Gestern abend wurden Luise Kinseher und Gerd Holzheimer im Literaturhaus mit dem Ernst-Hoferichter-Preis der Landeshauptstadt München ausgezeichnet. Die Laudatio auf Luise Kinseher hielt Sigi Zimmerschied:
Liebe Luise,
meine mehr oder weniger anwesenden Damen und Herren.
Was Laudatios so schwierig macht, ist die Tatsache, daß Preise einen Künstler immer im falschen Moment treffen.
Es wird ja eigentlich nie ein Künstler ausgezeichnet, sondern die Jury gratuliert sich in der Regel dazu, einen gefunden zu haben.
Und das gilt für alle.
Ich persönlich habe für meine besten Arbeiten nie einen Preis bekommen.
Sondern immer dann, wenn ein Juror gesagt hat:
Du, do gibt’s doch noch den...den mid der Nosn...wia hoaßt der denn... Und scho hob i´n ghobt.
Manchen Kollegen hat der Preis so früh getroffen, daß er zu der irrigen Überzeugung gelangt ist, er hätte bereits etwas geschaffen, und diese Position standhaft nie wieder verlassen hat.
Im schlimmsten Falle trifft er einen so spät, daß man sich gar nicht mehr erinnern kann, wofür man ihn bekommt.
Luise Kinseher hat dieser Preis in einer Phase erwischt, in der sie unübersehbar ist.
Unübersehbar.
Als Künstlerin natürlich in erster Linie, als Kabarettistin, die mit einer Leichtigkeit und Souveränität ihr multiples Figurenensemble über die Bühne wirbelt, daß einem schwindlig wird.
Die jedem ihrer Geschöpfe ein Gesicht, eine Haltung, eine Sprache und eine so tragikomische, komplexe Seele gibt, daß sich der himmlische Schöpfer wahrscheinlich schon öfter angesichts der Kretins, mit denen er die Welt bevölkert hat, an der Stirn gekratzt haben dürfte und zu sich gesagt hat:
„Worum bring iatzt i sowos ned zam ?“
Unübersehbar.
Als Volksschauspielerin, die, wenn sie das will, jederzeit in die Fußstapfen der ganz Großen dieses Genres treten kann, die diese seltene Mischung hat aus gewinnender Natürlichkeit, tiefer Figurenliebe, waffenscheinpflichtiger Sinnlichkeit und gestaltendem Intellekt.
Einiges, was sich zur Zeit Quotenkönigin nennt, hat von den genannten Qualitäten allenfalls die Kommatas.
Unübersehbar.
Als Nockherbergkönigin, die Landtagskonfirmanden abwatscht, als hätte sie die beim Nasenbohren überrascht.
Mit dem verhängnisvollen Sprachduftwolkencharme eines anheimelnden Desingnerseifenstücks, mit dem die Machtpomeranzen glauben, sich die Hände waschen zu können und auf dem sie ausrutschen wie die Bummerl unter der Gemeinschaftsdusche im Nonneninternat.
Unübersehbar.
Multimedial.
Titelblätterfüllend.
Und zwar in ihrer Funktion als Kabarettistin mit einem Gastauftritt auf dem
Nockherberg.
Normalerweise muß man da den Paulanerchef heiraten, damit man das schafft.
Titelblatt.
Als Kabarettist und Frau.
Eigentlich unmöglich.
Für so etwas sind allenfalls die Gnadeneinspalter in den Münchner Feuilletons reserviert, und da muß man noch hoffen, daß sich Dieter Dorn nicht gerade einen Finger verstaucht, sonst sind diese 18 Zeilen auch noch weg.
Unübersehbar.
Selbst für eine Jury.
Das wollte sich der Preis nicht entgehen lassen.
Da hat wahrscheinlich der Preis zur Jury gesagt:
Machts ihr wos woits, i geh zur Luise.
Weil do sans olle.
Do is wos los.
Und do is sche.
Ist doch auch schön.
Wo ist das Problem mit der Laudatio?
Es liegt genau darin.
In einer Zeit, in der Kabarett verkommen ist zur medialen Ramschware, in dem theaterungebildete und sinnlichkeitsarme Quotenangsthasen definieren, was dieses Genre ausmacht, bedeutet jede Popularität auch eine Gefahr.
Weil all der Glanz und all die Aufregung es so schwer machen, das Wesentliche an einem Künstler zu entdecken.
Weil eine Frage immer schwerer zu beantworten ist, eine Frage, die für mich, solange ich selbst noch Juror war, immer die entscheidende war.
Muß der da oben das machen?
Oder?!
Macht er das das nur?
Die Medienverführung ist groß.
Selbst ich, der ich die jungen Kollegen oft als Kabarettmoralist und „talibanesque Spaßbremse“ vor den Medien gewarnt habe, finde mich in letzter Zeit manchmal in Produktionen wieder, bei denen ich mir sage:
„Des derfad iatzt de Luise ned wissen!!“
Aber andererseits.
Wer sucht, der irrt.
Und wer in der Medienwelt hofft, schon zweimal.
Entscheidend ist.
Sucht er weiter.
In sich.
Nach den Wurzeln.
Von ihrer Kindheit weiß ich nicht viel.
Aber wer eine Jugendzeit in Straubing so ungebrochen überlebt, der hat zumindest Kraft.
Kennengelernt habe ich sie im
Fraunhofer.
Sehnsucht, Glück, Angst und Hoffnung.
Das sei der Kontext ihrer Figuren.
Und somit auch ihrer.
Denn in jeder wahrhaftig gespielten Figur steckt der Darsteller selbst.
So steht es in der Jurybegründung.
Das stimmt.
Wie sie vor nun ,mittlerweile“ über zwanzig Jahren als Bedienung im Fraunhofer einem ein Bier hingestellt hat, da schwang schon viel Sehnsucht mit.
Beobachtungslust.
Das Bier war eigentlich nur eine Tarnung.
Hinter dieser Schaumkrone stand bereits eine komplette Kinseher, eine Person, die einem mit einer unverschämten Freundlichkeit ins Visier nahm.
Ein Blick, der eine Mischung war aus Einladung zum Fensterln, angewandtem Geschlechterkampf und Begleitungsangebot auf dem Weg zu Schafott.
„I bring da scho no oane, a zwoa, wennstas vertrogts.”
Und sie brachte die zwei, auch die drei Biere in der Hoffnung, daß ihr da jemand gegenübersaß, der ihrem Spieltrieb gewachsen war.
Und es war ein Blick, in dem damals bereits, neben all den von der Jury erwähnten Eigenschaften noch etwas geschrieben stand.
Etwas noch viel Wesentlicheres.
Nämlich die Sucht.
Nach skurrilen Menschen.
Nach lustvollen Momenten.
Nach Lachen.
Und nach Gestalten.
Und sie stand da, nachdem die Fixierungsphase abgeschlossen war, mit diesem unwiderstehlichen, unausgesprochenen „Und, wia findst mi?!“
Er war also auch schon damals da.
Der unbedingte Begleiter jeder Bühnenexistenz.
Der Exihibitionismus.
Mitsamt seiner unangenehmen Begleitung.
Der Angst, nicht geliebt zu werden.
Dann schrieb sie ihre ersten beiden Programme.
Die mehr waren als Gehversuche in viel zu großen Schuhen, wie es uns eines ihrer ersten Plakate zeigte.
Dort konnte man eine Luise Kinseher erleben, die mit der Form kämpfte.
Ich lernte damals den Theatermenschen Luise kennen und schätzen.
Sie hat es sich und ihrem Publikum nicht immer leicht gemacht.
Sie hat auf verschiedenen Ebenen erzählt,
Walter Sedlmayr auf Rainer Werner Fassbinder sich treffen lassen.
Sie hat die Hölle geöffnet und die Ratlosigkeit.
Da hätte sie bereits den Preis verdient.
Als sie noch nicht unübersehbar und so unendlich vieles zu entdecken war.
Ich jedenfalls empfand es als Geschenk wieder jemanden in unserer Kabarettfamilie zu haben, mit dem man anstelle über Quoten, Besucherzahlen und Familienplanung wieder über Struktur, Form und Inhalte reden konnte.
Es ist nämlich nicht so, daß unser Kabarettgenre überreich gesegnet ist mit Kollegen, die über den halben Meter zur nächsten Pointe hinausdenken.
Luise Kinseher ist in der Lage kilometerweit zu denken.
So weit, daß ihr am Ende wohl oft selbst die Füße weh taten, wenn sie ihr Ziel wieder einmal erreicht hatte.
Das ist anstrengend.
Und dann hat man das Recht sich auch einmal eine Verschnaufpause zu geben.
Den Akku wieder aufladen.
Das Korsett mit der Manege vertauschen, die Figuren laufen lassen und das Publikum in den Arm nehmen.
Dem Affen Zucker und sich selbst ein Schuhbeck Gewürzemenue zu genehmigen.
Und nun bewegt sie sich in der Manege der großen Öffentlichkeit.
Sitzt Moderatoren gegenüber, die ihr nicht das Wasser reichen können.
Bleibt souverän.
Insistiert auf Inhalte.
Verleiht sogar dem Banalen Charme und Glanz und entlarvt es dadurch.
Auch das ist Kunst.
Also?!
Muß die Luise Kinseher das machen?
Oder macht sie es bloß?
Ist da was, was diesen Menschen antreibt, nicht losläßt bis an sein Lebensende.
Etwas Unverwechselbares.
Etwas Unauslöschbares.
Ein Defekt.
Diese Inkompatibilität mit dem Gewöhnlichen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich kann sie und vor allem mich in dieser Frage beruhigen.
Luise Kinseher ist nicht richtig im Kopf.
Luise Kinseher hat diesen Defekt.
Und der wird sie weitertreiben.
Diese originäre Kraft wird uns noch vieles schenken, da bin ich mir sicher.
Wenn sich die formale Gestaltungsenergie ihrer ersten Phase wiedertrifft mit der Spielfulminanz der zweiten und der Öffentlichkeitssouveränität der dritten...dann Gnade uns Gott.
Was heißt Gnade.
Stolz wird er sein, der Herrgott.
Er wird, wenn er dann frustriert auf die restliche, mittlerweile völlig verblödete Schar von Fernsehhumoristen schaut, mit der ihm eigenen Schöpfereitelkeit nur sagen.
Schau her, de Luise.
Manchmoi bring i doch no wos zam.
Und deshalb.
Weil da eigentlich jemand trotz aller Unübersehbarkeit erst aufbricht, noch lange nicht am Ende ist, weil das Fragen und Fühlen, das Leben und das Gestaltenwollen in diesem Prachtweib nie enden wird und weil jede Ermutigung dazu uns immer wieder gut tut.
Deshalb hat es jetzt doch einen Sinn gemacht, eine Laudatio zu halten.
Liebe Luise, ich gratuliere dir....zu dir.
Vielen Dank.
(Foto: @DoSchu)