Nice Bastard Blog
Disorderly conduct in Munich
Samstag, 10. Mai 2025
Deutschland kann Hollywood: Der Deutsche Filmpreis
Freitag, 9. Mai 2025
Traumtagebuch (23): Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin
Zufällig treffe ich meinen Münchner Bruder, mit dem ich normalerweise keinen Kontakt pflege. Es ist vormittags und er ist am Bahnhof, um mit dem Zug nach Berlin zu fahren. Spontan beschließe ich, ihm Gesellschaft zu leisten und mit ihm, so wie ich bin, ohne Gepäck, nach Berlin zu fahren. Er denkt, ich würde dann auch länger in Berlin bleiben, aber ich plane, noch am selben Tag wieder zurückzufahren.
Im Großraumabteil – oder ist es der Speisewagen? – sitzt neben uns eine Gruppe junger Sportler*innen, irgendeine junge, angesagte Trendsportart, für die es eine Red-Bull-Academy geben könnte. Darunter eine junge Frau, mit langen, lockigen blonden Haaren. Die Hälfte ihres Gesichts ist mit roten Flecken übersät, Folgen einer Krankheit oder eines Unfalls. Sie heißt Svizzera und ich kenne sie von früher aus Berlin. Wir haben einen gemeinsamen Freund, der eine Kaffeerösterei und/oder eine Kaffeekette betreibt, aber sie erinnert sich nicht an mich, als ich sie darauf anspreche.
Plötzlich laufe ich durch eine Berliner Hauptstraße, an meiner Seite nicht mein Bruder, sondern meine Mutter, die aus München zu Besuch ist. Ich habe gerade eine Wohnung in Berlin gemietet und meine Mutter äußert den Wunsch, die Wohnung mal zu sehen. Ich vertröste sie auf einen anderen Zeitpunkt, wenn die Wohnung fertig eingerichtet sei. Aber während wir gehen, sage ich plötzlich: „Ach, ich zeige sie Dir jetzt“, und gehe auf ein Haus zu, an dem wir gerade zufällig vorbeigelaufen sind.
Vor dem Gebäude verharre ich aber. Das ist gar nicht das Haus, in dem ich wohne. Es ist nicht einmal der richtige Bezirk. Aber die Haustür sieht genau so aus, wie meine Haustür, weshalb ich die Häuser miteinander verwechselt habe.
Donnerstag, 8. Mai 2025
Dienstag, 6. Mai 2025
Eher Grimm denn Gosse: Alexa Hennig von Langes Debütroman „Relax“
Auf die roten Haare fiel sogar der Werbetexter von Zweitausendeins herein und fabuliert im Merkheft, daß Alexa Hennig von Lange vor ein paar hundert Jahren als Hexe verbrannt worden wäre.
Der Klappentext ihres Debütromans „Relax“ heischt mit auflagesteigernden Schlagworten wie Ficksau nach einer Leserschaft, die das Buch nur unbefriedigt weglegen wird. Denn die Protagonisten dieses jede Entwicklung verneinenden Romans treiben es nicht mal mehr miteinander, sondern treiben in ihrem Frust nur noch dahin. Trotz aller dabei konsumierten Drogen, trotz des Biers, Shits, Kokains und Ecstasys schlägt auch nie der harte Rhythmus der Gosse durch, sondern nur das sanfte, entrückte Herzpochen Grimmscher Märchenwelten.
Alexa, die das Buch nicht nur ihrem Ex-Freund widmet, sondern auf Erlebnisse in der Clubszene zwischen Hamburg und München stützt, hätte man wohl zu keiner Zeit auch nur ein Haar gekrümmt. Denn das Multitalent strahlt jene Kombination aus verspielter Aufmerksamkeit, bescheidener Gutmütigkeit und vifem Verantwortungsbewußtsein aus, die Freunde schafft. Gute Freunde, die sie stets dankbar anführt, wenn man fragt, wie sie mit 24 bereits sämtliche deutsche Metropolen abgehakt und Karrierestufen als Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und – im Augenblick – Storylinerin von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht haben kann.
Daß Alexa noch weit mehr erreichen wird, läßt sich erahnen, wenn man die 87 Stufen zu ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hochsteigt. (Nach der Lektüre von,,Relax“ entwickelt man ein Gespür für Details wie die Anzahl von Treppenstufen oder den Geschmack von Zahnpasta.) Die Wohnung strahlt jenes Flair von Design und Leere aus, das den Schlafstätten Viel(-außer-Haus-)beschäftigter in der Medienwelt zu eigen ist. Alexa, das Objekt begierlicher Interviewanfragen und Jobangebote, ist noch mit Kollegen von arte zugange. Neuer Anlauf ein bißchen später in einem Café. Sie bringt ein Tamagotchi mit – kein Grund zur Häme. Das virtuelle Monster gehört natiirlich nicht ihr. Sie bemuttert es nur für eine verreiste Freundin. Kann jemand so gut sein?
Alexa hat bereits als Kind geschrieben, im Radio Selbstverfaßtes vorgetragen und von ihren Eltern die entsprechende Förderung genossen – unter der Bedingung, ihre Texte nicht in der Nachbarschaft zu verbreiten. Schon damals wird sie den präzisen Blick für die angenehmen wie unangenehmen Wahrheiten des Zusammenlebens gehabt haben: die Niederlagen und Träume, nervösen Ticks und unkontrollierten Glücksgefiihle, die man gern verbirgt.
Mit 14 hat sie dann Salingers ,,Fänger im Roggen“ und Bukowski entdeckt – Erweckungsmomente, die Alexas Debütroman zehn Jahre später noch prägen: Das Wechselspiel zwischen Exzessen und Antriebslosigkeit, eine bis ins Manierierte durchgehaltene Scheinauthentizität, was den Jugendslang und jeden Gefühlspups betrifft. Ein Sommerwochenende lang begleitet Alexa Chris und seine,,Kleine“, ein Münchner Liebespaar, das nur wenig, zu wenig Zeit miteinander verbringt. Enervierend echt wird protokolliert, was Männercliquen im Suff so von sich geben, quälend präzise beobachtet, wie eine junge, aufrichtige Liebe an Mißverständnissen und Sprachlosigkeit leidet. Vielleicht sogar scheitert, denn eine Überdosis läßt Chris verstummen.
Männliche Leser halten das meist für ein offenes Ende, während Leserinnen – durchaus im Sinne der Autorin – den Exitus erkennen. Präzise werden die letzten Stunden geschildert, erst aus seiner Sicht und dann, da capo, aus der Sicht der Frau. Das ist mitunter redundant, immer wieder erschreckend genau, gelegentlich auch nur monoton und schwingt sich oft genug in brillant vorangetriebene, phantasievolle Höhen. Eben gute Seiten, schlechte Seiten.
Nach dem Gespräch guckt Alexa nach dem Tamagotchi und erblaßt. Es rührt sich nicht. Panisch drückt sie herum, bis jemand fragt, ob es vielleicht gerade schläft. ,Stimmt, um die Zeit schläft es. Mein Gott, jetzt hätte ich es beinahe aufgeweckt!“ Doch selbst der Fehler unterläuft ihr nicht.
#MeToo beim Tagesspiegel oder warum das selbst in den 1990er-Jahren nicht einfach normal war
Dieser Tage erreichte mich so ein Vorwurf. Auf ihrem Instagram-Account reflektierte die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange darüber, warum sie sich als 24-Jährige für die Titelgeschichte im „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ halb nackig machen musste.
Die Geschichte anläßlich ihres Debütromans „Relax“ hatte ich geschrieben, möglicherweise war ich damals auch schon Redaktionsleiter. Fotografiert hat Henrik Jordan, wobei ich beim Shooting nicht anwesend gewesen bin. Stattdessen aber Henriks damalige Freundin – wohl um die junge Autorin in Sicherheit zu wiegen.
Auf Instagram schrieb Alexa (wir duzen uns und haben uns seit dem Interview alle paar Jahre mal wieder gesehen) nun: »Es ist mir noch immer schleierhaft, warum ich mich beim Fotoshooting für das Titelmotiv des Beilageblattes „Ticket" vom Tagesspiegel obenrum ausziehen sollte, Ich war 24 Jahre alt, mein Debütroman „Relax" war gerade erschienen, ich wollte gesellschaftlich und literarisch wirksam werden. Ich dachte, ich sollte besser unkompliziert sein, was die Medien anbelangt; damit ich weiterschreiben kann. Es war niemand da, der gesagt hat: „Alexa, das musst du nicht tun." Es ist immer wieder eine Übung, zu erkennen, wann man die eigene Integrität verletzt; aus Angst, ansonsten alles zu verlieren.«
Womit man wieder einmal sieht, wie lange Grenzüberschreitungen und Verletzungen, die vielleicht nicht das klassische Bild sexualisierter Gewalt erfüllen, dennoch nachwirken.
Ich war beim Fotoshooting wie gesagt nicht dabei. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Henrik und ich uns vorab darauf verständigt hätten, die jüngere Schriftstellerin auszuziehen. Wir waren damals beide Anfang bis Mitte 30, um den auf Instagram von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu entkräften, dass sicherlich ein Mann über 40 oder 50 dahinter gesteckt hätte.Andererseits war Henrik aber ein Erotoman und Fotograf, von dem ich wusste, dass er jede Frau, die vor seine Linse kam, nackig zu machen versuchte. So auch bei meiner damaligen Freundin, die für Bewerbungsfotos zu ihm gekommen war. Er schlug dabei vor, auch noch ein paar Bilder oben ohne zu schießen, was sie aber ablehnte. Nach Henriks Tod wimmelte es auf der Trauerfeier nicht nur vor Künstlerwitwen. Die Klügste von ihnen handelte auch schnell, um die pornografischen Fotos, die Henrik von sich mit ihr auf einer alten Plattenkamera geschossen hatte, aus dem Nachlass zu sichern, bevor sie in falsche Hände gerieten.
Wenn ich mir heute, fast drei Jahrzehnte später und um einiges für sexualisierte Gewalt sensiblisierter die alten „Ticket“-Ausgaben durchblättere, ob nun meine eigenen Texte oder die von mir später als Redaktionsleiter verantworteten Ausgaben, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass es vor übergriffigen Formulierungen, damals hätte man sie schlüpfrig genannt, nur so wimmelte. „Ticket“ richtete sich an die Kinder der Dahlemer „Tagesspiegel“-Abonnent*innen. Es sollte provokativ sein und die Eltern in Rage versetzen. Sei es, indem wir unseren eigenen Herausgeber Hellmuth Karasek angriffen, zu Weihnachten ein Rezept für Suppe aus Mutterkuchen veröffentlichten oder grundsätzlich sexpositiv berichteten.
Aber dafür musste man sicherlich nicht eine Schlagzeile nach der anderen im Stil von Altherrenwitzen verfassen. Geschweige denn eine junge, noch unerfahrene Schriftstellerin bedrängen, sich auszuziehen und ihr dann auch noch den Kopf einer Männerfigur in den Mund zu stecken.