Mein Haus, mein Auto, mein Boot? Nun ja, zu einem Boot hat es Johnny Marco (Stephen Dorff) vielleicht nicht gebracht, und meist schlurft er unrasiert, mit kunstvoll verwuscheltem Haar in Jeans und T-Shirt herum, forever young. Wir Münchner kennen diese betont jugendlichen, aber eben doch schon fickunddreißigjährigen Kreativen aus dem Glockenbachviertel oder der Maxvorstadt, halb gelangweilt, voll cool und niemals einem Flirt abgeneigt. Kein Mensch weiß, worin nun genau ihre Arbeit besteht, und ob das Café ihr Büro ist oder ob sie dort nur Halt machen, um gut auszusehen, was ja auf der Arbeit nur wenige mitbekämen.
Bei Marco läuft das alles einige Nummern größer ab: statt einem Loft bewohnt er als Dauergast Hollywoods legendäres Chateau Marmont, er fährt einen – unauffällig schwarzen – Ferrari, und flirtet selten, sondern knallt die Mädels lieber gleich. Johnny Marco ist ein Filmstar. Vielleicht ist er aber auch schon längst erloschen und zu einem schwarzen Loch kollabiert, während wir noch immer vom früheren Stellarglanz geblendet sind – und nur die professionellen Sternenbeobachter, die Paparazzi schlauer scheinen. Stets wähnt sich Marco von ihnen gejagt, doch offenbar folgt ihm mittlerweile keiner mehr, weil andere verführerischer fürs Objektiv glitzern. (So wie sein Darsteller Stephen Dorff vom schalkhaft glitzernden, schwer gehypeten Star zu „Blade“-Zeiten Ende des letzten Jahrhunderts zum traurigen Charakterdarsteller der Gegenwart gereift ist.)
Johnny Marco kreist recht einsam am Firmament, bar jeder Entourage. Nur wenige streifen, kometenhaft, seine Bahn, ein Kumpel aus seiner Jugend (Chris „Jackass“ Pontius), eine Tochter aus einer gescheiterten Ehe (Elle „Ich-bin-die-Schwester-von-Dakota“ Fanning). Letzte Spuren der Normalität (wenn es normal ist, seine Teenagertochter ins Feriencamp zu hubschraubern), letzte Pulsschläge in einem Schauspielerleben, das gar nicht mal mehr aus Dreharbeiten zu bestehen scheint, sondern aus dem In-between, dieser Twilight Zone aus Kostümproben, Pressekonferenzen, Festivalbesuchen.
Tristesse Royal – quasidokumentarisch von Sofia Coppola gefilmt, der bewährten Chronistin der Gelangweilten wie Leidgeprüften zwischen Tokio, New York und Versailles. Nahezu unbewegt, ja kalt, folgt sie dem Lauf, vielleicht sogar den letzten Tagen eines nicht mal mehr Getriebenen, sondern abgeklärt Dahinsinkenden, folgt ihm auch gar nicht konsequent, sondern lässt ihn durchs Bild kreuzen und irgendwann verschwinden.
Als Romantiker konnte ich die Schlussszene von „Lost in translation“, den unverständlichen Dialog zwischen Bill Murray und Scarlett Johansson natürlich nur als Happy-end interpretieren. Kirsten Dunsts „Marie Antoinette“ erfreute sich immerhin noch des prallen Lebens vor dem Schafott. Doch im Vergleich mit Johnny Marcos unaufgeregter wie finaler Einsamkeit erscheinen mir sogar die Selbstmordschwestern aus „Virgin Suicides“ fidel und selbstbestimmt. Was nicht ausschließen muß, dass man dem Hollywood-Beau Marco jede Party, jeden Quickie mit dem Model in der Nachbarsuite, jede Bono-Anekdote neidet, ohne aber letztendlich mit ihm tauschen zu wollen.
Niemand hat in „Somewhere“ seine Seele verkauft, Hollywoods Boulevard der Dämmerung wird von Sofia Coppola völlig unfaustisch inszeniert, mit der Nonchalance einer Zeitzeugin, die nur bei einem Abstecher in Berlusconis Italien der Farce verfällt, aber sonst die Oberflächlichkeit dieser Kunstwelt, das Gehabe der scheinbar nie alternden Dorian Grays im Film- und Popbusiness mit einer unprätentiösen Selbstverständlichkeit skizziert, die man derart präzise wohl nur erlangt, wenn man in dieser Welt aufgewachsen ist, ohne ihr Opfer geworden zu sein. Und natürlich hofft man, dass auch Marco nicht dem Hollywood-Talmi geopfert wird, sondern vielleicht einfach aussteigt und in dem Augenblick, wo ihn die Kamera aus dem Blickwinkel verliert, als einfacher Fischer auf einer Schaluppe sein Auskommen findet. Irgendwo. Ist ja schließlich großes Kino.
Diese Filmkritik erschien – leicht gekürzt – im „In München“ 23/2010 vom 11. November 2010
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