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Sonntag, 9. August 2020

Querelle für Heteros: Jean-Jacques Beneix' „Der Mond in der Gosse“ (1984)

Ertönte bei seinem Erstlings-Kultfilm noch der Vorwurf, „zwischen Kitsch und Kunstfertigkeit zu balancieren“, so beweist „Diva“-Regisseur Beneix mit seinem zweiten Kunstwerk, fest und stilsicher mittendrin zu stehen. Bei Vorführungen des „Monds in der Gosse“ teilt sich daher das Publikum schnell in die Fraktion der fassungslos-hysterisch Lachenden und in die Gemeinde von nach der Macht der Gefühle Gierenden.
Es geht um Vollmond und Neon, um Wasserlachen und Eisblöcke, um verwinkelte Gassen und dunkle Gewölbe einer Kirche, um Nutten und Dockarbeiter – und am Anfang von all dem war das Studio. Der Mond scheint in der Gosse von Cinecitta, dieser Film ist ein studiobedingtes Kunst-Werk, dessen maniriert unnatürliche Ausstattung und Bildgestaltung ihn vor dem Vergessen bewahren werden. „Nie ist das Licht so diffizil gesetzt worden und nie ist so differenziert fotografiert worden wie in diesem arbeitsteiligen Prozeß“, beschreibt dr Kameramann Heinz Pehlke die vergangene Studio-Ära. Und Jean-Jacques Beneix' Hafenepos ist eine einzige Hommage an die arbeitsteilige Filmgestaltung, ein perfektes Produkt von Handwerk und Technik.
Hilton McConnico, dessen Filmausstattungen charakteristisch für den französischen Film geworden sind, und dem die neue Filmzeitschrift „Fahrenheit“ im Winter eine Ausgabe widmen wird, erschuf, in der Tradition von Genets Brest und Préverts Le Havre, eine Hafenstadt voll von der schwülen Atmosphäre um ihr Leben Liebender und Kämpfender. Der Bildgestalter Philippe Rousselot kriecht mit seiner Kamera durch den Rinnstein, fährt und chwebt durch die Dekoration und tastet diva-gerecht Nastassja Kinski ab, die natürlich ihr Führungslicht bekommt.
Jean-Jacques Beneix hat sich hier an Papas Kino versucht, nahm mit einer einstudierten Vollkommenheit Frankreichs Vorkriegs-Melodramen zum Vorbild, um eine ebenso fatalistische Geschichte zu erzählen. Nacht für Nacht zieht es einen Dockarbeiter (Gérard Depardieu) in die schmutzige Sackgasse der Hafenstadt, wo sich seine Schwester nach einer Vergewaltigung umgebracht hat. Ruhelos durchstreift er Spelunkenund Straßen nach dem Täter, um seine – nur eingebildete? – Schuld an dem Unglück zu sühnen. In einer der Kneipen begegnet er der schönen Reichen aus dem Villenviertel (la Kinski), zu der er eine leidenschaftliche, doch unerfüllte Beziehung entwickelt. Sie ist die Fremde aus einer anderen, vielleicht besseren Welt, zu der er nie das Vertrauen haben wird, um aus seiner eigenen Welt auszubrechen.
Um die Affäre knüpft Beneix eine Vielfalt eindringlicher Szenen, die die leidenschaftliche Gewalt dieser Welt (Stromboli heißt hier ein oft gezeigtes Getränk), aber auch die triste Ausweglosigkeit der – umsonst – Handelnden unterstreichen sollen. Also Depressions-Kino, aber zugleich erotisches Kino, wie es auch nur annähernd kaum auf der Leinwand zu sehen ist. Denn das Spiel der Gefühle schließt hier den Körper ein, insbesondere wenn Gérards Geliebte (Victoria Abril) ihre Auftritte hat.
In dieser Sinnlichkeit unterscheidet sich „Der Mond in der Gosse“ auch am stärksten von Fassbinders „Querelle“, dessen schwüle Atmosphäre der studio-bedingt surrealen Hafenwelt er im übrigen teilt

Die Filmbesprechung erschien im „Plärrer“ 9/1984.

Donnerstag, 23. Juli 2020

Vom Bau zur Bühne: „Flashdance“ (1983)

In einer Ära der Fortsetzungskatastrophen à la „Porky's“ muß daran erinnert werden, daß Hollywoods Buhlerei um den jugendlichen Kinogänger einst auch Meisterwerke wie „Steelyard Blues“, „Clockwork Orange“ oder „Performance“ hervorgebracht hat. Don Simpson, an allen drei letztgenannten Filmen beteiligt, produzierte nunmehr für den Jugendmarkt „Flashdance“, den Sommerhit der Film- und Musikcharts.
„Flashdance“ bezeichnet die tänzerische Umsetzung von Alltagsszenen, mit der Alex, tagsüber Schweißer, am Abend auf der Bühne brilliert. Straßenszenen, etwa ein Polizist, der den Verkehr dirigiert, oder Jugendliche, die im Park mit Tanzschritten wetteifern, fallen Alex ins Auge und werden Bestandteile, Vorlage ihrer Show. Ihrer, denn Alex ist eine Frau. „Flashdance“ einer der seltenen Frauenfilme, wo die männliche Hauptrolle fast gänzlich auf ein porschefahrendes Beiwerk reduziert ist.
Im heruntergekommenen Industriegebiet von Pittsburgh schuftet die junge Alex Owens am Bau und im Nachtclub, um sich den Traum von einer Ausbildung zur Balletttänzerin zu verwirklichen. Schweiß und Ehrgeiz, doch auch Selbstzweifel und Anlehnungsbedürfnis prägen das Porträt dieser Frau, die sich privat und beruflich durchzusetzen weiß. Die groß angelegte Frauenrolle, Mittelpunkt beider Handlungsstränge, der Liebes- und der Erfolgsgeschichte, wurde um der Perfektion willen in der Besetzung wieder gesplittet, die Hauptdarstellerin Jennifer Beals in den Tanzszenen gedoubelt. Eine Professionalität, um die man auch in anderen Bereichen bemüht war: Kamera, Licht, Ausstattung und Choreographie ergänzen sich und schaffen eine perfekt durchgestylte Szenerie.
Mit diesen Rohstoffen cineastischen Könnens in den Händen inszenierte der ehemalige Werbefilmer Adrian Lyne unverdrossen das Ganze mit dem Kurzstreckenatem eines Video-Clips oder TV-Spots. Den Anforderungen eines Spielfilms, ein komplexes Handlungsgerüst zu errichten oder gar Musik- und Spielszenen in einen Guß zu bringen, scheint er nicht gewachsen. Ratlos sieht man als Zuschauer die Story hin und her springen, verärgert beobachtet man die unklaren Charakterskizzierungen, etwa wenn die Heldin zuerst als gläubige Unberührte erscheint, um dann auf einmal selbstbewußt ihren Chef zu vernaschen, damit die Handlung weitergehen kann. Beichten oder ein Todesfall werden – nur kurz angedeutet – als Stimulation bemüht, ohne näher begründet oder ausgeführt zu sein, die Möglichkeiten einer klassischen Entwicklungsgeschichte einfach verschenkt.
Entsprechend verfährt der Regisseur auch mit den zahlreichen Tanz- und Musikszenen. Einige der zahlreichen Hits, die nicht mal alle auf den Soundtrack paßten, werden nicht ganz ausgespielt, so wie es das Publikum von flüchtigen Videosendungen à la „Formel Eins“ gewohnt ist. Die atemberaubenden Tanzszenen sind oberflächlich abgefilmt, lassen den Zuschauer nur erahnen und erhaschen, aber nicht daran teilnehmen, wie etwa in „All that Jazz“ oder „Carmen“.
Die ganze Rolle der Alex Owens, die Tanznummern und Hits, „Flashdance“ insgesamt bleiben nur aufreizend und anregend. In einem erstaunlichen Ausmaß schafft es Lyne, eine nackte Schulter, Hits und Tanz zu arrangieren, optische und akustische Reize zu drapieren, ohne Befriedigung zu schaffen. Die geschürte Spannung, wenn Jennifer Beals ihren Rock hochschiebt oder Irene Cara ihr Lied trällert, bleibt im Raum, der junge Zuschauer kann sich, wird sich diesen Thrill immer wieder holen, im Kino, ais dem Walkman, in der Disco. Und niemand macht sich schmutzig, außer der Frau an der Kasse, die die Geldscheine zählt.

Diese Filmkritik erschien im „Plärrer“, Ausgabe 9/1983.

Sonntag, 19. Juli 2020

The Party is Over: „St. Elmo's Fire – Die Leidenschaft brennt tief“ (1986)

„American Graffiti“ ist längst vorbei, Wolfman Jack von MTV abgelöst und Vietnam keine Zäsur mehr. Lobbyisten und Finanzmakler in Reagans Washington stellen die Kulisse für Joel Schumachers ahornsirupsüße Filmkomödie, die wohl wirklich ein Lebensgefühl der 80er Jahre auf die Leinwand zu bannen scheint.
Passé die Zeiten der Melancholiker und Dropouts, der Kämpfer und ewigen Verlierer, vergessen die Möglichkeit, ein paar schöne Stunden im Kino könnten bewegend, mitreißend, schockierend oder doch zumindest unterhaltsam sein. Durchgestylt bis in's letzte leere Zimmer, in dem optisch wirksam schicke Tücher flattern, präsentiert uns Design-Profi Schumacher den fad-verlogenen Alltag einer Handvoll College-Absolventen, die in den letzten Zügen ihrer Nachpubertät liegen.
Ausgewälzt in der sinnlosesten Breitwand seit es Panavision gibt, zugedröhnt mit dem klebrigsten Soundtrack – aber den natürlich in Dolby, werden sieben Typen, vom Karrieristen bis zum verträumten Schriftsteller, als Abziehbilder eines jungen Amerikas verraten und verkauft! Am Scheideweg zwischen Beruf und Ehe, Selbstverwirklichung und Leistungszwang stehend, durchirren unsere jungen Stars Abenteuer zwischen Bett und Bartresen, die ja für sich genommen wie aus dem Leben gegriffen und nachvollziehbar scheinen, ob es sich um die Entjungferung oder den höllischen Drogentrip handelt.
Doch ohne jede Anteilnahme wie am Reißbrett komponiert, läßt es den Zuschauer ziemlich kalt, ob Kevin (Andrew McCarthy) wirklich schwul ist, Jules (Demi Moore) mit ihrem Chef ins Bett geht, Billy (Rob Lowe) seine Frau betrügt, Wendy (Mare Winningham) von zu Hause ausziehen will, Kirby (Emilio Estevez) auf Neureich macht, Alec (Judd Nelson) das Parteiabzeichen wechselt oder Leslie (Ally Sheedy) Mutter werden will.
Und weit spannender als das Treiben des mit Blick auf eine möglichst große Zuschauerzahl so zusammengewürfelten Hauptdarsteller-Septetts ist das geschickte product placement von Coca Cola, das in unzähligen Einstellungen immer wieder auf's Neue ins Auge fällt. Denn was die tiefen Leidenschaften des Titels betrifft: Coke is it!

Diese Filmkritik erschien im „Plärrer“, Ausgabe 4/1986.

Montag, 13. Juli 2020

Turbogeile Filmbranche: Wim Wenders' „Paris, Texas“ (1985)

Er ist schon lange unterwegs. Ein Film, der an einem 11. Januar von einem Verleih in ein Kino gebracht werden soll, darf, wird? Dies ist „Paris, Texas“. Der Film.
Den „Filmverlag der Autoren“ verbindet damit – ungeachtet jeden Festhaltens daran – nur noch Semantik und Historie. Denn der zum „Tchibo-Filmverleih“ (AZ, Frankfurt) verkommene Auswerter von Filmware à la „Das turbogeile Gummiboot“ hat in einem bis Redaktionsschluß noch nicht entschiedenen Rechtsstreit um die Verleihrechte an Wenders' Meisterwerk kein Mittel gescheut, den Regisseur zu behindern und zu beschimpfen – was von der Blockierung älterer Wenders-Filme bis zum Abstreiten jeglicher Auswertbarkeit von „Paris, Texas“ reichte.
Letztlich setzten sich die Anhänger der Filmverlagspolitik aus nur noch drei Lagern zusammen: die Turbogeilen der Filmbranche, die Deutschen, denen im Ausland erfolgreiche, viel herumreisende und auch noch selbstbewußte Landsmänner suspekt sind, und schließlich die Blauäugigen, die dem Filmverlags-Mehrheitsgesellschafter Rudolf Augstein nichts Böses zutrauen – schließlich ist sein „Spiegel“ des deutschen Intellektuellen „Wachturm“.
Auch wenn diese Koalition den prozessualen Erfolg noch davontragen mag, soll sie uns nicht weiter beschäftigen. Stimmen wir uns lieber ein – auf Highways und Chevys, auf Peepshows und Waschsalons, auf Bars und Freiheitsstatuen, auf Motels und Billboards, auf Paris, Texas.
„Er machte alle Lichter in dem Zimmer aus und legte sich auf den Boden zwischen die Betten. Seine Füße schwitzten. Er schaltete den Realistic Kassettenrecorder an und in der Dunkelheit antwortete Stevie Wonder: »Songs in the Key of Life«. Er betrachtete ein Apache Sandbild, das von nirgendwoher auf der Wand auftauchte. Farben aus dem Boden: bleicher, orangener Sand, schokoladenfarbene Erde, fahles Blau wie eine Träne. Er konnte den Schimmer des Perlmuttglanzes auf dem Pistolengriff sehen. Fäden von rosa Licht. Sich drehend. Er konnte sein eigenes Herz sehen. Er konnte das dämonische Festhalten eines Mannes an seiner einzigen Frau fühlen.“ (Sam Shepard, Motel Chronicles).
Man braucht nur die Drehberichte zu lesen und den Erzählungen zu lauschen, um die Stimmigkeit Wim Wenders' im Zusammenwirken mit seinem Team bestätigt zu bekommen. „Paris, Texas“ offenbart Bild für Bild, wie sehr Sam Shepard (Script), Robby Müller (Kamera), Chris Sievernich (Produktion), Ry Cooder (Musik), Nastassja Kinski, Harry Dean Stanton und Hunter Carson (Darsteller), um nur einige zu nennen, mit Wenders zum geballten Energiefeld verschmelzen. „Together we make it happen.“
Das Ereignis, hervorragend in einem Prachtbuch des Greno-Verlags dokumentiert, ist keineswegs nur Wenders' zu oft herbeiinterpretierter Amerika-Traum, sondern ein Epos über die Liebe, die Gefühle und das Chaos drumrum. Diese Geschichte kennt kein Happy-End. Aber vielleicht der Kinoeinsatz dieses Films?
Die Darsteller hätten einen Publikumserfolg redlich verdient. Denn das Trio Stanton/Kinski/Carson, Vater-Mutter-Sohn, auf das sich der Film letztendlich konzentriert, stellt in seiner darstellerischen Intensität, in seinem Ringen um Gefühle einen filmischen Sonderfall dar. In ihrer Fremdheit und Verlorenheit von Kamera, Schnitt und Sound unterstützt, entwickeln sie ein sensibles Zusammenspiel, das ohne die streng chronologisch vor sich gegangenen Dreharbeiten nie hätte erwachsen können.

Diese Filmkritik erschien im „Plärrer“, Ausgabe 1/1985.