Dienstag, 11. September 2007

Blogparade: Was ist Heimat? (2)

In Yoda's Blog forderte Roman Hanhart heute dazu auf, sich mit dem Heimatbegriff auseinanderzusetzen. Ein schöner Anlaß, zwei Artikel von mir wieder auszugraben. Dieser hier ist erstmals am 2. August 1998 im „Tagesspiegel“ erschienen, als Berlin bereits acht Jahre meine Wahlheimat war. In leicht gekürzter Form hat ihn dann auch das „Sympathie Magazin“ in seinem Themenheft „Tourismus“ 1999 nachgedruckt. Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Se- henswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen ir- gendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Re- publik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschi- nen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, T~te-ä-t~tes und Verpflichtun- gen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen. Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäpp- chenreise oder Lebemanns Städtetrip zwi- schen Grand Palais und Croisette. Zuhause- geblieben, weil potentielle Reiseziele in Isra- el oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt er- reichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarran- gement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den ver- planten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswo- che entgegenzusetzen. Einfach mal hierblei- ben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen. Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn - oder kleine Verrückheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donners- tag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Thea- terbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position bezie- hen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren. Dabei darf man keinesfalls mitpulsieren, -Fußm~irsche absolvieren, einen Schaufen- sterbummel machen oder sich gar ins Caf~ setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, war- ten und den Strom an sich vorbeiziehen las- sen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gä- sten wie Einwohnern. Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schik- ker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehr- lich, schlicht, authentisch erleben, als Teil ei- nes Ganzen. Für Salomons Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufül- len, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der näch- sten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Ver- kaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbei- tet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salo- mons Bagel in die joachimsthaler Straße ret- ten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) ha- ben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schnei- dersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins. Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte. Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wech- selt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den we- nigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiespra- che mit den geschichtsträchtigen ja.hrhun- derten halten und ihren kapitalen kontinen- talen Zauber spüren, gerade wenn der un- vermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht. Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucher- stäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der l(ottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstük- ken, dem orientalischen Markttreiben zuse- hen, den Pariser cheap chic von Tati gegen- über im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören Da, plötzlich, und vollkommen Freitagaben vergessen, ob man nun in Istanbul, Pa- eröffnet sich e ris oder doch nur kann man ihr, zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt. Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind - so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen. Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen. all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der Dj will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf. Beim Thema jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schön wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan. In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in an~ere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat. Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten. Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.

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