Samstag, 22. Juli 2023

Von Lausch- und anderen Angriffen

Ich bin ein Kind des kalten Krieges. Meine Initialen, wie auch die meiner beiden Brüder, DP, stehen für Displaced Person. Und obwohl in München geboren, habe ich Deutsch erst mit etwa drei Jahren auf der Straße gelernt, weil wir daheim Rumänisch sprachen. Daheim in der Gerner Tizianstraße, in einer Wohnung, die die USA für uns angemietet und mit Möbeln ausgestattet hatten, und die die deutschen Polizeibehörden nicht betreten durften. Das Besatzungsstatut schützte uns. 
Und auch wenn das später im Lehrerzimmer des Wittelsbacher Gymnasiums gestreute Gerücht, mich hätten Personenschützer zur Schule begleitet, nicht stimmte, so wuchs ich doch inmitten von Agenten und Doppelagenten, CIA, BND, MI6, SDECE und Securitate, Mord und Totschlag auf. Post wurde geöffnet, Telefone abgehört, die Nachbarn befragt. 
Wie Wien und Berlin war auch München in den 50er bis 80er Jahren eine Hochburg der Geheimdienste, nur leider ohne dass sich das in so schönen Spielfilmen wie „Finale in Berlin“ (Michael Caine! Paul Hubschmid! Eva Renzi! Oskar Homolka!) oder dem in Wien spielenden „Scorpio, der Killer“ (Alain Delon! Burt Lancaster!) widergespiegelt hätte. Selbst die Ermordung des Radiojournalisten Cornel Chiriac im Münchner Exil oder der im Auftrag Ceaușescus vom Terroristen Carlos durchgeführte Sprengstoffanschlag auf das Gebäude von Radio Freies Europa im Englischen Garten sind im kollektiven Münchner Gedächtnis inexistent.
Der Sender ist inzwischen längst nach Prag umgezogen. Meine im Visier der Geheimdienste stehende Verwandtschaft tot. Aber bis heute halte ich zufällige Begegnungen in der Regel erst einmal für von Geheimdiensten inszeniert und auf der Straße oft Ausschau nach verdächtigen Gestalten. Mit der Kindheit angeeignete Paranoia. Aber bloß, weil ich es aus Erfahrung für selbstverständlich halte, abgehört und überwacht werden zu können, bedeutet es noch nicht, mich damit etwa still abzufinden. Man wehrt sich, wie man kann. 

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