Sonntag, 9. November 2025

Gute Kinderschänder, schlechte Kinderschänder? Albert Ostermaier las im Marstall aus seinem Pasolini-Roman

Das Wort ist brutal. Und es wird nicht feinsinniger, intellektueller oder gar zärtlicher, wenn es während einer gediegenen Soirée von einer Buchhändlerin und einem Dichter wiederholt auf einer Bühne des Bayerischen Staatsschauspiels ausgesprochen wird. Ganz im Gegenteil vertieft es den Graben zwischen denen da und Münchens anwesender Kulturschickeria. 

„Stricher“. Gleich mehrmals fiel es, als Sonntag vor einer Woche Albert Ostermaier in einer eher kurzfristig anberaumten Veranstaltung zusammen mit dem Ensemblemitglied des Residenztheaters Max Mayer aus seinem neuen Buch „Die Liebe geht weiter. Roman mit Pasolini“ las. Und der Ausdruck fiel keineswegs literarisch, im Rahmen der Lesung, obwohl im Buch gleich auf der ersten Seite „Such dir einen Stricher“ steht. Der Ausdruck Stricher fiel im begleitenden Podiumsgespräch Ostermaiers mit der Buchhändlerin und Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander. Beide benutzten ihn.

Es war ein bourgeoiser Abend. Quasi Schumann's auf der Bühne. Staatsintendant Andreas Beck führte nicht nur persönlich in die Veranstaltung ein, sondern nahm dann auch auf einem der vielen freien Plätze im Publikum Platz.

Nun könnte man behaupten, dass es eben ein Abend der harschen Worte war. „Kinderficker“ nannte Ostermaier im Laufe des Abends die katholische Kirche. Aber es gibt einen Unterschied zwischen anklagenden Worten gegen eine Tätergruppe und abwertenden Worten wie Stricher für sex worker, Sexarbeiter. Wenn man bei Minderjährigen überhaupt von einer selbstbestimmten Tätigkeit reden will und nicht gleich von Opfern. Das Stigma Stricher macht sie nur erneut zu Opfern. Und auf dem Podium gibt man sich mit dieser Wortwahl wohlfeil radikal auf Kosten der Schwächsten. Auch wenn ich mit meiner achtsamen Kritik daran jetzt vielleicht klinge wie ein Mitglied der „Gentrifizierungsbrigade des Sagbaren“, um Ostermaier zu zitieren. „Wokeness ist die schnelle Eingreiftruppe des Faschismus“, behauptet Ostermaier in seinem Roman.

Hätten sich Salamander und Ostermaier getraut, heutzutage bei minderjährigen Frauen diskriminierend wie nonchalant von Nutten zu sprechen? 

Aber es kam noch schlimmer. 

Albert Ostermaier und Pier Paolo Pasolini verbindet nicht nur ihre Berufung als Poeten, sondern auch eine bedingungslose Liebe zum Fußball. Der Mensch sein nur dort ganz Mensch, wo er spielt, zitierte Ostermaier letztes Jahr Friedrich Schiller in einem Interview. Und Salamander nutzte die Gelegenheit, um den Gast auf der Talk-Couch endlich das zu fragen, was ihr offenbar schon länger ein Rätsel war: Was ist das mit Männern und Fußball? Nicht der passive Konsum. Sondern warum nutzen erwachsene Männer so gern jede Gelegenheit zum Kicken, warum treffen sie sich in ihrer Freizeit so regelmäßig wie versessen, bloß um einem Ball hinterherzurennen.

Es sei die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit, verriet das langjährige Mitglied der Autoren-Nationalmannschaft Ostermaier der dankbaren Buchhändlerin. Als Bub würde man beim Fußballspielen eine grenzenlose Freiheit verspüren und endlose Möglichkeiten. Beim Kampf um den Ball könne man in seiner kindlichen Vorstellung jeder berühmte Fußballer sein oder sogar gleichzeitig mehrere von ihnen auf einmal. Und dem erwachsenen Mann böte der Kick die Möglichkeit, in die Unschuld seiner Kindheit zurückzukehren, selbst wenn es mit zunehmendem Alter die Knochen, Sehnen und Kondition eigentlich nicht mehr hergeben und der Spaß zur Qual wird.

Nun war der Sachverhalt bei Pier Paolo Pasolini keineswegs so unschuldig. Egal, wo auf der Welt er sich gerade aufhielt, Pasolini hätte immer versucht, „junge Männer“ zu finden, mit denen er kicken könnte, schilderte Ostermaier, als ob es ein harmloses, nachzuahmendes Hobby wäre. „Junge Männer“, also Kinder, Jungs, Jugendliche und nicht etwa Erwachsene. Dabei ist es, wie oft, wenn Männer etwas zwanghaft suchen, betreiben, ein Fetisch. Und die Kinder und Jugendlichen, die Pasolini suchte, waren keine Begleiter bei einer Zeitreise in die kindliche Unschuld, sondern vom alternden Pasolini benutzte sexualisierte Opfer. Auch wenn es der Biograf Valerio Curcio später als „Zauber“ verharmloste, den die Jugendlichen auf Pasolini ausgeübt hätten, wodurch die Täter-Opfer-Rolle beschönigend verdreht wurde.

Nach diesem Abend im Marstall könnte man glauben, es gäbe offenbar schlechte Kinderschänder, eben die im Talar, die Ostermaier als „Kinderficker“ geißelte, und gute Kinderschänder wie Pasolini. „Müssen Dichter Dichtern alles verzeihen?“, heißt es einmal im Buch. Nur dass Ostermaier nicht einmal Pasolini meint, sondern den Faschisten Ezra Pound.

Pasolini war ein Mann, der unter Anklage stand, weil er –  in seiner Lebensphase als Lehrer – 16-Jährige fürs Masturbieren bezahlt hatte. Und der sein erstes homosexuelles „Wonnegefühl“ angesichts der Kniekehlen Fußball spielender Jungen empfunden haben soll. Das mag seine Bedeutung nicht schmälern, benachteiligte Jugendliche in ihrem Selbstverständnis gesehen, erkannt und verstanden zu haben, ihnen als Regisseur und Autor eine Stimme gegeben zu haben. Aber man darf seine Motivation, den Lustgewinn darüber nicht vergessen, der eben auch eine Grenzüberschreitung vom Barden zum Bastard war. Um so irritierender liest sich Ostermaiers im Roman geäußerter Wunsch: „Warum hat man nicht einen Fußballplatz als Denkmal für ihn gebaut, zwei Tore mit Netzen im Wind. Mit Grasnarben. Warum nicht Bälle an die Kinder ver­schenkt mit seinem Gesicht.“

Aber das Spannungsfeld von Machtmissbrauch und sexueller Ausbeutung, das verführerische Spiel erwachsener Männer, die unverstandenen Heranwachsenden eine Stimme zu verleihen scheinen, das etwa an anderen Abenden am selben Ort im Marstall in der Inszenierung von „Daddy“ reflektiert wird, war bei Ostermaiers Buchpräsentation nur peripher ein Thema, in der Anklage der katholischen Kirche, in der vagen Erinnerung an den selbst erlebten Missbrauch durch einen Abt. Bei Pasolini feiert Ostermaier dagegen die Grenzüberschreitung, den Missbrauch Jugendlicher durch den Lehrer und mächtigen Regisseur. Hinterfragt sie in seinem Roman nur, als sich Pasolinis Beuteschema mit selbst erlebtem, verdrängtem Missbrauch, wiederholtem Missbrauch zu überdecken scheint. Vertieft im Buch, was ich mir auch bei der Buchvorstellung gewünscht hätte: „Der Jüngling mit seinen Cicerones.“ Aber auch: „Ich will kein Opfer sein.“ Dennoch bleiben Täter Täter.

„Literatur ist ein Stricher“ schreibt Ostermaier in seinem Roman, „Sex ein Gedicht“ und „das Gedicht der Sex“, „ein Sonett eine Stricherkneipe, ein Bahnhofsstrich“. „Die junge Haut. Die Jungs, die das Geld brauchen, das schnelle Geld für den schnellen Fick, den schnellen Blowjob“. Wortkaskaden, so atemlos wie der Sex, aber das Leben von durch Erwachsene sexualisierten, missbrauchten Kindern und Jugendlichen, ob gegen Geld, mit Gewalt oder als Objekt der Begierde, ist mehr als nur ein Bonmot. Es war und ist traurige Realität. Sie sind die Opfer, die man besingen sollte, und nicht der von seiner großen Liebe verlassene und später ermordete Pasolini. Immerhin macht es Ostermaier in seinem Buch anhand der eigenen Biografie dann doch ein paar Seiten lang. Dreht die Geschichte, nutzt zwischendurch Pier Paolo als Treibsatz, um in die eigene verdrängte Kindheit vorzustoßen. Nur Pasolini bleibt auf seinem Podest.

Montag, 3. November 2025

Wochenplan (Update)

Symposion „Militanter Humanismus. Thomas Manns Kampf um die Demokratie“ / Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung; Pasolini-Retrospektive: „Accattone“, „I Racconti di Canterbury“, „Salò o le 120 Giornate di Sodoma“ & „Comizi d'Amore“ / Werkstattkino; Verleihung der Schwabinger Kunstpreise an Susanne Röckel, ausARTen und den glitch Bookstore / Künstlerhaus am Lenbachplatz; Artist Talk mit Andrea Lissoni & Luisa Baldhuber / Behncke Gallery; Vernissagen „Out of Focus. Leonore Mau und Haiti“ / Lenbachhaus, „Fritz Koenig. Lehrer. Bildhauer. Architekt“ / Immatrikulationshalle der TUM, „Queerfeministischer Widerstand – gemeinsam verändern“ / Habibi und Hans-Jörg Mayer: „Munich Sentimental“ / Galerie Christine Mayer; Michael Herbigs „Tausend Zeilen“ mit Elyas M'Barek / Sat.1; „Mit zenen do“ – Rachel Salamander und Beno Salamander lesen aus Texten der „Schejres Haplejte“ / Monacensia; Presse-Lunch und Preview der Dezember-Auktion / Auktionshaus Ketterer; Münchner Premiere von „Hysteria“ und Filmgespräch mit dem Regisseur Mehmet Akif Büyükatalay / Arena; Diskussionsrunde „80 Jahre freier Journalismus in Bayern – die Rolle der USA damals und heute“ mit Melissa Eddy, Nicolas Richter & Max Muth / Panoramalounge der „Süddeutschen Zeitung“; „Volksshow“ mit Lina Ehrentraut, Jan Böhmermann und Moritz Hürtgen / Volkstheater; Pressekonferenz zum Start der Online-Plattform „_Gelogen?! Lass dich nicht manipulieren“ / Bayerisches Innenministerium; Heim + Handwerk Medienlunch / MINI-Pavillon; Presse-Get-together des Consorzio del Prosciutto di Parma / Viani; Tölzer Leonhardifahrt; Eröffnungsturnier der Eisstockbahn / Minna Thiel; Rumänisches Filmfestival (Foto) / Filmmuseum; Gedenkgottesdienst für Bernhard Servatius / St. Quirinus Tegernsee; Junger Münchner Jazzpreis / Unterfahrt; Kindle Storyteller Award / Alte Utting; Paul Schraders „The Card Counter“ mit Oscar Isaac und Willem Dafoe / 3sat; Kongress „Jugend und Politik“ / Landtag; Workshop „Satire in der Kommunalpolitik“ mit Marie Burneleit (Die Partei) / Rathaus; Vorbesichtigung Akademie-Auktion / Akademie der Bildenden Künste; „Afghanistan Not Safe“ / Bellevue di Monaco; Eröffnung des fesch am Kirchsteig / Dießen; „Jeder Mensch hat einen Namen“ – Gedenkakt zur Pogromnacht / Altes Rathaus & Livestream

Dienstag, 28. Oktober 2025

Kluge statt kritische Köpfe – oder: das Ende des Michael-Althen-Preises bei der Frankfurter Allgemeinen

Wie lange währt eine Ehrung? Wie viel Zeit verdient ein Angedenken? Wie lange dauert es, bis man in Vergessenheit gerät? Und wie bedeutsam bleibt man als herausragender Kritiker für die Nachwelt? Kann Kritik über den Erscheinungstag hinaus von Belang sein? Und für wen? Bleibt die veröffentlichte Kritik im kollektiven Gedächtnis, das besprochene Werk, die die Kritik formulierende Person? Oder bilden sie ein Amalgam? 
 
„In vielen deutschen Feuilletons wird der Platz für Film- oder Theaterkritik sukzessive zusammengestrichen. Zu wenig Leser, zu wenig Klicks, zu kompliziert in der Wahrnehmung.Um so wichtiger ist es, dass wir uns einmal mehr daran erinnern, was Kritik eigentlich zu leisten vermag. Für uns als Künstler. Aber prototypisch auch für unsere Gesellschaft an sich. 

Kritik im Sinne eines Michael Althen, der zweifelsohne einer der Genauesten und zugleich einer der liebevoll Subjektivsten seiner Zunft war – und dabei immer ein unermüdlich Suchender. Natürlich ist dabei Kritik nicht gleich Kritik. Denn unter all denen, die kritisieren, gibt es die, die herausstechen. Weil sie nicht nur urteilen, sondern sich einlassen. Weil sie nicht nur kalt beschreiben, sondern dabei sich selbst, ihre Haltung, ihr Denken, ihr Fühlen, zur Verfügung stellen. Weil sie neugierig sind. Weil sie nicht nur werten, sondern suchen. 

Kritik, die sich auf diese Weise einlässt, kann treffen. Sie kann verletzen, sie kann Grenzen überschreiten, und sie kann verstören. Aber sie kann auch stärken, und sie kann überraschen. Und sie kann etwas bewegen. Ich höre sie, und ich nehme sie ernst. Denn sie kann Räume öffnen, die wiederum den künstlerischen Prozess verändern. Räume, in denen eine Diskussion geführt werden kann, eine Debatte. Solche Kritik kann beglücken. Und so kommt es vor, dass ich etwas lese und dabei denke: Möge es doch immer so sein.Und dann hebe ich den Blick und stelle fest: Ist es natürlich nicht immer. Immer seltener in der journalistischen Beschreibung von Kultur, eher immer seltener im Diskurs des Feuilletons. Aber auch immer weniger – so muss man hinzufügen – in der gesellschaftlichen Diskussion.“

Diese Suada, mit der Nico Hofmann vor zwei Jahren beim Michael-Althen-Preis für Kritik die Siegerin Samira El Ouassil feierte, kommt einem nun im Nachhinein wie ein Abgesang vor. Denn der Michael-Althen-Preis, der längst seine eigene Tradition geschaffen hatte, ist plötzlich Geschichte. Zu wenig Resonanz, zu wenig Klicks? Jedenfalls löst ihn der neu geschaffene Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen ab, der gestern Abend zum ersten Mal verliehen wurde.

Und es könnte ausgerechnet der Filmproduzent Nico Hofmann gewesen sein, der daran Schuld trägt. Nico Hofmann, der nicht nur vorletztes Jahr eine Laudatio gehalten hat, sondern den Preis stets „großzügig unterstützt“ hat, wie ein Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen“, Jürgen Kaube (Foto), gestern betonte. Angeblich wollte Hofmann dem immerhin seit 2012 nahezu jährlich verliehenen Althen-Preis überdenken, ihm einen größeren Rahmen verleihen. Die Leute vom Film würden bei Preisen immer gleich an die Oscar-Verleihung denken, von einer Fernsehübertragung träumen, hieß es gestern am Rande der Veranstaltung. Und es war wie die Geschichte vom Zauberlehrling: Am Ende löste möglicherweise gerade Hofmanns guter Wille eine unaufhaltsame Dynamik aus und killte die traditionsreiche Auszeichnung. Denn den Michael-Althen-Preis für Kritik gibt es nicht mehr. 

Es sei Zeit für etwas anderes, modernes gewesen, betonte Kaube in seiner Begrüßungsrede. Heraus kam ein Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen, der laut Einladung „weiterhin in Erinnerung an Michael Althen vergeben“ wird. Auch Nico Hofmann und das Deutsche Theater Berlin sind als Partner weiterhin mit an Bord. Ist also etwa nur Raider in Twix umbenannt worden, und alles bleibt beim Alten?

Keineswegs. Auch die Zutaten haben sich geändert. Die „Frankfurter Allgemeine“ beschönigt es als „Zuschnittsänderung“. Doch statt wie bisher die journalistische Praxis, sprich: die beste im Zeitraum eines Jahres bereits veröffentlichte Kritik auszuzeichnen, schreibt man nunmehr eine Art Aufsatzwettbewerb aus. So wie man es sonst eher von kommunalen Einrichtungen, Sparkassen oder Lokalblättern kennt.

„Dieses Verfahren hat einen Vorteil: Es können sich auch Personen beteiligen, die nicht von Berufs wegen Kritiker, Journalisten oder Professoren sind. Leute, die nicht den ganzen Tag Essays schreiben, sondern anderen Tätigkeiten nachgehen“, betonte Kaube, als ob ausgerechnet die „Frankfurter Allgemeine“ jetzt die Graswurzelbewegung für sich entdeckt hätte.

„Wie viel Zeit braucht die Kunst?“ lautete heuer die jährlich wechselnde Preisfrage und mehr als 200 kluge Köpfe lieferten aus ihrem stillen Kämmerlein auf Verdacht einen Text dazu, bis zu 17.000 Zeichen lang, in der Hoffnung, die 10.000 Euro Preisgeld abzugreifen. „Es wurden Essays eingesendet, Reportagen, Erzählungen und Gedichte.“ Sieben schafften es auf die Shortlist: der Schweizer Schriftsteller Ralph Dutli, die Bamberger Lyrikerin Nora Gomringer, der Fernsehkritiker und Dokumentarfilmer Torsten Körner, der Germanist Bernhard Malkmus, der Berliner Dramatiker Moritz Rinke, die Künstlerin Natalia Roman und der Frankfurter Marketingberater Klaus Rössler. Letzterer gewann denn auch mit seinem Text „Digitale Ruinen - Wie verlassene Pixel die Zeit bezeugen“.

Und statt dass wie bisher die sonst von der Kritik immer Beurteilten, Künstler*innen wie Claudia Michelsen, Anne Berest, Dominik Graf, Hanns Zischler, Tom Tykwer oder Fabian Hinrichs die Preisjury bilden, eben einmal im Jahr den Spieß umdrehen und ihrerseits die Arbeit von Journalist*innen beurteilen, küren nun beim Feuilleton-Preis ausschließlich die „FAZ“-Feuilletonist*innen Sandra Kegel, Niklas Maak, Simon Strauß und Jürgen Kaube den Siegerbeitrag.

Die früheren Jurymitglieder fehlten bei der Premiere des neuen Preises gestern Abend im Deutschen Theater Berlin ebenso wie Claudius Seidl, den Kaube bei seiner Rede als langjährigen Organisator des Michael-Althen Preises für Kritik hervorhob. Selbst eingeladene Gäste wie der Filmproduzent und Filmfunktionär Alfred Holighaus oder der Regisseur Jan Schmidt-Garré, die zugesagt hatten, waren nicht erschienen. Und auch der frisch aus dem Urlaub zurückgekehrte Nico Hofmann glänzte durch Abwesenheit und schickte nur eine Vertretung.

Die „Frankfurter Allgemeine“ blieb bei der Feier sehr unter sich. Dabei war es für die Redaktion dreizehn Jahre lang signifikant gewesen, sich selbst beim Michael-Althen-Preis großzügig zurückzunehmen. Nicht etwa nur bei der Jury, sondern auch, indem man Jahr für Jahr Arbeiten auszeichnete, die nahezu immer von anderen Medien veröffentlicht worden waren: Etwa Sarah Khan und „Cargo“. Willi Winkler und die „Süddeutsche Zeitung“. Hans Hütt und sein Blog „anlasslos“. Rupprecht Podszun und „Nachtkritik“. Kia Vahland und wiederum die „Süddeutsche Zeitung“. Adam Soboczynski und „Die Zeit“. Samira El Ouassil und „Übermedien“.
  
War es das also mit der fortlebenden Erinnerung an den 2011 verstorbenen Michael Althen? Freunde und Familie könnten den Wettbewerb in veränderter Konstellation unter dem Namen Michael-Althen-Preis für Kritik fortführen. Bei der „Frankfurter Allgemeinen“ hätte man laut der Pressestelle nichts dagegen: „Wir freuen uns, wenn der ehemalige F.A.Z.-Filmkritiker über den ihm gewidmeten Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hinaus in Erinnerung behalten wird.“

Montag, 27. Oktober 2025

Wochenplan (Updates)

Verleihung des Feuilletonpreises der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an Klaus Rössler / Deutsches Theater Berlin; Bücher der Kindheit: Lena Gorelik im Gespräch mit Niels Beintker / Schloss Blutenburg; Vernissagen Chantal Akermann u. a.: „… damit das Geräusch des Krieges nachlässt, sein Gedröhn“ / NS-Dokumentationszentrum, „Das Schatzbuch von St. Emmeram“ / Bayerisches Nationalmuseum, Yolanda Dorda: „[Fragmented Identity]“ (Foto) / Stephan Stumpf und Jakob Forster, Giulietta Ockenfuß, Daniel Giles, Marta Riniker-Radich & Philipp Schwalb: „Surfaces as Communicative Einrichtung“ / PiP; „Rise & Fall of 1860 München“ / ARD-Mediathek, Bayerisches Fernsehen & ARD; „Secret Nights, Secret Bites“ / Neni; Verleihung des Bürgerpreises / Maximilianeum; Panel Discussion „New Modes VII – Deep Connections“ mit Sissel Tolaas, Jan Plecháč & Sonja Pham / Pinakothek der Moderne; Schaufensterpräsentation „Das Bachfest“ / Ludwig Beck; Buchpräsentation und Podiumsgespräch mit Sebastian Peters, Cornelia Jahn & Magnus Brechtken: „Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann – Der Propagandist mit der Kamera“ / Bayerische Staatsbibliothek; „Dieter Dorn zu Ehren“ – ein Abend mit Sibylle Canonica, Jens Harzer, Georg Holzer, Sunnyi Melles, Tobias Moretti, Gerhard Polt, Georg Ringsgwandl, Roland Schimmelpfennig, Stofferl Well und seinen Brüdern & Jörg Widmann / Bayerische Akademie der Schönen Künste; Talk im Wirtshaus mit Eva Haubenthaler, Joachim Herrmann, und Artur Wagner zum Thema „Frieden und Sicherheit mit Waffen?“ / Michaeligarten; Public Possession: „Big Laughing Club“ / Haus der Kunst; „Dawn of the Death of Arts“ / Motorama; The Death of Psychedelic Porn Funk / Import Export;  TSV 1860 München vs. FC Energie Cottbus / Grünwalder Stadion & Bayerisches Fernsehen; Spielart Festival: Abschlusskonzert mit Pollyester / Ampere; #Stadtbild: Kundgebung gegen Spaltung und Rassismus / Odeonsplatz; Albert Ostermaier präsentiert seinen Pasolini-Roman „Die Liebe geht weiter“  / Marstall

Montag, 20. Oktober 2025

House of Arts – Die Kunst auf den Münchner Medientagen (Updates)

Münchens wohl bestbesuchte Kunstausstellung diese Woche ist gar keine. Und natürlich kommen die über 5000 Besucher*innen nicht wegen der im House of Communications am Ostbahnhof herumstehenden oder hängenden Werke zu den Medientagen. Aber spätestens in der Kaffeepause hört man oft die Frage, ob man wisse, von wem das Werk stammt, vor dem man gerade steht. An den Bildern und Skulpturen führt während der drei Tage kein Weg vorbei. Und ein langjähriger Paradegast der Programmschiene beklagte sich neulich bei mir sogar, dass die Kunstwerke ein Problem seien, weil man ständig darauf Rücksicht nehmen müsse und nicht mehr so frei walten und schalten könne wie an der früheren Location, dem Internationalen Congress Center in der Messestadt.

Kunst ist schön, aber eben auch eine Herausforderung. Gerade wenn sie nicht bei den Unternehmer*innen daheim oder im Vorstandsbüro hängt, sondern für alle Mitarbeiter*innen und Besucher*innen sichtbar präsentiert wird. Was wäre auch Burda während meiner Zeit dort ohne den Warhol im Verlagsentrée gewesen. Oder die Lobby des BMW-Hochhauses ohne Gerhard Richters „Rot - Gelb - Blau“, denen die Jahrzehnte mit Publikumsverkehr aber letztendlich so sehr zusetzten, dass sie restauriert und verglast werden mussten.

Bei Aktienunternehmen wie der Deutschen Bank oder Hypo-Vereinsbank werden Teile der Kunstsammlung irgendwann verscherbelt. Bei inhabergeführten Unternehmen bildet sie vielleicht den Grundstock für ein oder mehrere Museen.

Die Kunstsammlung der Serviceplan-Granden Florian und Peter Haller im House of Communications verzichtet auf jeden musealen Ansatz. Ziemlich ungeschützt und ohne jede Nennung der Künstler*innen, Titel und Entstehungsjahre sind die rund 150 von Thaddaeus Ropac kuratierten Werke einfach da, wie selbstverständlich in den Arbeits- und Tagungsalltag integriert. Auf dem Foto hier zum Beispiel Antoni Tàpies' „Retrat de K“ aus dem Jahr 2002 über den Tassen für die Kaffeepause. 110 Kunstwerke sind während der Medientage zugänglich, und wer die 369 bis 1290 Euro für das Kongressticket scheut: Es werden das Jahr über „exklusive“ Führungen durch die Kunstsammlung angeboten.

Insgesamt umfasst die Privatsammlung der Hallers rund 250 Werke, darunter Werke von Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Gerhard Richter, Emil Nolde, Tony Cragg, Alex Katz, Francis Bacon, Rainer Fetting, Victor Vasarely oder Rupprecht Geiger. 

„Wenn der Ton ausfällt, können Sie 20 Sekunden lang Kunst anschauen. Das hat kein anderer Tagungsort in der Welt“, so Gastgeber Stefan Sutor von der Medien Bayern GmbH in seinem Schlusswort auf den Medientagen dieses Jahr.

Hier ein paar Eindrücke und Zuordnungen von den letzten Medientagen und heuer:

Das sieht nach einer Skulptur von Stephan Balkenhol aus. Es gibt noch einige mehr von ihm, denn „wir haben Portraits unserer Kolleg:innen vom weltweit bekannten Bildhauer Stephan Balkenhol anfertigen lassen. (…) Die Werke haben nun einen besonderen Platz im Herzen unseres House of Communication München.“

Stephan Balkenhol: „Ohne Titel“, 2022. Porträts von zwölf vom Künstler ausgewählten Serviceplan-Mitarbeitenden. 

Julian Opie, „Lucia 5“, 2017.


Julian Opie: „Women Taking off Jeans“, 2003. 

Julian Opie: „Flight Attendant and Solicitor“, 2015.

A. R. Penck: „Überflug“ und „Tanzender Troll“, 1997.

A. R. Penck: „Spirit of Europe“.

A. R. Penck.


Hans Joachim Volbracht.

Hans Joachim Volbracht.


Alexander Calder: „Looped Red“, 1974.

Jonathan Meese: „Erzkunst-Macht-K.U.N.S.T.!“, 2020.

Jonathan Meese.

Jonathan Meese: „Keinen Menschenkult, bitte ihr Menschlein, nein, nein, nein“, 2008

Jonathan Meese: „Balthysmeese IV“, 2001.

Cailyn Dawson: „Sunset“, 2022.

Ernst Wilhelm Nay: „Comet“, 1964 und „Metagrün“, 1963.

Gabriel Holzner: „We Had a Hell of a Run 4“, 2022

John Hoyland: „Hating and Dreaming“, 1990.
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Antoni Tàpies: „Ohne Titel“ aus „Suite Catalana“, 1972.

Joan Miró: „La Captive“ und „La Dentellière“, 1969.

Daniel Richter: „Mühen der Ebene“ und „Beschlossene Feindschaft“, 2023.

Daniel Richter: „Seele, heimatlos etc.“, 2023.

Sean Scully: „Blue Yellow“, 2023.

Sean Scully: „Paris Yellow“, 2021.

Anselm Kiefer: Werkgruppe „Für Walther von der Vogelweide“, Memento Mori, 2019. 

Anselm Kiefer: „Maria im Rosenhag“, 2006.

Anselm Kiefer: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit“, 2022.

Anselm Kiefer: „Geheimnisse der Farne“, 1996–2000.

Georg Baselitz: „Häßliches Porträt 1“, 1987–1988.

Georg Baselitz: „Schönes Porträt 2“, 1987–1988.

Georg Baselitz: „Tre Dite“, 2010.

Georg Baselitz: „Der Maler hinterm Gartenzaun“, 2013, und „Elke“, 2012.

Antoni Tàpies: „Suite Catalana“, 1972.

Bernhard Schultze: „Verschränktes Kauderwelsch“, 1991.

Rupprecht Geiger: „Metapher Zahl 0–4“ und „Metapher 5–9“, 1985–1989.

Joseph Albers: „Homage to the Square“, 1950.

Otto Ritschl: „Komp. 57/18“, 1957.

Rechts: Otto Ritschl: „Komp. 65/21“, 1965.