Die schönsten Momente meiner Zeit als Journalist waren oft die Augenblicke, wenn das Aufnahmegerät aus war. Es waren die achtziger und neunziger Jahre, als die Interviews im Idealfall noch über Stunden daheim oder in Restaurants unter vier Augen geführt wurden und nicht im 15-Minuten-Takt in einer Hotelsuite im Beisein der Aufpasser einer PR-Agentur,
Wunderbare Momente die nicht minder schöne Anekdoten lieferten, mit denen man dann jahrzehntelang seine Umgebung nervt: Wie ich mir mit Cosma Shiva Hagen eine Zigarette teilte. Martina Gedeck mir Geld leihen mußte, weil wir beim Italiener zu viel Wein gesoffen hatten. Maria Schrader zu viel erzählte, das Interview dann einen Tag vor Andruck nicht freigab und die ganze Seite, inklusive der Fragen, einfach selbst neu schrieb. Oder wie sich Catherine Flemming darüber mokierte, dass ich über Filme wohl nur so ablästere, weil ich untervögelt sei.
Letzteres empfand ich damals eher als taffe Ansage einer Berlinerin denn als sexuelle Beleidigung. Durchaus böse und verletzend. Aber gute Pointen sind manchmal eben so. Gerade wer als Journalist austeilt, sollte auch einstecken können.
Die Anekdote blieb über Jahrzehnte dieselbe. Aber als ich sie Jahrzehnte später mal nach Beginn der #metoo-Debatte erzählte, wurde plötzlich mehr draus. Ein längeres Gedächtnisprotokoll im Rahmen einer „Stern“-Geschichte über Männer, die – so der „Stern“ – belästigt wurden. „Hab' dich nicht so, Frauen passiert viel Ärgeres. Aber macht das im Einzelfall einen Unterschied?“, fragt die „Stern“-Redakteurin. Es seien „Erfahrungen, wie sie Menschen rund um den Globus jeden Tag machen und die bis zu #metoo nicht als erzählenswert galten.“
Für mich bleibt es immer noch nur eine schöne, erzählenswerte Anekdote, weitab von jeder Belästigung. Aber es schadet vielleicht auch nicht, wenn man erst einmal darüber gegrinst hat, tiefer nachzudenken.
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