Hanna Schygulla bin ich dreimal in meinem Leben begegnet. Einmal Anfang der achtziger Jahre zu einem Interview und Fotoshooting, bei dem sie unter meinem Regenschirm an mich geschmiegt durch den Olympiapark lief. Die entsprechende Ausgabe des Münchner Buch-Magazins muß ich erst noch aus den Beständen der Stabi bergen.
Später dann weit distanzierter, mit dem Bühnengraben zwischen uns. Zuletzt im Berliner Schiller-Theater, mit mir als Kritiker der Berliner Morgenpost im Zuschauerraum. Hier die am 1. Oktober 1997 veröffentlichte Konzertbesprechung.
"Diddel, Duddel, Daddel". Bereits beim zweiten Lied löst sich Hanna Schygulla aus dem befürchteten, mit Heiner Müller, Peter Handke, Thomas Bernhard und Charles Baudelaire sturmsicher geschnürten literarischen Ballast der Suhrkamp-Kultur, daddelt lautmalerisch, verspielt, wie kaum eine Diva zuvor. Ein Ausbruch, eine Improvisation? Nein, bloß ein Schlenker ihres für den Abend sorgsam austarierten Kurses, bei dem sie zwischen Vulgärem und Versen, Manierismen und Mütterlichkeit changiert, die Oberfläche wechselt, DIE Schygulla bleibt und das Publikum sich selbst überläßt.
Die Verpuppung der Schauspielerin zur Sängerin war in Berlin erstmals 1994 im Hebbel-Theater zu bestaunen. "Durch Himmel und Hölle mit Faust" nannte sie ihr Programm, bei dem sie sang, sprach, mit dem Publikum redete, es mitnahm auf einen Gedankenflug durch Literatur und Chansons. Inzwischen hat sich die Schygulla in einen Kokon aus Licht zurückgezogen, in dessen Schutz sie ihr neues Programm "Hanna Schygulla chantesingt" wie ein Hochamt zelebriert, nicht ohne Witz, nicht ohne Derbheiten, aber ohne jeden Bezug zum Publikum. Kein Dialog, nur mehr ein Monolog mit Piano.
Die Zuschauer im Schiller-Theater müssen förmlich kämpfen, um ihren Applaus loszuwerden. Und jeder merkt, die Diva wünscht es nicht sonderlich, unterbrochen zu werden. Und es wird auch nicht mehr viel applaudiert. Nahezu atemlos hechelt die Schygulla durch ihr Programm, durch einstudierte Posen, Phrasen, anderthalb Stunden ohne Pause. Der Auftakt ihrer Deutschland-Tournee findet vor halbleeren Reihen statt, wohl nicht nur, weil sie mit dem gleichen Programm bereits letztes Jahr in Berlin zu sehen war, sondern weil das Programm einen vor Kälte schaudern lassen kann. Und das Mausoleum des Schiller-Theaters ist - anders als ein kleines Spiegelzelt - kein wärmender Ausgleich für ein frostiges Programm.
Dabei ist die Schygulla immer noch ganz sie selbst, einladend, herzlich, Herzenswärme ausstrahlend und in der Pose einer Naiven aus der Vorstadt ebenso selbstsicher und dominant wie in den Allüren einer Femme fatale aus dem Boudoir. Barfuß und streng frisiert schwebt sie von der Hinterbühne ein, füllt den Raum wie selbstverständlich aus, zeigt Bein, läßt einen Träger rutschen, ganz alterslose Diva. Was auch immer sie in den Mund nimmt, ob Fassbinders deutsche Filmtitel, chansonfüllend aufgesagt, ein kubanisches Wiegenlied, ein paar englische Floskeln oder französische Gedichte - alles scheint einem anregenden Gefühls- und Gedankenfluß zu entspringen.
Wenn es nur nicht so glatt einstudiert wirkte, wie ein in der Schule vorzutragendes Gedicht. Nie spiegelt sich die Sinnlichkeit der Schygulla in ihren Worten wider, bleibt sie sie selbst. Und die Worte, schöne Worte, von Liebenden im Paradies und vom Schatten miteinander in Hiroshima Verschmolzener, sind mit Seele geschrieben und ausgesucht, aber ohne Seele vorgetragen. Zum Abschied dann, ohne daß sie sich lange bitten ließe, das Lied von der Laterne, das Lied von Lili Marleen. Übrigens ein Lied, das ebensowenig von dem sie begleitenden Pianisten Jean-Merie Sénia stammt wie die während des Konzerts eingestreuten Zitate von Gershwin oder Bizet, auch wenn die Schygulla Sénia als Komponisten "aller Musik dieses Abends" preist. Selbst eine Diva ist nicht immer gegen Fehler gefeit.
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