Dienstag, 28. Oktober 2025

Kluge statt kritische Köpfe – oder: das Ende des Michael-Althen-Preises bei der Frankfurter Allgemeinen

Wie lange währt eine Ehrung? Wie viel Zeit verdient ein Angedenken? Wie lange dauert es, bis man in Vergessenheit gerät? Und wie bedeutsam bleibt man als herausragender Kritiker für die Nachwelt? Kann Kritik über den Erscheinungstag hinaus von Belang sein? Und für wen? Bleibt die veröffentlichte Kritik im kollektiven Gedächtnis, das besprochene Werk, die die Kritik formulierende Person? Oder bilden sie ein Amalgam? 
 
„In vielen deutschen Feuilletons wird der Platz für Film- oder Theaterkritik sukzessive zusammengestrichen. Zu wenig Leser, zu wenig Klicks, zu kompliziert in der Wahrnehmung.Um so wichtiger ist es, dass wir uns einmal mehr daran erinnern, was Kritik eigentlich zu leisten vermag. Für uns als Künstler. Aber prototypisch auch für unsere Gesellschaft an sich. 

Kritik im Sinne eines Michael Althen, der zweifelsohne einer der Genauesten und zugleich einer der liebevoll Subjektivsten seiner Zunft war – und dabei immer ein unermüdlich Suchender. Natürlich ist dabei Kritik nicht gleich Kritik. Denn unter all denen, die kritisieren, gibt es die, die herausstechen. Weil sie nicht nur urteilen, sondern sich einlassen. Weil sie nicht nur kalt beschreiben, sondern dabei sich selbst, ihre Haltung, ihr Denken, ihr Fühlen, zur Verfügung stellen. Weil sie neugierig sind. Weil sie nicht nur werten, sondern suchen. 

Kritik, die sich auf diese Weise einlässt, kann treffen. Sie kann verletzen, sie kann Grenzen überschreiten, und sie kann verstören. Aber sie kann auch stärken, und sie kann überraschen. Und sie kann etwas bewegen. Ich höre sie, und ich nehme sie ernst. Denn sie kann Räume öffnen, die wiederum den künstlerischen Prozess verändern. Räume, in denen eine Diskussion geführt werden kann, eine Debatte. Solche Kritik kann beglücken. Und so kommt es vor, dass ich etwas lese und dabei denke: Möge es doch immer so sein.Und dann hebe ich den Blick und stelle fest: Ist es natürlich nicht immer. Immer seltener in der journalistischen Beschreibung von Kultur, eher immer seltener im Diskurs des Feuilletons. Aber auch immer weniger – so muss man hinzufügen – in der gesellschaftlichen Diskussion.“

Diese Suada, mit der Nico Hofmann vor zwei Jahren beim Michael-Althen-Preis für Kritik die Siegerin Samira El Ouassil feierte, kommt einem nun im Nachhinein wie ein Abgesang vor. Denn der Michael-Althen-Preis, der längst seine eigene Tradition geschaffen hatte, ist plötzlich Geschichte. Zu wenig Resonanz, zu wenig Klicks? Jedenfalls löst ihn der neu geschaffene Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen ab, der gestern Abend zum ersten Mal verliehen wurde.

Und es könnte ausgerechnet der Filmproduzent Nico Hofmann gewesen sein, der daran Schuld trägt. Nico Hofmann, der nicht nur vorletztes Jahr eine Laudatio gehalten hat, sondern den Preis stets „großzügig unterstützt“ hat, wie ein Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen“, Jürgen Kaube (Foto), gestern betonte. Angeblich wollte Hofmann dem immerhin seit 2012 nahezu jährlich verliehenen Althen-Preis überdenken, ihm einen größeren Rahmen verleihen. Die Leute vom Film würden bei Preisen immer gleich an die Oscar-Verleihung denken, von einer Fernsehübertragung träumen, hieß es gestern am Rande der Veranstaltung. Und es war wie die Geschichte vom Zauberlehrling: Am Ende löste möglicherweise gerade Hofmanns guter Wille eine unaufhaltsame Dynamik aus und killte die traditionsreiche Auszeichnung. Denn den Michael-Althen-Preis für Kritik gibt es nicht mehr. 

Es sei Zeit für etwas anderes, modernes gewesen, betonte Kaube in seiner Begrüßungsrede. Heraus kam ein Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen, der laut Einladung „weiterhin in Erinnerung an Michael Althen vergeben“ wird. Auch Nico Hofmann und das Deutsche Theater Berlin sind als Partner weiterhin mit an Bord. Ist also etwa nur Raider in Twix umbenannt worden, und alles bleibt beim Alten?

Keineswegs. Auch die Zutaten haben sich geändert. Die „Frankfurter Allgemeine“ beschönigt es als „Zuschnittsänderung“. Doch statt wie bisher die journalistische Praxis, sprich: die beste im Zeitraum eines Jahres bereits veröffentlichte Kritik auszuzeichnen, schreibt man nunmehr eine Art Aufsatzwettbewerb aus. So wie man es sonst eher von kommunalen Einrichtungen, Sparkassen oder Lokalblättern kennt.

„Dieses Verfahren hat einen Vorteil: Es können sich auch Personen beteiligen, die nicht von Berufs wegen Kritiker, Journalisten oder Professoren sind. Leute, die nicht den ganzen Tag Essays schreiben, sondern anderen Tätigkeiten nachgehen“, betonte Kaube, als ob ausgerechnet die „Frankfurter Allgemeine“ jetzt die Graswurzelbewegung für sich entdeckt hätte.

„Wie viel Zeit braucht die Kunst?“ lautete heuer die jährlich wechselnde Preisfrage und mehr als 200 kluge Köpfe lieferten aus ihrem stillen Kämmerlein auf Verdacht einen Text dazu, bis zu 17.000 Zeichen lang, in der Hoffnung, die 10.000 Euro Preisgeld abzugreifen. „Es wurden Essays eingesendet, Reportagen, Erzählungen und Gedichte.“ Sieben schafften es auf die Shortlist: der Schweizer Schriftsteller Ralph Dutli, die Bamberger Lyrikerin Nora Gomringer, der Fernsehkritiker und Dokumentarfilmer Torsten Körner, der Germanist Bernhard Malkmus, der Berliner Dramatiker Moritz Rinke, die Künstlerin Natalia Roman und der Frankfurter Marketingberater Klaus Rössler. Letzterer gewann denn auch mit seinem Text „Digitale Ruinen - Wie verlassene Pixel die Zeit bezeugen“.

Und statt dass wie bisher die sonst von der Kritik immer Beurteilten, Künstler*innen wie Claudia Michelsen, Anne Berest, Dominik Graf, Hanns Zischler, Tom Tykwer oder Fabian Hinrichs die Preisjury bilden, eben einmal im Jahr den Spieß umdrehen und ihrerseits die Arbeit von Journalist*innen beurteilen, küren nun beim Feuilleton-Preis ausschließlich die „FAZ“-Feuilletonist*innen Sandra Kegel, Niklas Maak, Simon Strauß und Jürgen Kaube den Siegerbeitrag.

Die früheren Jurymitglieder fehlten bei der Premiere des neuen Preises gestern Abend im Deutschen Theater Berlin ebenso wie Claudius Seidl, den Kaube bei seiner Rede als langjährigen Organisator des Michael-Althen Preises für Kritik hervorhob. Selbst eingeladene Gäste wie der Filmproduzent und Filmfunktionär Alfred Holighaus oder der Regisseur Jan Schmidt-Garré, die zugesagt hatten, waren nicht erschienen. Und auch der frisch aus dem Urlaub zurückgekehrte Nico Hofmann glänzte durch Abwesenheit und schickte nur eine Vertretung.

Die „Frankfurter Allgemeine“ blieb bei der Feier sehr unter sich. Dabei war es für die Redaktion dreizehn Jahre lang signifikant gewesen, sich selbst beim Michael-Althen-Preis großzügig zurückzunehmen. Nicht etwa nur bei der Jury, sondern auch, indem man Jahr für Jahr Arbeiten auszeichnete, die nahezu immer von anderen Medien veröffentlicht worden waren: Etwa Sarah Khan und „Cargo“. Willi Winkler und die „Süddeutsche Zeitung“. Hans Hütt und sein Blog „anlasslos“. Rupprecht Podszun und „Nachtkritik“. Kia Vahland und wiederum die „Süddeutsche Zeitung“. Adam Soboczynski und „Die Zeit“. Samira El Ouassil und „Übermedien“.
  
War es das also mit der fortlebenden Erinnerung an den 2011 verstorbenen Michael Althen? Freunde und Familie könnten den Wettbewerb in veränderter Konstellation unter dem Namen Michael-Althen-Preis für Kritik fortführen. Bei der „Frankfurter Allgemeinen“ hätte man laut der Pressestelle nichts dagegen: „Wir freuen uns, wenn der ehemalige F.A.Z.-Filmkritiker über den ihm gewidmeten Feuilleton-Preis der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hinaus in Erinnerung behalten wird.“

Montag, 27. Oktober 2025

Wochenplan (Updates)

Verleihung des Feuilletonpreises der Frankfurter Allgemeinen Zeitung an Klaus Rössler / Deutsches Theater Berlin; Bücher der Kindheit: Lena Gorelik im Gespräch mit Niels Beintker / Schloss Blutenburg; Vernissagen Chantal Akermann u. a.: „… damit das Geräusch des Krieges nachlässt, sein Gedröhn“ / NS-Dokumentationszentrum, „Das Schatzbuch von St. Emmeram“ / Bayerisches Nationalmuseum, Yolanda Dorda: „[Fragmented Identity]“ (Foto) / Stephan Stumpf und Jakob Forster, Giulietta Ockenfuß, Daniel Giles, Marta Riniker-Radich & Philipp Schwalb: „Surfaces as Communicative Einrichtung“ / PiP; „Rise & Fall of 1860 München“ / ARD-Mediathek, Bayerisches Fernsehen & ARD; „Secret Nights, Secret Bites“ / Neni; Verleihung des Bürgerpreises / Maximilianeum; Panel Discussion „New Modes VII – Deep Connections“ mit Sissel Tolaas, Jan Plecháč & Sonja Pham / Pinakothek der Moderne; Schaufensterpräsentation „Das Bachfest“ / Ludwig Beck; Buchpräsentation und Podiumsgespräch mit Sebastian Peters, Cornelia Jahn & Magnus Brechtken: „Hitlers Fotograf Heinrich Hoffmann – Der Propagandist mit der Kamera“ / Bayerische Staatsbibliothek; „Dieter Dorn zu Ehren“ – ein Abend mit Sibylle Canonica, Jens Harzer, Georg Holzer, Sunnyi Melles, Tobias Moretti, Gerhard Polt, Georg Ringsgwandl, Roland Schimmelpfennig, Stofferl Well und seinen Brüdern & Jörg Widmann / Bayerische Akademie der Schönen Künste; Talk im Wirtshaus mit Eva Haubenthaler, Joachim Herrmann, und Artur Wagner zum Thema „Frieden und Sicherheit mit Waffen?“ / Michaeligarten; Public Possession: „Big Laughing Club“ / Haus der Kunst; „Dawn of the Death of Arts“ / Motorama; The Death of Psychedelic Porn Funk / Import Export;  TSV 1860 München vs. FC Energie Cottbus / Grünwalder Stadion & Bayerisches Fernsehen; Spielart Festival: Abschlusskonzert mit Pollyester / Ampere; #Stadtbild: Kundgebung gegen Spaltung und Rassismus / Odeonsplatz; Albert Ostermaier präsentiert seinen Pasolini-Roman „Die Liebe geht weiter“  / Marstall

Montag, 20. Oktober 2025

House of Arts – Die Kunst auf den Münchner Medientagen (Updates)

Münchens wohl bestbesuchte Kunstausstellung diese Woche ist gar keine. Und natürlich kommen die über 5000 Besucher*innen nicht wegen der im House of Communications am Ostbahnhof herumstehenden oder hängenden Werke zu den Medientagen. Aber spätestens in der Kaffeepause hört man oft die Frage, ob man wisse, von wem das Werk stammt, vor dem man gerade steht. An den Bildern und Skulpturen führt während der drei Tage kein Weg vorbei. Und ein langjähriger Paradegast der Programmschiene beklagte sich neulich bei mir sogar, dass die Kunstwerke ein Problem seien, weil man ständig darauf Rücksicht nehmen müsse und nicht mehr so frei walten und schalten könne wie an der früheren Location, dem Internationalen Congress Center in der Messestadt.

Kunst ist schön, aber eben auch eine Herausforderung. Gerade wenn sie nicht bei den Unternehmer*innen daheim oder im Vorstandsbüro hängt, sondern für alle Mitarbeiter*innen und Besucher*innen sichtbar präsentiert wird. Was wäre auch Burda während meiner Zeit dort ohne den Warhol im Verlagsentrée gewesen. Oder die Lobby des BMW-Hochhauses ohne Gerhard Richters „Rot - Gelb - Blau“, denen die Jahrzehnte mit Publikumsverkehr aber letztendlich so sehr zusetzten, dass sie restauriert und verglast werden mussten.

Bei Aktienunternehmen wie der Deutschen Bank oder Hypo-Vereinsbank werden Teile der Kunstsammlung irgendwann verscherbelt. Bei inhabergeführten Unternehmen bildet sie vielleicht den Grundstock für ein oder mehrere Museen.

Die Kunstsammlung der Serviceplan-Granden Florian und Peter Haller im House of Communications verzichtet auf jeden musealen Ansatz. Ziemlich ungeschützt und ohne jede Nennung der Künstler*innen, Titel und Entstehungsjahre sind die rund 150 von Thaddaeus Ropac kuratierten Werke einfach da, wie selbstverständlich in den Arbeits- und Tagungsalltag integriert. Auf dem Foto hier zum Beispiel Antoni Tàpies' „Retrat de K“ aus dem Jahr 2002 über den Tassen für die Kaffeepause. 110 Kunstwerke sind während der Medientage zugänglich, und wer die 369 bis 1290 Euro für das Kongressticket scheut: Es werden das Jahr über „exklusive“ Führungen durch die Kunstsammlung angeboten.

Insgesamt umfasst die Privatsammlung der Hallers rund 250 Werke, darunter Werke von Anselm Kiefer, Georg Baselitz, Gerhard Richter, Emil Nolde, Tony Cragg, Alex Katz, Francis Bacon, Rainer Fetting, Victor Vasarely oder Rupprecht Geiger. 

„Wenn der Ton ausfällt, können Sie 20 Sekunden lang Kunst anschauen. Das hat kein anderer Tagungsort in der Welt“, so Gastgeber Stefan Sutor von der Medien Bayern GmbH in seinem Schlusswort auf den Medientagen dieses Jahr.

Hier ein paar Eindrücke und Zuordnungen von den letzten Medientagen und heuer:

Das sieht nach einer Skulptur von Stephan Balkenhol aus. Es gibt noch einige mehr von ihm, denn „wir haben Portraits unserer Kolleg:innen vom weltweit bekannten Bildhauer Stephan Balkenhol anfertigen lassen. (…) Die Werke haben nun einen besonderen Platz im Herzen unseres House of Communication München.“

Stephan Balkenhol: „Ohne Titel“, 2022. Porträts von zwölf vom Künstler ausgewählten Serviceplan-Mitarbeitenden. 

Julian Opie, „Lucia 5“, 2017.


Julian Opie: „Women Taking off Jeans“, 2003. 

Julian Opie: „Flight Attendant and Solicitor“, 2015.

A. R. Penck: „Überflug“ und „Tanzender Troll“, 1997.

A. R. Penck: „Spirit of Europe“.

A. R. Penck.


Hans Joachim Volbracht.

Hans Joachim Volbracht.


Alexander Calder: „Looped Red“, 1974.

Jonathan Meese: „Erzkunst-Macht-K.U.N.S.T.!“, 2020.

Jonathan Meese.

Jonathan Meese: „Keinen Menschenkult, bitte ihr Menschlein, nein, nein, nein“, 2008

Jonathan Meese: „Balthysmeese IV“, 2001.

Cailyn Dawson: „Sunset“, 2022.

Ernst Wilhelm Nay: „Comet“, 1964 und „Metagrün“, 1963.

Gabriel Holzner: „We Had a Hell of a Run 4“, 2022

John Hoyland: „Hating and Dreaming“, 1990.
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Antoni Tàpies: „Ohne Titel“ aus „Suite Catalana“, 1972.

Joan Miró: „La Captive“ und „La Dentellière“, 1969.

Daniel Richter: „Mühen der Ebene“ und „Beschlossene Feindschaft“, 2023.

Daniel Richter: „Seele, heimatlos etc.“, 2023.

Sean Scully: „Blue Yellow“, 2023.

Sean Scully: „Paris Yellow“, 2021.

Anselm Kiefer: Werkgruppe „Für Walther von der Vogelweide“, Memento Mori, 2019. 

Anselm Kiefer: „Maria im Rosenhag“, 2006.

Anselm Kiefer: „Die Blätter fallen, fallen wie von weit“, 2022.

Anselm Kiefer: „Geheimnisse der Farne“, 1996–2000.

Georg Baselitz: „Häßliches Porträt 1“, 1987–1988.

Georg Baselitz: „Schönes Porträt 2“, 1987–1988.

Georg Baselitz: „Tre Dite“, 2010.

Georg Baselitz: „Der Maler hinterm Gartenzaun“, 2013, und „Elke“, 2012.

Antoni Tàpies: „Suite Catalana“, 1972.

Bernhard Schultze: „Verschränktes Kauderwelsch“, 1991.

Rupprecht Geiger: „Metapher Zahl 0–4“ und „Metapher 5–9“, 1985–1989.

Joseph Albers: „Homage to the Square“, 1950.

Otto Ritschl: „Komp. 57/18“, 1957.

Rechts: Otto Ritschl: „Komp. 65/21“, 1965.

Wochenplan (Updates)

Kirchweihdult / Mariahilfplatz; Feierliche Eröffnung des Max-Planck-Instituts für Innovation und Wettbewerb / Herzog Max; Bürgerversammlung Maxvorstadt / St. Markus; Queer Film Festival; Podiumsdiskussion „Will München Olympia? Was bringen die Spiele?“ mit Ludwig Hartmann, Clemens Baumgärtner, Lukas Dauser und Michael Teuber / Presseclub; Preview„Bubbles“ und Filmgespräch mit Regisseur Sebastian Husak, Darsteller Leonard Scheicher, Autor Leonard Hettich und den Produzent*innen Tanja und Andreas Schmidbauer / Monopol; Foyer-Dialog: „Zukunftsstrategie  Gebäudetyp-e“ / Bauministerium; Press Day Plant Based / Kustermann; Presseaktion „So viel Platz nehmen Olympic Lanes ein“ / Professor-Huber-Platz; 14 neue Erinnerungszeichen / Barer Straße 86, Oskar-von-Miller-Ring 18, Kaulbachstraße 33, der Franz­-Joseph­-Straße 41 und Elisabethstraße 30 sowie Gedenkveranstaltung / Goethe-Institut; Feierliche Eröffnung des SAP Munich Business Office / Garching; Vernissagen Preselection „Tacker 2025“  / Galerie der Künstler*innen, „Corinth werden! Der Künstler und die Kunstgeschichte“ / Zentralinstitut für Kunstgeschichte, „Long Story Short“ & „Confrontations“ / Brandhorst, „Brechts Karthago“ / Kunstpavillon und „Fix it! Umbau statt Abriss“ / BDA; William Fan Pop-up-Store / Luitpoldblock; Trauerfeier Conrad Schuhler / Nordfriedhof; Medientage München / House of Communications; Pressegespräch „Fake News – und wie man sie verhindern kann“ mit Nadine Wiechatzek, Jürgen Falter, Klaus Kelle, Sandro Kirchner und Ralf Schneider / Presseclub; Konferenz und Staatsempfang „100 Years of Quantum - from Theory to Transformation” / Bayerische Akademie der Wissenschaften & Residenz; Verleihung der Blauen Panther / BMW-Welt; Erstverkaufstag „Asterix in Lusitanien“; Scandinavian Media Day / Goldberg-Studios; Michel Friedman spricht mit Katrin Eigendorf über Chaos / Kammerspiele; Bayerischer Print-Preis / Allerheiligen-Hofkirche; Anika / Rote Sonne; Winzerverkostung Lugana / Villa Flora; Presselunch applied AI / House of Communications; Trauerfeier André Grünewald / A.E.T.A.S., SV Waldhof Mannheim vs. TSV 1860 / Bayerisches Fernsehen; Super Books / Haus der Kunst; Toni & Max Uthoff / Leo 17; Neuhauser Musiknacht; Zeitumstellung; Pornfilmfestival Berlin / Moviemento, Colloseum & Babylon Kreuzberg; Ukrainian Filmfestival / Silent Green Berlin; Berliner Herbstsalon: „The Mother Tongue“ & „Z-Sauce“ / Palais am Festungsgraben; International Roma Theaterfestival: „Common Tongue II“ / Grüner Salon der Volksbühne; „Nachtblau – Chansons für Abwesende“: Meret Becker (Foto) & Dietmar Loeffler interpretieren Barbara / Tipi am Kanzleramt; Start der 10., Jubiläumsstaffel von „Wer stiehlt mir die Show?“ mit Karoline Herfurth, Olli Dittrich, Olli Schulz und Joko Winterscheidt / Pro Sieben & Joyn; Paulita Pappel u. a.: „Fetish Porn Shorts“ / Babylon Kreuzberg; Preisverleihung und Abschlussparty des Pornfilmfestivals / Monarch Bar

(Foto: Barbara Braun/Tipi am Kanzleramt)

Montag, 13. Oktober 2025

Zeitungsverleger Martin Balle fordert, die Reichen verstärkt zur Verantwortung zu ziehen

 
Als „Brandrede“ bezeichnet die „Süddeutsche Zeitung“ die Rede des Verlegers Martin Balle („Abendzeitung“, „Straubinger Tagblatt“) letzte Woche anläßlich der Eröffnung seiner Medien- und Bildungsakademie Attenkofer in Straubing. 

Balle beschränkte sich dabei keineswegs auf publizistische Themen, sondern feuerte eine Breitseite auf die aktuelle Sozial- und Rentenpolitik der Bundes- und Landesregierung und forderte, mehr Reiche wie seinesgleichen zur Verantwortung zu ziehen: „Wir müssen weg davon, dass wir die vielen gebrochenen Existenzen, die im Bürgergeld sind, dafür verantwortlich machen, dass der Staat nicht mehr funktioniert. Das ist ein bisschen primitiv und ein bisschen ordinär.“

„Seehofer hat neulich einen Vortrag gehalten, wie man die Staatsfinanzen sanieren kann, und gesagt, es reicht, wenn man entbürokratisiert. Das ist natürlich Blödsinn und trotzdem ein Teil der Wahrheit. Also das reicht nicht. Das ist ungefähr so, wie wenn man glaubt, man ist Sportler, wenn man nicht mehr raucht.“

„Ich finde es ein bisschen absurd, dass, wenn man die Staatsfinanzen sanieren will, dass man dann zu den Armen geht. Ich bin Kaufmann, wenn ich ein Geschäft machen will, gehe ich doch zu den Reichen und nicht zu den Armen. Die Fachleute sagen alle, ein Prozent dessen, was gebraucht wird, man da holen kann. Das ist absurd, dass man da anfängt.“

Balle sprach auch, Dieter Wyss zitierend, die Raubtiernatur des Menschen und insbesondere der oberen zehn Prozent an. „Dass jeder Mensch immer, und die Politiker wissen's als erstes, immer eine Raubtiernatur in sich hat. Sonst würde man nicht Parteivorsitzender der CSU werden, wenn man nicht auch ein Raubtier wäre. Man würde auch nicht Verleger werden, keine Sorge, und sich im Markt oben halten können. Aber hinter der Raubtiernatur gibt's die Möglichkeit, sich ins Gute hinein immer neu zu entwickeln.“

Wochenplan (Updates)

„Olympia als Chance – Mehrwert für Wirtschaft, Umwelt und Gesellschaft“: Vorstellung der Kurzanalyse zur Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit der Olympiabewerbung 20XX in München / Munich Urban Colab; Vernissagen „Max I. Joseph und die Frauen“ / Bayerisches Hauptstaatsarchiv, „Shifting the Silence. Die Stille verschieben“ / Lenbachhaus, Helmut Newton: „Polaroids“ / Kunstfoyer, „Vulvae*((;))“ / iRRland 2, „Zimmer frei“ / Mariandl, Cyprien Gaillard: „Wassermusik“ / Haus der Kunst, Luci van Org, Copper Head, Golem & Andreas Hirsch: „Modern Witchcraft“ / Sub, Amélie Esterházy: „Geometry of Disappearance“  / Center of Advanced Studies, Micaiah Carter: „Tender Heart“ / Amerikahaus und Wolfgang Tillmans: „Passages Silencieux“ / Espace Louis Vuitton; Verleihung der Bayerischen Tourismus- und Heimatpreise / Allerheiligen-Hofkirche; Ines Anioli: „Danzing Kween“ / Deutsches Theater; Hazel Brugger / Circus Krone; LiX mit Noëlle Kröger, Lilian Robl & Sina Scherzant / HochX; Einweihung der Feuerwache 5 Ramersdorf; Yungblud / Zenith; Buchpremiere Joana Osmon: „Frieden. Eine reale Utopie“ / Marstall; Podiumsdiskussion „2005-2025: Sozialstaat im Wandel – von Hartz IV bis neue Grundsicherung“ mit Christa Stewens, Andrea Nahles & Ulrike Scharf / Sozialministerium; „40 Jahre Münchner Regionalvertretung der Europäischen Kommission“ mit einem Vortrag von Viviane Reding / Altes Rathaus; „Freiheit auf Vorrat? Streitpunkt Vorratsdatenspeicherung in Deutschland“ mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Michael Ruoff & Sebastian von Bomhard / Presseclub; „Sold City – Der marktgerechte Mieter“ – Kinoabend & Diskussion / Rio-Filmpalast; Radu Judes „Dracula“ in Anwesenheit des Darstellers Neil Young / Werkstattkino; „The Diplomat“ season 3 / Netflix; Eröffnung des Stadtteilzentrums Neue Ziegelei; Eröffnung Nice Dining; Lö Lump & Mazena / Stattpark Olga; 50 Jahre Stadtkultur Bayern – Jubiläumssymposium „Kultur für die Stadt und darüber hinaus“ / Finanzministerium Nürnberg; Wiedereröffnung der Villa Stuck; Queer Film Festival / City, Glockenbachwerkstatt, Arena, Neues Maxim, Theatiner & Kammerspiele; Jubiläumswochenende Zehn Jahre Bahnwärter Thiel; Kirchweihdult / Mariahilfplatz; Eröffnung des Dallmayr Coffee Club; Lunch Break mit Amélie Esterházy anläßlich ihrer Ausstellung „Geometry of Disappearance“ / CAS; Einjähriges des Public-Possession-Ladens / Luitpoldblock; „Die Rückkehr der Föhrenwalder“: 80. Jahrestag der Gründung des jüdischen Displaced-Persons-Lagers Föhrenwald / Badehaus Wolfratshausen-Waldram; Alfred Pfabigan: „Oscar Wilde und Alfred Douglas“ / Sub; Alicia Edelweiß / Milla; Soap & Skin (Foto) / Werk 7; „Wer stiehlt mir die Show“ – Start der 10. Staffel / Pro Sieben & Joyn

Mittwoch, 8. Oktober 2025

Montag, 6. Oktober 2025

Agora (12): Sabine Leutheusser-Schnarrenberger über Annette Ramelsberger

Alle drei Jahre wird der Publizistikpreis der Landeshauptstadt München verliehen. Heuer wurde die Gerichtsreporterin der „Süddeutschen Zeitung“, Annette Ramelsberger, damit ausgezeichnet. Ihre Dankesrede anläßlich der Preisverleihung im Literaturhaus hat die „SZ“ online gestellt. Hier die Laudatio, die die mehrmalige Bundesjustizministerin und FDP-Bundestagsabgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hielt:

Es ist für mich eine große Ehre, zur Verleihung des diesjährigen Münchner Publizistikpreises die Laudatio halten zu dürfen. Und es ist mir eine besondere persönliche Freude, weil ich die diesjährige Preisträgerin Annette Ramelsberger seit langem in ihrer journalistischen Arbeit kennen und schätzen lernen konnte.

Es wird heute mit dem Publizistikpreis nicht nur eine engagierte, erfahrene, fachlich überaus versierte Journalistin ausgezeichnet, die seit bald 40 Jahren ihrem Beruf mit großer Leidenschaft nachgeht und große Wertschätzung im Kollegen- und Verlagskreis und in der Leserschaft der SZ geniesst. Sondern es geht mit ihrer Auszeichnung auch um die Würdigung der verfassungsrechtlich geschützten Pressefreiheit und die Arbeit der unabhängigen Medien, die Voraussetzung für eine informative Berichterstattung sind.

Und es geht um die Auszeichnung des seriösen, faktenbasierten Journalismus, den Annette Ramelsberger so hervorragend verkörpert. Der auf sorgfältige Recherche und Investigation setzt. Das ist das exakte Gegenteil der allein meinungsgetriebenen Berichterstattung, die sich die Realität so dreht, bis sie in das eigene Vorstellungsbild passt.

Nie war es so wichtig, Presse und Medien in ihrer Bedeutung für die liberale Demokratie zu stärken. Denn noch nie ist ihre Unabhängigkeit weltweit so unter Druck geraten, wird sie inhaltlich von autokratischen Machthabern auch in europäischen Mitgliedstaaten angegriffen und versucht zu zerstören. Aber auch von zivilgesellschaftlichen besonders rechtspopulistischen Parteien und Akteuren wird immer stärker die Arbeit unabhängiger Medien beschimpft und die Journalisten und Journalistinnen verbal und auch körperlich angegriffen. Auch hier in Deutschland.

Der Vorwurf der angeblichen „Lügenpresse" gehört zum Standardrepertoire der AfD. Im Klartext heißt das, dass der öffentlich rechtliche Rundfunk als Staatsfunk, als System-Medien diffamiert wird und von gekauften Journalisten vom „gleichgeschalteten journalistischen Establishment“ im Fernsehen, Rundfunk und in den Zeitungen die Rede ist – vor allem dann, wenn es um Themen wie Flucht, Terrorismus und Integration geht.

Dabei zeigt sich deutlich die übergeordnete Funktion des Begriffs „Lügenpresse“, denn gemeint ist nicht, dass sich die Presse (die es eigentlich nur im Plural gibt) hin und wieder täuscht, dass eine Zeitung oder Sendung manchmal falsch liegt, was nicht immer vermieden werden kann. Gemeint ist, dass „die da oben“ systematisch mittels der Presse manipulieren und zu ihrem Vorteil „das Volk“ betrügen (sollen). Der Begriff hat ein verführerisches Identifikations-Potential, das sich für die Mobilisierung von Anhängerinnen und Anhängern gut eignet: Wir gegen die!

Die Stimmung in Deutschland wird zu bestimmten Themen von den Rändern bewusst aufgeheizt. Die Ausübung des Journalistenberufs ist schwieriger und auch gefährlicher geworden. Journalisten werden nicht mehr als neutrale, objektive Beobachter gesehen, sondern parteiisch auf der Seite der sogenannten Elite, die sich den Staat untertan mache. Medien werden von manchen zum Schlachtfeld gemacht. Hass und Hetze gegen Journalisten in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien sind leider nicht mehr hinweg zu denken. Auf manchen Demos brauchen die Journalisten Schutz von der Polizei. Je nach inhaltlicher politischer medialer Berichterstattung sind Journalisten massiver Kritik ausgesetzt. Das gab es zu Beginn der Arbeit von Annette Ramelsberger in den 80iger Jahren in dieser Dimension noch nicht. 


In der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit 2025 von Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Deutschland den 11. Platz weltweit, ganz gut, aber ein Rückschritt um einen Rang im Vergleich zum Vorjahr. Deutschland fällt damit aus den Top Ten der Länder mit der höchsten Pressefreiheit. Gründe dafür sind unter anderem das zunehmend feindliche Arbeitsumfeld für Journalisten, insbesondere durch Angriffe aus dem rechtsextremen Milieu, sowie der anhaltende wirtschaftliche Druck auf Medienhäuser.

In den USA wird aus dem Weißen Haus gezielt gegen Journalisten öffentlich Stimmung gemacht und sie werden an den Pranger gestellt. Das trifft auch deutsche Journalisten im Ausland, wie zum Beispiel vom ZDF (Elmar Theveßen und Dunja Hayali), deren Abberufung von Trump persönlich gefordert wird. Eine ungenierte staatliche politische Einmischung in die Pressearbeit, wie ich sie mir in Deutschland auch heute nicht vorstellen kann. Platz 57 für die USA in der Liste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen ist auch angesichts des wirtschaftlichen Drucks auf Zeitungen, Fernsehen und soziale Medien noch zu positiv.

Jede Kritik an der Regierung ist nach diesem Verständnis schon fast als terroristischer Akt zu bewerten. Meinungsfreiheit verstehen die Rechtspopulisten nur für ihre Auffassung und Äußerungen. Kritik, gegenteilige Meinungen und Fakten sind „illegal“.

Vor diesem Hintergrund ist die Pressefreiheit längst nicht mehr selbstverständlich. Sie ist nicht mehr unumstritten. Und Berichterstattung mit Bezug zu aktuellen Themen kann sehr schnell und nicht steuer- und kontrollierbar zu heftigen Reaktionen bis zum Shitstorm verbunden mit Drohungen und persönlichen Beleidigungen führen. Das erleben besonders Frauen.

Und ein so verändertes gesellschaftliches Klima kann auch dazu führen, dass Journalisten eine Schere im Kopf haben und sich überlegen, wie sie zu bestimmten Themen berichten, um mögliche Hetze und Diffamierung zu vermeiden. Diese Selbstkontrolle/Selbstzensur kann sich auch negativ auf die objektive Berichterstattung auswirken.

In dieser gesellschaftlichen Stimmungslage arbeitet unsere Preisträgerin und sie ist sich dessen voll bewußt. Sie befasst sich mit vielen Themen, die zum Schüren von Ängsten instrumentalisiert werden können und auch werden, die Emotionen schüren, zu Hass und Hetze führen und die sehr aktuell sind: Rechtsextremismus, Faschismus, Antifa, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Terrorismus. Und Wackersdorf nicht zu vergessen.

Die gesellschaftlichen Entwicklungen in ihren zeitlichen Veränderungen schlagen sich in ihrer Arbeit auf einmalige Weise nieder. Voller Empathie, immer mit einem besonderen Zugang zu den Personen, mit einem einzigartigen Blick auf Hintergründe, Stimmungen und Zusammenhänge.

Sehr häufig sind Gegenstand ihrer Gerichtsreportagen die Taten von Rechtsextremisten wie beispielsweise des Norwegers Andreas Breivik und der Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, Mitglieder des NSU. Das Strafverfahren gegen Franco A, der als Bundeswehrsoldat Terrortaten plante, weil er davon überzeugt war, dass Deutschland von Innen - von Ausländern, Muslimen zersetzt würde. Dafür stand für ihn die Amadeu Antonio Stiftung mit ihrer damaligen Geschäftsführerin Annetta Kahane, die er für sich zum Feindbild erklärte.

Als politische Journalistin und Gerichtsreporterin hat sich Annette Ramelsberger sehr schnell einen herausragenden Ruf erworben.

Sie berichtet nicht im üblichen Stil von Gerichtsverhandlungen, also vom Ablauf, den einzelnen Elementen wie Anklageverlesung, Zeugenvernehmung und Urteilsverkündung, Ihr geht es um die gesellschaftlichen Hintergründe. Sie will nicht die Menschen in den Strafprozessen als ausschließlich Kriminelle sehen und sie so darstellen. Jedes Gerichtsverfahren spiegelt auch ein Schicksal wider, selbst verschuldet oder nicht. Und sie ordnet die den Gerichtsverfahren zugrunde liegenden Verhaltensweisen und Rechtsverstöße ein – gesellschaftspolitisch, sozial, justizpolitisch, ob sie dem Gerechtigkeitsanspruch Rechnung tragen und ob das im Namen des Volkes gesprochene Urteil von diesem auch verstanden werden kann.

Und es geht ihr um die Opfer. Anders als im Krimi, lässt sie nicht verbal das Blut spritzen, beschreibt nicht Waffenkaliber, schildert nicht Gänsehaut verursachende Tötungsvorgänge. Sie will nicht wohliges Gruseln erzeugen, sie will aus der Sichtweise der Opfer aufzeigen, wozu rechtsextremistische, fremdenfeindlich gesinnte Täter in der Lage sind und was das für die Opfer bedeutet. Es mag ein einmaliges schreckliches Ereignis gewesen sein, die Nachwirkungen können lebenslang sein. Wie es auch immer gesellschaftliche Entwicklungen sind, die Hintergrund für Haltungen und Taten sein können. Vor Gericht wird auch die Gesellschaft verhandelt, wie es die Preisträgerin sagt.

Ihre Berichterstattung zeigt sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, unfassbare Taten wie die des Massenmörders Breivik und beeindruckende, ja fast beschämend mutiges Verhalten von Opfern, die nach Todesangst und schwersten Verletzungen im Prozess als Zeugen aussagen.

Andreas Behring Breivik, ein rechtsterroristischer und islamfeindlicher Massenmörder, beging am 22. Juli 2011 Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, davon 69 Teilnehmer eines Zeltlagers der Jugendorganisation der Arbeiterpartei.

Bei der Berichterstattung über solche Taten, die nur unmissverständlich verurteilt werden können und für die es keine Rechtfertigung gibt, haben Journalisten eine besondere Verantwortung – die Information der Öffentlichkeit ist in unserer Gesellschaft ein wichtiges Gut, aber genauso ist darauf zu achten, dem rechtsextremen Breivik nicht die mediale Bühne zu geben, die er so sehr anstrebt. Bis heute aus dem Gefängnis.

Annette Ramelsberger ist das gelungen, in dem sie die Überlebenden zu Wort kommen lässt. Und mit deren Worten die Brutalität und Menschenverachtung dieses Kriminellen mit ausgeprägter rechtsextremistischer Gesinnung darstellt.

Manche Gerichtsverfahren machen auch Jahrzehnte nach der/den Taten neugierig. Mir ging es so, als ich den Bericht von Annette Ramelsberger zu einer der vielen Anklagen gegen den in den 70-/80iger Jahren gefährlichsten Terroristen der Welt Carlos gelesen habe. Seine Mordserien, seine Verachtung gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, auch gegenüber den eigenen Mitstreitern wie den RAF-Terroristen Weinrich und gegen die deutsche Freundin, die er dem Kumpel Weinrich ausgespannt hat. Dominant, herrisch, unterdrückend.

Über die Terrortaten konnte man viel lesen, über das Innenleben und den Umgang der Terroristen miteinander eher wenig. Auch das hilft beim Einordnen und erlaubt einen Blick auf die unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen. Ans Herz wachsen sie einem nicht.

Für Ihre Berichterstattung zum NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe hat Annette Ramelsberger 2019 gemeinsam mit ihrem Team den Nannen-Preis erhalten, zudem die Auszeichnung als „Reporterin des Jahres“ (2014), als „Team des Jahres“ 2019 und 2020 die Auszeichnung der Stadt Kassel, den „Kasseler Demokratie-Impuls“. Sie hat akribisch Protokoll der über 400 Verhandlungstage geführt. Denn sonst gäbe es keins. Das Gericht hätte keins erstellt, ein nicht nachvollziehbarer Vorgang und ein Versagen. Hoffentlich gibt es bald die schon lange diskutierte elektronische Aufzeichnung der mündlichen Verhandlungen. Ihr Buch „Der NSU-Prozess. Das Protokoll“ (gemeinsam mit drei KollegInnen) gilt als Standardwerk.

Mal einen ganz anderen Blick hat Annette Ramelsberger auf die Familien der beiden Täter geworfen, es ist erschreckend, in welchem Ausmaß die Eltern der beiden Uwes Ignoranz, Desinteresse, Wegschauen und Verharmlosen an den Tag gelegt haben. In so einem sozialen familiären Umfeld, in dem es keine beruflichen Brüche mit dem Fall der Mauer gab, gibt es so gut wie keine Widerstände gegen die sich rechtsextremistisch radikalisierenden jungen Menschen, keine Gespräche über diese Geisteshaltung und ihre Gefahren. Kein wirkliches Interesse an ihren politischen radikalen Haltungen. Solange der Sohn die Anordnungen der Eltern zum Beispiel zum Rasenmähen gehorsam befolgte, war für die Eltern alles in Ordnung. Ein guter Sohn. So konnten die Mörder noch nicht einmal ein schlechtes Gewissen ihren Eltern gegenüber entwickeln. Dass die Eltern von Uwe Böhnhardt noch Jahre lang Kontakt zu den Mördern im Untergrund pflegten, grenzt schon fast an Unterstützung von Straftätern. Aber nicht die mögliche Strafbarkeit dieses Verhaltens entsetzt, sondern diese Art von Kumpanei, die Verantwortungslosigkeit, die Offenheit gegenüber den abstossenden rassistischen Einstellungen der Söhne und die Arroganz, das Versagen an einer Verhinderung weiterer Morde allein den Sicherheitsbehörden zu zuschieben. Die haben sich überhaupt nicht mit Ruhm bekleckert, auch nicht bei den Ermittlungen nach dem Tod der Mörder und der Festnahme der Dritten im Bunde. Aber die Eltern hätten mit einer Anzeige eine frühere Festnahme ermöglichen und wohl einige Morde verhindern können. War es das jahrelange Leben im Unterdrückungsstaat DDR mit einer allgegenwärtigen Staatssicherheit, das sie davon abhielt?

Annette Ramelsberger sagt es so: „Man muss Brigitte Böhnhardt vor Gericht erleben, um zu verstehen. Hier sitzt die Intelligenzija der früheren DDR, aufgewachsen in dem sicheren Gefühl, dass es Neonazis nur im Westen gibt. Und dass ihre Welt geordnet ist. Vor allem das Schulsystem der DDR, das sie geprägt hat. Dann wurde dieses System einfach zerschlagen. Aus diesem Schlag heraus erklärt die Mutter alles, was mit ihrem Sohn geschehen ist. Es ist das Erklärmuster der Kolonisierten, die alles Übel auf die Sieger schieben.“

Nur Annette Ramelsberger hat den Leserinnen und Lesern diesen Einblick in eine spezifische individuelle ostdeutsche Befindlichkeit gegeben und das treffend formuliert.

Bei ihrer Befassung mit dem Rechtsextremismus, den daraus gespeisten Menschenwürdeverletzungen und seinen Ausdrucksformen zeigt sie auch die Hilflosigkeit mancher Politiker in der Auseinandersetzung mit Neonazis, mit früheren Mitgliedern der NPD, mit deren selbstbewußter Frechheit, gegen die eine klare Ansage helfen kann, aber nicht das Anbiedern nach dem Motto – ich bin ja auch eher rechts der Mitte. Bis heute ist in der Schule und der politischen Bildung die inhaltliche argumentative Befassung mit der völkischen Ideologie vernachlässigt worden.

Annette Ramelsberger hat schon vor mehr als 20 Jahren die Gefahren des Rechtsextremismus für die liberale Demokratie erkannt, benannt und vor allem nicht nur extreme Situationen als Grundlage für ihre Einschätzung gewählt, sondern hat die Präsenz rechtsextremer Zeichen, Tätowierungen, Äußerungen, Graffities, verbale Angriffe im Alltag aufgezeigt und damit auch nachdrücklich die Gefahren.

Auch der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten beruht auf ganz grundsätzlicher Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und nährte sich aus dem Eintreten des Opfers für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geflüchteten.

Leider sprengt es den zeitlichen Rahmen, intensiver auf sehr bemerkenswerte Berichte einzugehen. Aber einen möchte ich noch erwähnen. Ihren ganzseitigen Artikel zu dem Verfahren gegen Hanna S., Mitglied der Antifa und nach Gerichtsurteil des OLG München vor wenigen Tagen Beteiligte an der gezielten Schlägerei gegen einige Neonazis in Budapest bei deren jährlichem Aufmarsch zum „Tag der Ehre“.

Annette Ramelsberger hat ihren Artikel in der SZ vor der Urteilsverkündung gute Gewalt, schlechte Gewalt überschrieben. Wird gegen rechtsextreme Taten nicht so hart geurteilt wie bei linksextremistisch motivierten Taten? Es ist gut, dass sie diese Betrachtung anstellt. Die Richter haben den Bericht möglicherweise gelesen. Bei der Urteilsbegründung sagte der Richter: Es gibt keine gute oder böse Gewalt. Gewalt darf nie ein Mittel der Auseinandersetzung sein. Hanna S. wurde am 26. September nicht wie beantragt wegen versuchten Mordes zu 9 Jahren, sondern wegen schwerer Körperverletzung zu 5 Jahren verurteilt.

Annette Ramelsberger zeigt aber auch, wie die Justiz den Gerichtsreporten das Leben schwer macht. Laptop benutzen während der Gerichtsverhandlung? Gar nicht selbstverständlich. Das Tastenklappern störe, musste sich Anette Ramlesberger vom Richter anhören. Dass sie bis zum späten Nachmittag ihren Bericht der Redaktion übermitteln muss und das nicht mit dem Fahrrad zur Redaktion fahren und dem Tippen auf der Schreibmaschine zu erreichen ist, ist vielen in der Justiz nicht bewusst.

Annette Ramelsberger erklärt mit ihrer journalistischen Arbeit auch den Rechtsstaat, seine wichtige, unverzichtbare Voraussetzung für eine liberale Demokratie. Sie wirbt für ihn, in dem sie seine wichtige Funktion erklärt – Recht zu sprechen ohne Ansehen der Person, für Gerechtigkeit einzustehen. Sie wirbt für den Rechtsstaat durch seine Sichtbarmachung anhand konkreter Verfahren, erklärt auch Unzulänglichkeiten wie lange Verfahrensdauer, überfüllte Gerichtssäle und Störungen während der Verhandlungen, und sie zeigt die häufig unterschätzte Kompetenz und Fähigkeit der Richterinnen und Richter.

Nach den Anforderungen an den Preis soll die Ausgezeichnete zu einer positiven Sicht auf die Stadt ihres Wirkens als Medienstadt  beitragen. Da braucht es kein langes Überlegen. Was ist positiver als eine Vertreterin der ansässigen Zeitung auszuzeichnen, die in ganz Deutschland gelesen und geschätzt wird und die den unabhängigen seriösen Journalismus so überzeugend personifiziert.

Bereits 1999 wurde ihr der Theodor-Wolff-Preis der deutschen Zeitungsverleger verliehen. Im Jahr 2021 wurde ihr der Bayerische Verdienstorden verliehen für Ihre langjährige Expertise als Terrorismus-Expertin und ihren Mut bei der Gerichtsberichterstattung.

Heute bekommt sie den Publizistikpreis der Stadt München, der nur alle drei Jahre verliehen wird und mit 10.000 Euro Preisgeld dotiert ist.

Meine Gesamtbewertung ist ganz eindeutig und wenig überraschend. Annette Ramelsberger ist als vierte mit dem Publizistikpreis ausgezeichnete Frau eine würdige Vertreterin ihrer Profession und in herausragender Weise eine Repräsentantin des anspruchsvollen Journalismus, derso dringend gebraucht wird und sich nicht überholt hat. Wenn er jetzt noch in die sozialen Netzwerke und stärker zu den jungen Menschen gebracht werden könnte, wäre das wunderbar.