Als deutsche Trinkkultur sich noch auf Wein und Bier beschränkte, und Charles Schuhmann gerade mal begann, mit seiner American Bar die Kunst der Cocktails und Spirituosen in München und damit in Deutschland zu etablieren, saß im Schumann's an der Maximilianstraße nahezu unvermeidlich Heinz van Nouhuys (14.12.1929-20.12.2005), einer der ersten und – soweit ich mich erinnern kann – treuesten Stammgäste. Ein Niederländer, der es im deutschen Journalismus weit gebracht hatte und dem deutschen Journalismus entscheidende Impulse verschaffte.
Er war Chefredakteur der „Quick“ gewesen. Brachte für den Bauer-Verlag den „Playboy“ sowie später in Eigenregie dessen feinsinnigeres, frecheres französisches Pendant: „lui“ nach Deutschland. Schließlich gründete Nouhuys die Intellektuellen-Postille „Transatlantik“, die nicht ewig währte, aber bis heute als heiliger Gral in der Kulturszene verehrt wird. Nach der Wende und Einstellung von „Transatlantik“ zog Nouhuys, übrigens auch ein ehemaliger Doppelagent, ins wiedervereinigte Berlin.
Dort schrieb er für uns als Gastautor eine kleine Einführung in die Barkunde. Von Mixologen hat damals noch niemand etwas geahnt, und auch sonst durchweht den Text der glücklicherweise überstandene misogyne Hauch der Bar als Männerbund. Aber ich habe den kleinen Beitrag dennoch gern wieder gelesen, als er mir dieser Tage aus einer Ablage entgegenfiel.
Der Text erschein im Juli 1996 in „Ticket“, dem Kultursupplement des Berliner „Tagesspiegel“.
Der dumme Spruch – Bars hießen so, weil man in ihnen besonders viel Bargeld loswird – stimmt so natürlich nicht. Die Bezeichnung kommt aus dem Amerikanischen und hat einen Ursprung, wie es seriöser nicht mehr geht: Bar heißt dort das Möbelstück, durch das sich das Gericht Distanz zum Verhandlungssaal verschafft. Ein Anwalt, der vor der Bar plädiert, heißt heute noch Barrister. Steht eine solche Bar in einer Berliner Kneipe, nennt sie der Einheimische Tresen.
Anders als in Berliner Gerichten stehen hinter jeder Bar, die sich hier so nennt, eine Menge Flaschen. Die Flaschen kauft der Wirt im Großhandel. Ihnen, dem Gast, schenkt er den Inhalt mit durchschnittlich 300 Prozent Gewinnmarge aus. Nimmt er 400 Prozent, ist das bei teuren Mieten und feudaler Ausstattung noch durchaus im Rahmen. Nimmt er nur 200 Prozent, sollten Sie nachschauen, ob die Gläser gespült sind.
Wenn bei der Inneneinrichtung richtig zugelangt wurde, nennt sich eine Bar gerne Club; bei rustikalen Holzmöbeln und einer Schwingtür Saloon. In einer Nightbar beträgt der Aufschlag auf billigen Sekt 1000 Prozent; in einem Nightclub gilt das gleiche für Champagner. In beiden Fällen gehört der Schlüssel, den Ihnen die Barfrau („Ich komme dann gleich nach“) gegeben hat, entweder zu einem Trummergrundstück oder einem Beamtensilo des Berliner Senats. Lokale, in denen Kuh-Sekrete am Tresen ausgeschenkt werden, nennen sich Milchbar. Wurde die Kuh ermordet und verbrennt man ihr Fleisch auf glühender Holzkohle, heißt das BAR-B-QUE.
Jede Bar ist so gut (oder schlecht) wie ihre Stammgäste. Kommen Sie als Neuer rein, kennen Sie die Stammgäste natürlich nicht. Woran erkennen Sie, ob es sich um eine gute Bar mit guten Gästen handelt? 1. Hinter der Bar steht (mindestens) ein Mann. 2. Er benutzt keinen Meßbecher, sondern schenkt freihändig ein. 3. Hinter ihm im Regal stehen mindestens zehn Whisky-Marken, darunter mindestens drei Pure Single Malts; beim Gin sind drei Marken Minimum, einer davon mit 42 Prozent Alkohol und darüber; beim Cognac drei Marken. 4. Nach spätestens zwei Kippen wird der Aschenbecher geleert. 5. Der Barkeeper fängt von sich aus kein Gespräch mit seinen Gästen an, und er verweigert Ihnen den letzten Drink, wenn Sie ihn nicht mehr vertragen. 6. Mit Sex läuft in einer guten Bar nichts. (Alte amerikanische Weisheit: Frauen lenken zu sehr vom Trinken ab.)
Da Berlin noch immer mehr Kneipen als Kräne hat, und wir hier keinen Platz für ein Branchenadreßbuch haben, nenne ich Ihnen nur eine kleine Auswahl empfehlenswerter Bars. Alle Bars großer Hotels; am fröhlichsten Harry's New-York Bar im Esplanade; am distinguiertesten die Bar im Savoy, wo bereits das sorglose Umblättern der „FAZ“ als Ruhestörung empfunden wird.
Die Bar am Lützowplatz, mit 31 Metern die längste Theke der Stadt. Dort, wie im Esplanade um die Ecke, Sommerdrinks satt. Als Promitreff das Botticelli, Dahlmanstraße, wohin tout Berlin von der Hundekehle und dem Landhaus Bott nachgezogen ist. Die Galerie Bremer, Fasanenstraße, wo Sie tagsüber Gemälde kaufen und nachts mit den Malern und deren „Kunden“ trinken können – seit über 40 Jahren bedient und unterhalten vom schwarzen Charmebolzen Rudi, der bald hundert wird. Ein Stück weiter oben in der Straße die Bar 47 des Junggastronomen Frankie, der mit hundert Spitzenspirituosen und weiteren hundert Jazz-CDs vom Feinsten schnell den Anschluß an die großen Berliner Traditionsbars geknüpft hat.
Am Schrulligsten das kleine Wiener Stüber'l in der Uhlandstraße, ein Theater- und Medientreff, wo der Wirt jeden Neuen anraunzt: „Erzähl' mir bloß koane G'schichten, i kenn sie alle.“
Zum Schluß eine Bar, die alles hat, was man von einer optimalen Bar erwartet: bestes Publikum, erlesene Getränke, höfliche Bedienung, anregendes Ambiente, durchaus angemessene Preise. Ihr Name: Paris Bar. Aber das ist leider keine Bar, sondern nur ein Restaurant.
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