) ha- ben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schnei- dersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins. Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte. Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wech- selt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den we- nigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiespra- che mit den geschichtsträchtigen ja.hrhun- derten halten und ihren kapitalen kontinen- talen Zauber spüren, gerade wenn der un- vermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht. Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucher- stäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der l(ottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstük- ken, dem orientalischen Markttreiben zuse- hen, den Pariser cheap chic von Tati gegen- über im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören Da, plötzlich, und vollkommen Freitagaben vergessen, ob man nun in Istanbul, Pa- eröffnet sich e ris oder doch nur kann man ihr, zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt. Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind - so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen. Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen. all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der Dj will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf. Beim Thema jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schön wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan. In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in an~ere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat. Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten. Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

Kathrin Passig und ihre Kohlenstoffwelt

Ihre Reiseziele suche sie bisweilen danach aus, „ob diese der grafischen Umgebung ihrer liebsten Adventure-Spiele ähneln. Die Welt hienieden nennt sie schon mal «Kohlenstoffwelt». Digital ist besser. Il faut être absolument technophil. Und doch hat auch Kathrin Passig nicht auf jede Frage eines Computer-Laien die Antwort aus dem Effeff.“ Rene Aguigah porträtiert für „Literaturen“ die Bachmann-Preisträgerin von der Zentralen Intelligenz Agentur (via Magazinrundschau)

Wedekind im Web

Zuletzt wurde sie immer wieder für diverse neue Printtitel in München gehandelt, davor hat sie für den Axel Springer Verlag ein Blatt entwickelt, das als „40 plus“ gehandelt wurde, ein Magazin für Frauen in den besten Jahren. Nun macht Beate Wedekind, ehemalige Chefredakteurin von „Bunte“ und „Elle“, Gründerin von „Gala“ sowie Zeremonienmeisterin bei Springer („Goldene Kamera“, „Ein Herz für Kinder“, „Goldenes Lenkrad“) mit einer Textanzeige bei Turi auf ihren Blog aufmerksam: Frauen50plus. Beschäftigungstherapie oder virale Vorbereitung für das ursprünglich geplante Heft?

Die Web-Trends der nächsten zehn Jahre

In seinem Blog hat Richard MacManus „10 Future Web Trends“ mit viel Quellenmaterial vorgestellt:
  1. Das semantische Web
  2. Künstliche Intelligenz
  3. Virtuelle Welten
  4. Web per Handy
  5. Verwaltung der Aufmerksamkeit
  6. Die Website als Web-Service
  7. Online-Video/IPTV
  8. Intuitive Benutzeroberflächen
  9. Die Internationalisierung des Webs
  10. Personalisierte Webseiten
(via Loïc Le Meur )

Montag, 10. September 2007

Dilbert und das Web 2.0

Meetings, die Seuche unseres modernen Arbeitslebens. Quatschen, delegieren, Projektleitung schaffen, Projektteams gründen. Und jede Menge Geschwurbel – von mir auch gelegentlich als „PowerPoint-Blasen“ (1, 2) gebrandmarkt (offenbar hat da die letzten zwei Wochen niemand den Kommentarspam weggeräumt, ich darf ja nicht mehr). Im sonst verdammt komischen „Dilbert“ wird nun eine neue Bullshit-Variante vorgeführt: Wie man jedes Meeting sabotiert, indem man eine Diskussion über das Web 2.0 entfesselt. Ich find's nur leidlich witzig, aber die US-Blogosphäre amüsiert sich köstlich darüber.

Update: Und „Strizz“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zum Theme Firmenblogs. (via Rivva)

Alan Greenspans One-Night-Stand

Bei manchen Menschen reicht eine gehobene Augenbraue, um Aktienkurse zu gefährden, und auch wenn Alan Greenspan schon länger nicht mehr für die US-amerikanische Notenbank spricht, können seine Kommentare immer noch die Märkte erschüttern. Und jetzt bloggt so ein Alphaökonom. Bei Amazon. Als Werbung für sein am Montag erscheinendes Buch „The Age of Turbulence“. Doch wie die „New York Times“ heute meldet, bleibt es trotz RSS-Feeds wohl bei seinem ersten und bislang einzigen Blogeintrag vom 31. August. Womit sich Greenspan in eine Liga mit Dürrlogs wie den Schwabylon-Blog begibt.