Samstag, 20. Februar 2010

Literatur als Leichentuch einer Liebe

Eine 17-Jährige Bestsellerautorin, Geschichten um tabulosen Sex, einschlägige Clubs und den Rausch der Phantasmen, und das nicht etwa in unserer Zeit, sondern Ende der siebziger Jahre, als Teenager in der Regel noch Kinder waren und die Erwachsenen nicht forever young zu bleiben trachteten.
Als ich in der „Süddeutschen Zeitung“ vom Wochenende las, daß Helene Hegemann in ihrer nachgetragenen Danksagung auch Valérie Valères „Haus der verrückten Kinder“ nennt, wunderte ich mich nicht. War Valères Leben wie Literatur doch sogar ausdrucksstark genug, um nicht nur wiederverwendet zu werden, sondern mich sogar zur Gründung eines Verlages zu bewegen.
„Das Haus der verrückten Kinder“, die Autobiografie ihrer Jugend als Magersüchtige in der Psychiatrie, war in Frankreich wie Deutschland (Rowohlt) ein Bestseller gewesen, und ich verabredete mich mit Valère um 1980 herum, um sie für meine damalige Zeitschrift „Outonom“ zu interviewen. Die – ein Jahr jüngere – Jodie Foster bei Dreharbeiten in la Victorine bei Nizza, Valérie Valère – mein Jahrgang! – zu einem Interview im Pub Relax in St.-Germain-des-Prés, es war eine ungewöhnliche Generation junger Frauen, die ich damals für meine ersten publizistischen Gehversuche traf. Von wegen „Göre“, um einen derzeit gern benutzten Vorwurf zu zitieren. Und würde Willi Winkler da auch von „Frischfleisch“ und „Kindsmissbrauch“ durch den Kulturbetrieb faseln?
Der Erfolg ihres Erstlings befreite Valère aus den Fängen ihrer Familie und jeglicher anderer Konventionen, erlaubte ihr ein selbstbestimmtes Leben, selbst wenn dieses Leben zunehmend aus der täglichen Täuschung mit Weckaminen, Barbituraten und Rauschmitteln bestand. Ihre Entscheidung.
Ihr zweites Buch, „Malika“, die inzestuöse Geschichte eines Geschwisterpaars, war auch noch in Deutschland bei Wunderlich erschienen, aber bald nur noch als ungebundene Makulatur auf Halde gelegen. Und als sie mir am Bistrotisch von ihrem neuen Roman, „Obsession Blanche“, erzählte, der rücksichtslosen Darstellung einer Schreibblockade, die in Deutschland niemand veröffentlichen wollte, änderte ich das, indem ich – mit Anfang 20, ohne Geld – den Popa-Verlag gründete und das Buch unter dem Titel „Weißer Wahn“ verlegte. (Die Druckbögen von „Malika“ kaufte ich Wunderlich ab, ließ sie binden und brachte sie ebenfalls wieder in den Buchhandel.)
Einen kleinen Skandal um Originalität und Echtheit, ein Skandälchen gibt es auch zu beichten. Das Foto, das uns beide nebeneinander zeigt und von meinem Verlag, von mir zur Öffentlichkeitsarbeit benutzt wurde, ist eine Fälschung. Eine Fotomontage. Nach dem Interview im Pub Relax haben wir uns nie mehr wiedergesehen. Valérie Valère starb 1982, mit 21, in ihrem Refugium, der erschriebenen kleinen Wohnung. Die Todesmeldung las ich irgendwo zwischen Ismaning und Oberammergau, wo das Buch gerade entstand. Ich meine mich zu erinnern, daß sie beim Rauchen in ihrem Medikamenten- und Drogenrausch eingeschlafen und verbrannt wäre. Auf Wikipedia ist von einem Herzstillstand nach Medikamentenmißbrauch die Rede. Geschichten von Wunderkindern sind meist Tragödien, das sollte man nie vergessen.

1 Kommentar:

spiegelkritik hat gesagt…

Den von einer Zigarette verursachten Brand hat es laut http://www.valerievalere.de/ etwa zweieinhalb Jahre vor ihrem Tod gegeben.