Die überparteiliche Wählergruppe sei auf ihn zugetreten. Die Aufstellungsversammlung steht noch bevor, aber Graeter hofft, einen Listenplatz möglichst weit oben zu ergattern. Und selbst wenn nicht: Wer, wenn nicht er, würde von den Münchner Wähler*innen nach vorne gehäufelt werden. Schließlich ist er der Mann, der das Vorbild von Baby Schimmerlos in Helmut Dietls „Kir Royal“ war. „Mister Neugier“, wie ihn Redaktionskollege Sigi Sommer mal nannte.
Kurzum: legendär. In einer Ära, in der Printmedien noch Karrieren prägten und München ein Zentrum der Mode-, Musik- und Filmbranche war, entschied der Klatschjournalist mit seiner „Leute“-Kolumne in der „Abendzeitung“ über Schicksale. Zumindest im Selbstempfinden der Erwähnten und gerade der nicht Erwähnten. Immer pointiert, oft schlüpfrig, meist bestinformiert. Wer rein kam, war drin.Von der „Abendzeitung“ ging es zur „Bild“, danach zur „Bunten“. Nebenbei eröffnete er das Café Extrablatt an der Leopold- Ecke Georgenstraße, die Kinos Veranda und Cadillac im Arbaellapark und das Airport FJS Kino in der Feilitzschstraße. Hansdampf in allen Gassen.
Da kann man buchhalterisch schon die Übersicht verlieren. Was erst zu einer Bewährungsstrafe führte und dann wegen Flucht in die Schweiz zu Vollpension in der Justizvollzugsanstalt Landsberg, in der von Adolf Hitler über Uli Hoeneß bis Alfons Schuhbeck viele saßen, die München prägten.Die letzten Jahre versuchte der inzwischen über Achtzigjährige eifrig ein Comeback. Mal raunte er von einer eigenen Zeitung, dann von einem neuen Café Extrablatt. Immer Visionen im Kopf, aber offenbar nicht genug Geldgeber im Rücken.
Dass er zu Höherem strebt, bewies er letztes Jahr bei der Mitgliederversammlung des TSV 1860. Bei der Aussprache zur Wahl des neuen Verwaltungsrates meldete er sich zu Wort, ignorierte das Saalmikrofon und enterte die Bühne. Niemand traute sich, ihn zurechtzuweisen. Aber am Rednerpult, Auge in Auge mit den Ultras und Hardcore-Fans machte er als Redner eher eine klägliche Figur.
Seine Bühne sind die HInterstübchen, das Telefon, die regelmäßigen Auftritte am Viktualienmarkt oder Didis Obststand an der Universität, wo er die Welt erklärt und Anekdoten aus seinem an Begegnungen reichen Leben abliefert.
Am Telefon skizzierte er gestern Abend auch Eckpunkte seines Wahlprogramms. Er kämpft für die Erhaltung des Bargelds und schimpft auf die Wiesnwirte Kathrin Wickenhäuser-Egger und Alex Egger, die in ihrer Münchner Stubn nur noch Kartenzahlung akzeptieren. Auch die Stadtsparkasse hat Graeter im Visier. Statt eine „Luxusmensa“ wie das barer 41 für Studierende zu errichten, solle man lieber die dortige alte Filiale wieder eröffnen und überhaupt das Filialnetz ausbauen statt immer mehr auszudünnen.
Die Radwege sind dem Journalisten auch ein Gräuel. Nicht, dass er etwas gegen Radfahrer hätte, aber die Fahrspuren seien so breit, als ob sie für Lastwägen bestimmt wären. Und vor allem zu rot.
Überhaupt liebt er es, mit Farben politisch zu argumentieren. Grün sei die Farbe unreifen Gemüse und unreifer Politik. Rot in München zu dominant, womit der Sechzger Graeter die Sozen wie den FC Bayern meint. München müsse wieder weiß-blau und blau werden.
Dass in ihm ein ehemaliger FDP-Fan steckt, wenn auch der FDP eines Theodor Heuss oder Hans-Dietrich Genscher, hört man aus einer weiteren Lieblingsidee heraus: Graeter fordert die Versicherungs- und Kennzeichenpflicht für Fahrräder. Da würde doch die Versicherungsbranche gutes Geld damit verdienen können.
Auf der Liste der FDP will übrigens eine andere Journalistin kandidieren, die langjährige „Bunte“-Chefredakteurin Patricia Riekel, die Graeter, Sexist, der er ist, nur als Anhängsel ihres Partners Helmut Markwort wahrnimmt.
Dabei hat Graeter in letzter Zeit, seitdem er für die „Abendzeitung“ wieder gelegentlich Nachrufe schreibt, eine neue, zärtliche Seite offenbart. Doch im Wahlkampf, so ist zu befürchten, wird er sich wieder von seiner schlechtesten Seite als alter weißer Mann zeigen.



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