Dienstag, 25. Juli 2023

Die Polizei und ich

Das erste deutsche Wort, das ich aufgeschnappt haben soll, war Polizei. Und wie es mit Erinnerungen aus frühkindlichen Tagen so ist, bin ich mir nicht sicher, ob ich mich tatsächlich daran erinnern kann oder nur die stetig wiederholten Erzählungen Dritter verinnerlicht habe, bis ich sie für eigene Erinnerungen hielt. Aber offenbar bin ich im Alter von drei Jahren, bei uns in Gern um die Ecke, die Wilhelm-Düll-Straße entlanggelaufen und habe „Polizei, Polizei“ gerufen.

Rückblickend interpretiere ich das gern als Warnruf, aber vielleicht identifizierte ich mich beim Spielen auch mit den Ordnungshütern und fand „Polizei, Polizei“ einfach nur hübscher als ein „Tatütata“.

In der Wilhelm-Düll-Straße wohnte auch mein erster deutscher Spielkamerad, Klaus-Thomas. Sein Vater war Polizist, was er aber nur zweimal mir gegenüber heraushängen ließ. Das erste Mal, als eine alte, paranoide Frau aus dem Viertel Klaus und mich als Privatdetektive anheuerte. Sie war überzeugt, dass während ihrer Abwesenheit Fremde ihre Wohnung durchstöberten, und so bat sie uns, im Schrank auf der Lauer zu sitzen, um die Einbrecher in flagranti zu erwischen. Als der Vater davon erfuhr, setzte er sich mit Klaus und mir zusammen und erläuterte eindringlich aus seiner polizeilichen Praxis, dass früher oder später die alte Dame uns beide verdächtigen würde, sie zu bestehlen. Wir mussten die Detektivarbeit umgehend einstellen.

Jahre später hatten meine Eltern im selben Haus, in dem Klaus lebte, die Erdgeschosswohnung angemietet. Zuerst für meine beiden älteren Brüder. Zeitweise lebte auch mein Vater drin, der es nicht mehr mit meiner Mutter unter einem Dach aushielt. Klaus und ich hatten uns inzwischen auseinandergelebt. Ferenc, wie ich ein Flüchtlingskind, war mein neuer bester Freund. Seit er in meiner Klasse an der Dom-Pedro-Schule war, wurde ich nicht mehr täglich von den deutschen Mitschülern verprügelt. Eines Tages wollten Ferenc und ich im Erdgeschoss der Wilhelm-Düll-Straße übernachten, was Klaus im zweiten Stock offenbar mitbekam. Vielleicht haben wir es ihn auch wissen lassen. Kinder können grausam sein. Und der fürsorgliche Vater stieg ins Erdgeschoss herunter, stellte uns beide mit der Autorität eines Staatsdieners zur Rede und verbat uns kurzerhand, in der Wohnung zu übernachten.

Ich war nicht viel älter, als ich im Münchner Polizeipräsidium bereits regelmäßiger Gast war. Meine Eltern, staatenlose politische Flüchtlinge rumänischer Herkunft mit Asyl in Frankreich, mussten die deutsche Aufenthaltserlaubnis in ihren Nonsense-Pässen regelmäßig erneuern. Und es war meine Aufgabe, diesen Behördengang für sie zu erledigen. Die Ausländerbehörde befand sich damals noch in der Ettstraße, wo man mir jedes Mal zu verstehen gab, dass wir in Deutschland unerwünscht seien. Aber immer auch die Aufenthaltserlaubnis verlängern musste, weil auf dem Titre de voyage meiner Eltern Aufkleber mit dem magischen Kürzel RFE waren. 

Das Mißtrauen gegenüber der deutschen Polizei war auch der einzige Grund, dass ich mich mit 21 Jahren einbürgern ließ. Schluss mit der Drohkulisse, ausgewiesen zu werden. Im selben Jahr zog ich nach West-Berlin und pendelte auf der Transit-Strecke ständig zwischen neuer und alter Heimat. Es war die Zeit der Roten Armee Fraktion und ich wie meine Mitfahrgelegenheiten passten offenbar ins Raster. Jedenfalls drangsalierte uns die bayerische Grenzpolizei immer ungleich härter als die Kollegen auf Seiten der DDR. Fahrzeugkontrollen, Personenkontrollen, penible Ausweiskontrollen, das ganze Programm.

Nennen wir es die bayerische Linie, denn merkwürdigerweise kreisen alle meine negativen Erinnerungen um die hiesige Polizei, während ich mit den französischen oder Berliner Ordnungshütern nie aneinandergeraten bin.

Inzwischen war ich Journalist geworden und irgendwann nach München zurückgekehrt. Demonstrationen journalistisch zu begleiten gehörte zu meinem Alltag. Mal lief das besser. Etwa als am Marienplatz während einer Großkundgebung gegen die Sicherheitskonferenz ein mir völlig unbekannter Zivilist mich mit meinem Namen ansprach, mir die Hand schüttelte und sich als Mitarbeiter der Pressestelle im Polizeipräsidium vorstellte. Mal weniger gut, als ich während einer Kundgebung am Odeonsplatz zwecks besserer Übersicht die Treppe zur Feldherrnhalle hochstieg, einem USK-Beamten meinen Presseausweis entgegenhielt und er mich dann die Treppe wieder herunterstieß.

Dir Steigerung eines Presseausweises ist wohl eine Akkreditierung bei der Munich Security Conference, der – sicherheitstechnisch betrachtet – Schnittmenge aus Polizei, Bundeswehr und Geheimdiensten. Natürlich habe ich es geschafft, dort als akkreditierter Journalist von der Polizei sistiert und zur Personenkontrolle festgehalten zu werden. Die Einsatzkräfte bemühten sich sogar in vielen Telefonaten, mir die Akkreditierung entziehen zu lassen, scheiterten aber an der souveränen Konferenzleitung.

Versuche, meine Arbeit als Vertreter der Presse zu unterbinden, gab es öfter. Und manchmal kann man sich zumindest im Nachhinein dagegen wehren. Als etwa der Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität besetzt worden war, bereitete die Polizei die Räumung vor, und der Staatschutz sorgte als erstes dafür, dass auch die Presse weiträumig ausgesperrt wurde. Der Bayerische Journalisten-Verband und der Deutsche Journalisten-Verband teilten meine Bedenken gegen diese Behinderung der Presse, und letztendlich musste der Unipräsident und nicht etwa das Polizeipräsidium sich für dieses „Missverständnis“ entschuldigen.

Missverständliche Signale strahle ich bei Terminen der Staatsregierung offenbar auf die Personenschützer aus. Vielleicht lassen sie meine Tattoos, lackierten Fingernägel und Outfits nervös bis gereizt reagieren. Bei der Eröffnung der Außenstelle eines Ministeriums kam Söders Regenschirmträger sofort auf mich zu, nachdem er ausgestiegen war. Ich stand auf dem Vorplatz des Ministeriums neben einem Verkehrszeichen. Tiefbesorgt prüfte der Leibwächter, ob das Schild wirklich fest verankert und nicht als Waffe zu missbrauchen war. Danach wich er mir nicht mehr von der Seite und positionierte sich stets zwischen mir und dem Ministerpräsidenten. Während der Feierstunde im gesicherten Gebäude verlangte er dann plötzlich meinen Presseausweis zu sehen, den ich ihm gern zeigte. Als er aber dann auch noch zu wissen verlangte, für wen ich denn schriebe, verwies ich ihn kurzerhand an die Pressestelle des Ministeriums. Die hätte mich akkreditiert, also könne man ihm dort sicher weiterhelfen.

Wesentlich besser läuft es dagegen die letzten drei Jahre bei der alltäglichen Recherche zwischen der Polizei und mir als Tageszeitungsjournalist. So wie ich mit Klimagruppen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion, Anti-IAA, dem Antikapitalistischen Klimatreffen oder der Letzten Generation spreche, telefoniere oder maile, rede ich auch immer wieder mit Einsatzkräften oder der Pressestelle im Polizeipräsidium, frage nach Teilnehmerzahlen, besonderen Vorkommnissen oder anderen wichtigen Fakten. Eine so vertrauensvolle Zusammenarbeit, dass selbst Hintergrundinformationen, die man nicht drucken soll, in die Gespräche einfließen.

Dass das Bayerische Landeskriminalamt währenddessen auf Anordnung der Münchner Generalsstaatsanwaltschaft Pressekontakte zur Letzten Generation überwachte, fügt sich da leider nicht ins Bild. 

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