Samstag, 4. Mai 2024

Filmpreis 2024 – Lolas Absturz in den Partykeller

Eine der schönsten Nachrichten letztes Jahr war, dass Samira El Ouassil mit dem Michael-Althen-Preis ausgezeichnet wurde. Um so mehr hatte ich mich auf den Deutschen Filmpreis 2024 gefreut, als bekannt gegeben wurde, dass sie gemeinsam mit Lars Jessen die künstlerische Leitung des Abends übernähme. Nun, die Ernüchterung kam gestern Abend. Selbst Samira El Ouassil gelingt nicht alles.
Ein langatmiger Abend mit einem halben Dutzend verloren wirkenden Moderator*innen rund um einen Tresen – bei mir löste das Erinnerungen an triste Obermenzinger Partykeller in den 1970er-Jahren aus. Mittendrin Jürgen Vogel als „Hausmeister“, der zu Beginn viel versprach: „Spürt ihr das, was für eine Energie. Die Kraft des Schaffens, des Scheiterns, der Liebe“, bevor er sich hinter den Tresen verzog, um fernzusehen. Was blieb, war nur das Scheitern.
Wenn, ja wenn nicht trotz all der schlecht geskripteten Show das Politische, Ayşe Polat, Margot Friedländer und eine phänomenale Hanna Schygulla gewesen wären. Ayşe Polat, deren deutsch-kurdisches Drama „Im toten Winkel“ für das beste Drehbuch und die beste Regie ausgezeichnet wurde sowie die bronzene Lola für den besten Spielfilm erhielt, packte schon in ihre erste Dankesrede eine Forderung, die man sich auch für die Veranstaltung gewünscht hätte: „Neue Erzählformen sind wichtig, weil sie neue Denk- und Fühlräume schaffen.“ Stattdessen war die Preisverleihung ein kraftloser, fader Fernsehabend. Abbild eines Deutschlands, das einem Darsteller von „Im toten Winkel“, Ahmet Varli, die Teilnahme an der Lola-Show versagte, weil man ihm das Einreisevisum verwehrte, wie Polat auf der Bühne beklagte.
Der Deutsche Filmpreis als Veranstaltung nur für Deutsche?
„Es gibt kein christliches oder arabisches Blut“, mahnte Margot Friedländer in einem Gastauftritt, „es gibt nur menschliches Blut“. Sie erinnerte daran, dass unter den Nazis nicht nur Juden verfolgt wurden, sondern auch politisch Andersdenkende, Homosexuelle, Sinti, Roma, kranke Kinder, alte Menschen und viele weitere ermordet wurden. Und wandte sich an den Saal: „In diesem Raum sitzen ganz viele Geschichtenerzähler. Ihr habt die Kraft, mit Filmen Geschichten zu erzählen, damit so etwas nie wieder passiert.“ 
Die mit dem Ehrenpreis gefeierte Hanna Schygulla (Foto) zeigte sich auch sehr „beunruhigt, was sich auf deutschem Boden tut und nachwächst". Etwa, dass sehr viele junge Erstwähler sich für die AfD entscheiden. Jemand, der das alles erklären könnte, wäre Alexander Kluge, dem Schygulla einige Worte widmete: „Er ist nicht einer der Aufgeschlossensten, aber er hat viel zu sagen. Bloß wann, wo?“, wunderte sie sich. Früher hätte er sogar seinen eigenen Sender gegründet, doch jetzt höre man von ihm nichts mehr.
Sie selbst kokettierte damit, sich keine Texte mehr merken zu können, um kurz darauf beiläufig anzumerken, dass sie im Oscar-prämierten „Poor Things“ mitgespielt hätte. Und die Auszeichnung quittierte sie mit einem: „So viel Ehre. Früher konnte ich das Wort überhaupt nicht leiden. Aber heute fühle ich, dass es mir auch guttut.“ Es war ein zwischen Slapstick und Melancholie oszillierender Auftritt, halb Diva, halb Derwisch im destruktiven Ringen mit dem Mikrofon. 
„Aber das Glück ist auch nicht immer lustig“, zitierte Schygulla schließlich Rainer Werner Fassbinder. Was man auch über diesen Lola-Abend sagen kann. Nur ohne dass ihn Fassbinders Genialität gestreift hätte.

(Foto: Eventpress/Deutsche Filmakademie)

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