Vor vielen Jahren, man könnte auch von einer längst vergessenen Ära redaktioneller Unabhängigkeit sprechen, im letzten Jahrtausend jedenfalls schickte das „FAZ-Magazin“ einen Reporter auf der Queen Elizabeth 2 über den Atlantik. Und statt sich von der Reederei einladen zu lassen, bezahlte die Redaktion selbstverständlich die mehrere tausend Mark teure Passage und druckte das Ticket stolz im Editorial ab. (Die „Frankfurter Allgemeine“ war auch die einzige Redaktion, bei der ich es bereits in den Achtzigern erlebt habe, dass sie selbst preiswerte Geschenke zurückschickt und sich Ähnliches künftig verbittet. In einer Zeit, als noch kein deutscher Verlagsmanager von Compliance sprach.)
Inzwischen lassen sich – Compliance hin oder her – immer mehr Redaktionen allein schon aus Budgetnot gerne einladen und beschenken. Durchaus auch mal hinter dem Rücken der Verlagsleitung.
Reisejournalisten, Autotester, Moderedakteure, Beauty-Experten und Filmkritiker reisen, übernachten und tafeln gern für lau. Selbstverpflichtungen, solche Einladungen am Ende der daraus generierten Veröffentlichung offen zu legen, gibt es durchaus. So auch beim Axel-Springer-Konzern in Form seiner
Leitlinien journalistischer Unabhängigkeit.
„Die Journalisten bei Axel Springer tragen dafür Sorge, dass alle Kosten (Reisekosten, Bewirtungen etc.), die im Zusammenhang mit Recherchen entstehen, grundsätzlich durch die Redaktion übernommen werden. Ausnahmen sind von der Chefredaktion zu genehmigen und in der Berichterstattung entsprechend kenntlich zu machen.“
Gerade Letzteres hatte diesen Sonntag den gegenteiligen Effekt, als Airen im Reiseteil der „Welt am Sonntag“ aus dem mexikanischen Aussteigerparadies Tulum berichtete.
Airen? Einige werden sich erinnern. Berühmt geworden ist der gebürtige Bayer und langjährige Wahlberliner weniger durch seine Korrespondententätigkeit (Drogen und Mexiko) für die „Frankfurter Allgemeine“ und „Welt“, denn durch seine länger zurückliegende junge wilde Clubberprosa, aus der sich Helene Hegemann für „Axolotl Roadkill“ reichlich bediente.
Inzwischen würde es eher nur für Herzschmerzprosa à la Rosamunde Pilcher oder Katie Fforde reichen. Recht schwülstig (€
Blendle,
Welt+) lobt er Tulum als einen
„jener Orte, die unserer Vorstellung vom Paradies am nächsten kommen. Unter der gleißenden Sonne geht strahlend weißer Korallensand in das stille, türkis funkelnde Meer der Karibik über; ein Farbverlauf so unnatürlich intensiv, als habe jemand an den Kontrastreglern eines Grafikprogramms herumgespielt. Kokospalmen wiegen sich sanft in der Brise, silberne Albatrosse schweben reglos über dem Wasser, und irgendwo steht ein Straßenschild, das anregt: 'Be here now'.“
Das mag kitschig klingen, aber tatsächlich sein. Zweifel weckt dagegen Airens Hinweis,
„erschwingliche Zimmer finde man eigentlich nur noch über Online-Vermittlungsplattformen.“ Nicht, dass er sich etwa selbst soweit hinauslehne. Er zitiert vorsichtshalber nur eine Insiderin, eine 40-jährige Yoga-Lehrerin, die einerseits beklagt, dass eine Übernachtung inzwischen auch schon mal vierstellig zu Buche schlage. Angeblich aber andererseits einen Ausweg bietet: erschwingliche Zimmer via Online-Plattformen. Die meisten Textchefs oder Redakteure hätten wohl dennoch – selbst wenn es sich nur um ein Zitat handelt – den Rotstift angesetzt, denn solche Behauptungen sind selten faktenfest.
Und tatsächlich zeigt ein kurzer
Testcheck, dass ein Hotelportal durchaus günstiger als eine Zimmervermittlungsplattform sein kann. Anfang September etwa bietet HRS für Tulum 25 freie Hostels und Hotels bei Übernachtungspreisen zwischen 8,04 und 462,74 Euro an. Airbnb dagegen listet im selben Zeitfenster zwanzig freie Unterkünfte für 28 bis 2.304 (!) Euro pro Nacht auf.
Aber damit noch nicht genug. Einen Hautgout bekommt das Ganze eben gerade erst durch den journalistische Unabhängigkeit versprechenden Abbinder:
„Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von Airbnb.“ Und so wird aus den unverbindlich allgemein formulierten
„Online-Vermittlungsplattformen“ eine recht eindeutige Empfehlung: Airbnb.
Chefredakteur Peter Huth – sie erinnern sich, derjenige, dessen Chefredaktion die Unterstützung durch Airbnb laut Konzernrichtlinie abnicken müßte – verweist auf meine Anfrage hin recht schmal
llippig an die Verlagspressestelle, was ausgesprochen schade ist. Macht er doch eine meist sehr lesenswerte „Welt am Sonntag“ und hat davor bei der „B.Z.“ durch seine forschen Titelseiten sogar Leute überzeugen können, die sonst kein Springer-Blatt anfassen würden.
Die Konzernpressestelle
kreiste ein kreißte einen Tag lang und gebar dann ein Statement:
„Mit dem klaren Hinweis, dass die Reise für den Autoren-Beitrag durch Airbnb finanziell unterstützt wurde, entspricht der Text branchenüblichen Transparenz-Standards“. Was nun aber in Zusammenhang mit der eindeutigen Empfehlung innerhalb des Artikels zum Problem wird. Nur nicht für die blaue Gruppe. In der inzwischen veröffentlichten Onlinefassung des Zeitungstextes findet sich die Formulierung unverändert.
Der Blogeintrag wurde überarbeitet und ein Wörtchen gestrichen gelöscht, da ein Dissenz auftrat, ob es sich dabei möglicherweise um ein unautorisiertes Zitat handle oder um eine zitierfähige Antwort auf eine offizielle Anfrage.