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Mittwoch, 20. November 2024

Entmietung am Wedekindplatz: „Nehmen Sie es nicht persönlich, es geht ums Geschäft“

Am Wochenende war mir die „Abendzeitung“ mit der Meldung zuvorgekommen, dass das Occam-Deli am Wedekindplatz zum 1. Januar schließen muss, weil der Pachtvertrag von den neuen Hausbesitzern nicht verlängert wurde. Ich saß schon seit Allerheiligen an der Geschichte, brauchte aber länger als geplant für meine Recherchen im Grundbuchamt und Handelsregister, sprach mit ehemaligen wie aktuellen Mietern der Feilitzschstraße 15, denn die Geschehnisse im Haus treffen bei weitem nicht nur die Wirte des einen Lokals. 

Das Aus für das Occam-Deli ist nur der Höhepunkt einer Entwicklung, wo ausgerechnet in dem Viertel mit dem romantischen Namen Altschwabing Alteingesessene von Spekulanten entmietet werden, Einzelhändler von gastronomischen Betrieben verdrängt werden und individuelle Lokale von Gastro-Ketten. 

Das alles kulminiert in der Feilitzschstraße 15 unter einem Dach in wenigen Monaten aufgrund des Verkaufs der Immobilie. Das Haus gehörte jahrzehntelang der Familie B., an die noch der Türgriff in Form eines Initials erinnert. Der ursprüngliche Hausbesitzer Josef B. war verstorben, zwei Verwandte hatten geerbt. B.s Töchter, Witwe und seine erste Frau sollen im Haus nebst all den Mietern gewohnt haben. Eine vertraute Hausgemeinschaft. 2019 wurde dann die Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG gegründet, die die Immobilie von Familie B. erwarb und im März 2020 ins Grundbuch von Schwabing (Blatt 12895) eingetragen wurde. Hinter dem Firmenmantel steckt auch eine Familie, der Münchner Habermann-Clan. 

Die 2019 verstorbene Mutter Helene Habermann galt in Münchens besserer Gesellschaft als Grande Dame und First Lady. Nach ihr ist auch ein Gymnasium in Fasangarten benannt. Die Söhne Harry und Roman Habermann versuchen, ihre Werte hochzuhalten. Als Michel Friedman vorletzte Woche sein neues Buch in München präsentierte, war für Roman (Foto) ein Platz in der zweiten Reihe des Hubert-Burda-Saals reserviert und er grüßte die Honoratioren der ersten beiden Reihen aufs herzlichste. 

Über den Bruder schrieb eine Zeitung: „beruflicher Erfolg ist für Harry Habermann mit der Verpflichtung zu sozialem Engagement verbunden“, als der Unternehmer vor drei Jahren vom bayerischen Justizminister Georg Eisenreich das Bundesverdienstkreuz am Bande ausgehändigt bekam. „Sie sind treibende Kraft bei zahlreichen gemeinnützigen Projekten und widmen sich mit großem Einsatz den Schwächsten in unserem Land“, betonte der Justizminister in seiner Laudatio. Mit einem wie Harry Habermann posieren auch Oberbürgermeister Dieter Reiter und Landtagspräsidentin Ilse Aigner gern, Journalisten wie Wolfram Weimer, Unternehmer wie Wolfgang Reitzle oder seine Ex Alice Brauner. 

Mieter, vor allem die sozial Schwächeren fürchten die Habermanns dagegen eher. Und Mieter gibt es genug. Was Harry Habermann mal gegenüber der „Abendzeitung“ als „familienbetriebenes Unternehmen“ klein redete, wird von der „Immobilien Zeitung“ schon treffender als „Münchner Family Office“ bezeichnet. Der Begriff Family Office wird bei Veröffentlichungen gern für Investoren benutzt, die hunderte Millionen von Euro eigenen Vermögens bewegen und aus Diskretionsgründen nicht mit Namen erwähnt werden wollen. 

Die gerade auch auf „Revitalisierung“ von Immobilien spezialisierte Unternehmensgruppe Habermann ist bundesweit in vielen Projekten involviert. Hier in unserer Region etwa bei der ehemaligen Agnespost, dem Klinikstandort Am Isarkanal, der Damenstiftstraße 11, der Daxenbergerstraße 8 (aktuell im Angebot zwei Zimmer mit 58 qm für 1766 Euro warm), dem Starnberger Dinard-Park (aktuell 3 Zimmer mit 151 qm für 3929 Euro warm) der Englschalkinger Straße 283, dem früheren Kaufhaus Beck an der Fürstenrieder Straße in Laim, dem Pacelli-Palais in der Georgenstraße 8, der Goethestraße 10, der Hansastraße 183, der Ismaninger Straße 55 und 67, dem Kaiserplatz 5, der Maximilianstraße 47, wo das GOP.-Varieté residiert, der Nymphenburger Straße 172, der Pelkovenstraße 101, der Pettenkoferstraße 29, der Rauchstraße 9–11, der Richard-Strauss-Straße 81, der Rüthlingstraße 1 (aktuell im Angebot ein 36 qm großes Zimmer für 1220 warm), der Schellingstraße 36 und 38, der Sendlinger Straße 46 mit dem Mio-Hotel der Amano-Group, der Türkenstraße 71 und 82 oder der bei Eisliebhabern beliebten Wilhelmstraße 23.
Mal agieren Habermanns als GbR, mal als GmbH oder GmbH & Co. KG. 

Mit der Amano-Group ist auch das prominenteste Projekt der Unternehmensgruppe verknüpft, der Neubau eines Hotels an der Sonnenstraße / Ecke Schwanthalerstraße. Dem Bauprojekt fiel der legendäre Techno-Tempel Harry Klein zum Opfer. Clubgesellschafter und Stadtrat David Süß von den Grünen traf sich sogar mit Alessandra Habermann, der nächsten Generation des Immobilien-Clans, um auszuloten, ob es nicht auch im Neubau eine Chance für das Harry Klein gäbe. Alessandra verneinte. Es würde nicht ins Konzept passen. Vielleicht weil die Amano-Group in ihren Häusern gern mit eigenen Bars die Nachtschwärmer abschöpft. Ansonsten sollen die Habermanns gegenüber dem Harry Klein bis zum Abbruch der Immobilie korrekte Vermieter gewesen sein. 

Bei der Feilitzschstraße 15 gehen die Meinungen dazu eher auseinander. Die Immobilie am Wedekindplatz, in der sich Anfang des letzten Jahrhunderts das Kaufhaus G. Schmidt befand, wird vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege als Baudenkmal geführt: „Mietshaus, viergeschossiger Neurenaissance-Eckbau mit breit abgeschrägter und übergiebelter Ecke sowie stuckierten Fensterrahmungen, Ende 19. Jh.“ Die erste recherchierbare Eigentümerin war 1911 Mathilde Bledy, geborene Schmidt. Unter den Nazis, aber noch vor dem „Anschluss“ hat Mathilde Bledy (ein völlig anderer Name als der der oben erwähnten Familie B.) das Haus Feilitzschstraße 15 am 30. September 1935 in einem notariellen Tauschvertrag mit dem Wiener Maschinenfabrikanten Oskar Lintner und dessen Schwester Rosa gegen eine Immobilie im österreichischen Tullnerbach getauscht. Da die Münchner Immobilie wertvoller war, verpflichteten sich Herr und Frau Lintner zu einer Aufzahlung von 24.000 Reichsmark an Frau Bledy.

Nachdem die Habermanns es erworben hatten, reichten sie im Februar 2023 beim Bezirksausschuss 12 Schwabing-Freimann einen Bauantrag ein: „Verkleinerung einer zweigeschossigen Ladeneinheit im EG sowie Nutzungsänderung im 1.OG zu einer drei Zimmer Wohnung mit Rückbau einer internen Verbindungstreppe und Schließen der Deckenöffnung, Ausbau eines Dachspeichers 2.DG Nord und Zusammenlegung mit der Bestandswohnung 18 im 2.DG mit Fluchttreppe in das 1.DG und damit verbundene Verkleinerung der bisherigen Maisonettewohnung 14 im 1. und 2.DG zu einer zwei Zimmer Wohnung im 1.DG, Ausbau eines Dachspeichers 2.DG Süd zu einer Wohnung 19 mit Fluchttreppe in das 1.DG und damit verbundene Verkleinerung der Bestandswohnung 16 im 1.DG“. Sowohl der Unterausschuss Stadtplanung, Architektur und Wohnen wie auch der Bezirksausschuss winkten den Antrag einstimmig durch. 

Das ist bei weitem nicht das ganze Ausmaß der im Haus durchgeführten Veränderungen. Das Ziel scheint klar: Alte Mieter und Pächter raus, Luxussanierung, neu vermieten. Der Vermieter bestreitet den Vorwurf. Wobei es diskreter passiert als im legendären Spekulationsobjekt gegenüber in der Occamstraße 1, wo die Altschwabing Projekt GmbH des Bogenhausener Anwalts Michael Georg Sachs das gesamte Haus bis auf einen letzten Verbliebenen entmietet hat, wie das Klingelschild belegt.

Bei Habermanns in der Feilitzschstraße 15 wird nach außen hin Normalität vorgegaukelt. Klingelanlage und Briefkästen sind vollständig beschriftet, als wäre das Haus bis unters Dach bewohnt. Doch unter den Namen sind auch alle ausgezogenen oder gar verstorbenen Mieter. Geisterbewohner.

Betritt man dagegen die Immobilie wird es rustikaler. Im Ton wie in der Optik. Ein Mieter erinnert sich an seine erste Begegnung mit den neuen Eigentümern: „Wir streichen Ihre Mietschulden und sie verschwinden“ – wobei er überhaupt keine Mietschulden hatte. Der Vermieter bestreitet das Zitat. Einem Pächter sollen sie erklärt haben: „Nehmen Sie es nicht persönlich, es geht ums Geschäft. Doppelte Miete oder wir finden jemand anderen.“ Der Vermieter bestreitet das Zitat.

Zum Ladengeschäft der Boutique Leib & Seele im Erdgeschoss gehörte früher auch noch eine durch eine Wendeltreppe verbundene Wohnung im ersten Stock. Beides zusammen für zuletzt rund 8800 Miete. Nachdem Leib & Seele einer deutlichen Pachterhöhung nicht zustimmte und auszog, wurden – wie im Bauantrag erwähnt – die beiden Etagen getrennt und allein das Ladengeschäft im Erdgeschoss mit rund 9000 Euro neu vermietet. Die Wohnung im ersten Stock wird noch luxussaniert, aber eine ähnliche Wohnung auf derselben Etage soll, „weil Sie es sind“, jemandem zum Freundschaftspreis von über 3000 Euro angeboten worden sein. 

Aktuell stehen offenbar sechs Wohnungen im ersten bis vierten Stock leer und wohl mindestens drei Wohnräume im Dachgeschoss. Eine erste, 50 qm große, fertig sanierte Wohnung wird aktuell online für 1755 Euro warm angeboten. „Zum 15.11.2024 können Sie diese Wohnung im dritten OG, die durch eine luxuriöse Innenausstattung besticht, beziehen. Bei dieser ansprechenden Immobilie handelt es sich um einen Erstbezug nach Sanierung. In den zwei schönen Zimmern können Sie sich nach Ihrem Geschmack einrichten und entfalten. Die letzte Modernisierung fand erst vor Kurzem, im Jahr 2024, statt.“  Statt einer Küche gibt es in der Wohnung offenbar nur eine Küchenzeile in einem der beiden Räume. 

Altmieter zahlen für in der Größe vergleichbare Wohnungen im Haus laut eigenen Angaben mindestens 40 Prozent weniger. Sie wehren sich auch nicht unbedingt gegen die Sanierung. Auf die Aufforderung des Vermieters: „Bitte ziehen sie doch aus, wir wollen die Wohnung renovieren“ (der Vermieter bestreitet das Zitat), reagierte ein Mieter mit dem Angebot, vorübergehend auszuziehen, wenn ihm garantiert werden würde, dass er nach der Renovierung auf Grundlage des alten Mietzinses zuzüglich angemessener Umlegung der Sanierungskosten wieder zurückkehren könne. Der Vermieter soll dem Mieter zufolge das Angebot ignoriert haben. Die Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG bestreitet den Vorwurf.

Obwohl die Habermanns das Haus an der Feilitzschstraße 15 offensichtlich für die Luxussanierung eher leeren wollen, bot die Unternehmensgruppe Habermann dasselbe Haus erstaunlicherweise als Ersatzwohnraum für die Mieter eines ihrer anderen zahlreichen Objekte an, die dort vor der Modernisierung weichen mussten, wie die Abteilung Wohnraumerhalt im Amt für Wohnen und Migration des Münchner Sozialreferats bestätigte: „Für die Geeignetheit des Ersatzwohnraumes muss unter anderem die Eigentümeridentität vorliegen. Unter welchen Fallkonstellationen dies gegeben ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr prüft der zuständige Bereich dies anhand der Eigentümerstruktur, des Gesellschaftervertrages und lässt sich hierzu aktuelle Unterlagen vorlegen. Eigentümeridentität muss dabei nicht bedeuten, dass Gesellschafter beziehungsweise Komplementäre zu 100 Prozent übereinstimmen.“

Inzwischen ist es auch in der Feilitzschstraße für die verbliebenen Mieter längst ungemütlich geworden, wie es eben bei laufenden Sanierungen immer öfter vorkommt: Von Montag bis Samstag selbst bei Frosttemperaturen eine sperrangelweit offene Haustür. Baulärm von über 70 dB im Treppenhaus. Wasserschäden, die jahrelang unbehandelt bleiben (der Vermieter bestreitet den Vorwurf). Ein mit Folien ausgelegtes Treppenhaus, das eher an einen Tatort des Serienkillers Dexter denn an Neurenaissance erinnert. Längere Ausfälle der Warmwasserversorgung oder immer wieder, ohne Vorwarnung, gar kein fließendes Wasser. So berichten es zumindest Mieter.

Oder, in der Einschätzung von Monika Schmid-Balzert aus der Geschäftsführung des Mietervereins: „In jüngster Zeit hatten wir vermehrt Anfragen von Mitgliedern aus diesem Haus. Das ist für uns oft ein Signal, dass sich die Situation für die Mieter vor Ort gerade verschlechtert. Bewohner des Hauses haben uns geschildert, dass sie den Eindruck haben, dass es ihnen möglichst ungemütlich gemacht werden soll. Das Treppenhaus sei dreckig, seitdem leerstehende Wohnungen modernisiert werden. Das Wasser werde immer wieder ohne Ankündigung abgestellt. Wenn es Wasser gebe, dauere es mitunter lange, bis es warm werde. Auch die kaputte Gegensprechanlage werde nicht repariert. Ein solches Vorgehen beobachten wir häufig, wenn Eigentümer es zumindest billigend in Kauf nehmen, dass langjährige Mieter irgendwann entnervt aufgeben und aus einem Haus ausziehen. Leer stehende Wohnungen können dann modernisiert und teurer vermietet oder verkauft werden. Wir werden versuchen, die Mieter des Hauses zu vernetzen, um ihnen ihre rechtlichen Möglichkeit aufzuzeigen.“ 

Ein Mieter empfand den Auftritt der neuen Vermieter als Mobbing. Viele wirken offensichtlich verängstigt. „Bei Habermanns muss man sehr vorsichtig sein“, gibt ein anderer zu bedenken. Der rustikale Ton der Vermieter im Gutsherrenstil, ihr Beharren auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zeigt Wirkung. Und Bewertungsportale für Arbeitgeber legen nahe, dass die Textilunternehmen, die zur Habermann-Gruppe gehören, ähnlich unangenehm auffallen.  

Da ein Ende der massiven Beeinträchtigungen aufgrund der laufenden Modernisierungsmaßnahmen im Haus nicht abzusehen ist, kann man sich auch fragen, wie Neumieter, die diese Woche bereits für über 30 Euro pro Quadratmeter in eine der luxussanierten Wohnungen einziehen könnten, auf die Zustände im Haus reagieren. Luxus besteht nicht nur aus Parkettböden und schicken Küchenzeilen innerhalb der eigenen Wohnung, sondern auch aus der Atmosphäre im Haus und Annehmlichkeiten wie Stille, Sauberkeit oder fließend warmes Wasser.

Probleme, die seitens der Vermieter niemand ernst zu nehmen scheint. Die erste Hausverwaltung unter den neuen Eigentümern, ADIX, soll nie erreichbar gewesen sein. Dann übernahm die familieneigene HH Immobilien-Service (HH wie Harry Habermann). Die soll stets erreichbar sein, aber laut Mietern nichts unternehmen. Meistens hätten sie sich „um nichts gekümmert, und wenn doch, bleiben Löcher zurück.“ Der Vermieter bestreitet den Vorwurf und will sich zu „Vertragsbeziehungen“ mit Hausverwaltungen nicht äußern.

Ein Mieter, der Alessandra Habermann für eine Angestellte der Hausverwaltung hielt, versuchte ihr Mitgefühl zu wecken, indem er appellierte, dass sie doch sicherlich selbst auch irgendwo Mieterin sei und seine Sorgen verstehen müsste. Worauf Alessandra Habermann erwidert haben soll: „Wissen Sie was, ich bin keine Mieterin. Ich bin mein ganzes Leben schon Eigentümerin gewesen.“ Der Vermieter bestreitet namens Frau Habermann das Zitat.

Auch bei den Nebenkosten langten die Habermanns zu und erhöhten sie deutlich um einen dreistelligen Betrag. Auf Nachfrage nach einer Begründung für die Erhöhung der fälligen Abschlagszahlungen sollen sie geantwortet haben: „Wir haben so entschieden, dass sie mehr zahlen müssen.“ Der Vermieter bestreitet das Zitat. Zu Vertragsbeziehungen mit Mietern will man sich nicht äußern. Es hatte aber offenbar keine negativen Folgen, wenn man sich nicht auf die geforderte Erhöhung der Abschläge für die Nebenkosten einließ und weiter nur den alten Betrag überwies. Man erhielt nur jeden Monat eine Mahnung mit den aufgelaufenen vermeintlichen Schulden für nicht gezahlte Abschläge. 

Dann erhielten Mieter eine erste Nebenkostenabrechnung des neuen Vermieters. Ein Mieter sah mit Freuden, dass ihm ein höherer dreistelliger Betrag als Rückzahlung für zu viel bezahlte Abschläge zustand. Und das, obwohl er die Erhöhung der Abschläge ignoriert und weiter nur Abschläge in alter Höhe überwiesen hatte. Das Guthaben wurde ihm aber bis heute nicht erstattet. Ein Jahr darauf sah die Nebenkostenabrechnung so aus, dass jetzt eine Nachzahlung in niedriger dreistelliger Höhe heraus kam. Die aber immer noch niedriger als sein Guthaben vom Vorjahr war. Auf eine Rückerstattung des Restbetrags wartet er noch immer. Ein anderer Mieter erwähnt ebenfalls, dass ihm wegen zu viel bezahlter Abschläge bei den Nebenkosten „auch ein richtig großes Guthaben“ zustünde. Der Vermieter bestreitet die Vorwürfe. 

Dabei können Alessandra Habermann und Barbara S., die rechte Hand des Seniors, durchaus auch anders. Kerem „Keko“ Özkan, der in München unter anderen die Drawn.ink Tattoostudios und den Kida Ramadan Barbershop betreibt, war schon anderthalb Jahre an den leerstehenden Räumlichkeiten im Erdgeschoss, wo früher das Leib & Seele war, interessiert, um eine Café-Bar zu eröffnen. Er schwärmt von den Mietverhandlungen. Der Kontakt war so herzlich, dass er Alessandra sogar zu einem von ihm veranstalteten Boxkampf einlud.

Doch selbst wenn alles scheinbar einvernehmlich läuft, und man als Pächter alles erfüllt, was die Habermanns fordern, kann es schlecht enden. Das Occam Deli hatte sich mit dem Vermieter arrangiert und sogar der neuen, mehr als doppelt so hohen Pacht zugestimmt. Dennoch wurde der Pachtvertrag dann überraschend doch nicht verlängert, und das Lokal muss nach fast zwölf Jahren zum 1. Januar 2025 schließen und ausziehen.

Nachmieter wird laut der „Abendzeitung“ die Berliner Fast-Food-Kette Burgermeister, die nun neben McDonald’s, der Hamburgerei und Ruff’s der vierte Burger-Laden am Wedekindplatz ist. 
Das verspricht auch laute Nächte oder hörbare Beeinträchtigungen in dieser „belebten Wohnlage“, um den Vermieter zu zitieren. Das Occam Deli schließt bereits um Mitternacht, aber Burgermeister hat zumindest in seinen Berliner Filialen ein lebhaftes Nachtgeschäft bis 2 oder gar 4 Uhr früh. 

Nun hat sich ein Altmieter der Feilitzschstraße 15 schon immer gern über den lauten Hotspot Wedekindplatz mit seinen hunderten von Besuchern und deren Musikboxen oder gar größeren Anlagen beschwert. Und so oft am Abend bei der Polizeiinspektion Schwabing angerufen, dass die Dienststelle gar nicht mehr abhob, wenn seine Rufnummer erschien. Und das war ein Mieter zu alten, günstigen Konditionen. Wie werden erst neue Mieter reagieren, die bei dem aufgerufenen Luxusmietzins vielleicht eine ruhige Nacht erwarten?
Unruhige Nächte gibt es im Haus aktuell auch bei der Schwabinger 7. Deren Schicksal konnte ich leider nicht abschließend klären. Bei einem Gespräch mit dem aktuellen Wirt Gerry am Samstagabend erwähnte er auch eine erhöhte Pacht und die Sorge, dass er nicht wisse, ob er nach dem Dezember noch auf hätte. Da er aber als Unterpächter nicht direkt in Kontakt mit der Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG steht und es auch Verständigungsprobleme bei unserem Gespräch gab, konnte ich das nicht verifizieren. 

Hinsichtlich der Zukunft der Schwabinger 7 wie auch betreffs aller anderen hier genannten Vorkommnisse hatte ich vorgestern den Vermieter gebeten, Stellung zu beziehen. Zur Schwabinger 7 äußerte er sich nicht. Namens der Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG bestätigte mir Kommanditist Kurz Kürzinger als Geschäftsführer unter dem fehlerhaften Briefkopf „Feilitzschtraße 15 GmbH & Co. KG“: „Wie Sie zurecht feststellen, ist das Gebäude teilweise in schlechtem Zustand und wird zurzeit schrittweise saniert. Nach der Sanierung einer Einheit werden diese umgehend wieder vermietet. (…) Schäden an der Altsubstanz, die uns von Mietern gemeldet werden, oder die von uns erkannt sind, werden von uns mit hohem Aufwand durch ausgewählte Fachfirmen so schnell es geht beseitigt. Die Häufung und die Art der Schäden zeigen, wie notwendig die jetzt durchgeführte Sanierung des Altbestandes ist. (…)

Ihre Aussagen einzelner Personen und Zitate weisen wir zurück. Diese Aussagen und Zitate, auch die Aussagen, die Sie Frau Habermann unterstellen, sind unzutreffend und unrichtig. Aus unserer Sicht sind die in Ihrem Fragenkonvolut aufgestellten Vorwürfe frei erfunden und ihre mutmaßliche Quelle scheint eine sehr subjektiv geprägte Belastungstendenz vorzutragen.“ 

Historische Aufnahme: Georg Pettendorfer/Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NL-PETT1-0830

Sonntag, 9. Juni 2024

Schloss Suresnes oder Schloss Urin? Die Stadt will Wildbiesler mit Pee Back Liquid vertreiben

Einer von Schwabings verborgeneren Schätzen ist das Schloss Suresnes am Wedekindplatz, auch als Werneckschlössl bekannt. Kaum eine*e Münchner*in kennt es. Mitten in Altschwabing gelegen, wird es durch die Schlossmauer und Randbebauung vor neugierigen Blicken geschützt. Nur wer die Werneckstraße entlang flaniert, entdeckt das Lustschloss, in dem Paul Klee ein Atelier nutzte, Ernst Toller sich vor den Häschern versteckte und Reinhard Kardinal Marx übergangsweise residierte. Inzwischen nutzt die benachbarte Katholische Akademie den denkmalgeschützten Bau für Tagungen und Stipendiat*innen.

Weit bekannter, beliebter und vor allem ekelhafter ist dagegen die Schlossmauer von Schloss Urin mit ihren eindeutigen Flecken. Ob die nächtlichen Platznutzer vom Wedekindplatz, die Heimkehrenden aus dem Englischen Garten oder die Gäste der gegenüberliegenden Lokale: An der Wand oder im halbrund der Schlosseinfahrt erleichtern sich seit Jahren viele Männer, während sich die Frauen in den Lücken zwischen den in der Werneckstraße geparkten Autos niederkauern.

Als nun während der Corona-Lockdowns das nächtliche Geschehen im öffentlichen Raum explodierte und damit auch der Harndrang, reagierten der Bezirksausschuss Schwabing-Freimann und das für Hotspots im öffentlichen Raum und deren Probleme zuständige Allparteiliche Konfliktmanagement (AKIM) des Sozialreferats. Sie stellten erstmalig im Sommer 2020 und seitdem Sommer für Sommer am Wedekindplatz drei mobile Toiletten auf, nachdem die Einrichtung eines Toilettencontainers mit Licht und fließend Wasser an den Bedenkenträgern des Baureferats 2020, 2021, 2022, 2023 und offenbar auch 2024 scheiterte.

Es ist heute keine zwei Wochen her, dass sich die Leiterin von AKIM gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ dafür rühmte, dass sie mit den öffentlichen Toiletten Veränderungen am Platz erreicht hätten, „die jetzt wirkten“.

Unerwähnt blieb, dass heuer erstmalig keine mobilen Toiletten mehr am Wedekindplatz installiert werden. Lars Mentrup (SPD) in seiner Doppelfunktion als Stadtrat und stellvertretender Vorsitzender des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann sieht keinen Bedarf mehr dafür, da es ja die Toiletten der zahlreichen umliegenden Lokale gäbe. Abgesehen davon, dass die Wirt*innen ihre Klos lieber den eigenen Gästen vorbehalten, lehrten die letzten Jahre, dass es durchaus auch umgekehrt ist: die Gäste vom Goldkätzchen in der Occamstraße oder der Landstreicher-Bar am Wedekindplatz nutzten erfahrungsgemäß oft die gegenüberliegenden mobilen Toiletten, wenn sie eh schon zum Rauchen draußen waren. Und wenn es während einer Fußballübertragung in der Hopfendolde knallvoll ist, bieseln deren Gäste lieber schnell gegenüber an der Schlossmauer, statt sich durch die Kneipe bis aufs Klo zu kämpfen.

Immerhin setzte der Bezirksausschuss in den Corona-Jahren durch, dass die öffentliche Toilette im U-Bahnhof Münchner Freiheit nicht nur kostenlos wurde, sondern auch – shocking news – nicht mehr um Mitternacht schloss. (Auch so eine Merkwürdigkeit der Landeshauptstadt: die öffentlichen U-Bahntoiletten an nächtlichen Hotspots wie der Münchner Freiheit und dem Ostbahnhof bleiben nachts geschlossen.) 

Es war schnell zu beobachten, dass nicht nur die Platznutzer vom Wedekindplatz und der Münchner Freiheit das Angebot nutzten. Gerade viele Frauen, die nachts in der Leopoldstraße und Umgebung unterwegs waren, suchten gerne die saubere wie sichere U-Bahntoilette auf. Leider längst vergangene Zeiten. Inzwischen kostet die U-Bahntoilette nicht mehr nur, sondern schließt auch wieder um Mitternacht. Was nicht zuletzt zu Lasten des großen Spielplatzes an der Münchner Freiheit geht, dessen Büsche zu den beliebtesten Toiletten im Viertel zählt. 

Ähnlich wie am Josephsplatz, wo man für Millionen eine Parkgarage samt Spielplatz errichtet hat, ohne an die Notdurft der Kinder und Eltern zu denken. Dass die benachbarte U-Bahntoilette dort seit Jahren wegen Umbaus geschlossen ist, rundet das Versagen ab.

Im Parkhaus an der Occamstraße befände sich übrigens Altschwabings einzige öffentliche, kostenlose und theoretisch nachts geöffnete Toilette. Nur kennt die kaum jemand und es fühlt sich auch nicht jede*r wohl, nachts den Hinterhofabort aufzusuchen. Ganz abgesehen davon, dass gerade die Damentoilette der Occam-Garage die letzten beiden Jahre abends geschlossen war.

Nun kann man der Landeshauptstadt aber sicher nicht vorwerfen, untätig zu bleiben. Fast neun Jahre nach St. Pauli hat man auch im Münchner Sozialreferat den neuesten heißen Scheiß entdeckt: Das Pee Back Liquid, das Mauerflächen nicht nur imprägniert, sondern laut der geschickten Werbung und PR des Herstellers sozusagen zurückbieselt. 

Rechtzeitig zu Fronleichnam, wenn sich eh das ganze katholische München aufbrezelt, sollte die Mauer von Schloss Suresnes damit imprägniert werden. Auf Kosten und im Auftrag der Stadtverwaltung, die mit diesem Angebot auf die Katholische Akademie zukam. Und die Kirche lässt sie gewähren. Ob zuvor die fleckige Schlossmauer auf Kosten der Stadt frisch gestrichen wird, wollten weder die Katholische Akademie noch das Sozialreferat verraten.

Wetterbedingt wurde der Gegenangriff auf die Wildbiesler aber auf sommerlichere Tage verschoben. Und wie das Sozialreferat bestätigte, soll nicht nur die Ecke an der Feilitzsch-/Werneckstraße mit Pee Back präpariert werden. Man hätte in München auch noch weitere urinverseuchte Hotspots im Visier.

Update: „Alles schien fein und ausgemacht – und blieb dann in der Schublade liegen. Bis letzte Woche der Münchner Autor Dorin Popa mit seinem ,Nice Bastard Blog' nachhakte.“
„Abendzeitung“ vom 13. Juni 2024