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Mittwoch, 8. November 2023

Rainald Goetz und Nicolaus Sombart

Bei Rainald Goetz rechne ich immer mit allem, aber als in der Berliner Uraufführung seines neuen Stücks „Baracke“ am Deutschen Theater der Name Nicolaus Sombart fiel, war ich doch etwas überrascht. 

Unruhig, schlaflos. In die Küche. Lese Nicolaus Sombarts Rendevous mit dem Weltgeist, kreuz und quer, dann länger über freie Liebe, davor aufgeräumt. Wieder ins Bett. Einsatz bei Ada. Liebe als Form der Kontrolle, auch falsch. Permanentes Aufräumen nebenher. Und unermüdliche Freude an der Wiederholung der simpelsten Dinge, in Worten: Kind.

(Zitiert aus dem Textbuch, das mir der Suhrkamp Theaterverlag freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Wenn ich mich recht erinnere, wird in Claudia Bossards Inszenierung der Satz mit Nicolaus Sombart zweimal hintereinander gesagt. Das Stück wird im Frühjahr 2024 bei Suhrkamp im Sammelband „Lapidarium“ veröffentlicht werden.)

Da Goetz nicht nur bei der Premiere anwesend war, sondern auch in der zweiten Vorstellung am 26. September, und sich anschließend in einem Vortrag und Gespräch dem Publikum stellte (Foto), nutzte ich die Gelegenheit, ihn darauf anzusprechen (Timecode 30:30).

Er meinte, dass es nur Zufall gewesen sei, ausgerechnet Nicolaus Sombart zu erwähnen. Er hätte „überhaupt keinen Bezug“ zu ihm, aber in einem Buch von ihm gelesen und dieses Faktum im Stück aufgenommen. „That's it!“. Wobei, „man könnte noch sagen, ich weiß von einem Gerücht, diesen Autor betreffend“, … aber er könnte „schon dieses Gerücht nicht kohärent wiedergeben“.

Sonntag, 24. Januar 2021

Grande esperto della vita notturna

 

Eine der nachhaltigeren Bekanntschaften während meiner Jahre in Berlin war die mit Nicolaus Sombart. Irgendwie hatte ich es in den neunziger Jahren geschafft, in seinem sonntäglichen Salon toleriert zu werden. Und im Gegenzug habe ich ihn gern bei meinen Touren ins Berliner Nachtleben mitgenommen. Das blieb auch Manuela Grassi nicht verborgen, die für „Panorama“ ein Porträt über Berlin – oder Sombart? – schrieb:

„Un giovane amico di Sombart, Dorin Popa, giornalista e pubblicitario di Monaco trasferitosi a Berlino da dieci anni, e grande esperto della vita notturna della metropoli, non ha dubbi: »Tempo dieci anni ed è finita. Nel 2005, quando Berlino diventerà capitale, io tornerò a Monaco.«“

Ich habe Berlin dann doch schon 1999 verlassen, ein Jahr in Strasbourg verbracht, wo übrigens auch Sombarts Frau und Kinder lebten, und bin dann 2000 nach München zurückgekehrt. 

Samstag, 5. Juli 2008

Adieu, Nicolaus

In der Berliner Ludwigkirchstraße, wo er zwischen smaragdgrün gestrichenen Wänden residierte, steht noch sein Name an der Klingel, und in meiner Erinnerung blieb er der alterslose, geistreiche, jugendlich neugierige Erotoman und Akademiker, und allein dieses Begriffspaar in ein und derselben Person vereinigt zu haben, ist eine Lebensleistung. Kennengelernt haben wir uns im Berlin der neunziger Jahre. Seine Mutter, eine Rumänin, hatte zwischen den Weltkriegen einen Salon geführt, in dem unter anderem auch Sergiu Celibidache verkehrte. Und da mein Vater Celi kannte und damals auch als Korrespondent in Berlin war, bildete ich mir stets ein, wie sie alle in dem Grunewalder Salon aufeinandergetroffen sein müßten. Und selbst wenn nicht, war die Spekulation für mich Grund genug, den Sohn, der altersmäßig mein Vater sein konnte, kennenzulernen.

Ich fremdelte in seinem Salon, unter all diesen Akademikern, Bildungsbürgern und Diplomaten. Er fremdelte, wenn ich ihn auf meinen Zug durchs Berliner Nachtleben mitnahm. Wir fremdelten gern miteinander. Dann verließ ich Berlin, um ausgerechnet nach Strasbourg zu ziehen, wo er nach vielen Jahren im europäischen Dienst seine Familie zurückgelassen hatte. Zu Weihnachten fand er auch dorthin zurück und wir trafen uns noch ein letztes Mal in einem Café, 1999? Seitdem war ich öfters in Berlin, traute mich aber nie, ihn anzurufen. Sein Salon fand auch nurmehr sporadisch statt. Die Gesundheit. Ich wollte ihn so in Erinnerung behalten, wie ich ihn schätzen und lieben gelernt hatte. Nicht mehr jung, nicht mehr gesund, auch nicht wirklich glücklich, aber unglaublich offen, lebensgierig und agil. Vor ein paar Jahren haben wir dann noch einmal telefoniert, und natürlich fragte er zuerst nach den Mädchen, die er mit mir kennengelernt hatte. Freitag ist Nicolaus Sombart nach einem Jahr im Krankenhaus in der Nähe von Strasbourg gestorben.

Updates: „Dass Günter Grass den Nobelpreis für Deutschland bekommen hat und nicht ich, das sagt doch schon alles über die Welt, wie sie heute ist.“ Sombart, zitiert von Volker Weidermann in dessen Nachruf in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ vom 6. Juli.

„In zunehmend indiskreten Memoirenbänden gab er virtuos und maliziös den geistig-erotischen Abenteurer. Dieses Wunschbild kultivierte der Ergraute gern auch mit einer Corona von Anhängern in seiner Berliner Wohnung - ein Causeur, der wusste, dass er nur fesselte, solange er im Gespräch blieb“,
so der „Spiegel“ in seinem Nachruf vom 14. Juli 2008.

Interview mit Arno Widmann anläßlich von Sombarts Tod im DeutschlandRadio Kultur. Eike Gebhardt erinnert sich im Deutschlandfunk an Nicolaus Sombart.

Nachruf von Tilman Krause in der „Welt“. Eva Behrendt in der „taz“ über den Dandy und „Albtraum aller Kellner, Taxifahrer und Krankenschwestern“. Gunnar Decker im „Neuen Deutschland“.

„Tagesspiegel“-Meldung. Alexander Cammanns ausführlicherer Nachruf im „Tagesspiegel“.

Blogs: Shirley Temple, ReadingEase.

„Die Wohnkultur der Schlösser ist bis heute unübertroffen und vorbildlich. Der Schlachtruf 'Friede den Hütten, Kampf den Palästen!' hat nicht dazu geführt, daß alle einen Anspruch darauf haben, in Palästen zu leben. Er hat dazu geführt, daß alle sich mit der Existenz in einer Hütte bescheiden müssen.“
Nicolaus Sombart in einem von mir 1998 bestellten Beitrag über Befindlichkeiten moderner Wohnkultur.

„Diese Veranstaltungen, bei denen der alte Herr in tief gelegenem Sessel sich so setzte, dass er die langen Beine diverser junger Damen, die teilweise den obskursten Gewerben nachgingen, bewundern konnte und von seinen publizistischen wie erotischen Erfolgen erzählte: Sie langweilten doch kolossal. Sie langweilten auch deshalb, weil nie jemand wagte, rhetorisch das Ruder herumzureißen und sich selbst in Szene zu setzen. Aber wo hätten es die Koryphäen aus dem Wissenschaftskolleg oder den Berliner Universitäten auch hernehmen sollen? Sie waren allesamt keine Meister der Konversation, vielmehr ungewandt, linkisch, und, im Gegensatz zum Herrn des Hauses, der wenigstens in dieser Hinsicht mit gutem Beispiel voranging, auch kaum zum Flirten aufgelegt.“ Tilman Krause in der „Welt am Sonntag“ vom 3. Januar 2016 über Nicolaus Sombart und die Kunst, einen literarischen Salon zu führen oder dort zu glänzen.

Fotos: Clemens Menne (oben); privat (unten)