Samstag, 10. Mai 2025

Deutschland kann Hollywood: Der Deutsche Filmpreis

In der letzten Staffel von „White Lotus“ sollte Christian Friedel in der Rolle des Hoteldirektors noch eine Gesangsnummer liefern. Doch von dem Auftritt blieb nur wenig in der fertigen Fassung. Dafür konnte der Schauspieler als Gastgeber des Deutschen Filmpreises am Freitagabend in Berlin mehrmals seiner Sangeslust frönen. 

Die Gala bot, was man sonst von der Oscar-Verleihung gewohnt ist: Einen singenden Moderator, umrahmt von Showtänzern. Doch bevor sich die rund 1700 Gäste am Potsdamer Platz zu sehr dem Vergnügen hingaben, unterbrach Friedel sein Lied zu einer ernsten Zwischenrede und rief zu einer gemeinsamen Haltung gegen die Autokraten weltweit auf. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer rang das nur ein sardonisches Lächeln ab. 

Aber spätestens, als der Pianist Igor Levit auf der Bühne stand, um die Lola für die beste Filmmusik an „Islands“ zu verleihen, verging allen das Grinsen. „Es ist gerade ein bisschen schwer, aber es gibt Momente, die sind größer als jeder Preis“ sagte Levit und ließ die ahnungslosen Gäste wissen, dass Margot Friedländer gestorben sei. Tränen flossen, der Saal erhob sich zu Standing Ovations, alle waren aufgelöst, ob Iris Berben, Andrea Sawatzki, Volker Schlöndorff oder Sabin Tambrea. 

Und die Preisträger*innen des Abends fügten sich gut in Friedländers Anspruch nach mehr Menschlichkeit ein. „September 5“, das unglaublich dicht erzählte Drama über den Anschlag bei den olympischen Spielen 1972 in München, mit dem der deutsche Film Hollywood-Niveau beweist, gewann die Preise für den besten Spielfilm, Regie (Tim Fehlbaum), Nebendarstellerin (Leonie Benesch), Drehbuch, Schnitt, Kamera, Tongestaltung, Maskenbild und Szenenbild. 

Als bester Dokumentarfilm wurde „Petra Kelly – Act Now!“ von Regisseurin Doris Metz (rechts) und Produzentin Birgit Schulz gekürt. „Welcher Häme und Hetze waren die Klimaaktivist*innen täglich ausgesetzt“, mahnte Metz und forderte mehr Achtung für gesellschaftliches Engagement ein. Kellys Vermächtnis sei wichtiger denn je, ob in den USA oder bei uns in Deutschland.

Versionen dieses Textes erschienen in der „tz“ und im „Münchner Merkur“ vom 10./11. Mai 2025.

(Fotos: Eventpress Fuhr/Deutscher Filmpreis)

Freitag, 9. Mai 2025

Traumtagebuch (23): Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin

Zufällig treffe ich meinen Münchner Bruder, mit dem ich normalerweise keinen Kontakt pflege. Es ist vormittags und er ist am Bahnhof, um mit dem Zug nach Berlin zu fahren. Spontan beschließe ich, ihm Gesellschaft zu leisten und mit ihm, so wie ich bin, ohne Gepäck, nach Berlin zu fahren. Er denkt, ich würde dann auch länger in Berlin bleiben, aber ich plane, noch am selben Tag wieder zurückzufahren.

Im Großraumabteil – oder ist es der Speisewagen? – sitzt neben uns eine Gruppe junger Sportler*innen, irgendeine junge, angesagte Trendsportart, für die es eine Red-Bull-Academy geben könnte. Darunter eine junge Frau, mit langen, lockigen blonden Haaren. Die Hälfte ihres Gesichts ist mit roten Flecken übersät, Folgen einer Krankheit oder eines Unfalls. Sie heißt Svizzera und ich kenne sie von früher aus Berlin. Wir haben einen gemeinsamen Freund, der eine Kaffeerösterei und/oder eine Kaffeekette betreibt, aber sie erinnert sich nicht an mich, als ich sie darauf anspreche.

Plötzlich laufe ich durch eine Berliner Hauptstraße, an meiner Seite nicht mein Bruder, sondern meine Mutter, die aus München zu Besuch ist. Ich habe gerade eine Wohnung in Berlin gemietet und meine Mutter äußert den Wunsch, die Wohnung mal zu sehen. Ich vertröste sie auf einen anderen Zeitpunkt, wenn die Wohnung fertig eingerichtet sei. Aber während wir gehen, sage ich plötzlich: „Ach, ich zeige sie Dir jetzt“, und gehe auf ein Haus zu, an dem wir gerade zufällig vorbeigelaufen sind.

Vor dem Gebäude verharre ich aber. Das ist gar nicht das Haus, in dem ich wohne. Es ist nicht einmal der richtige Bezirk. Aber die Haustür sieht genau so aus, wie meine Haustür, weshalb ich die Häuser miteinander verwechselt habe.

Dienstag, 6. Mai 2025

Eher Grimm denn Gosse: Alexa Hennig von Langes Debütroman „Relax“

Aus gegebenem Anlass mein Porträt der Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange anläßlich ihres Debütromans „Relax“. Die Titelgeschichte erschien in „Ticket“, dem wöchentlichen Supplement des Berliner „Tagesspiegel“, Anfang Januar 1998.

Auf die roten Haare fiel sogar der Werbetexter von Zweitausendeins herein und fabuliert im Merkheft, daß Alexa Hennig von Lange vor ein paar hundert Jahren als Hexe verbrannt worden wäre. 

Der Klappentext ihres Debütromans „Relax“ heischt mit auflagesteigernden Schlagworten wie Ficksau nach einer Leserschaft, die das Buch nur unbefriedigt weglegen wird. Denn die Protagonisten dieses jede Entwicklung verneinenden Romans treiben es nicht mal mehr miteinander, sondern treiben in ihrem Frust nur noch dahin. Trotz aller dabei konsumierten Drogen, trotz des Biers, Shits, Kokains und Ecstasys schlägt auch nie der harte Rhythmus der Gosse durch, sondern nur das sanfte, entrückte Herzpochen Grimmscher Märchenwelten. 

Alexa, die das Buch nicht nur ihrem Ex-Freund widmet, sondern auf Erlebnisse in der Clubszene zwischen Hamburg und München stützt, hätte man wohl zu keiner Zeit auch nur ein Haar gekrümmt. Denn das Multitalent strahlt jene Kombination aus verspielter Aufmerksamkeit, bescheidener Gutmütigkeit und vifem Verantwortungsbewußtsein aus, die Freunde schafft. Gute Freunde, die sie stets dankbar anführt, wenn man fragt, wie sie mit 24 bereits sämtliche deutsche Metropolen abgehakt und Karrierestufen als Fernsehmoderatorin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und – im Augenblick – Storylinerin von »Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ erreicht haben kann. 

Daß Alexa noch weit mehr erreichen wird, läßt sich erahnen, wenn man die 87 Stufen zu ihrer Wohnung in Prenzlauer Berg hochsteigt. (Nach der Lektüre von,,Relax“ entwickelt man ein Gespür für Details wie die Anzahl von Treppenstufen oder den Geschmack von Zahnpasta.) Die Wohnung strahlt jenes Flair von Design und Leere aus, das den Schlafstätten Viel(-außer-Haus-)beschäftigter in der Medienwelt zu eigen ist. Alexa, das Objekt begierlicher Interviewanfragen und Jobangebote, ist noch mit Kollegen von arte zugange. Neuer Anlauf ein bißchen später in einem Café. Sie bringt ein Tamagotchi mit – kein Grund zur Häme. Das virtuelle Monster gehört natiirlich nicht ihr. Sie bemuttert es nur für eine verreiste Freundin. Kann jemand so gut sein? 

Alexa hat bereits als Kind geschrieben, im Radio Selbstverfaßtes vorgetragen und von ihren Eltern die entsprechende Förderung genossen – unter der Bedingung, ihre Texte nicht in der Nachbarschaft zu verbreiten. Schon damals wird sie den präzisen Blick für die angenehmen wie unangenehmen Wahrheiten des Zusammenlebens gehabt haben: die Niederlagen und Träume, nervösen Ticks und unkontrollierten Glücksgefiihle, die man gern verbirgt. 

Mit 14 hat sie dann Salingers ,,Fänger im Roggen“ und Bukowski entdeckt – Erweckungsmomente, die Alexas Debütroman zehn Jahre später noch prägen: Das Wechselspiel zwischen Exzessen und Antriebslosigkeit, eine bis ins Manierierte durchgehaltene Scheinauthentizität, was den Jugendslang und jeden Gefühlspups betrifft. Ein Sommerwochenende lang begleitet Alexa Chris und seine,,Kleine“, ein Münchner Liebespaar, das nur wenig, zu wenig Zeit miteinander verbringt. Enervierend echt wird protokolliert, was Männercliquen im Suff so von sich geben, quälend präzise beobachtet, wie eine junge, aufrichtige Liebe an Mißverständnissen und Sprachlosigkeit leidet. Vielleicht sogar scheitert, denn eine Überdosis läßt Chris verstummen. 

Männliche Leser halten das meist für ein offenes Ende, während Leserinnen – durchaus im Sinne der Autorin – den Exitus erkennen. Präzise werden die letzten Stunden geschildert, erst aus seiner Sicht und dann, da capo, aus der Sicht der Frau. Das ist mitunter redundant, immer wieder erschreckend genau, gelegentlich auch nur monoton und schwingt sich oft genug in brillant vorangetriebene, phantasievolle Höhen. Eben gute Seiten, schlechte Seiten. 

Nach dem Gespräch guckt Alexa nach dem Tamagotchi und erblaßt. Es rührt sich nicht. Panisch drückt sie herum, bis jemand fragt, ob es vielleicht gerade schläft. ,Stimmt, um die Zeit schläft es. Mein Gott, jetzt hätte ich es beinahe aufgeweckt!“ Doch selbst der Fehler unterläuft ihr nicht.

#MeToo beim Tagesspiegel oder warum das selbst in den 1990er-Jahren nicht einfach normal war

Wenn man in meinem Alter ist und auf mehr als 40 Berufsjahre zurückblicken kann, stellt man sich als alter, weißer Mann natürlich die Frage, was man selbst als Journalist und Redakteur im Umgang mit anderen Menschen falsch gemacht hat und ob man nicht selbst auch ein Fall für #metoo gewesen sein könnte.

Dieser Tage erreichte mich so ein Vorwurf. Auf ihrem Instagram-Account reflektierte die Schriftstellerin Alexa Hennig von Lange darüber, warum sie sich als 24-Jährige für die Titelgeschichte im „Tagesspiegel“-Supplement „Ticket“ halb nackig machen musste.

Die Geschichte anläßlich ihres Debütromans „Relax“ hatte ich geschrieben, möglicherweise war ich damals auch schon Redaktionsleiter. Fotografiert hat Henrik Jordan, wobei ich beim Shooting nicht anwesend gewesen bin. Stattdessen aber Henriks damalige Freundin – wohl um die junge Autorin in Sicherheit zu wiegen.

Auf Instagram schrieb Alexa (wir duzen uns und haben uns seit dem Interview alle paar Jahre mal wieder gesehen) nun: »Es ist mir noch immer schleierhaft, warum ich mich beim Fotoshooting für das Titelmotiv des Beilageblattes „Ticket" vom Tagesspiegel obenrum ausziehen sollte, Ich war 24 Jahre alt, mein Debütroman „Relax" war gerade erschienen, ich wollte gesellschaftlich und literarisch wirksam werden. Ich dachte, ich sollte besser unkompliziert sein, was die Medien anbelangt; damit ich weiterschreiben kann. Es war niemand da, der gesagt hat: „Alexa, das musst du nicht tun." Es ist immer wieder eine Übung, zu erkennen, wann man die eigene Integrität verletzt; aus Angst, ansonsten alles zu verlieren.«

Womit man wieder einmal sieht, wie lange Grenzüberschreitungen und Verletzungen, die vielleicht nicht das klassische Bild sexualisierter Gewalt erfüllen, dennoch nachwirken.

Ich war beim Fotoshooting wie gesagt nicht dabei. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass Henrik und ich uns vorab darauf verständigt hätten, die jüngere Schriftstellerin auszuziehen. Wir waren damals beide Anfang bis Mitte 30, um den auf Instagram von einem Kommentator geäußerten Verdacht zu entkräften, dass sicherlich ein Mann über 40 oder 50 dahinter gesteckt hätte.

Andererseits war Henrik aber ein Erotoman und Fotograf, von dem ich wusste, dass er jede Frau, die vor seine Linse kam, nackig zu machen versuchte. So auch bei meiner damaligen Freundin, die für Bewerbungsfotos zu ihm gekommen war. Er schlug dabei vor, auch noch ein paar Bilder oben ohne zu schießen, was sie aber ablehnte. Nach Henriks Tod wimmelte es auf der Trauerfeier nicht nur vor Künstlerwitwen. Die Klügste von ihnen handelte auch schnell, um die pornografischen Fotos, die Henrik von sich mit ihr auf einer alten Plattenkamera geschossen hatte, aus dem Nachlass zu sichern, bevor sie in falsche Hände gerieten. 

Wenn ich mir heute, fast drei Jahrzehnte später und um einiges für sexualisierte Gewalt sensiblisierter die alten „Ticket“-Ausgaben durchblättere, ob nun meine eigenen Texte oder die von mir später als Redaktionsleiter verantworteten Ausgaben, komme ich nicht umhin, festzustellen, dass es vor übergriffigen Formulierungen, damals hätte man sie schlüpfrig genannt, nur so wimmelte. „Ticket“ richtete sich an die Kinder der Dahlemer „Tagesspiegel“-Abonnent*innen. Es sollte provokativ sein und die Eltern in Rage versetzen. Sei es, indem wir unseren eigenen Herausgeber Hellmuth Karasek angriffen, zu Weihnachten ein Rezept für Suppe aus Mutterkuchen veröffentlichten oder grundsätzlich sexpositiv berichteten.

Aber dafür musste man sicherlich nicht eine Schlagzeile nach der anderen im Stil von Altherrenwitzen verfassen. Geschweige denn eine junge, noch unerfahrene Schriftstellerin bedrängen, sich auszuziehen und ihr dann auch noch den Kopf einer Männerfigur in den Mund zu stecken.

Montag, 5. Mai 2025

Wochenplan (Updates)

„80 Jahre Schicksalsklärung Zweiter Weltkrieg“ / DRK-Suchdienst; Festakt 100 Jahre Deutsches Museum in Anwesenheit von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Markus Söder und Oberbürgermeister Dieter Reiter; Vorstellung des Buches „Heidelandschaft“ / Heide-Haus; Eröffnung des neuen Studierendenwohnheims / Wohnanlage Schwere-Reiter-Straße; Wiedereröffnung des südlichen Appartements / Schloss Nymphenburg; Eröffnung der Ausstellung zum Wettbewerb Moosacher St.-Martins-Platz / Wiese vor dem Pelkovenschlössl; Met Gala / vogue.de, Presselunch zur Juni-Auktion / Auktionshaus Ketterer; Vernissagen Bruce Gilden: „A Closer Look“ / Kunstfoyer, „Tischkultur“ / Galerie Handwerk, „Perspektiven 2025“ mit Verleihung der Jury- und Publikumspreise / Platform, „Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?“ ft. Anne Jud, Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé und Bernd Zimmer / Wolfgang Jahn, „Anarchic Animism“ / Lothringer 13, Alexander Höller: „Demons“ / Parkhotel Egerner Höfe & Galerie Hegemann, „Only Lovers Left Alive“ ft. Amélie Esterházy, Andreas Greiner, Lothar Hempel, Inȇs Henriques, Isa Melsheimer, Simon Mullan, Gerd Rohling & Pola Sieverding / Behncke, „Breaking the Walls, Dino Appears“ / Rüdiger Schöttle, „Im Portrait“ / Lohaus Sominsky, „WoW! Works of Wonder“ / Eres und Flatz: „Physical Machine“ / OK Linz; „Zwischen Verstecken und Flagge Zeigen – Jüdisches Leben in München“ / Rathaus; Buchpräsentation von Horst Teltschiks „Die 329 Tage zur deutschen Einheit“ / Haus des Deutschen Ostens; Hauptsitzung des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann mit Vorstellung des Bebauungsplans des Tennisstadion Iphitos / Schulcampus Alte Heide; Münchner Premiere von „Wenn das Licht zerbricht“ in Anwesenheit des Regisseurs Rúnar Rúnarsson / Theatiner; Presse-Preview des umgebauten NS-Dokumentationszentrums; Pressekonferenz zur Munich Creative Business Week / Pinakothek der Moderne; Apéro Lav'a Belle / Cœur by Fede & Phil; Weltpremiere des Altbayrischen Bierleberkäses Hupsi / Metzgerei Franz; Pressekonferenz zum Jazzsommer / Bayerischer Hof; Jahrespressekonferenz der Münchner Berufsfeuerwehr / Feuerwache 8 Unterföhring; Terrassen-Opening / Cœur by Fede & Phil; Kinostart von Jan-Ole Gersters „Islands“ mit Sam Riley; Eröffnung des Delvaux Pop-ups / My Theresa; RP Kahls „Die Ermittlung“ / Prinzregententheater; Zweite Staffel von „Poker Face“ mit Natasha Lyonne (Foto) / Peacock; Podiumsdiskussion „Rassismus und rechte Gewalt – Die Sprachlosigkeit überwinden“ / Volkstheater; Deutschlandpremiere des Jaguar Type 00 / Haus der Kunst; Spielzeit-Pressekonferenz / Theater am Gärtnerplatz; Sommerfest Elisabethmarkt; Soft Re-Opening / Prygoshin; Podiumsdiskussion „Olympia in München“ / Luise; Ehemaligentreffen des Wittelsbacher Gymnasiums / Augustinerkeller; Werkschau Ludwig Wüst in Anwesenheit des Regisseurs und seiner Kollaborateurin Gudrun Fürlinger / Werkstattkino; Various Others Opening Party; Deutscher Filmpreis / Theater am Potsdamer Platz & ZDF; Rare Finds Gallery Pop-up / Goldberg-Studios; Buchpremiere von Danilo Art-Merbitz' Gedichtband „Alpenglühen“ / Alter Simpl; „Was uns verbindet. Eine Debatte über den Wert von Kultur“ mit Antje Allroggen, Holger Bergmann, Carsten Brosda, Beatrix Burkhardt, Marie Burneleit, Barbara Mundel, Julian Nida-Rümelin, Jovana Reisinger, Florian Roth, Julia Schönfeld-Knor und Julian Warner / Kammerspiele; Melike Şahin / Muffathalle; „Und dennoch sind wir da – Vom alten und neuen jüdischen München“ / Gärtnerplatztheater; Krims & Krams Flohmarkt / Bahnwärter Thiel; Straßenfest der Glockenbachwerkstatt und des Bellevue di Monaco

Sonntag, 4. Mai 2025

Trauer muss man sich leisten können

Meine erste Leiche war Frau Ritter. Ich war im Grundschulalter und sie war die Besitzerin des Mehrfamilienhauses in der Wilhelm-Düll-Straße, bei mir um die Ecke. Im ersten Stock mit der Terrasse lebte sie. Im zweiten Stock wohnte eine Polizistenfamilie, deren Sohn damals mein bester Freund war. Das Erdgeschoss hatten meine Eltern mal gemietet. Als erste Wohnung meiner großen Brüder. Später kam dann auch mein Vater kurze Zeit mal dort unter. Nach ihrem Tod wurde Frau Ritter im offenen Sarg aufgebahrt. Meine erste Leiche.

Dann kam fast zwei Jahrzehnte lang keine Leiche. Nur der Tod. Mein Vater Iani Popa starb am 28. Oktober 1982. Ich war 21 und der letzte, der ihn lebend sah. Meine Brüder waren ausgezogen, meine Mutter zu Besuch in Paris. Am Morgen hatte mein Vater mir Frühstück gemacht, dann war ich auch nach Paris geflogen. Dort ereilte uns die Nachricht, dass er gestorben sei. Wir brachen den Urlaub ab. Für meine Mutter hatte einer meiner Brüder ein Flugticket hinterlegt. Ich fuhr mit zum Flughafen. Mit der naiven Vorstellung, ich könnte das Bodenpersonal überreden, mein Flugticket für eine Woche später aufgrund des Todesfalles auf einen sofortigen Rückflug umzubuchen. Ging natürlich nicht. Und so flog meine Mutter allein zurück, während ich die Woche in Paris blieb und erst mit meinem ursprünglich geplanten Flug nach München zurückkehrte. Ich selbst hätte mir kein neues Flugticket leisten können. Und von meiner Familie sah wohl keiner die Notwendigkeit, mich auch sofort zurückzuholen. Und so kehrte ich erst gerade rechtzeitig für die Trauerfeier heim. Ohne meinen toten Vater wiedergesehen zu haben. 

Die erste Leiche, die ich als Erwachsener zu sehen bekam, war ein Fremder. Ein Bruder meines Vaters. Da mein Vater 1945 bei Nacht und Nebel und wohl eher aus einer spontanen Laune heraus aus dem kommunistischen Rumänien geflohen war, wo er Frau und Tochter zurückließ, und später dann auch noch für das regimekritische Radio Freies Europa gearbeitet hatte, gab es nahezu keinen Kontakt zu unseren Verwandten väterlicherseits. Meine Halbschwester und ihre Familie besuchten uns in München und irgendwie schaffte es mein Vater auch, alle vier legal aus Ceaușescus Reich loszueisen und illegal nach Deutschland zu bringen. Von seinen Geschwistern hatten mit Ausnahme seiner Vasilica aber alle anderen den Kontakt abgebrochen, um es sich nicht mit dem kommunistischen Regime zu verderben. 

Nach der Revolution konnte ich nun aber endlich auch nach Rumänien reisen. Weggefährten und Verwandte meiner Eltern kennenlernen. Und einen Bruder meines Vaters. Oder zumindest dessen Leiche. Er war während eines meiner Aufenthalte in Bukarest gestorben und ein gemeinsamer Cousin nahm mich selbstverständlich zum Trauern mit. Der Leichnam war auf der Couch im Wohnzimmer aufgebahrt. Die Wohnung war voll mit Verwandten, Kollegen und Klageweibern. Denn wir Verwandte mussten still sein, durften nicht lauthals trauern. Das übernahmen die Klageweiber.

Dann wurde der Leichnam in einen offenen Sarg gelegt. Die Sargträger hatten Handtücher auf der Schulter, die anschließend an den Außenspiegeln der Autos in der Trauerkolonne gebunden wurden. Der Sarg selbst lag offen auf der Ladefläche eines Transporters. Der Korso fuhr durch die Stadt an sämtlichen Stationen seines Lebens vorbei, an den Filialen seiner Bäckerei, hin zum Friedhof, wo die Sargträger wieder die Handtücher von den Autos losbanden, auf die Schulter legten und darauf den Sarg zum Grab trugen, wo neben den Trauernden auch bereits viele Arme warteten. Denn bei jeder Beerdigung wird Essen mit ihnen geteilt.

In meinem Alter verbringe ich inzwischen mehr Zeit am Friedhof denn im Nachtleben. Das allgegenwärtige Sterben begann mit den Vorbildern, Mentoren, Tanten und Onkeln. Schließlich die Eltern. Dann erwischte es die eigene Generation: Schulkameraden, Kolleg*innen, Freund*innen, Geschwister. Aber trotz all dieser Gelegenheiten habe ich bis heute nicht verstanden, welche Regeln greifen. Wer wo sitzt. Ob der Leichenschmaus Pflicht ist und wer dazu einlädt. Jede Trauerfeier, jede Beerdigung oder Einäscherung unterscheidet sich von den anderen. Je nach Nationalität oder Glaubensgemeinschaft. Je nachdem, ob Hinterbliebene, die Nachbarn oder die Stadt die letzten Dinge geregelt hat.

Als meine Mutter Rica Popa nach jahrelanger Pflege daheim starb, fand ich die Vorstellung, für sie eine Trauerfeier abzuhalten, absurd. Die letzten neun Jahre hatte außer uns drei Söhnen niemand sie mehr besucht. Ich hatte sie noch schwer schnaufen gehört, als ich die Einkäufe in der Küche abgestellt hatte. War dann in der Burda-Bar nebenan frühstücken gewesen und als ich wieder kam, um sie zu wecken und ihr Frühstück zu machen, lag sie tot im Bett. Zumindest wirkte sie tot. Und es war ein absurdes, nahezu slapstickhaftes Unterfangen, festzustellen, ob sie es tatsächlich war. Soll man da nicht den Puls fühlen? Sie zwiscken oder piksen? Einen Spiegel vor den Mund halten? 

Meine Mutter hatte sich immer gewünscht, eingeäschert und im Meer verstreut zu werden. Mein Frankfurter Bruder und ich wollten keine Trauerfeier, mein Münchner Bruder hat trotzdem eine bestellt und bezahlt. Florica Popa, Hausfrau, stand in der Tageszeitung bei den Traueranzeigen. Zur Trauerfeier ist wohl niemand erschienen, auch nicht derjenige, der sie bestellt hat. Ich hätte die Asche im Schwarzen Meer verstreut, wo meine Mutter ihre schönsten Kindheits- und Jugenderinnerungen hatte. Auch als Rückkehr in ihre Heimat. Mein Bruder bestand auf die Côte d'Azur, wo sie als Erwachsene schöne Erlebnisse hatte. Ich hätte ihn dorthin begleiten können, aber ich meide meinen Bruder und ich denke, dass das alles für meine tote Mutter auch keine Rolle mehr spielt, Trauerfeiern den Lebenden Trost spenden sollen, wo das noch möglich ist.

Der Bruder meiner Mutter, Jean „Ţuţi“ Dragesco, ebenfalls ein Kind des Exils, starb in den Corona-Jahren in seiner französischen Wahlheimat. Bei Montpellier. Und ich wäre gern hingefahren. Aber meine Cousins und Cousinen verständigten mich leider recht kurzfristig von der Trauerfeier. Ich hätte ein, zwei Tage Zeit gehabt, um von München dorthin zukommen. Angesichts der Reisebeschränkungen während der Pandemie kaum machbar und so kurzfristig wohl für mich auch nicht finanzierbar.

Wenn ich andere Expats und Familien im Exil erlebe, bin ich immer erstaunt, wie sie durch die Welt reisen. Ob zu Hochzeiten, Taufen oder Beerdigungen. Bei uns war das immer anders, und ich weiß nicht, ob das an der Zurückgezogenheit meines Vaters lag, der zu Zeiten von Radio Freies Europa den Kontakt zu den meisten Menschen abgebrochen hatte, oder ob es daran lag, dass meine Eltern nach dem Zweiten Weltkrieg mittellos waren und lange auf jeden Pfennig achten mussten. Vielleicht strahlte die Dysfunktionalität meiner Familie auch nur auf den Umgang mit weiteren Verwandten aus.

Dann erwischte es meinen Frankfurter Bruder Dinu Popa. Creutzfeldt-Jacob. Als die Diagnose kam und die Krankheit so wild wie schnell voranschritt, reiste ich kurzfristig zu ihm ins Krankenhaus nach Mainz, um ihn zumindest noch halbwegs so zu erleben, wie ich ihn in Erinnerung behalten will. Und wahrscheinlich spricht man über solche Banalitäten nicht, aber einfach von heute auf morgen die hundert Euro für die Zugfahrt morgens hin und abends zurück zu organisieren, war nur mit Anstrengung und einigen Problemen in den darauf folgenden Wochen möglich.

Wenige Wochen später dann sein Tod und die Trauerfeier. Und wieder keine Ahnung, wie so etwas abläuft und wie man sich zu verhalten hat. In der Traueranzeige, auf der Trauerkarte und auf einem Kranz stand mein Name, ohne dass jemand mit mir darüber gesprochen hätte. Und wer entscheidet darüber, wer allein genannt wird und wer mit Partner*in oder Familie? Zum Leichenschmaus hatte mich niemand eingeladen. Aber vielleicht muss man dafür auch nur einfach nach der Trauerfeier vor der Kirche rumstehen, bis einen jemand mitnimmt. Die Urnenbeisetzung sollte laut Traueranzeige „zum späteren Zeitpunkt im engsten Kreis der Familie“ stattfinden. Ich erfuhr davon erst im Nachhinein durch ein Foto vom Grab. Auf welchem Friedhof das ist, weiß ich bis heute nicht.

Montag, 28. April 2025

Wochenplan (Updates)

Gastro-Frühling / Hippodrom; Verleihung des Bayerischen Stammtischbruders 2025 des Vereins zum Erhalt der bayerischen Wirtshauskultur / Hofbräuhaus; Michael Krüger liest Gedichte von David Rokeah / Lyrik-Kabinett; Pressekonferenz des DOK.fest / HFF; Pressegespräch zum Welt/Bühne-Festival / Residenztheater; Pressekonferenz zur Langen Nacht der Musik / Umadum-Riesenrad; Pressekonferenz zum Musical „Romy“ / Deutsches Theater; Radikal-Jung-Festival: „Nestbeschmutzung“, „Aufstieg und Fall des Herrn René Benko“ und „Weiße Witwe“ / Volkstheater; Katalogvernissage „Ein Haus ohne Mauern bauen“ und Filmscreening „Außer Männer hatten wir nichts zu verlieren“ / Glitch; Grand Opening des Cocktail-X-Festivals / Vier Jahreszeiten; Vernissagen Yaser Bashir, Fabian Beger, Leon Boden & Roman Toulany: „Der Preis“ / Kunstarkaden, „Eyes Wide Open“ / Gasteig HP8, Liza Mercedes / Kunzt 66, Art Lab / Benjamin Eck und „10 im Quadrat“ / Farbenladen; Vollversammlung des Münchner Stadtrats / Rathaus & Livestream; Beginn des Kartenvorverkaufs zu Franz Xaver Kroetz' „Gschichtn vom Brandner Kaspar“ mit Günther Maria Halmer / Residenztheater; Presse-Lunch / Louis-Hotel; Podiumsdiskussion „Weibliche Vorbilder – Inspirierende Wege“ mit Ulrike Scharf, Monika Meier-Pojda und Caro Matzko / Max-Joseph-Saal der Residenz; After Work Event / Baodt; Verleihung des Kulturellen Ehrenpreises an Lothar Schirmer / Altes Rathaus; Evening of Hope mit Verleihung des Prix International Pour Les Enfants an den Verein NichtGenesenKids / Werksviertel-Mitte; Münchner Premiere von „Balconettes“ in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Sanda Codreanu / Neues Rottmann; Gedenkgottesdienst mit Pfarrer Rainer Maria Schießler für Werner Lorant / Pfarrkirche Sankt Helena; MMMHaus & Public-Possession-Party / Haus der Kunst; „Working Class Daughters – Über Klasse sprechen und singen“ / Lenbachhaus; Unexpected – Festival for Experimental Music / Rote Sonne; DLD Music School / Haus der Kunst; Verleihung des Rainer-Reichert-Preises zum Tag der Pressefreiheit und Podiumsdiskussion „Stoppt Fake News“ mit Mika Beuster, Richard Gutjahr, Chan-jo Jun, Verena Nierle und Jürgen Schleifer / Bayerische Landesbank; Eröffnung Pato Pickleball / Historische Reitschule am Englischen Garten; Kundgebung Pro Choice / Odeonsplatz; TSV 1860 vs. Rot-Weiss Essen / Grünwalder Stadion & Bayerisches Fernsehen; Clara Lévy: „13 visions“ / Klang im Dach; Münchner Premiere von „Kein Tier. So wild“ in Anwesenheit der Darstellerin Verena Altenberger (Foto) / Monopol; Festakt zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Dachau / KZ-Gedenkstätte; Sechs Jahre Coucou Food Market

(Foto: Lukasz Bak/Port au Prince Pictures)

Mittwoch, 23. April 2025

Wie sich die generative KI Münchner Brezn vorstellt

Heute morgen haben die Münchner Schausteller*innen den Jahreskrug des am Freitag beginnenden Münchner Frühlingsfestes vorgestellt. Entworfen haben das Motiv heuer Daniela Lange-Srb und Alexander Srb mit ihren Töchtern Helene (8) und Laura (17). Während er voller Stolz erzählte, wie befriedigend es sei, etwas als Familie zu bewerkstelligen, verriet die Mutter kurz zuvor: „Wir haben etwas vorskizziert und dann die KI machen lassen.“ 

Auf möglicherweise einen sechsten Finger an der Hand hat man bei dem Motiv mangels Menschen nicht achten müssen, aber wie einer meiner Follower sofort erkannte, ist stattdessen der Brezn beim verschlungenen Teigstrang von der generativen KI ein Glied zu viel verpasst worden.



Montag, 21. April 2025

Wochenplan (Updates)

„Es ist ein Wunder, dass ich lebe“ – Gedenkstunde zum Jahrestag des Aufstandes im Warschauer Ghetto und der Befreiung der Konzentrationslager mit Roman Haller / Synagoge Ohel Jakob; „Étoile“ mit Charlotte Gainsbourg, Luke Kirby, Taïs Vinolo (Foto) / Prime; Vernissagen „Blaue Stunde“ ft. Arno Synaeve, Nikita Senkevych & Yaser Bashir / Akademiegalerie und Philipp Joy Reinhardt, Noahhrod Miles Mruck, Meltem Rukiye, Mica Levine, Marie Schubert, Lennart Wolter, Juliana Paek, Jannis Besen, Igor Vroljak, Ginna Kay & Aida Rebull / Charlatan; Terrassen-Opening / Cœur by Fede & Phil; Markus Naegeles „Lost in Music“ mit Caro Kelley, Anatol Regnier, Albert Pöschl aka Jason Arigato, Roderich Fabian, Anja Signitzer, Alexandra Martini und King Brownie / Live.Evil; zweite Staffel von Kida Khodr Ramadans „Testo“ mit ihm, Frederick Lau, Stipe Erceg, Moritz Bleibtreu, Veysel Gelin, Katharina Thalbach, Franka Potente, Nicolette Krebitz, Peter Kurth u. a. / ARD-Mediathek & ARD; Pressekonferenz Lisa Poettinger / DGB-Haus; Artist Talk: „Hours without Sorries“ mit Janka Zöller & Jovana Reisinger / Behncke Gallery; Frühlingsfest / Theresienwiese; Punk mit Autor, Sexverbot und Narkose / Kafe Kult; großer Flohmarkt des Roten Kreuzes / Theresienwiese; Auer Maidult / Mariahilfplatz; Radikal-Jung-Festival: „rhapsody“ und „Draußen vor der Tür“ / Volkstheater sowie Eröffnungsparty mit DJ Moped Tobias / Schmock; Tera Kilbride / Lost Weekend

Mittwoch, 16. April 2025

Kann denn Tennis Sünde sein? Die BMW Open am Karfreitag

Katholiken ist Bigotterie nicht unbedingt fremd. Und so verteidigen Freistaat, Stadt und Kirche mit unerschütterlichem Glauben das Feiertagsgesetz (FTG) mit seinem Tanzverbot. 
Doch regeln die strengen Vorschriften keinesfalls nur Lustbarkeiten wie Tanz und Livemusik. Auch der Sport findet seinen Niederschlag im Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage. 
Und das ist nun besonders interessant, weil am Karsamstag der Bayerische Staatsminister des Innern, für Sport und Integration, Joachim Herrmann, den BMW Open beim MTTC Iphitos im Englischen Garten seine Aufwartung machen will. Das Einzel-Halbfinale des „traditionsreichen Tennisturniers“, so Herrmanns Pressestelle, steht an. Der Minister, der seinen tiefen Glauben gern wie eine Monstranz vor sich her trägt, wird nun ausgerechnet an einem stillen Feiertag im Center Court einer Veranstaltung beiwohnen, bei der aufpeitschende Popsongs in den Spielpausen das Publikum im Center Court aufheizen sollen, während der Geruch von Bratwürsten wie Weihrauch durch die Reihen schwebt. 
„An den stillen Tagen sind öffentliche Unterhaltungsveranstaltungen nur dann erlaubt, wenn der diesen Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt ist.“ Aber ein internationales Tennisturnier ist schließlich kein Entertainment, sondern eine ernstzunehmende Sportveranstaltung. Deren Viertelfinale am Tag vorher steigt. So wird es eine Karfreitagsprozession der ungewöhnlicheren Art in München geben, wenn die Zuschauer vom U-Bahnhof Studentenstadt zum Vereinsgelände pilgern.
Das Merkwürdige daran ist nur, dass der Karfreitag unter den stillen Tagen ein besonders strenger ist: Sportveranstaltungen sind an diesen Feiertagen erlaubt, „ausgenommen am Karfreitag und am Buß- und Bettag. (…) Die Gemeinden können aus wichtigen Gründen im Einzelfall von den Verboten der Art. 2, 3 und 4 Befreiung erteilen, nicht jedoch für den Karfreitag.“ So Artikel 5 FTG.
Nun weiß man, dass die Landeshauptstadt schnell einknickt, wenn ein Großkonzern mit drei Buchstaben sich über das Feiertagsgesetz hinwegsetzen will. So erlaubte man MTV im Jahr 2007, ausgerechnet an Allerheiligen die European Music Awards in der Olympiahalle abzuhalten. Sex & Drugs & Rock 'n' Roll. Und das, obwohl das Erzbistum Einspruch gegen den Tanz um den goldenen Award erhob. Und das Bayerische Innenministerium wunderte sich damals noch öffentlichkeitswirksam, „warum die Stadt eine Befreiung vom Gesetz erteilt hat – und wie sie diese begründet. Wirtschaftliche Interessen reichen niemals aus.“
Auf einer laut „Süddeutscher Zeitung“ „eilig einberufenen Pressekonferenz“ erklärte das Kreisverwaltungsreferat damals, „dass es keinen Ärger mit der Kirche wünsche. Man habe sich die Angelegenheit wohl überlegt: 'Das Feiertagsgesetz ist ein sehr wichtiges Gesetz, darüber sind wir uns einig mit der Kirche, wir ziehen an einem Strang', so Horst Reif als stellvertretender Kreisverwaltungsreferent. ' Richtig ist aber auch, dass Artikel 5 die Regelung vorsieht, Ausnahmen zuzulassen.' Eine internationale Veranstaltung dieser Größenordnung sei vergleichbar mit der Weltmeisterschaft oder der Olympiade.“
Nun sind die BMW Open weder eine WM noch die Olympiade, sondern gerade mal ein Tennisturnier der ATP-500-Klasse und bei einigen Partien dieser Tage schien es, dass die 500 für die Anzahl der Zuschauer*innen im Center Court steht.
Das Kreisverwaltungsreferat sieht das nun anders und hält seinen schützenden Schirm über die Veranstaltung. Es hat trotz Artikel 5 des Feiertagsgesetzes „den Veranstaltenden der BMW Open für den Karfreitag eine Befreiung vom Verbot von Sportveranstaltungen erteilt. Bei der BWM Open 2025 (109. Internationale Tennismeisterschaften von Bayern) handelt es sich um ein ATP-Turnier, das 2025 erstmalig die 500-er Kategorie erhält und somit zu den wichtigsten Turnieren weltweit aufsteigt. Zudem liegt die Tennisanlage am nördlichen Ende des Englischen Gartens und südlich des Föhringer Rings räumlich abgelegen von größeren Wohnbebauungen.“

Updates:
Die benachbarte Wohnbebauung wird von den BMW Open immerhin so weit tangiert, dass man die Besucherströme auszusperren versucht.

Parallel zu meinem Beitrag hier erschien auch ein längerer Bericht der dpa zur Frage, warum die BMW Open am Karfreitag stattfinden, während das WTA-Turnier in Stuttgart aufgrund des stillen Feiertags pausieren muss. 
„Es klingt schon sonderbar. In München darf an Karfreitag Tennis gespielt werden, in Stuttgart nicht. Beide Weltklasse-Turniere laufen in dieser Karwoche. Aber am Karfreitag ist beim ATP-Event der Herren in München eben alles komplett anders als beim WTA-Turnier der Damen in Stuttgart. 
In der baden-württembergischen Landeshauptstadt Stuttgart ruht der Spielbetrieb. Am gesetzlichen Feiertag ist wie vorgeschrieben Pause – so wie auch in der Fußball-Bundesliga oder in den anderen deutschen Ligen. In der bayrischen Landeshauptstadt München geht das Turnier normal weiter. Dabei sieht das Gesetz vor, dass Sportveranstaltungen am Karfreitag verboten sind. 
Einen bayerischen Gesetzesartikel, wonach an Karfreitag eigentlich keine Ausnahmen möglich sind, hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2016 für unvereinbar und nichtig erklärt. Eine Sonderregelung war in Baden-Württemberg dagegen kein Thema. Eine Ausnahme für öffentliche Sportveranstaltungen ist laut Gesetzestext für den Karfreitag nicht vorgesehen, wie das zuständige Kultusministerium unterstrich.“
Das Urteil (1 BvR 458/10) der Karlsruher Verfassungsrichter hatten Münchner Freigeister des Bundes für Geistesfreiheit erwirkt, deren Heidenspaß-Party im Rahmen eines atheistischen Abends im Jahr 2007 von den Behörden untersagt worden war. Interessanterweise bezieht sich das Urteil also überhaupt nicht auf Sportveranstaltungen, sondern auf die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit oder der Glaubens- und Bekenntnisfreiheit anderer.

Kommentar von Thomas Cloer auf Bluesky: „Carfreitag“.

Montag, 14. April 2025

Wochenplan (Update)

BMW Open / Iphitos; Player's Night / Golden Racket Club by Käfer; Pressefrühstück / Forum Schwanthalerhöhe; Vernissage Klaus Kinold / Stefan Vogdt; Turniermedien-Rundgang des Tourismusbüros der Landeshauptstadt / Altstadt; „Der König kehrt zurück!“ Medienevent zur Bayerischen Landesausstellung „Ludwig I. – Bayerns größter König?“ / Bavaria & Ruhmeshalle; Sondervorführung „Sieben Winter in Teheran“ in Anwesenheit von Shole Pakravan, der Mutter der hingerichteten Reyhaneh Jabbari / Neues Rottmann; Aufschlag bei „BILD“ / Golden Racket Club by Käfer; Trauerfeier Ingo Robin / Grünwald; Beginn des Vorverkaufs für das Berliner Theatertreffen; Sofia Lainovic / Roody Tanzcafé Giesing; „Alles gesagt?“ mit Charles Schumann; TSV 1860 vs. Alemannia Aachen / Grünwalder Stadion & Bayerisches FernsehenIsarflux-Festival mit Black SunZet, Das Format, Plainhead, Isolation Berlin und LCC / HP8