Montag, 14. Juni 2010

Katrin Müller-Hohensteins „innerer Reichsparteitag“ (Updates)

Fernsehen, insbesondere Live-Fernsehen und ganz besonders Fußball-übertragungen sind ein flüchtiges Medium, aber es versendet sich – anders als „Die Welt“ uns in einer ersten, den Faux-pas auch noch ausgerechnet mit „Euphorie“ erklärenden, inzwischen geänderten Meldung dazu glauben machen wollte – eben nicht, wenn zur Halbzeitpause des Deutschland-Spiels kommentiert wird: „Und für Miroslav Klose ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst, dass der heute hier trifft.“
 
Und wenn Katrin BedauernMüller-Hohenstein sich für ihre verbale Entgleisung entschuldigen oder gar härtere Konsequenzen ziehen sollte, wird man mit Sicherheit wieder die Twitterer und Blogger dafür verantwortlich machen, wenn sie sich das in ihrem unerschütterlichem Mangel an Selbstvertrauen nicht schon gleich selbst präpotent ans Revers heften. Dabei ist nur einer schuld, die ZDF-Moderatorin selbst.
Natürlich ist nicht jeder davor gefeit, sich im „Wörterbuch des Unmenschen“ zu bedienen, das verniedlichende „Reichskristallnacht“ kam mir früher ebenso aus dem Mund – weil ich mir nicht vorstellen konnte, daß es jemand verharmlosend verstehend könnte. Oder Goebbels' infames „Journaille“  – weil ich den Zusammenhang nicht kannte, aber das änderte sich in dem Augenblick, in dem mir der Kontext und die Wirkung dieser Worte bewußt wurde (während etwa ein Don Alphonso da weniger Skrupel zeigt).
Selbst der „innere Reichsparteitag“ entschlüpft mir im Privatgespräch gelegentlich und führt dann dazu, daß mich Mo oder andere Freunde dafür kritisieren. Und das zurecht. Denn anders als bei der „Reichskristallnacht“ oder „Journaille“ ist die Konnotation beim „inneren Reichsparteitag“ eine ausschließlich positive, letztendlich Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ und „Sieg des Glaubens“ fortführende (update: oder vielleicht doch nicht?).
Von der Journalistin, die nicht (mehr) für einen regionalen Larifari-Sender, sondern das öffentlich-rechtliche ZDF arbeitet, kann man erwarten, daß sie es besser weiß, zumal sie als Erlangerin auch noch lokalen Bezug zum Nürnberger Reichsparteitagsgelände haben wird.
Wer Carmen Thomas' „Schalke 05“ zum Maßstab nimmt, kann nur hoffen, daß sich Müller-Hohenstein angemessen, das heißt persönlich und nicht via Vorgesetztem entschuldigen wird.

Updates:  Niggemeier findet's nicht schlimm und schiebt einen Autobahn-Witz hinterher. Die 11 Freunde sehen es kritischer. Blogmedien bekennt sich zu einer eigenen sprachlichen Entgleisung.
Spiegel Online: „Zudem warnte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, vor Hysterie. 'Die Moderatorin hat es bedauert, das ZDF hat es bedauert. Da gibt es deutlich keine böse Absicht', sagte er der 'Leipziger Volkszeitung' (Dienstagausgabe). 'Ich glaube, dass ist ihr einfach so rausgerutscht', sagte Graumann. Der Begriff sei inzwischen leider zu einem umgangssprachlichen Idiom geworden. 'Viele Menschen denken gar nicht an die NSDAP in dem Moment, wenn sie es sagen.'

„'Ein innerer Reichsparteitag' - das ist nicht Nazi-Sprache. Das ist vielmehr gerade die Persiflierung des bombastischen Nazi-Jargons, wie er im Dritten Reich gang und gäbe war. Das ist, wie man damals gesagt hätte, Berliner Mutterwitz, frech, respektlos, nicht ohne Anteile von Zynismus, wie sie ja auch im Wort von der 'Reichskristallnacht' aufscheinen, welches das verbrecherische Spektakel des Pogroms vom 9. November 1938 als staatsoffiziellen Budenzauber entlarvte, den die Nazis als 'spontane Äußerung des Volkszorns' verkaufen wollten.“ Tilmann Krause in der „Welt“

„Die ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein ist sprachlich schwer entgleist, als sie beim WM-Torschützen Miroslav Klose nach dessen Tor auf 'inneren Reichsparteitag' erkannte. Für den handelsüblichen Nazi-Alarm reicht das nicht.“
Joachim Huber im „Tagesspiegel“

Im großen Wochenend-Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vom 16. Januar 2016 erklärt Katrin Müller-Hohenstein darauf angesprochen:  „Kollege Manni Breuckmann hat mir mal erzählt, dass er das auch mal gesagt hat. Ich habe das –wie er auch – völlig sinnentleert gemeint. Trotzdem: wenn ich einem einzigen Menschen damit zu nahe getreten bin, war’s einer zu viel.“ (Vollständiges Interview via kostenpflichtigen Blendle-Link.)

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

komisch, weder ich noch meine 12 Mitgucker haben diese angebliche Entgleisung überhaupt bemerkt. Sind wir jetzt alle Nazis?

Dorin hat gesagt…

Nein, nur abgestumpft