In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart gestern dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. (Update: Hier ein erster Zwischenbericht zum Feedback.) Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben.
Ein Cappuccino von Starbucks, das Sommerkleid von Zara, die neuesten Intrigen der „Desperate Housewives“: Viele lieb gewonnenen Dinge gibt's auch da, wo immer man gerade hinreist. Die Welt ist zum globalen Dorf geworden, in dem man sich ganz gut zurechtfindet, egal ob man in Lausanne oder London, München oder Mannheim gelandet ist. Heimisch fühlt man sich deshalb noch lange nicht. Dabei ist Heimat wichtiger denn je. In der rasanten Gegenwart werden Arbeitsplätze, Beziehungen und Wohnorte immer schneller gewechselt. Die wenigsten können mit einiger Sicherheit voraussagen, wo und mit wem sie alt werden. Für 56 Prozent der Deutschen hat Heimat im Zeitalter der Globatisierung an Bedeutung gewonnen,
ermittelte eine Emnid-Umfrage (pdf). „Zukunft braucht Herkunft“, betont auch der Philosoph Odo Marquard. Seine These: Die wachsende Mobilität schwächt den Gemeinsinn und macht einsam – ein Defizit, über das prägende Erinnerungen, etwa an die Eltern oder vertraute Rituale aus der Kindheit, hinweghelfen können.
Für die einen liegt dieses unverwechselbare Stück heile Welt im Schoß der Familie. Für andere ist es der vertraute Ort ihrer Kindheit. Bei einer weiteren Emnid-Umfrage beantworteten nur elf Prozent die Frage nach ihrer Heimat mit Deutschland. Die überwältigende Mehrheit dachte zuerst an die Familie, an Freunde oder den Heimatort – die nähere Gemeinschaft, in der man Geborgenheit und Wärme erlebt hat.
Es gibt eine neue Heimatbewegung. Die Menschen sind wieder auf ihre Herkunft neugierig und bekennen sich zu ihren Wurzeln. Mit vor Stolz geschwellter Brust trägt man Shirts, auf denen der Name des Geburtsorts oder des eigenen Stadtteils steht. Stammbäume feiern Renaissance: Sie bieten Gesprächsstoff zwischen den Generationen und führen häufig weit entfernte Verwandte zusammen. Internet-Dienste, mit deren Hilfe man verloren geglaubte Schulfreunde wiederfinden kann – wie Stayfriends –, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Im Großraum Düsseldorf zählen Ortswappen zu den beliebtesten kostenpflichtigen Handy-Logos.
Der Kontakt zu Verwandten, Freunden und Nachbarn bietet nach Ansicht des Diplom-Psychologen Heiko Ernst die beste Möglichkeit, das Heimatgefühl zu stärken: Netzwerk statt Fachwerk, persönliche Kontakte statt bloßer Postkartenidylle. Erstaunlich, wie vertraut man sich sofort wieder ist, auch wenn man sich zehn Jahre oder länger nicht mehr gesehen hat. Fast wie beim Wiedersehen mit der ersten großen Liebe.
Heimat ist nicht unbedingt die erste, aber sicherlich eine der beständigsten Liebesbeziehungen. Sie stillt die Sehnsucht nach Sicherheit, denn sie kommt uns vor wie ein Refugium, das immer auf uns wartet. „Wer ein gutes Selbstgefühl hat, der hat Heimat“, so der Psychoanalytiker Paul Parin.
Meist wird der Wert von Heimat erst richtig wahrgenommen, wenn man sich von ihr entfernt hat. Wenn der Wald vor der Tür des Elternhauses plötzlich Hunderte von Kilometern entfernt ist. Ebenso wie das gute Brot, das es immer beim Bäcker gab, oder die Grillabende mit den Nachbarn. Manchmal genügt schon ein kurzer sinnlicher Reiz, um Heimatgefühle zu wecken. Es kann die Grenzenlosigkeit des weiß-blauen Himmels an einem lauen Frühlingstag sein. Kuchengeruch, der durchs Treppenhaus zieht. Das Rattern einer Straßenbahn. So kann man sich auch plötzlich in London oder München heimisch fühlen, bloß weil ein Tourist im altvertrauten Dialekt redet oder man auf dem Flohmarkt die Schallplatte entdeckt, die man sich als erste vom Taschengeld gekauft hat.
Erschienen in der „freundin“ 7/2006.
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