„Jan Fleischhauer ist ein Rassist.“
Gerrit Bartels im „Tagesspiegel“ vom 22. November 2025, Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray zitierend.
„Jan Fleischhauer ist ein Rassist.“
Gerrit Bartels im „Tagesspiegel“ vom 22. November 2025, Reyhan Şahin aka Lady Bitch Ray zitierend.
Im neuen Film von von Christel Buschmann spielt sie neben Eric Burdon die weibliche Hauptrolle. Als Frau des Rockstars Rocco betäubt sie ihren Schmerz, ihre Einsamkeit und Leere mit Drogen. Es lag bestimmt nicht nur daran, daß der Musikfilm „Comeback“ morgens um 11 lief – die knallharten Schnitte, die ein Tempo in den Film brachten, dem die Story nie zu folgen vermochte (überhaupt ist die Story recht dünn) und die Live-Aufnahmen, denen besonders in der ersten Hälfte des Films jegliche Atmosphäre abgeht, ließen „Comeback“ zu keinem rechten Genuß werden.
Auch die anschließende Pressekonferenz in der Mathäser Bierstadt (im Hintergrund übte die Blaskapelle enervierend ihre Schunkelweisen) kam nicht richtig in Schwung.
Ein paar Stunden später stand Julie Carmen vor Dr. Gottlieb's Spiderman. Zwar unterscheidet sich Spiderman in der unteren Hälfte des Spielfeldes nicht wesentlich von anderen Geräten dieser Generation, jedoch bietet das raffiniert aufeinander abgestimmte Verhältnis von Pop Bumpers gleich hinter den oberen Passagen (ein zusätzlicher Flipper gibt noch Eingriffsmöglichkeiten bevor die Kugel ins untere Spielfeld kommt) interessante Spielkombinationen. Was Julie daraus machte, läßt sich in ihrem Aufruf „Shit“ (anläßlich eines mehr als schlecht getimeten Set Shots) zusammenfassen.
Das Flippern hat sie in Chicago (derzeit lebt sie in L.A., filmt aber in Deutschland unter Reinhard Hauff zusammen mit Marius Müller-Westernhagen „Der Mann auf der Mauer“) gelernt, und zwar in Toni's Pin Ball Paradise. Etwas sah man davon, als wir auf Close Encounters of the 3rd Kind (auch Dr. Gottlieb) übergewechselt hatten. Die bei diesem Gerät auf einem Drehrad hinter den oberen Passagen angebrachten Targets können erhebliche Punktgewinne bringen, jedoch besteht die Schwierigkeit darin, daß die Kugel aufgrund ihrer großen Geschwindigkeit nicht durch einfache Tipp-Pässe auf den linken Flipper zu bringen ist (und nur der bietet den notwendigen Winkel für eine erfolgversprechende Schußrichtung auf das Drehrad). Hier muß schon der verzögerte Drop-Catch eingesetzt werden. Ähnlich wie die Rolle als durch ihre Unberechenbarkeit letztlich sehr berechnende Ehefrau, wo sich verselbständigende Wirklichkeiten zu Verhältnissen entwickeln, die objektiv und unaufhebbar werden, so lief die Kugel mit ihrer momentanisierenden Instabilität (schiefe Ebene!) auch bei unserem Spiel. Moralismen und Teleologien sind dann umwegig – so sagt sie zu Rocco ohne Lavieren: „Schlaf mit mir!“ Das geschickte Ausspielen der Widersprüche im System, ob nun im Film als Frau des Rockstars oder als Flipper-Zauberin vor dem Gerät, bietet maximale Gewähr. Denn auch hier gehört ein ziemlicher Fatalismus zum Spiel. Aber es sind dann doch immer wieder eben diese Fatalismen, die sich zu neuen Freiheiten ausdehnen.
Ihr bestes Ergebnis – im Film: die Laison mit Roccos Anwalt; – im Spiel: 46.870.
Aber der Rewe-Zentrale scheint das nicht auszureichen. Anfang November erschien bei Facebook ein erster Bericht aus einer Rewe-Filiale an der Leopoldstraße, dem zufolge dort keine Kassiererin mehr tätig war, sondern alle Einkäufe nur noch an den Selbstbedienungskassen beglichen werden konnten.
Ein Kommentator ergänzte, dass das inzwischen für alle Rewe-Filialen in der Innenstadt gelte.
Dabei ist es wichtig zu betonen, dass Self-Checkout keineswegs Card Only bedeutet. Die Hälfte der SB-Kassen akzeptiert in der Regel auch Bargeld. Nur muss man das wissen und vor allem auch darauf achten, bevor man anfängt, die Ware einzuscannen.
Inzwischen kann ich obige Erfahrungen bestätigen. In der Filiale an der Leopoldstraße erlebte ich auch einen Großkampftag an den SB-Kassen, wo überforderte Mitarbeiter*innen die Kundschaft an den richtigen Terminal zu schicken versuchten: Bar oder bargeldlos? Und beim Scannen halfen. Denn wer sich vertut und etwa aus Versehen ein Produkt zweimal scannt, kann es nicht selbst löschen, sondern braucht jemandem vom Supermarkt, um die Korrektur ausführen zu lassen.Erst als die Schlange wie die Empörung der Klientel immer mehr wuchsen, öffnete man doch auch eine herkömmliche Kasse, wo die Mitarbeiterin die Kundschaft aber vor allem dafür beschimpfte, dass man nicht die SB-Terminals benutzte.
In der Filiale an der Hohenzollernstraße waren gestern auch beide klassischen Kassen geschlossen. Eine MItarbeiterin half im SB-Bereich. Erst als eine Kundin sagte, dass sie da nicht mitspielt, sondern die Ware wieder zurücklegt und den Einkauf abbricht, war es doch möglich, eine weitere Mitarbeiterin zu holen und eine Kasse zu besetzen. Diese Kundin war übrigens keineswegs technisch überfordert, sondern wollte es nicht unterstützen, dass so Arbeitsplätze abgebaut werden.
Heute Mittag in der Sendlinger Straße dann ein Erlebnis, das wahrscheinlich den Zielvorstellungen der Rewe-Leitung entspricht. Die herkömmliche Kasse „gerade geschlossen“ und auch im SB-Bereich niemand von Rewe zu sehen. Entweder der Kunde kam von allein mit der Technik zurecht oder er war aufgeschmissen.Einer Kundin, die sich ein anderes Mal bei einem Filialleiter in Schwabing beschwerte, wurde erwidert, dass die Crew vor Ort da nichts machen könne. Das sei alles von oben angeordnet. Aber sie solle sich doch per Email beschweren. Daran werden aber gerade Ältere vielleicht genauso scheitern wie am digitalen Self-Checkout.
(Foto: Yan Revazov / Staatsballett Berlin)
„Stricher“. Gleich mehrmals fiel es, als Sonntag vor einer Woche Albert Ostermaier in einer eher kurzfristig anberaumten Veranstaltung zusammen mit dem Ensemblemitglied des Residenztheaters Max Mayer aus seinem neuen Buch „Die Liebe geht weiter. Roman mit Pasolini“ las. Und der Ausdruck fiel keineswegs literarisch, im Rahmen der Lesung, obwohl im Buch gleich auf der ersten Seite „Such dir einen Stricher“ steht. Der Ausdruck Stricher fiel im begleitenden Podiumsgespräch Ostermaiers mit der Buchhändlerin und Literaturwissenschaftlerin Rachel Salamander. Beide benutzten ihn.
Es war ein bourgeoiser Abend. Quasi Schumann's auf der Bühne. Staatsintendant Andreas Beck führte nicht nur persönlich in die Veranstaltung ein, sondern nahm dann auch auf einem der vielen freien Plätze im Publikum Platz.Nun könnte man behaupten, dass es eben ein Abend der harschen Worte war. „Kinderficker“ nannte Ostermaier im Laufe des Abends die katholische Kirche. Aber es gibt einen Unterschied zwischen anklagenden Worten gegen eine Tätergruppe und abwertenden Worten wie Stricher für sex worker, Sexarbeiter. Wenn man bei Minderjährigen überhaupt von einer selbstbestimmten Tätigkeit reden will und nicht gleich von Opfern. Das Stigma Stricher macht sie nur erneut zu Opfern. Und auf dem Podium gibt man sich mit dieser Wortwahl wohlfeil radikal auf Kosten der Schwächsten. Auch wenn ich mit meiner achtsamen Kritik daran jetzt vielleicht klinge wie ein Mitglied der „Gentrifizierungsbrigade des Sagbaren“, um Ostermaier zu zitieren. „Wokeness ist die schnelle Eingreiftruppe des Faschismus“, behauptet Ostermaier in seinem Roman.
Hätten sich Salamander und Ostermaier getraut, heutzutage bei minderjährigen Frauen diskriminierend wie nonchalant von Nutten zu sprechen?
Aber es kam noch schlimmer.
Albert Ostermaier und Pier Paolo Pasolini verbindet nicht nur ihre Berufung als Poeten, sondern auch eine bedingungslose Liebe zum Fußball. Der Mensch sein nur dort ganz Mensch, wo er spielt, zitierte Ostermaier letztes Jahr Friedrich Schiller in einem Interview. Und Salamander nutzte die Gelegenheit, um den Gast auf der Talk-Couch endlich das zu fragen, was ihr offenbar schon länger ein Rätsel war: Was ist das mit Männern und Fußball? Nicht der passive Konsum. Sondern warum nutzen erwachsene Männer so gern jede Gelegenheit zum Kicken, warum treffen sie sich in ihrer Freizeit so regelmäßig wie versessen, bloß um einem Ball hinterherzurennen.
Es sei die Sehnsucht nach der eigenen Kindheit, verriet das langjährige Mitglied der Autoren-Nationalmannschaft Ostermaier der dankbaren Buchhändlerin. Als Bub würde man beim Fußballspielen eine grenzenlose Freiheit verspüren und endlose Möglichkeiten. Beim Kampf um den Ball könne man in seiner kindlichen Vorstellung jeder berühmte Fußballer sein oder sogar gleichzeitig mehrere von ihnen auf einmal. Und dem erwachsenen Mann böte der Kick die Möglichkeit, in die Unschuld seiner Kindheit zurückzukehren, selbst wenn es mit zunehmendem Alter die Knochen, Sehnen und Kondition eigentlich nicht mehr hergeben und der Spaß zur Qual wird.Nun war der Sachverhalt bei Pier Paolo Pasolini keineswegs so unschuldig. Egal, wo auf der Welt er sich gerade aufhielt, Pasolini hätte immer versucht, „junge Männer“ zu finden, mit denen er kicken könnte, schilderte Ostermaier, als ob es ein harmloses, nachzuahmendes Hobby wäre. „Junge Männer“, also Kinder, Jungs, Jugendliche und nicht etwa Erwachsene. Dabei ist es, wie oft, wenn Männer etwas zwanghaft suchen, betreiben, ein Fetisch. Und die Kinder und Jugendlichen, die Pasolini suchte, waren keine Begleiter bei einer Zeitreise in die kindliche Unschuld, sondern vom alternden Pasolini benutzte sexualisierte Opfer. Auch wenn es der Biograf Valerio Curcio später als „Zauber“ verharmloste, den die Jugendlichen auf Pasolini ausgeübt hätten, wodurch die Täter-Opfer-Rolle beschönigend verdreht wurde.
Nach diesem Abend im Marstall könnte man glauben, es gäbe offenbar schlechte Kinderschänder, eben die im Talar, die Ostermaier als „Kinderficker“ geißelte, und gute Kinderschänder wie Pasolini. „Müssen Dichter Dichtern alles verzeihen?“, heißt es einmal im Buch. Nur dass Ostermaier nicht einmal Pasolini meint, sondern den Faschisten Ezra Pound.
Pasolini war ein Mann, der unter Anklage stand, weil er – in seiner Lebensphase als Lehrer – 16-Jährige fürs Masturbieren bezahlt hatte. Und der sein erstes homosexuelles „Wonnegefühl“ angesichts der Kniekehlen Fußball spielender Jungen empfunden haben soll. Das mag seine Bedeutung nicht schmälern, benachteiligte Jugendliche in ihrem Selbstverständnis gesehen, erkannt und verstanden zu haben, ihnen als Regisseur und Autor eine Stimme gegeben zu haben. Aber man darf seine Motivation, den Lustgewinn darüber nicht vergessen, der eben auch eine Grenzüberschreitung vom Barden zum Bastard war. Um so irritierender liest sich Ostermaiers im Roman geäußerter Wunsch: „Warum hat man nicht einen Fußballplatz als Denkmal für ihn gebaut, zwei Tore mit Netzen im Wind. Mit Grasnarben. Warum nicht Bälle an die Kinder verschenkt mit seinem Gesicht.“
Aber das Spannungsfeld von Machtmissbrauch und sexueller Ausbeutung, das verführerische Spiel erwachsener Männer, die unverstandenen Heranwachsenden eine Stimme zu verleihen scheinen, das etwa an anderen Abenden am selben Ort im Marstall in der Inszenierung von „Daddy“ reflektiert wird, war bei Ostermaiers Buchpräsentation nur peripher ein Thema, in der Anklage der katholischen Kirche, in der vagen Erinnerung an den selbst erlebten Missbrauch durch einen Abt. Bei Pasolini feiert Ostermaier dagegen die Grenzüberschreitung, den Missbrauch Jugendlicher durch den Lehrer und mächtigen Regisseur. Hinterfragt sie in seinem Roman nur, als sich Pasolinis Beuteschema mit selbst erlebtem, verdrängtem Missbrauch, wiederholtem Missbrauch zu überdecken scheint. Vertieft im Buch, was ich mir auch bei der Buchvorstellung gewünscht hätte: „Der Jüngling mit seinen Cicerones.“ Aber auch: „Ich will kein Opfer sein.“ Dennoch bleiben Täter Täter.
„Literatur ist ein Stricher“ schreibt Ostermaier in seinem Roman, „Sex ein Gedicht“ und „das Gedicht der Sex“, „ein Sonett eine Stricherkneipe, ein Bahnhofsstrich“. „Die junge Haut. Die Jungs, die das Geld brauchen, das schnelle Geld für den schnellen Fick, den schnellen Blowjob“. Wortkaskaden, so atemlos wie der Sex, aber das Leben von durch Erwachsene sexualisierten, missbrauchten Kindern und Jugendlichen, ob gegen Geld, mit Gewalt oder als Objekt der Begierde, ist mehr als nur ein Bonmot. Es war und ist traurige Realität. Sie sind die Opfer, die man besingen sollte, und nicht der von seiner großen Liebe verlassene und später ermordete Pasolini. Immerhin macht es Ostermaier in seinem Buch anhand der eigenen Biografie dann doch ein paar Seiten lang. Dreht die Geschichte, nutzt zwischendurch Pier Paolo als Treibsatz, um in die eigene verdrängte Kindheit vorzustoßen. Nur Pasolini bleibt auf seinem Podest.