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Mittwoch, 20. November 2024

Entmietung am Wedekindplatz: „Nehmen Sie es nicht persönlich, es geht ums Geschäft“

Am Wochenende war mir die „Abendzeitung“ mit der Meldung zuvorgekommen, dass das Occam-Deli am Wedekindplatz zum 1. Januar schließen muss, weil der Pachtvertrag von den neuen Hausbesitzern nicht verlängert wurde. Ich saß schon seit Allerheiligen an der Geschichte, brauchte aber länger als geplant für meine Recherchen im Grundbuchamt und Handelsregister, sprach mit ehemaligen wie aktuellen Mietern der Feilitzschstraße 15, denn die Geschehnisse im Haus treffen bei weitem nicht nur die Wirte des einen Lokals. 

Das Aus für das Occam-Deli ist nur der Höhepunkt einer Entwicklung, wo ausgerechnet in dem Viertel mit dem romantischen Namen Altschwabing Alteingesessene von Spekulanten entmietet werden, Einzelhändler von gastronomischen Betrieben verdrängt werden und individuelle Lokale von Gastro-Ketten. 

Das alles kulminiert in der Feilitzschstraße 15 unter einem Dach in wenigen Monaten aufgrund des Verkaufs der Immobilie. Das Haus gehörte jahrzehntelang der Familie B., an die noch der Türgriff in Form eines Initials erinnert. Der ursprüngliche Hausbesitzer Josef B. war verstorben, zwei Verwandte hatten geerbt. B.s Töchter, Witwe und seine erste Frau sollen im Haus nebst all den Mietern gewohnt haben. Eine vertraute Hausgemeinschaft. 2019 wurde dann die Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG gegründet, die die Immobilie von Familie B. erwarb und im März 2020 ins Grundbuch von Schwabing (Blatt 12895) eingetragen wurde. Hinter dem Firmenmantel steckt auch eine Familie, der Münchner Habermann-Clan. 

Die 2019 verstorbene Mutter Helene Habermann galt in Münchens besserer Gesellschaft als Grande Dame und First Lady. Nach ihr ist auch ein Gymnasium in Fasangarten benannt. Die Söhne Harry und Roman Habermann versuchen, ihre Werte hochzuhalten. Als Michel Friedman vorletzte Woche sein neues Buch in München präsentierte, war für Roman (Foto) ein Platz in der zweiten Reihe des Hubert-Burda-Saals reserviert und er grüßte die Honoratioren der ersten beiden Reihen aufs herzlichste. 

Über den Bruder schrieb eine Zeitung: „beruflicher Erfolg ist für Harry Habermann mit der Verpflichtung zu sozialem Engagement verbunden“, als der Unternehmer vor drei Jahren vom bayerischen Justizminister Georg Eisenreich das Bundesverdienstkreuz am Bande ausgehändigt bekam. „Sie sind treibende Kraft bei zahlreichen gemeinnützigen Projekten und widmen sich mit großem Einsatz den Schwächsten in unserem Land“, betonte der Justizminister in seiner Laudatio. Mit einem wie Harry Habermann posieren auch Oberbürgermeister Dieter Reiter und Landtagspräsidentin Ilse Aigner gern, Journalisten wie Wolfram Weimer, Unternehmer wie Wolfgang Reitzle oder seine Ex Alice Brauner. 

Mieter, vor allem die sozial Schwächeren fürchten die Habermanns dagegen eher. Und Mieter gibt es genug. Was Harry Habermann mal gegenüber der „Abendzeitung“ als „familienbetriebenes Unternehmen“ klein redete, wird von der „Immobilien Zeitung“ schon treffender als „Münchner Family Office“ bezeichnet. Der Begriff Family Office wird bei Veröffentlichungen gern für Investoren benutzt, die hunderte Millionen von Euro eigenen Vermögens bewegen und aus Diskretionsgründen nicht mit Namen erwähnt werden wollen. 

Die gerade auch auf „Revitalisierung“ von Immobilien spezialisierte Unternehmensgruppe Habermann ist bundesweit in vielen Projekten involviert. Hier in unserer Region etwa bei der ehemaligen Agnespost, dem Klinikstandort Am Isarkanal, der Damenstiftstraße 11, der Daxenbergerstraße 8 (aktuell im Angebot zwei Zimmer mit 58 qm für 1766 Euro warm), dem Starnberger Dinard-Park (aktuell 3 Zimmer mit 151 qm für 3929 Euro warm) der Englschalkinger Straße 283, dem früheren Kaufhaus Beck an der Fürstenrieder Straße in Laim, dem Pacelli-Palais in der Georgenstraße 8, der Goethestraße 10, der Hansastraße 183, der Ismaninger Straße 55 und 67, dem Kaiserplatz 5, der Maximilianstraße 47, wo das GOP.-Varieté residiert, der Nymphenburger Straße 172, der Pelkovenstraße 101, der Pettenkoferstraße 29, der Rauchstraße 9–11, der Richard-Strauss-Straße 81, der Rüthlingstraße 1 (aktuell im Angebot ein 36 qm großes Zimmer für 1220 warm), der Schellingstraße 36 und 38, der Sendlinger Straße 46 mit dem Mio-Hotel der Amano-Group, der Türkenstraße 71 und 82 oder der bei Eisliebhabern beliebten Wilhelmstraße 23.
Mal agieren Habermanns als GbR, mal als GmbH oder GmbH & Co. KG. 

Mit der Amano-Group ist auch das prominenteste Projekt der Unternehmensgruppe verknüpft, der Neubau eines Hotels an der Sonnenstraße / Ecke Schwanthalerstraße. Dem Bauprojekt fiel der legendäre Techno-Tempel Harry Klein zum Opfer. Clubgesellschafter und Stadtrat David Süß von den Grünen traf sich sogar mit Alessandra Habermann, der nächsten Generation des Immobilien-Clans, um auszuloten, ob es nicht auch im Neubau eine Chance für das Harry Klein gäbe. Alessandra verneinte. Es würde nicht ins Konzept passen. Vielleicht weil die Amano-Group in ihren Häusern gern mit eigenen Bars die Nachtschwärmer abschöpft. Ansonsten sollen die Habermanns gegenüber dem Harry Klein bis zum Abbruch der Immobilie korrekte Vermieter gewesen sein. 

Bei der Feilitzschstraße 15 gehen die Meinungen dazu eher auseinander. Die Immobilie am Wedekindplatz, in der sich Anfang des letzten Jahrhunderts das Kaufhaus G. Schmidt befand, wird vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege als Baudenkmal geführt: „Mietshaus, viergeschossiger Neurenaissance-Eckbau mit breit abgeschrägter und übergiebelter Ecke sowie stuckierten Fensterrahmungen, Ende 19. Jh.“ Die erste recherchierbare Eigentümerin war 1911 Mathilde Bledy, geborene Schmidt. Unter den Nazis, aber noch vor dem „Anschluss“ hat Mathilde Bledy (ein völlig anderer Name als der der oben erwähnten Familie B.) das Haus Feilitzschstraße 15 am 30. September 1935 in einem notariellen Tauschvertrag mit dem Wiener Maschinenfabrikanten Oskar Lintner und dessen Schwester Rosa gegen eine Immobilie im österreichischen Tullnerbach getauscht. Da die Münchner Immobilie wertvoller war, verpflichteten sich Herr und Frau Lintner zu einer Aufzahlung von 24.000 Reichsmark an Frau Bledy.

Nachdem die Habermanns es erworben hatten, reichten sie im Februar 2023 beim Bezirksausschuss 12 Schwabing-Freimann einen Bauantrag ein: „Verkleinerung einer zweigeschossigen Ladeneinheit im EG sowie Nutzungsänderung im 1.OG zu einer drei Zimmer Wohnung mit Rückbau einer internen Verbindungstreppe und Schließen der Deckenöffnung, Ausbau eines Dachspeichers 2.DG Nord und Zusammenlegung mit der Bestandswohnung 18 im 2.DG mit Fluchttreppe in das 1.DG und damit verbundene Verkleinerung der bisherigen Maisonettewohnung 14 im 1. und 2.DG zu einer zwei Zimmer Wohnung im 1.DG, Ausbau eines Dachspeichers 2.DG Süd zu einer Wohnung 19 mit Fluchttreppe in das 1.DG und damit verbundene Verkleinerung der Bestandswohnung 16 im 1.DG“. Sowohl der Unterausschuss Stadtplanung, Architektur und Wohnen wie auch der Bezirksausschuss winkten den Antrag einstimmig durch. 

Das ist bei weitem nicht das ganze Ausmaß der im Haus durchgeführten Veränderungen. Das Ziel scheint klar: Alte Mieter und Pächter raus, Luxussanierung, neu vermieten. Der Vermieter bestreitet den Vorwurf. Wobei es diskreter passiert als im legendären Spekulationsobjekt gegenüber in der Occamstraße 1, wo die Altschwabing Projekt GmbH des Bogenhausener Anwalts Michael Georg Sachs das gesamte Haus bis auf einen letzten Verbliebenen entmietet hat, wie das Klingelschild belegt.

Bei Habermanns in der Feilitzschstraße 15 wird nach außen hin Normalität vorgegaukelt. Klingelanlage und Briefkästen sind vollständig beschriftet, als wäre das Haus bis unters Dach bewohnt. Doch unter den Namen sind auch alle ausgezogenen oder gar verstorbenen Mieter. Geisterbewohner.

Betritt man dagegen die Immobilie wird es rustikaler. Im Ton wie in der Optik. Ein Mieter erinnert sich an seine erste Begegnung mit den neuen Eigentümern: „Wir streichen Ihre Mietschulden und sie verschwinden“ – wobei er überhaupt keine Mietschulden hatte. Der Vermieter bestreitet das Zitat. Einem Pächter sollen sie erklärt haben: „Nehmen Sie es nicht persönlich, es geht ums Geschäft. Doppelte Miete oder wir finden jemand anderen.“ Der Vermieter bestreitet das Zitat.

Zum Ladengeschäft der Boutique Leib & Seele im Erdgeschoss gehörte früher auch noch eine durch eine Wendeltreppe verbundene Wohnung im ersten Stock. Beides zusammen für zuletzt rund 8800 Miete. Nachdem Leib & Seele einer deutlichen Pachterhöhung nicht zustimmte und auszog, wurden – wie im Bauantrag erwähnt – die beiden Etagen getrennt und allein das Ladengeschäft im Erdgeschoss mit rund 9000 Euro neu vermietet. Die Wohnung im ersten Stock wird noch luxussaniert, aber eine ähnliche Wohnung auf derselben Etage soll, „weil Sie es sind“, jemandem zum Freundschaftspreis von über 3000 Euro angeboten worden sein. 

Aktuell stehen offenbar sechs Wohnungen im ersten bis vierten Stock leer und wohl mindestens drei Wohnräume im Dachgeschoss. Eine erste, 50 qm große, fertig sanierte Wohnung wird aktuell online für 1755 Euro warm angeboten. „Zum 15.11.2024 können Sie diese Wohnung im dritten OG, die durch eine luxuriöse Innenausstattung besticht, beziehen. Bei dieser ansprechenden Immobilie handelt es sich um einen Erstbezug nach Sanierung. In den zwei schönen Zimmern können Sie sich nach Ihrem Geschmack einrichten und entfalten. Die letzte Modernisierung fand erst vor Kurzem, im Jahr 2024, statt.“  Statt einer Küche gibt es in der Wohnung offenbar nur eine Küchenzeile in einem der beiden Räume. 

Altmieter zahlen für in der Größe vergleichbare Wohnungen im Haus laut eigenen Angaben mindestens 40 Prozent weniger. Sie wehren sich auch nicht unbedingt gegen die Sanierung. Auf die Aufforderung des Vermieters: „Bitte ziehen sie doch aus, wir wollen die Wohnung renovieren“ (der Vermieter bestreitet das Zitat), reagierte ein Mieter mit dem Angebot, vorübergehend auszuziehen, wenn ihm garantiert werden würde, dass er nach der Renovierung auf Grundlage des alten Mietzinses zuzüglich angemessener Umlegung der Sanierungskosten wieder zurückkehren könne. Der Vermieter soll dem Mieter zufolge das Angebot ignoriert haben. Die Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG bestreitet den Vorwurf.

Obwohl die Habermanns das Haus an der Feilitzschstraße 15 offensichtlich für die Luxussanierung eher leeren wollen, bot die Unternehmensgruppe Habermann dasselbe Haus erstaunlicherweise als Ersatzwohnraum für die Mieter eines ihrer anderen zahlreichen Objekte an, die dort vor der Modernisierung weichen mussten, wie die Abteilung Wohnraumerhalt im Amt für Wohnen und Migration des Münchner Sozialreferats bestätigte: „Für die Geeignetheit des Ersatzwohnraumes muss unter anderem die Eigentümeridentität vorliegen. Unter welchen Fallkonstellationen dies gegeben ist, kann nicht pauschal beantwortet werden. Vielmehr prüft der zuständige Bereich dies anhand der Eigentümerstruktur, des Gesellschaftervertrages und lässt sich hierzu aktuelle Unterlagen vorlegen. Eigentümeridentität muss dabei nicht bedeuten, dass Gesellschafter beziehungsweise Komplementäre zu 100 Prozent übereinstimmen.“

Inzwischen ist es auch in der Feilitzschstraße für die verbliebenen Mieter längst ungemütlich geworden, wie es eben bei laufenden Sanierungen immer öfter vorkommt: Von Montag bis Samstag selbst bei Frosttemperaturen eine sperrangelweit offene Haustür. Baulärm von über 70 dB im Treppenhaus. Wasserschäden, die jahrelang unbehandelt bleiben (der Vermieter bestreitet den Vorwurf). Ein mit Folien ausgelegtes Treppenhaus, das eher an einen Tatort des Serienkillers Dexter denn an Neurenaissance erinnert. Längere Ausfälle der Warmwasserversorgung oder immer wieder, ohne Vorwarnung, gar kein fließendes Wasser. So berichten es zumindest Mieter.

Oder, in der Einschätzung von Monika Schmid-Balzert aus der Geschäftsführung des Mietervereins: „In jüngster Zeit hatten wir vermehrt Anfragen von Mitgliedern aus diesem Haus. Das ist für uns oft ein Signal, dass sich die Situation für die Mieter vor Ort gerade verschlechtert. Bewohner des Hauses haben uns geschildert, dass sie den Eindruck haben, dass es ihnen möglichst ungemütlich gemacht werden soll. Das Treppenhaus sei dreckig, seitdem leerstehende Wohnungen modernisiert werden. Das Wasser werde immer wieder ohne Ankündigung abgestellt. Wenn es Wasser gebe, dauere es mitunter lange, bis es warm werde. Auch die kaputte Gegensprechanlage werde nicht repariert. Ein solches Vorgehen beobachten wir häufig, wenn Eigentümer es zumindest billigend in Kauf nehmen, dass langjährige Mieter irgendwann entnervt aufgeben und aus einem Haus ausziehen. Leer stehende Wohnungen können dann modernisiert und teurer vermietet oder verkauft werden. Wir werden versuchen, die Mieter des Hauses zu vernetzen, um ihnen ihre rechtlichen Möglichkeit aufzuzeigen.“ 

Ein Mieter empfand den Auftritt der neuen Vermieter als Mobbing. Viele wirken offensichtlich verängstigt. „Bei Habermanns muss man sehr vorsichtig sein“, gibt ein anderer zu bedenken. Der rustikale Ton der Vermieter im Gutsherrenstil, ihr Beharren auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zeigt Wirkung. Und Bewertungsportale für Arbeitgeber legen nahe, dass die Textilunternehmen, die zur Habermann-Gruppe gehören, ähnlich unangenehm auffallen.  

Da ein Ende der massiven Beeinträchtigungen aufgrund der laufenden Modernisierungsmaßnahmen im Haus nicht abzusehen ist, kann man sich auch fragen, wie Neumieter, die diese Woche bereits für über 30 Euro pro Quadratmeter in eine der luxussanierten Wohnungen einziehen könnten, auf die Zustände im Haus reagieren. Luxus besteht nicht nur aus Parkettböden und schicken Küchenzeilen innerhalb der eigenen Wohnung, sondern auch aus der Atmosphäre im Haus und Annehmlichkeiten wie Stille, Sauberkeit oder fließend warmes Wasser.

Probleme, die seitens der Vermieter niemand ernst zu nehmen scheint. Die erste Hausverwaltung unter den neuen Eigentümern, ADIX, soll nie erreichbar gewesen sein. Dann übernahm die familieneigene HH Immobilien-Service (HH wie Harry Habermann). Die soll stets erreichbar sein, aber laut Mietern nichts unternehmen. Meistens hätten sie sich „um nichts gekümmert, und wenn doch, bleiben Löcher zurück.“ Der Vermieter bestreitet den Vorwurf und will sich zu „Vertragsbeziehungen“ mit Hausverwaltungen nicht äußern.

Ein Mieter, der Alessandra Habermann für eine Angestellte der Hausverwaltung hielt, versuchte ihr Mitgefühl zu wecken, indem er appellierte, dass sie doch sicherlich selbst auch irgendwo Mieterin sei und seine Sorgen verstehen müsste. Worauf Alessandra Habermann erwidert haben soll: „Wissen Sie was, ich bin keine Mieterin. Ich bin mein ganzes Leben schon Eigentümerin gewesen.“ Der Vermieter bestreitet namens Frau Habermann das Zitat.

Auch bei den Nebenkosten langten die Habermanns zu und erhöhten sie deutlich um einen dreistelligen Betrag. Auf Nachfrage nach einer Begründung für die Erhöhung der fälligen Abschlagszahlungen sollen sie geantwortet haben: „Wir haben so entschieden, dass sie mehr zahlen müssen.“ Der Vermieter bestreitet das Zitat. Zu Vertragsbeziehungen mit Mietern will man sich nicht äußern. Es hatte aber offenbar keine negativen Folgen, wenn man sich nicht auf die geforderte Erhöhung der Abschläge für die Nebenkosten einließ und weiter nur den alten Betrag überwies. Man erhielt nur jeden Monat eine Mahnung mit den aufgelaufenen vermeintlichen Schulden für nicht gezahlte Abschläge. 

Dann erhielten Mieter eine erste Nebenkostenabrechnung des neuen Vermieters. Ein Mieter sah mit Freuden, dass ihm ein höherer dreistelliger Betrag als Rückzahlung für zu viel bezahlte Abschläge zustand. Und das, obwohl er die Erhöhung der Abschläge ignoriert und weiter nur Abschläge in alter Höhe überwiesen hatte. Das Guthaben wurde ihm aber bis heute nicht erstattet. Ein Jahr darauf sah die Nebenkostenabrechnung so aus, dass jetzt eine Nachzahlung in niedriger dreistelliger Höhe heraus kam. Die aber immer noch niedriger als sein Guthaben vom Vorjahr war. Auf eine Rückerstattung des Restbetrags wartet er noch immer. Ein anderer Mieter erwähnt ebenfalls, dass ihm wegen zu viel bezahlter Abschläge bei den Nebenkosten „auch ein richtig großes Guthaben“ zustünde. Der Vermieter bestreitet die Vorwürfe. 

Dabei können Alessandra Habermann und Barbara S., die rechte Hand des Seniors, durchaus auch anders. Kerem „Keko“ Özkan, der in München unter anderen die Drawn.ink Tattoostudios und den Kida Ramadan Barbershop betreibt, war schon anderthalb Jahre an den leerstehenden Räumlichkeiten im Erdgeschoss, wo früher das Leib & Seele war, interessiert, um eine Café-Bar zu eröffnen. Er schwärmt von den Mietverhandlungen. Der Kontakt war so herzlich, dass er Alessandra sogar zu einem von ihm veranstalteten Boxkampf einlud.

Doch selbst wenn alles scheinbar einvernehmlich läuft, und man als Pächter alles erfüllt, was die Habermanns fordern, kann es schlecht enden. Das Occam Deli hatte sich mit dem Vermieter arrangiert und sogar der neuen, mehr als doppelt so hohen Pacht zugestimmt. Dennoch wurde der Pachtvertrag dann überraschend doch nicht verlängert, und das Lokal muss nach fast zwölf Jahren zum 1. Januar 2025 schließen und ausziehen.

Nachmieter wird laut der „Abendzeitung“ die Berliner Fast-Food-Kette Burgermeister, die nun neben McDonald’s, der Hamburgerei und Ruff’s der vierte Burger-Laden am Wedekindplatz ist. 
Das verspricht auch laute Nächte oder hörbare Beeinträchtigungen in dieser „belebten Wohnlage“, um den Vermieter zu zitieren. Das Occam Deli schließt bereits um Mitternacht, aber Burgermeister hat zumindest in seinen Berliner Filialen ein lebhaftes Nachtgeschäft bis 2 oder gar 4 Uhr früh. 

Nun hat sich ein Altmieter der Feilitzschstraße 15 schon immer gern über den lauten Hotspot Wedekindplatz mit seinen hunderten von Besuchern und deren Musikboxen oder gar größeren Anlagen beschwert. Und so oft am Abend bei der Polizeiinspektion Schwabing angerufen, dass die Dienststelle gar nicht mehr abhob, wenn seine Rufnummer erschien. Und das war ein Mieter zu alten, günstigen Konditionen. Wie werden erst neue Mieter reagieren, die bei dem aufgerufenen Luxusmietzins vielleicht eine ruhige Nacht erwarten?
Unruhige Nächte gibt es im Haus aktuell auch bei der Schwabinger 7. Deren Schicksal konnte ich leider nicht abschließend klären. Bei einem Gespräch mit dem aktuellen Wirt Gerry am Samstagabend erwähnte er auch eine erhöhte Pacht und die Sorge, dass er nicht wisse, ob er nach dem Dezember noch auf hätte. Da er aber als Unterpächter nicht direkt in Kontakt mit der Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG steht und es auch Verständigungsprobleme bei unserem Gespräch gab, konnte ich das nicht verifizieren. 

Hinsichtlich der Zukunft der Schwabinger 7 wie auch betreffs aller anderen hier genannten Vorkommnisse hatte ich vorgestern den Vermieter gebeten, Stellung zu beziehen. Zur Schwabinger 7 äußerte er sich nicht. Namens der Feilitzschstraße 15 GmbH & Co. KG bestätigte mir Kommanditist Kurz Kürzinger als Geschäftsführer unter dem fehlerhaften Briefkopf „Feilitzschtraße 15 GmbH & Co. KG“: „Wie Sie zurecht feststellen, ist das Gebäude teilweise in schlechtem Zustand und wird zurzeit schrittweise saniert. Nach der Sanierung einer Einheit werden diese umgehend wieder vermietet. (…) Schäden an der Altsubstanz, die uns von Mietern gemeldet werden, oder die von uns erkannt sind, werden von uns mit hohem Aufwand durch ausgewählte Fachfirmen so schnell es geht beseitigt. Die Häufung und die Art der Schäden zeigen, wie notwendig die jetzt durchgeführte Sanierung des Altbestandes ist. (…)

Ihre Aussagen einzelner Personen und Zitate weisen wir zurück. Diese Aussagen und Zitate, auch die Aussagen, die Sie Frau Habermann unterstellen, sind unzutreffend und unrichtig. Aus unserer Sicht sind die in Ihrem Fragenkonvolut aufgestellten Vorwürfe frei erfunden und ihre mutmaßliche Quelle scheint eine sehr subjektiv geprägte Belastungstendenz vorzutragen.“ 

Historische Aufnahme: Georg Pettendorfer/Stadtarchiv München, DE-1992-FS-NL-PETT1-0830

Samstag, 9. November 2024

Warum fremdelt München mit Michel Friedman?

Ich persönlich kann mich nicht daran erinnern, bei einem meiner gelegentlichen Besuchen von Kulturveranstaltungen in der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG) am St.-Jakobs-Platz leere Reihen gesehen zu haben. Aber Gemeindepräsidentin Charlotte Knobloch wird das natürlich besser wissen. Und so lobte sie letzten Donnerstag im bis zum letzten Platz besetzten Plenum Michel Friedman in den höchsten Tönen. Er hätte es geschafft, mit der Vorstellung seines letzten Buches den Hubert-Burda-Saal zu füllen.

Ähnlich klang auch Barbara Mundel letzten Montag. Die Intendantin der Kammerspiele empfahl den anwesenden Theaterbesuchern die aktuelle Inszenierung von Michel Friedmans „Fremd“ – und schob, eher überglücklich als mitfühlend bedauernd, den Hinweis hinterher, dass man ihrer Empfehlung nicht folgen könne, weil alle Vorstellungen ausverkauft seien. (Das schaffen an den chronisch unausgelasteten Kammerspielen eher nur Gerhard Polt und die Well-Brüder. Die weit weniger unterhaltsam als Michel Friedman sind.) 

Nur erzählte Mundel dies in einem Raum mit bedauerlich vielen freien Plätzen. Anders als bei der Premiere von „Michel Friedman spricht…“ mit Igor Levit über Hass am 29. September, wo viele Plätze beim geplanten Vorstellungsbeginn noch leer schienen, sich dann aber aufgrund der verschärften Sicherheitsmaßnahmen mit Verspätung doch noch vollständig füllten, blieben beim zweiten Gespräch, diesmal mit Jagoda Marinić zum Thema Heimat, viele Sitze leer. Die Auslastung betrug gerade mal 70 Prozent.

Und für die nächste Vorstellung, „Michel Friedman spricht mit Jan Philipp Reemtsma über Terror“ am 1. Dezember in den Münchner Kammerspielen läuft der Vorverkauf auch eher schleppend. Selbst nachdem die Leiterin des Kulturzentrums der IKG, Ellen Presser, am Donnerstag den Gemeindemitgliedern den Reemtsma-Termin nahe gelegt hatte, ging kein Ruck durch die Bestellungen. Heute waren geschätzt noch über hundert Karten online buchbar. Wobei der Balkon des Schauspielhauses bei Michel Friedman auch noch gesperrt bleibt und das Fassungsvermögen so deutlich verkleinert ist.

Dabei sind die hochspannenden Abende mit einem Eintrittspreis in Höhe von 15 Euro durchaus günstig. Doch selbst das Begehren nach Frei-, Presse- und Steuerkarten soll für Friedmans Abende in den Kammerspielen unterdurchschnittlich sein.

Warum nur? Denn am Berliner Ensemble, wo „Michel Friedman in Gespräch“ seit über zehn Jahren auf dem Spielplan steht, sind die Vorstellungen, etwa mit Sophie Passmann, im Großen oder Neuen Haus bis heutzutage immer „sehr gut besucht und oft ausverkauft“.

Fremdelt man bei uns mit Michel Friedman? Hadern die Münchner*innen mit dem dialektischen Diskurs? Hat sich Friedman hier beim bräsigen, von zu viel Bayerischen Rundfunk geprägten Publikum mit seiner scharfen Gesprächsführung als Fernsehmoderator auf anderen Sendern nachhaltig unbeliebt gemacht? Dürfen anderthalb Stunden im Theater nicht intellektuell kurzweilig sein? Oder haben sich Friedmans süffisante wie treffende Spitzen gegen Bayern im Allgemeinen und Söder im Besonderen schon abschreckend herumgesprochen? Weiß man in München vielleicht einfach nur nicht zu schätzen, dass Friedman sich neben Berlin und Frankfurt jetzt auch an der Isar niedergelassen hat?

Oder braucht es in München, wo die Leute sonst jedem neuesten heißen Scheiß hinterher rennen, manchmal einfach nur länger, bis es sich herumspricht, was edel, hilfreich und gut ist?


Update vom 23. November 2024: Da die Plätze im Parkett nahezu ausverkauft sind, haben die Kammerspiele für den Abend mit Jan Philipp Reemtsma am 1. Dezember jetzt auch den Balkon im Vorverkauf geöffnet.



Freitag, 10. November 2023

Münchner Hauptsynagoge Ohel Jakob: Gedenk- und Festakt zum 20. Jahrestag der Grundsteinlegung

Donnerstagabend wurde der 20. Jahrestag der Grundsteinlegung für die neue Münchner Hauptsynagoge (Foto) am Sankt-Jakobs-Platz mit einem Gedenk- und Festakt gefeiert. Es war eine Feier in schweren Zeiten.
„Wir leben, leider, in einer Zeit der Desillusionierung. Was vor 20 Jahren undenkbar gewesen wäre, ist heute Tatsache. Rechtsextreme in unseren Parlamenten. Offener Judenhass auf deutschen Straßen. Kämpfe gegen Deutschlands Erinnerungskultur von rechts und von links. 
Jüdische Menschen, die am liebsten wieder unsichtbar sein möchten. 
Und noch etwas, das wir nie für möglich gehalten hätten: Ein Pogrom an Juden – in Israel“, sagte Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern beim Festakt in der Hauptsynagoge Ohel Jakob am Sankt-Jakobs-Platz. 
Desillusionierung prägte ihre Rede wie auch die von Alt-OB Christian Ude. Zwei von vielen Rednern, darunter Ministerpräsident Markus Söder, Oberbürgermeister Dieter Reiter und der ehemalige Ministerpräsident Edmund Stoiber. 
Da verliert man schon einmal den Überblick. Als Landtagspräsidentin Ilse Aigner zum Rednerpult schritt, unsicher, ob sie überhaupt schon dran sei, schickte die Moderatorin sie mit sanftem Tadel zurück auf ihren Platz. In Bayern müsse man das Programm schließlich „gscheit“ durchziehen. Nur um Aigner dann prompt, aber eben offiziell zu ihrer Rede zurück ans Pult zu rufen. 
Wer die Erinnerungskultur als „Schuldkult“ diffamiere, mit Terroristen sympathisiere, Islamismus glorifiziere und zu Hass aufrufe, der überschreite Grenzen. Niemand solle sich täuschen: „Unsere Demokratie ist wehrhaft, der Rechtstaat schlagkräftig“, warnte Aigner. 
Wie wichtig das ist, sah man schon bei der Grundsteinlegung 2003, als Münchner Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf die Baustelle am Sankt-Jakobs-Platz planten. 
Die Sorgen wurden seitdem nicht kleiner. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Gruppen wie die AfD dafür sorgen, dass wir Demokraten den Mut verlieren“, mahnte Söder beim Festakt zum 20. Jahrestag der Grundsteinlegung. „Wir sind die Mehreren; wir sind die Stärkeren; und wir wollen, dass unsere Demokratie so bleibt, wie wir uns das vorstellen“, sagte Söder. 
Es war ein Abend voller Unsicherheit und Sorge, Liebe und Emotionen, aber dank Ude auch nicht ohne Witz: „Vom neunten Textbeitrag erwartet man nur, dass er zum Ende kommt“, begann er seine Rede, ohne sich etwa deshalb auch nur annähernd kurz zu fassen.

Unter Verwendung meines Berichts, der zuerst in der „tz“ vom 10. November 2023 erschienen ist.

Mittwoch, 21. März 2007

Münchner Klagemauer

Die schroff aneinandergereihten Travertinplatten der neuen Synagoge am St.-Jakobs-Platz laden förmlich dazu ein: Immer öfter findet man Gebetszettel in der Mauer – und ein Ausbruch des Jerusalem-Syndroms scheint auch nur eine Frage der Zeit zu sein.

Einen ersten psychotischen Vorgeschmack gab es heute: Während der Pressekonferenz zur Eröffnung des Jüdischen Museums bahnte sich eine nicht ganz ausgeglichen wirkende Frau mit Pace-Button erst ihren Weg zu Oberbürgermeister Ude, um ihm (stellvertretend?) ein paar Blumen zu überreichen und ging dann auf den benachbarten Vorplatz der Synagoge, um dort inbrünstig wie Aufmerksamkeit heischend zu beten, die Hände gen Himmel zu heben und sich sogar auf den Boden zu werfen.

Ich würde ihr dieses private Vergnügen vom Herzen gönnen, wenn nicht die lieben Kollegen Fotografen und Kameraleute die Pressekonferenz auch verlassen hätten und der Frau hinterhergehetzt wären, um sie ohne Respekt vor dem intimen Moment abzuschießen.

Währenddessen gab Ude unumwunden zu, daß der sich über mehrere Stockwerke erstreckende Neubau im Grunde ein Museum ohne Sammlung wäre. Entsprechend karg präsentieren sich derzeit die Räume. Entsprechend findig sucht man nach Objekten, die das Alltagsleben der Münchner Juden widerspiegeln, und wird da auch bei eBay fündig, wo die Kuratoren für 73 Euro ein Seder Tikkune Schabbat, ein Gebetsbuch aus dem späten 18. Jahrhundert, ersteigert haben.

Das Museum interessierte mich denn auch weniger, denn die Synagoge, die ich endlich mal besichtigen wollte. Nicht ahnend, daß laufend Führungen stattfinden und sogar ein Goi wie ich – nach Voranmeldung – beim Gottesdienst willkommen ist.

Erster Wermutstropfen heute morgen: Fleming's Restaurant im Gemeindezentrum, wo es unter anderem auch koshere Weißwürste, Leberknödelsuppe oder Fleischpflanzerl gibt, hatte noch geschlossen. Aber nachdem ich neben der Synagoge die Öfen entdeckte, mit denen das Festzelt zur Eröffnung beheizt wird, ist mir der Appetit auch vergangen...

(Mehr Bilder in wenigen Minuten auf Flickr)