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Sonntag, 3. Mai 2015

Lüül: „Sie war Tarzan. Ich war Jane“

Mit seiner neuen Single „West-Berlin“ meldet sich Lüül 2015 wieder einmal mit einem Solo-Projekt zurück. 1997 traf ich den Berliner Liedermacher für ein Porträt in der „Berliner Morgenpost“ vom 20. September.
Update: Im Dezember 2021 kürt der „tip Berlin“ Lüül zu einem der 100 peinlichsten Berliner (Platz 65): „17 Hippies waren Banjo-Derwisch Lutz Lüül Graf-Ulbrich auf dem Gipfel seiner Verwirrung nicht mehr genug: Eine ganze Partei für verstrahlte Demeter-Dullis musste her!“ Er hätte die Querdenker-Partei Die Basis nicht nur auf deren Wahlplakaten unterstützt, sondern auch mit einer Basis Band. 


Krautrock, Neue Deutsche Welle und Pop-Fraktion – die Genealogie der leichten vaterländischen Muse und was sie mit der Love Parade, dem neuen deutschen Dancechart-Wunder und sonstigen Luftblasen unserer Plastikwelt zu tun hat, sorgt in den Feuilletons mal wieder für schwelenden Streit. Feinsäuberlich werden Trasher und Teutonen, Hardcore-Kämpen und Kryptofaschisten registriert, etikettiert und auseinanderdividiert. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen, und die Zuordnung, wer „hü“ und wer „hott“ ist, kann zu schärferen Glaubenskriegen führen als die Frage aller Fragen: was gute Musik sei.

Man kann diese Sinnsuche existentiell finden, profan – oder schlichtweg über solchen Dingen stehen wie Lüül. Der Berliner Popveteran blickt auf eines dieser Leben zurück, das selbst den abgebrühtesten Journalisten noch ein Leuchten in die Augen zaubert: Kommune 1 und Tangerine Dream, Nico und New York, Drogensucht und Hitparade sind Schlagworte einer solchen Musikerbiografie. Agitation Free, Ash Ra Tempel, das Reineke Fuchs Theater, die 17 Hippies und zahlreiche Solo-Produktionen sind die Referenzen von Lutz „Lüül“ Ulbrichs Höhenflug zwischen Avantgarde und Kiezromantik („Mond von Moabit“).

Doch selbst ein altgedienter Pop-Arbeiter wie Lüül macht neue Erfahrungen: auf einem polnischen Frachter überquerte er den Atlantik und begab sich mit Freundin („Sie war Tarzan. Ich war Jane.“) und Gitarre auf eine neunmonatige Transamericana. Dabei lernte Lüül, der früher immer nur eigene Stücke spielen wollte, die verbindende Wirkung improvisierter Tongeplänkel und internationaler Gassenhauer wie „Guantanamera“ schätzen – insbesondere, da er kaum Spanisch spricht.

Der Trip von Venezuela in die USA geriet zu einer jener No-Budget-Höllentouren, die von flohverseuchten Unterkünften bis zu einem veritablen Zugüberfall alles enthalten, womit man sich als Überlebender daheim dann wieder brüsten könnte. Doch die unterwegs zwischen Hängematte und Strand entstandenen Texte und Kompositionen streifen das höchstens in einem peppig-amüsierten „Manos arriba – Hände hoch!“ wieder. Keine Spur von Weinerlichkeit: Ein überaus entspannter Lüül läßt einfach seine Seele baumeln.

Die neue Lust am Musizieren und der neue Hang zur Heiterkeit schlagen sich auf Lüüls soeben erschienener CD „Ahoi!“ nicht nur im Songmaterial über Sonne, Wellen, Berge und Banditen nieder, sondern auch in Neueinspielungen seiner Klassiker („Bargeld“, „Bahnhof“). Maultrommel, Mundharmonika, Akkordeon und Ukulele sind typische Begleitinstrumente dieses nahezu stromfreien Lüül, dessen neues Album einfach gute Laune, Glück und Heiterkeit verbreitet, ohne jemals auch nur in den Verdacht stumpfsinniger Gehirnamputation zu geraten.

Bei der Record Release Party heute abend um 20 Uhr im Casino Westhafen (Westhafenstraße 1, Moabit) wird Lüül mit einigen mitreisenden Gästen von der großen weiten Welt erzählen, den Shanties singenden Schiffahrtschor Berlin präsentieren und mit seinen Partnern von den 17 Hippies den Abend beenden. Etwa 45 Mitwirkende bei nur 120 Publikumsplätzen – das kann nur in einer feuchtfröhlichen Fiesta enden.

Mittwoch, 22. April 2015

Atze Brauner: „Ich kenne nicht einen gutaussehenden Mann“ (1996)

Rund 500 Filme entstanden in seinen Studios, etwa 200 produzierte er selbst, darunter „Old Shatterhand“, „Der Tiger von Eschnapur“, Tralala-Streifen mit Heinz Rühmann oder auch „Hitlerjunge Salomon“. Jetzt widmet das goEast Filmfestival dem Berliner Filmproduzenten Artur „Atze“ Brauner am 24. April 2015 ein Symposium: „Artur Brauner: Der Produzent als Grenzgänger und Brückenbauer“.
1996 traf ich Brauner anläßlich des 50-jährigen Bestehens seiner CCC-Film bei sich daheim und interviewte ihn auf seiner Terrasse für die Kulturbeilage des „Tagesspiegel“ („Ticket“ 30/96 vom 25. Juli 1996). Den im Gespräch erwähnten „Golem“ hat er bis heute, 19 Jahre später, nicht realisiert. 

Fühlen Sie sich nach einem halben Jahrhundert Film wie ein Veteran, wie der letzte Mohikaner?
BRAUNER: Frisch wie dazumal. Zu allen Schandtaten bereit – wenn es sich um das filmische Gebiet handelt. Wir planen weiter, wie vor 50, 30, 10 Jahren. Eigentlich feiern wir zwei Jubiläen. 1946 haben wir die CCC-Film gegründet. Dieses Jubiläum feiern wir mit „Von Hölle zu Hölle“. Von diesem sehr schönen, sehr wichtigen, erschütternden Film wird man noch viel hören. 1947 haben wir die erste CCC-Produktion gedreht, und da können wir nächstes Jahr zum 50jährigen hoffentlich den „Golem“ präsentieren.
Das Golem-Projekt irrlichtert schon länger bei Ihnen herum.
Den Golem – das darf man gar nicht sagen – plane ich seit 32 Jahren. Wie viele Treatments, Exposés, Drehbücher habe ich schon weggeschmissen, weil sie nicht der Qualität, der Substanz, der Seriosität entsprachen, die dieses Thema braucht. Der Golem ist etwas, das uns alle beherrscht und beherrschen wird, mit dem Golem meinen wir die Elektronik, Computer, Chips. Das wird mit 15 bis 20 Millionen Dollar ein riesenteurer, international besetzter Film. Das wird unser Jubiläumsfilm.
Wird der Golem wie Ihre letzten Filme in Minsk gedreht werden?
Nein, die Geschichte muß auf jeden Fall an Originalschauplätzen in Prag gedreht werden. Und nur ein Teil in Minsk, wo wir sehr gute Produktionsbedingungen haben. Die Leute freuen sich, wenn wir kommen, und sind motiviert. Die sind nicht darauf aus, uns zu neppen. In Moskau kann man nicht mehr drehen, obwohl die finanziellen Bedingungen noch positiv wären. Aber die Preise ziehen von heute auf morgen willkürlich an, die Studiomitarbeiter fordern inzwischen – wie hier – bezahlte Überstunden, wenn man mal länger oder sonntags dreht.
Nach den Dreharbeiten an Ihrem Tunnelgangster-Film in Minsk las man von Schießereien im Hotel, Lebensmittelvergiftungen…
Alles Lüge. Das war nur Wichtigmacherei zweier Mitwirkender, und die kommen mir auch nie mehr nach Minsk, die lassen wir nicht mehr arbeiten. Es ist nicht einfach, mit Studios im Osten zu arbeiten, man muß die Mentalität verstehen, auch die Armut respektieren, die schlechten Bedingungen berücksichtigen. Wenn man hinkommt und klagt: Das ist nicht wie bei uns, das ist schlecht, kein heißes Wasser da, wir können nicht baden – dann sollte man gar nicht hinfahren.
Wie stufen Sie Ihren Tunnelgangsterfilm ein? Als Schnellschuß?
Das ist ein einfacher Unterhaltungsfilm, den wir auch fürs Ausland produziert haben und nicht nur für die Berliner. Sonst hätte es ein Dokumentarfilm werden müssen. Wir wollten eine Geschichte erzählen, nicht die tatsächlichen Vorkommnisse. Die haben zwar einen Tunnel gebaut, die Bank überfallen, aber das gibt für einen Film nicht genug her. Es wurde nicht gemordet, es gab keine Kämpfe, es gab keine Krämpfe. Wir konnten nicht allzuviel Spannung hineinschreiben, ohne uns zu sehr von der Vorlage zu entfernen. wir konnten keine Toten zeigen, keine Schießereien, aber haben doch mehr daraus gemacht. Sogar Südkorea hat den Film gekauft, für 125.000 Dollar, und Brasilien für 70.000.
Spielt „Von Hölle zu Hölle“ im Dritten Reich?
Die Handlung dieses eigenartigen Films beruht auf wahren Begebenheiten, sie beginnt 1938 und endet am 4. Juli 1946 mit dem Pogrom im polnischen Kielce. Ich glaube, daß wir einen sehr starken Film produziert haben. Und Anja Kling ist in der Hauptrolle eine ganz große Überraschung. Meiner Meinung nach ist sie nicht schlechter als Meryl Streep in „Sophie's Choice“. So wie Marco Hofschneider durch „Hitlerjunge Salomon“ nach Hollywood kam und jetzt mit Brando dreht, wird auch Anja Kling Karriere machen. Sie muß nur Englisch lernen. Der Regisseur hat alles aus ihr herausgeholt. Und er hatte auch die Möglichkeiten hierfür, weil ich gesagt habe: Ich will einen guten Jubiläumsfilm haben. Wenn Du zehn Tage länger brauchst, dann drehe eben länger. Wenn Du stundenlang proben willst, dann probe. Und wenn Du 800 Komparsen brauchst, für die Deportationsszene oder für die Hinrichtung, dann kriegst Du sie.
Das ist aber völlig untypisch für Sie. Was hat der Film gekostet?
Na, einige Millionen, hier hätte er aber das doppelte gekostet. Ich habe den Film auf eigenes Risiko gedreht, komplett. Nachdem die Filmförderung das Projekt wie meinen Schindler-Film abgelehnt hat.
Ist es ein Kinofilm geworden?
Ich glaube schon. Wenn die Amerikaner die Leistung anerkennen und uns in Hollywood die Weltpremiere ausrichten, dann haben wir gewonnen. Das wäre mein Prestigegewinn, nach dem, was hier passiert ist.
Sie meinen?
Ich habe es schon deutlich gesagt, und spreche es gern noch einmal aus: Mit der Wende kam die Wende. Es geht durch wie ein roter Faden. Es begann mit meiner Produktion „Hitlerjunge Salomon“, die die Deutschen nicht für den Oscar nominiert haben, obwohl alle dem Film große Chancen einräumten. Doch man verschwor sich: lieber keinen als diesen. Dann hat die Filmförderung mein Schindler-Projekt mit der Begründung abgelehnt, solche Geschichten mögen passiert sein, sie wirkten trotzdem kolportagehaft. Und nun die dritte Ablehnung bei „Von Hölle zu Hölle“. Das kann nicht mehr mit früheren Zeiten verglichen werden. Ich habe das Gefühl, daß jetzt eine gewisse Genugtuung herrscht. Man hat vor niemandem mehr Angst und traut sich, Filmstoffe abzulehnen, die man vielleicht schon früher lieber nicht gehabt hätte. Gut, sie haben die neuen Filme von Verhoeven und Schlöndorff gefördert. Aber ich bin enttäuscht, daß Filme, die in der Nazizeit spielen und keinen namhaften Regisseur haben, generell abgelehnt werden.
Und wenn Sie einen namhaften deutschen Regisseur verpflichten?
Nur, wo ist der namhafte Regisseur? Schlöndorff, mit dem ich oft spreche, hat seinen eigenen Film gemacht. Wen haben wir noch, ich wüßte nicht, mit wem ich arbeiten soll. Frank Beyer ist ein guter Mann, aber mehr fürs Fernsehen.
Was ist mit Dani Levy oder den Sputnik-Leuten, mit denen Sie das Colosseum-Kino führen?
Nicht für große, teure Filme. Das ist zu gefährlich, denen fehlt die Vision.
Kann man Ihre jungen Darsteller, Tina Ruland, Anja Kling, mit den Stars von früher vergleichen?
Die Stars waren früher alle sehr hübsche Menschen. Heute spielt das gar keine Rolle, die laufen alle in Jeans rum. Ich kenne nicht einen gutaussehenden Mann. Bei den Frauen nur wenige. Aber es gibt auch eine andere Jugend, die identifizieren sich mit diesen Schauspielern. Nur kriegen wir mit denen keinen einzigen Film ins Ausland verkauft. Es gibt eine Auslese. Wenn sie heute zu einer Theaterpremiere gehen, finden sie selten eine richtig hübsche Frau. Es ist wie beim Wein.
Bernd Eichinger produziert jetzt Remakes deutscher Nachkriegsfilme, auch von Ihnen, für Sat.1.
Das wird nicht gut ausgehen. Ein besonders gelungener Film ist eine Rarität. Das ist wie ein Kuchen, der besonders gelingt. Da haben sie Rosinen, Hefe, Zucker, aber der Kuchen gelingt nicht immer, auch wenn sie die gleichen Zutaten nehmen.  

(Fotos: goEast)

Donnerstag, 16. Oktober 2014

Déja-Vu: Die Form – Elektrobeats in Lack und Leder

Ende der neunziger Jahre schrieb ich in Berlin parallel für die Feuilletons der „Berliner Morgenpost“ und des „Tagesspiegel“, wobei ich eher für die Subkultur zuständig war: Tattoos, Transen, SM und ähnliche Phänomene. So berichtete ich am 10. März 1999* auch über ein Konzert von Die Form. Und stellte gestern überrascht fest, daß die Band, die eigentlich schon damals ihren Zenit überschritten hatte, heute immer noch emsig weiterschrammelt.

Wo war die Sklavia? Hatte Pascale anläßlich des Weltfrauentages frei? Wollen Philippe Fichot und Éliane P., das Sado-Maso-Duo der französischen Maschinensound-Combo Die Form, die aufgegeilte Aufmerksamkeit ihres Konzertpublikums nicht mehr mit einer weiteren Akteurin teilen? Oder ernährt das Geschäft mit dem spekulativen Techno-Sex-Sound keine dritte Bühnenkraft mehr?

Gut 17 Jahre* (Stand 1999) bosselt Fichot nunmehr schon öffentlichkeitswirksam an seinem „Museum of Ecstasy“ herum, an einer surrealen Welt der Begierden und Schmerzen. An Videoclips, Bildbänden, Musikalben und den diese Bilder und Töne verbindenden Konzertabenden, bei denen Fichot unter einer Gasmaske das Elektrogeblubber steuert, während auf die Leinwand Blümchensex mit Blütenstengeln projiziert wird und Lebenspartnerin Éliane P. in Lack und Leder tiriliert, tanzt und ihre Geschlechtsmerkmale zur Schau stellt.

Die Zeiten, als eine gewalttätige Bühnenshow noch Auftrittsverbote deutscher Behörden auslöste, sind längst vorbei. Die Form zelebriert nurmehr eine streng stilisierte, sich in Andeutungen ergehende Sado-Maso-Show, bei der gerade noch Élianes Catsuit unters Messer gerät, die Fesselspiele brav bleiben und die Gewaltphantasien sich auf Videoeinspielungen nackter, derangierter, im Wald herumkrabbelnder Frauen konzentrieren. Im Unterschied zum letzten Auftritt in der Potsdamer Mensa sorgt nicht einmal mehr die Gespielin Pascale für einen devoten Bonustrack, obwohl das Konzert im Glashaus sonst weitgehend an jenes Gastspiel anknüpft.

Der zahlreich erschienenen Berliner Gruftie-Gemeinde präsentierten sich Fichot und Éliane hinter dem bewährten Drahtbauzaun. Die Besucher der Form ergaben sich weitgehend phlegmatisch dem monotonen erotischen Weihespiel, das die Phantasien des 19. Jahrhunderts mit den Sado-Maso-Devotionalien der neunziger Jahre verknüpft und musikalisch klingt, als ob Franz Schuberts Liedgut und mancher Choral durchs Maschinenkraftwerk gejagt worden wäre. Das Ganze entbehrt mitunter nicht einer gewissen Lächerlichkeit.

Freitag, 21. Februar 2014

Déjà-vu: Hilary Swank

Morgen sitzt Hilary Swank bei „Wetten, dass...“ auf der Couch. Vor 17 Jahren stand sie während des Münchner Filmfests mir noch in der Muffathalle gegenüber und präsentierte ihren Bauchnabel. Wir haben damals im „Ticket“-Supplement des „Tagesspiegel“ schon recht durchgeknallte Rubriken ausprobiert, wie eben die „Nabelschau“...
„Ich liebe es, liebe es leidenschaftlich zu spielen. Das ist auch der einzige Weg, es in diesem Geschäft auszuhalten. Es geht so brutal zu, daß man es ohne Liebe und Leidenschaft nicht überlebt. Nur ein Beispiel. Wenn ein männlicher Kollege am Set Verbesserungsvorschläe einbringt, sagen alle: Wie brillant. Mache ich das gleiche als Frau, heißt es, ich sei zickig.“

Montag, 30. Dezember 2013

Berliner Jahre (6): Ich gab mir 1990 die Kugel

Dieses Wochenende konnte man im Wirtschaftsteil der „Süddeutschen Zeitung“ groß lesen, wie Friedhelm Schatz in den letzten zwanzig Jahren das historische Ufa-Gelände mit dem Filmpark Babelsberg in einen Publikumsmagneten verwandelte. Eher dürr blieben die Fakten aus der Zeit vor 1993.
Der „frühere Manager der Münchner Bavaria-Studios“ hätte damals Ende der Achtziger „auf selbständiger Unternehmer im Bereich Entertainment umgesattelt“. 2010 dann: „Schatz schafft aus Berlin die große blaue Kugel heran, in der Sabine Christiansen einst mit Politikern und Prominenten talkte“.
Nun, die blaue Kugel kam nicht erst jetzt von Christiansen zu Schatz, im Grunde war sie lange vorher bereits einmal den umgekehrten Weg gegangen. Zu Westberliner Zeiten hatten ein paar Glücksritter, darunter die Münchner Friedhelm Schatz und – der später durch den „Marienhof“-Sponsoring-Skandal zu Ruhm gekommene – Andreas Schnoor (H+S, Kultur + Werbung) große Hoffnungen auf ihr 360°-Kugelkino „Panorama“ zwischen Zoo und Gedächtniskirche gesetzt. Am 20. Dezember 1989 war Eröffnung – und das erhoffte Geschäft aufgrund des zwischenzeitlich erfolgten Mauerfalls im Grunde schon perdu.
Anfang 1990 stieß ich dazu – frisch meiner damaligen Freundin von München nach Berlin gefolgt. Auch das dem Mauerfall geschuldet. Die gebürtige Berlinerin wollte die historische Zeit vor Ort in ihrer Heimat erleben und nicht aus dem fernen Bayern. Ich zog mit, heuerte als Pressesprecher der blauen Kugel an und ward bald Betriebsleiter von drei Angestellten und 16 Teilzeitkräften. Man könnte auch sagen: Verwalter des Untergangs. Beim Aktionismus der letzten Tage mußte ich als Chef während einer Versteigerung von Filmrequisiten im „Panorama“ offenbar mangels Nachfrage sogar selbst eine Statistenrolle im „Schimanski“ für 50 Mark ersteigern. Die „BZ“ berichtete ergebenst, wenn auch nicht ganz vollständig. Und ich habe natürlich nie mit Götz George gedreht.

Foto: (judith74/flickr)

Donnerstag, 26. Dezember 2013

Hanna Schygulla - diddell-duddel-daddelnd kälter als der Tod

Hanna Schygulla bin ich dreimal in meinem Leben begegnet. Einmal Anfang der achtziger Jahre zu einem Interview und Fotoshooting, bei dem sie unter meinem Regenschirm an mich geschmiegt durch den Olympiapark lief. Die entsprechende Ausgabe des Münchner Buch-Magazins muß ich erst noch aus den Beständen der Stabi bergen.
Später dann weit distanzierter, mit dem Bühnengraben zwischen uns. Zuletzt im Berliner Schiller-Theater, mit mir als Kritiker der Berliner Morgenpost im Zuschauerraum. Hier die am 1. Oktober 1997 veröffentlichte Konzertbesprechung. 

"Diddel, Duddel, Daddel". Bereits beim zweiten Lied löst sich Hanna Schygulla aus dem befürchteten, mit Heiner Müller, Peter Handke, Thomas Bernhard und Charles Baudelaire sturmsicher geschnürten literarischen Ballast der Suhrkamp-Kultur, daddelt lautmalerisch, verspielt, wie kaum eine Diva zuvor. Ein Ausbruch, eine Improvisation? Nein, bloß ein Schlenker ihres für den Abend sorgsam austarierten Kurses, bei dem sie zwischen Vulgärem und Versen, Manierismen und Mütterlichkeit changiert, die Oberfläche wechselt, DIE Schygulla bleibt und das Publikum sich selbst überläßt.
Die Verpuppung der Schauspielerin zur Sängerin war in Berlin erstmals 1994 im Hebbel-Theater zu bestaunen. "Durch Himmel und Hölle mit Faust" nannte sie ihr Programm, bei dem sie sang, sprach, mit dem Publikum redete, es mitnahm auf einen Gedankenflug durch Literatur und Chansons. Inzwischen hat sich die Schygulla in einen Kokon aus Licht zurückgezogen, in dessen Schutz sie ihr neues Programm "Hanna Schygulla chantesingt" wie ein Hochamt zelebriert, nicht ohne Witz, nicht ohne Derbheiten, aber ohne jeden Bezug zum Publikum. Kein Dialog, nur mehr ein Monolog mit Piano.
Die Zuschauer im Schiller-Theater müssen förmlich kämpfen, um ihren Applaus loszuwerden. Und jeder merkt, die Diva wünscht es nicht sonderlich, unterbrochen zu werden. Und es wird auch nicht mehr viel applaudiert. Nahezu atemlos hechelt die Schygulla durch ihr Programm, durch einstudierte Posen, Phrasen, anderthalb Stunden ohne Pause. Der Auftakt ihrer Deutschland-Tournee findet vor halbleeren Reihen statt, wohl nicht nur, weil sie mit dem gleichen Programm bereits letztes Jahr in Berlin zu sehen war, sondern weil das Programm einen vor Kälte schaudern lassen kann. Und das Mausoleum des Schiller-Theaters ist - anders als ein kleines Spiegelzelt - kein wärmender Ausgleich für ein frostiges Programm.
Dabei ist die Schygulla immer noch ganz sie selbst, einladend, herzlich, Herzenswärme ausstrahlend und in der Pose einer Naiven aus der Vorstadt ebenso selbstsicher und dominant wie in den Allüren einer Femme fatale aus dem Boudoir. Barfuß und streng frisiert schwebt sie von der Hinterbühne ein, füllt den Raum wie selbstverständlich aus, zeigt Bein, läßt einen Träger rutschen, ganz alterslose Diva. Was auch immer sie in den Mund nimmt, ob Fassbinders deutsche Filmtitel, chansonfüllend aufgesagt, ein kubanisches Wiegenlied, ein paar englische Floskeln oder französische Gedichte - alles scheint einem anregenden Gefühls- und Gedankenfluß zu entspringen.
Wenn es nur nicht so glatt einstudiert wirkte, wie ein in der Schule vorzutragendes Gedicht. Nie spiegelt sich die Sinnlichkeit der Schygulla in ihren Worten wider, bleibt sie sie selbst. Und die Worte, schöne Worte, von Liebenden im Paradies und vom Schatten miteinander in Hiroshima Verschmolzener, sind mit Seele geschrieben und ausgesucht, aber ohne Seele vorgetragen. Zum Abschied dann, ohne daß sie sich lange bitten ließe, das Lied von der Laterne, das Lied von Lili Marleen. Übrigens ein Lied, das ebensowenig von dem sie begleitenden Pianisten Jean-Merie Sénia stammt wie die während des Konzerts eingestreuten Zitate von Gershwin oder Bizet, auch wenn die Schygulla Sénia als Komponisten "aller Musik dieses Abends" preist. Selbst eine Diva ist nicht immer gegen Fehler gefeit.

Samstag, 4. Dezember 2010

Berliner Jahre (5):
Kohl, Vogts, Kruse, Popa (1998)

Als der Berliner „Tagesspiegel“ sich 1995 mit „Ticket“ im Stadtzeitungsmarkt versuchte, war ich als freier Autor und – unter dem Pseudonym Dolce Rita – Klatschkolumnist mit von der Partie. Dann mutierte das ambitionierte, von Moritz Müller-Wirth konzipierte Kulturmagazin zum dünnen Supplement, aber es machte doch noch Spaß, nicht nur mitzumischen, sondern das Blatt sogar zwei Jahre als Redaktionsleiter mitzuprägen und die West-Berliner Abonnenten, etwa mit unserer Attacke auf „Tagesspiegel“-Herausgeber Hellmuth Karasek, zu verunsichern. Silvester 1998 hatte ich dann genug. Hier der in Heft 53/98 erschienene Abschiedsgruß meines Redaktionskollegen Christian Beck:

Popa?
Popa!
Vorname??
Dorin.
???
Wie Doris.
????
Nur mit n.
Noris?????
Alles hat ein Ende, nur dies' Ticket-Jahr hat zwei. Beziehungsweise drei. Oder vier: den 31. Dezember; den Abschied des Art Directors und Objektleiters Volkart Kruse; die Demission dessen Redaktionsleiters Dorin Popa; und beider letztes Heft, das Sie, geneigte Leserschaft, gerade offenbar in Händen halten. Der Rest ist Anfang. Doch dazu nächstes Mal. Denn vor den Ritt in die Zukunft unter neuem Kommando hat der alte Commandante die Rückschau gesetzt. Auf drei bis vier Jahre Ticket, von denen einiges bleiben wird, auch wenn nun beide Alt-61er mit Überschreitung der 37er-Grenze ins wirkliche Leben entlassen werden.
Erinnern wir uns an „Dolce Vita“ mit der unvergeßlichen Dolce Rita, das „Stehrumchen“, die „Amuse-gueule“: Noris, wie er leibte und lebte. Ein griffiges „Möpse Mörder Mutationen“ über Pamela Andersons besten Stücke zum Thema „10 Jahre Fantasy Filmfest“: Noris, wie er liebte und ins Wesentliche lappte. Den Hinweis „Falls man beim Dolly-Buster-Video nicht aufgepaßt hat, kann man bei der Rückgabe auch gleich die Hose für 2,99 wieder reinigen lassen“ über die L&M Voll-Reinigungs/Videowelle im legendären Videothekentest: Noris, wie er laberte und läpperte.
Schade nur, daß eine höhere weibliche Instanz (Apropos: Danke, Anke!) ihrem Nachfolger seine Weihnachtswitze 96 nicht durchgehen ließ: „Süßer die Glocken nie klingen“ und „Hängepartie unterm Weihnachtsbaum“ hätten – mit der entsprechendem Optik – Kollegen Kruse, Art Director von Ticket-Beginn an und seinerzeit längst auch schon so eine Art Direktor, sicher mindestens ebenso gut gefallen wie ihrem Schöpfer. So mußte El Chefe bis Weihnachten 98 warten, bis er der anderen großen Führungspersönlichkeit der westlichen Welt ihrer beiden Lebensmotto returnieren konnte: Freßetage im KaDeWe? „Schmeckt gut!“
Mindestens so gut wie die Weihnachtssuppe eines alten Kruse-Spezis aus seligen taz-Tagen: Wiglaf Droste. Oder desselben Meinung zum Thema „Das Magazin“, die bekanntlich nicht jedem im Hause und dem Hause verbundenen Partnerhäusern so gut mundete. Aber so ist es eben, wenn die Gedanken frei sind, ein Journalist eine eigene Meinung haben darf, und Synergieeffekte und Vetternwirtschafterei der Wahrheit von souveränen Blattmachern zumindest gelegentlich noch mal ein Stück weit aus dem Weg gehalten werden.
Bahn frei, Kartoffelbrei! Und nach Kruse und Popa die Sintflut konkurrierender Medien, die sich an Tickets Wirken und Werken mitunter enger orientieren, als man gern glauben möchte. Jetzt dürfen andere von beider Fähigkeiten profitieren – von ihrer Gelassenheit, ihrem Spielwitz, ihrer Kreativität: uns doch wurscht!
Nehmt euren Prosecco, für den ihr – je nach Fasson – weit über die Grenzen der Redaktion hinaus berühmt und/oder berüchtigt seid, und verpißt euch! Wie „Hut ab“! Nur mit a: Haut ab! Bis nächstes Mal...

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Berliner Jahre (4): Das Florian, 1996

Geduld, Toleranz und die Fähigkeit zuzuhören, das sind Qualitäten, die die Nürnbergerin Ute Gilow als Hauswirtschaftsleiterin gelernt hat. Waren es früher Altersheimbewohner und Rabauken aus dem Kinderheim, so sind es heute Künstler und Kulturmanager wie Matthieu Carrière, Meret Becker, Conny Konzack und Vadim Glowna, die ihre Aufmerksamkeit beanspruchen.
1978 wechselte die Fränkin in die Gastronomie, als Künstlerfrau gewohnt, ein offenes Haus mit anspruchsvollen Gästen zu führen. „Nun sollten die Gäste auch dafür bezahlen.“ Mit dem Schöneberger Gottlieb ging es los. Die Studentenkneipe war zwar nur gepachtet, zeichnete sich aber bereits durch Utes fränkisch-bayerische Küche aus. Und durch eine kellnernde Jura-Studentin, Gerti Hofmann, mit der die Wirtin nicht nur den fränkischen Zungenschlag gemeinsam hatte, sondern bald auch den Traum von der eigenen Wirtschaft, von einem Goldenen Schwan oder Schwarzen Ochsen, in dem man etwas feiner essen können sollte.
Die Wahl fiel schließlich auf eine Immobilie in der Grolmanstraße und den Namen Florian, für den Frankens einziger Freiheitsheld Florian Geyer Pate stand. Utes Mann schuf noch ein „Wunderwerk an Tresen“, das ein Schiff darstellt, dann blieben sich Ute und Gerti in dem Zweimäderlhaus allein überlassen. Die Ältere in der Küche, die Jüngere hinterm Tresen, beide unterstützt von einer kuriosen Schar dilettierender Violinvirtuosen, Theologiestudenten und anderer Gelegenheitskellner, von denen einige nach vierzehn Jahren* immer noch dabei sind und „es inzwischen können“.
Das künstlerisch angehauchte Publikum kam aus dem Zwiebelfisch und der Paris Bar – und schließlich von einem Nachtdreh, der die Legende vom Florian als Filmkantine schuf. Peter Keglevic drehte mit Brigitte Horney, Erland Josephson und Krystyna Janda um die Ecke und bekam nach Drehschluß zu später Stunde nur im Florian noch etwas zu essen. Produzent von Vietinghoff und die Schar der Filmtechniker sind dem Florian seitdem treu geblieben. Die Wirtschaft wurde zum Filmertreff, und Ute erlitt ihre Kachelkrise.
Ständig in der Küche zu stehen und zu schwitzen, während vorne das Leben tobte, das war nicht mehr auszuhalten. So beschlossen Ute und Gerti, in Zukunft nur noch Gastgeberinnen zu sein und die Küchen- wie die Tresenarbeit Angestellten zu überlassen. Die Speisekarte umfaßt seitdem nicht mehr nur Utes „Kochküche“, sondern auch Kurzgebratenes und Edleres wie Scampi.
Das eingespielte Duo, das sogar zusammen wohnt, versuchte bereits mehrmals, die gemeinsame Stärke andernorts zu nutzen. So sehr auch die Stammgäste im Florian quengeln, sobald ihre Mamis nicht vollzählig anwesend sind. Bereits Mitte der 80er Jahre gründeten Ute und Gerti mit einer weiteren Partnerin ein Lokal am Halleschen Ufer, das aber nicht so richtig ankam beim Publikum. Nachdem die Gründungsschulden abgetragen waren, zogen sie sich aus der Partnerschaft zurück.
André Heller begeisterte sie dann für seinen Traum eines Künstlerlokals im neuen Wintergarten an der Potsdamer Straße. Doch die Realität verlangte nach einer Veranstaltungsgastronomie, wie sie Ute und Gerti nicht bieten wollten. Erfolgreicher ist ihr Engagement in der Bar jeder Vernunft, wo die Ladies nicht in eigener Regie, sondern eher „beratend“ für das leibliche Wohl der Zeltgäste sorgen. Während Gerti mit ihrem Glück in der Grolmanstraße zufrieden zu sein scheint, träumt Ute von einem Landgasthof im Oranienburger Raum.
*Dieses Porträt erschien in der Kulturbeilage des Berliner „Tagesspiegel“: „Ticket“ 21/1996, am 23. Mai 1996 im Rahmen einer Serie über „Berlins wichtigste Wirte“.

(Foto: Hans Brückner)

Samstag, 13. Juni 2009

Berliner Jahre (3): Hellmuth Karasek

„Etwa zwölf Stunden veritabler Arbeits- und Lebenszeit muß man hergeben, bis man Hellmuth Karaseks 429 Seiten langes Buch 'Das Magazin' durchgelesen hat. Das ist keine schöne Arbeit und keine schöne Zeit: Durch viel Brei muß man hindurch, und am Ende hat man, außer reichlich Langeweile, nichts gewonnen. Denn Karasek, über zwanzig Jahre Angestellter beim Spiegel, hatte zwar die Ambition, einen Schlüsselroman über den Spiegel und die Spiegel-Leute zu schreiben. Andererseits aber ist er genau der Adabei-Journalist, als den man ihn kennt, und der möchte er auch bleiben. (...) So ist es fast schon egal, worüber Karasek schreibt, denn so, wie er schreibt, macht er alles gleich: In seinen Händen wird die Welt zu Soße.“
Wiglaf Droste in „Ticket“, dem Veranstaltungskalender und Kultursupplement des „Tagesspiegel“, 37/1998

Martina Kaden: In der Beilage Ihrer eigenen Zeitung, Tagesspiegel-Ticket, ist auch ein Verriß erschienen.
Hellmuth Karasek: Ja, da frage ich mich, wieviel Wut muß da vorhanden sein, daß sich jemand bei Ticket einschleicht, bei einer Beilage, in der sonst nie, nie Buchkritiken erscheinen? Das war eine echt linke Nummer. Und dann schreibt der Kritiker, er habe so eine unendliche Mühe, sich durch den Roman durchzuquälen. Warum tut er's dann überhaupt, frage ich mich. (...)
Kaden: Wird Wiglaf Droste, der Ticket-Kritiker, weiter für den Tagesspiegel schreiben?
Karasek: Ich werde einen Teufel tun und auf Personalentscheidungen Einfluß nehmen. Ich werde nur nicht mehr seine eigenen Werke lesen, das hat er sich jetzt verdient.“

„BZ“ vom 18. September 1998

„'Sehr, sehr langfristig', können sich die Tagesspiegel-Geschäftsführer Joachim Meinhold und Hans Homrighausen eine 'Synergie' zwischen ihrem Neuerwerb Zitty und der Tagesspiegel-Beilage Ticket vorstellen – was nichts anderes heißen dürfte, als den teuren Verlustbringer Ticket sehr, sehr langfristig abzuwickeln. Sehr, sehr kurzfristig kam dagegen der erste Querschläger aus dem eigenen Hause. Ticket-Redaktionsleiter Dorin Popa hatte in der letzten Ausgabe den neuen Schlüssel-Roman ('Das Magazin') des Tagesspiegel-Herausgebers Hellmuth Karasek verrissen – und für den Verriß den zweifellos besten Experten in dieser Gattung gewonnen: Wiglaf Droste. Zitat: 'Karasek ... ein Schmock unter Schmöcken.' Das sorgte für ein mittleres Erdbeben in der Holtzbrinck-Etage, beim Herausgeber für üble Verstimmung – die Noch-Chefredakteure schauten betreten – und bei allen anderen für die Vermutung, daß die angestrebte Synergie mit Zitty nun doch nicht so lange auf sich warten läßt. Wie dem auch sei: wenn es Popas Absicht war, den Arbeitgeber von einer beschleunigten Freistellung vom Vertrag (inkl. Abfindung) zu überzeugen, dann dürfte er mit dem Droste-Stück weitergekommen sein.“
„tip“ 20/1998

Denkste! Es gab weder eine keine Kündigung, geschweige denn eine Abfindung. Der Art Director/Objektleiter und ich verließen zum Jahresende 1998 aus eigenem Entschluß das Haus. In einer der letzten von uns verantworteten Ausgaben schrieb Wiglaf Droste zu Weihnachten über Hausgeburten, Nachgeburten und die perfekte Festtagssuppe.

Mittwoch, 10. Juni 2009

Berliner Jahre (2): Panorama

„Dorin Popa, giornalista e pubblicitario di Monaco trasferitosi a Berlino da dieci anni, e grande esperto della vita notturna della metropoli, non ha dubbi: 'Tempo dieci anni ed è finita. Nel 2005, quando Berlino diventerà capitale, io tornerò a Monaco'.“
„Panorama“ 14/12/95

So kann man sich täuschen, ich bin bereits 2000 nach München zurück.

Samstag, 5. Juli 2008

Adieu, Nicolaus

In der Berliner Ludwigkirchstraße, wo er zwischen smaragdgrün gestrichenen Wänden residierte, steht noch sein Name an der Klingel, und in meiner Erinnerung blieb er der alterslose, geistreiche, jugendlich neugierige Erotoman und Akademiker, und allein dieses Begriffspaar in ein und derselben Person vereinigt zu haben, ist eine Lebensleistung. Kennengelernt haben wir uns im Berlin der neunziger Jahre. Seine Mutter, eine Rumänin, hatte zwischen den Weltkriegen einen Salon geführt, in dem unter anderem auch Sergiu Celibidache verkehrte. Und da mein Vater Celi kannte und damals auch als Korrespondent in Berlin war, bildete ich mir stets ein, wie sie alle in dem Grunewalder Salon aufeinandergetroffen sein müßten. Und selbst wenn nicht, war die Spekulation für mich Grund genug, den Sohn, der altersmäßig mein Vater sein konnte, kennenzulernen.

Ich fremdelte in seinem Salon, unter all diesen Akademikern, Bildungsbürgern und Diplomaten. Er fremdelte, wenn ich ihn auf meinen Zug durchs Berliner Nachtleben mitnahm. Wir fremdelten gern miteinander. Dann verließ ich Berlin, um ausgerechnet nach Strasbourg zu ziehen, wo er nach vielen Jahren im europäischen Dienst seine Familie zurückgelassen hatte. Zu Weihnachten fand er auch dorthin zurück und wir trafen uns noch ein letztes Mal in einem Café, 1999? Seitdem war ich öfters in Berlin, traute mich aber nie, ihn anzurufen. Sein Salon fand auch nurmehr sporadisch statt. Die Gesundheit. Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn schätzen und lieben gelernt hatte. Nicht mehr jung, nicht mehr gesund, auch nicht wirklich glücklich, aber unglaublich offen, lebensgierig und agil. Vor ein paar Jahren haben wir dann noch einmal telefoniert, und natürlich fragte er zuerst nach den Mädchen, die er mit mir kennengelernt hatte. Freitag ist Nicolaus Sombart nach einem Jahr im Krankenhaus in der Nähe von Strasbourg gestorben.

Updates: „Dass Günter Grass den Nobelpreis für Deutschland bekommen hat und nicht ich, das sagt doch schon alles über die Welt, wie sie heute ist.“ Sombart, zitiert von Volker Weidermann in dessen Nachruf in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 6. Juli.

„In zunehmend indiskreten Memoirenbänden gab er virtuos und maliziös den geistig-erotischen Abenteurer. Dieses Wunschbild kultivierte der Ergraute gern auch mit einer Corona von Anhängern in seiner Berliner Wohnung - ein Causeur, der wusste, dass er nur fesselte, solange er im Gespräch blieb“,
so der „Spiegel“ in seinem Nachruf vom 14. Juli 2008.

Interview mit Arno Widmann anläßlich von Sombarts Tod im DeutschlandRadio Kultur. Eike Gebhardt erinnert sich im Deutschlandfunk an Nicolaus Sombart.

Nachruf von Tilman Krause in der „Welt“. Eva Behrendt in der „taz“ über den Dandy und „Albtraum aller Kellner, Taxifahrer und Krankenschwestern“. Gunnar Decker im „Neuen Deutschland“.

„Tagesspiegel“-Meldung. Alexander Cammanns ausführlicherer Nachruf im „Tagesspiegel“.

Blogs: Shirley Temple, ReadingEase.

„Die Wohnkultur der Schlösser ist bis heute unübertroffen und vorbildlich. Der Schlachtruf 'Friede den Hütten, Kampf den Palästen!' hat nicht dazu geführt, daß alle einen Anspruch darauf haben, in Palästen zu leben. Er hat dazu geführt, daß alle sich mit der Existenz in einer Hütte bescheiden müssen.“
Nicolaus Sombart in einem von mir 1998 bestellten Beitrag über Befindlichkeiten moderner Wohnkultur.

„Diese Veranstaltungen, bei denen der alte Herr in tief gelegenem Sessel sich so setzte, dass er die langen Beine diverser junger Damen, die teilweise den obskursten Gewerben nachgingen, bewundern konnte und von seinen publizistischen wie erotischen Erfolgen erzählte: Sie langweilten doch kolossal. Sie langweilten auch deshalb, weil nie jemand wagte, rhetorisch das Ruder herumzureißen und sich selbst in Szene zu setzen. Aber wo hätten es die Koryphäen aus dem Wissenschaftskolleg oder den Berliner Universitäten auch hernehmen sollen? Sie waren allesamt keine Meister der Konversation, vielmehr ungewandt, linkisch, und, im Gegensatz zum Herrn des Hauses, der wenigstens in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voranging, auch kaum zum Flirten aufgelegt.“ Tilman Krause in der „Welt am Sonntag“ vom 3. Januar 2016 über Nicolaus Sombart und die Kunst, einen literarischen Salon zu führen oder dort zu glänzen.

Fotos: Clemens Menne (oben); privat (unten)

Montag, 22. Januar 2007

Mit oder ohne Silikon?

K. habe ich viele schöne Dinge zu verdanken: das Rauchen, die besten Patenkinder der Welt, meine Zeiten bei Holtzbrinck und Burda, die sexy Narbe auf meiner Brust... nur zum Yoga hat sie mich nie überreden können. Und es sind Jahre, seit denen sie es vergeblich versucht.

Der Grund liegt jetzt gut 27 Jahre zurück, als es noch Redaktionskollektive gab, Wilhelm-Reich-Jünger, RAF-Prozesse, und mein journalistischer Mentor Kurt Nane Jürgensen mich irgendwie für alle Zeiten gegen das Yoga-Virus impfte. (Und ich wäre kein Widder, wenn ich mich noch an seine Begründung erinnerte. Ich bilde mir nur ein, mich erinnern zu können, daß er Yoga strikt ablehnte, wenn er nicht gerade in seinem Orgon-Akkumulator saß...)

Aber die Zeiten ändern sich und angesichts aktueller Diagnosen war die Frage nur noch: Fitnessstudio à la Leo's, wo sich die Silikonbräute nackt in der gemischten Sauna räkeln, oder natürliches Yoga? Ich habe jetzt einen Gutschein für meine Probestunde im Jivamukti Center, das ich bisher gemieden habe, obwohl es direkt bei mir um die Ecke liegt und ich da ständig die hinreißenden Sonnengrußanbeterinnen ein und ausgehen sehe.

Irgendwie behält K. auf Dauer immer recht.

(Foto: paulgalipeau/Flick)