Ob natürlich anodisiertes, gebürstetes, eloxiertes, hochglanzpoliertes, mattiertes, epoxylackiertes oder pulverbeschichtetes Aluminium: Kaum eine Seite im neu erschienenen Herbstkatalog des Philip Morris Design Shops, auf der der silbrig-weiße Werkstoff fehlt. Kaum eine Möbelmesse ohne die Flexibilität und Leichtigkeit von Aluminiumkonstruktionen. Aber im Vergleich mit Klassikern der sechziger Jahre wie die Splügen-Bräu-Lampe der Gebrüder Castiglioni und die Aluminiumsessel des Designerpaares Charles und Ray Eames hat die Aluware heutzutage nicht mehr die Anmut revolutionärer Kultobjekte.
Der Produktanspruch von Alufelgen und Knoblauchpressen, Gemüseschälern oder Spätzlepressen aus Aluminiumdruckguß bestimmt das (De-)Sein. Das Material wird nurmehr im Kleingedruckten erwähnt und strotzt vor – mal glänzender, mal mattierter – Banalität, die sich als Präsent stets gut macht, weil man nicht auf alle Ewigkeit nur Alessi-Alberei aus Plaste und Edelstahl verschenken kann – hat ja auch schon fast jeder. Dann vielleicht stattdessen Philippe Starcks wabbelige Aluminiumoxydgußfigur „Dédé“, bei der man selbst im Hause Philip Morris etwas unschlüssig ist, ob sie nun als Briefbeschwerer, Buchstütze oder Türstopper Staub fangen soll – aber 380 Mark darf so etwas ruhig kosten.
Mein Aluminium ist von ganz anderer Natur. Bekennt sich zu seiner antiken Bedeutung in Form der Alaunerde und zum Fortschrittsmythos des 19. Jahrhunderts, als das Element mit der Ordnungszahl 13 erstmals per Elektrolyse aus Bauxit gewonnen wurde. Und existiert nicht im Einklang mit Feldspat und Glimmer, als relevanter Bestandteil unserer Erdkruste, um dann letztendlich im Flur als Hutständer zu enden. Mein Aluminium hat ein Gesicht. Auf dem Boden steht die Herstellerangabe Faymont, mit einem Stern über dem M. Der Griff ist mit drei Nieten befestigt, die mich bei Aluminium- und Kupfergeschirr immer daran erinnern, daß Kochen und Kochwerkzeug noch etwas mit Handwerk und Schmieden zu tun hat.
Der Rand hat etwas unperfektes, individuelles, nicht, weil der Hersteller unfähig gewesen wäre, einen runden Topf zu fabrizieren, sondern weil das Leichtmetall verformbar ist, bei jeder Nutzung, jedem Kochgang Dellen, Wellen abkriegt, wie sie Foodstylisten lieben, die ein Rezept illustrieren müssen und die Küche lebendig wirken lassen wollen. Im Einsatz auf der Elektroherdplatte ist so ein schiefes, krummes, unebenes, wackliges, zerkratztes Pfännchen unbrauchbar, reines Aluminium das absolute Gegenteil zum raffinierten, auch Aluminium enthaltenen Sandwichboden. Beim klassischen Espressokocher, dieser Alu-Schraubkanne mit ihrem schmalen Boden und dem soliden Mittelpunkt, bekommt man auch auf der Stromplatte einen schönen kleinen Braunen. Aber sonst ist das Material nur etwas für Gashaushalte.
Und für ehemalige Gashaushalte – denn einen Alutopf schmeißt man nicht weg. Nicht nur, weil er mütterliche Weichheit und Wärme, Zeitläufte, ersten Milchreis und Nudeln verkörpert, sondern weil er intime Einblicke gewährt. Aluminium reagiert und verfärbt, verformt sich im Kontakt mit anderen Stoffen, wird dann „unansehnlich“, wie die Haushaltsmullahs von Manufactum herummäkeln, weshalb das Waltroper Versandhaus nur porendicht eloxierte, das heißt: gehärtete Aluminiumpfannen aus Israel anbietet.
Ich blicke lieber ganz tief und lang in meine französische und italienische Weichware und zähl' die Löcher, sehe Flecken, Schlieren, Verunreinigungen, Verfärbungen wie bei einem Menschen, dessen Muttermale, Poren, Narben, Flaum man betrachtet, studiert, liebt.
Wolfram Siebeck schimpft solches Kochgeschirr „zerbeulte Pfadfinderausrüstung“ und läßt als Anhänger schwerer Töpfe und Pfannen unter „Zaubereien in Alu“ gerade mal in Folie gegarten Seewolf gelten. Doch dank der extrem hohen Temperaturleitfähigkeit, der Bezahlbarkeit und der pragmatischen, puristischen Anmutung ist Aluminiumgeschirr nicht mehr nur in der Gastronomie, sondern zunehmend auch in Privathaushalten gefragt, in denen man noch mit Gas kocht, und daher gerade auch in Berlin. Zumal inzwischen widerlegt ist, daß das lebensmittelechte, geruchs- und geschmacksneutrale Aluminium mit seinem Reinheitsgrad von 99,5 Prozent beim Kochvorgang Partikel freisetzte, die sich im Hirn anreichern und Alzheimer auslösen.
Zur Unbedenklichkeitsbescheinigung kommt der High-tech-Nimbus eines Werkstoffes, der nicht nur Flugzeuge formt, den Computern von Fujitsu bessere Wärmeableitung gewährt, den Audi A 8 versteift und das Cockpit im neuen Alfa Spider matt schimmern läßt, sondern auf einzigartige Art und Weise exotisch wirkt, obwohl es ihn in seiner industriellen Anwendung schon 144 Jahre gibt. Und das Alugeschirr in der Küche scheint mindestens genauso alt zu sein, denn selbst neu erworben sieht der Pastakocher nach zwei, drei Anwendungen wie ererbt aus.
Diese Ambivalenz aus modernem, funktionalem Element und schicker, sinnlicher Patina propagiert auch Coledampf's Küchenladen, wo die Aluriege mit einem knappen, museumsreifen „Spätes 20. Jahrhundert“ beworben und von den Wilmersdorfern wie wild gekauft wird.
Das Sortiment italienischer Profitöpfe reicht dort von der kleinen Stielkasserolle bis zum 85-Liter-Monstrum, die allesamt für die Gastronomie produziert werden und im Preis sogar Tchibo unterbieten. Der typische Erstkäufer will meist nur Urlaubserinnerungen mit einem mediterranen Fischkessel auffrischen oder für sein Party-Chili ein großes, billiges One-Night-Behältnis erwerben. Dann wird der Flirt zur Abhängigkeit, Alu zum Kult. Nicht nur für die eigene Küche, sondern auch als Geschenk. Wie jener dreifüßige Gemüseseiher im Oma-Look, den Coledampf's-Geschäftsführer Andreas Langholtz am laufenden Band verkauft und in dem man einen Yorkshire-Terrier baden könnte.
Womit wir auch fast schon zwei Ecken weiter in der Fasanenstraße wären, in der der Tanz ums Aluminium, die Fortschrittlichkeit mit Retro-Elementen noch weit verfeinertere Formen annimmt. „Aluminium“ taufte Bulgari seinen neuen, überaus sportlichen Chronometer, dessen Kautschuk-Aluminium-Konstrukt mit 2600 bis 2900 Mark zu bezahlen ist. Der Rückgriff aufs Aluminium, der bei der Swatch-Irony nur Sammler interessieren mochte, und bei Manufactums Dreißiger-Jahre-Wanduhr für robust-elegante Tradition steht, wird in der Hand der italienischen Nobeljuweliere zur grenzüberschreitenden Provokation, zur alchimistischen Philosophiererei, bei der die Namensgebung und das damit verbundene Bekenntnis fast schon wichtiger scheint als das wirklich verarbeitete Element. Statt edlerer Metalle und Verbundstoffe verkörpert Aluminium für den Bulgari-Clan die raffinierte und zugleich schlichte Ästhetik des neuen Jahrtausends. Und wenn es ein italienisches Millennium wird, kann es nur gut werden.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 30. August 1998 im „Tagesspiegel“ und wurde – ohne daß ich ihn eingereicht hätte – beim Journalisten-Wettbewerb der Aluminium-Zentrale mit einem 3. Preis ausgezeichnet.
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