Montag, 13. Januar 2025

Wochenplan (Updates)

Luna-Party / Bayerischer Hof; Vernissagen Sven Kemmler: „Auf See“ / Cafédotkom, Renate Balda & Maja Vogl / Galerie Handwerk, Charlotte Eta Mumm: „Sought by Shadows“ / Tanit, Philip Grözinger: „In Search of the Tannhäuser Gate“ / Nicole Gnesa und „Noch mehr wilde Striche“ – die Internationale Jugendbibliothek zu Gast in der Pinakothek / Pinakothek der Moderne; Nobelpreisträger Robert C. Merton: „Evolution of Financial Science and Financial Innovation“ / Audimax der Technischen Universität; Polizeiruf 110: „Bis Mitternacht“ von Dominik Graf mit Verena Altenberger / Bayerisches Fernsehen; Letzter Vorhang: Abschiedsvorstellung mit Joseph Vilsmaiers „Rama Dama“ / Filmtheater am Sendlinger Tor; Staatsempfang Baiosphere meets DLD / Residenz; Fashion Unplugged / Live Evil; FX Krenkl / Roody Tanzcafé Giesing; Vorpremiere „Fanni – oder: Wie rettet man ein Wirtshaus?“ mit Regiegespräch / Monopol; „Tokyo Vice“ – zweite Staffel / ARD & ARD-Mediathek; Queerer Kunstmarkt mit Nachmittagskonzert von Alex Fine, AESTR und Pinay Colada / Kulturhaus Milbertshofen; Neujahrsempfang der CSU München / Ratskeller; „München Mord: Nix für Angsthasen“ / ZDF; „Der unsichtbare Zoo“ – Erstaufführung in Anwesenheit des Regisseurs Romuald Karmakar / Werkstattkino; artechock Neujahrsempfang; „Antisemitismus in Kunst und Kultur“ – Podiumsdiskussion mit Dana von Suffrin (Foto), Martin Moszkowicz, Lars Henrik Gass und Julie Grimmeisen / Volkstheater

Samstag, 11. Januar 2025

Traumtagebuch (21): Die Dogge

Ein Wirtshaus auf dem Land. Hügeliges Grün und Bäume rundherum. Wir sitzen an einem Biergartentisch unmittelbar vor dem Gebäude. Ich mit dem Rücken zum Haus, in die Ferne blickend.

Wir sind zu dritt. Christian Stolberg, eine junge Mutter und ich. Die Frau ist aber ohne ihr Kind dabei.Sie und ich flirten und sind körperlich sehr vertraut, haben aber nichts miteinander.

Eine erstaunlich große Dogge nähert sich dem Haus und unserem Tisch. Sie kommt erst zu mir, um gekrault zu werden, umrundet dann den Tisch, wo sie am gegenüberliegenden Eck ein Bein hebt und pinkelt. Auf dem Tisch bildet sich eine Lache, Stolli kriegt auch ein paar Tropfen ab. 

Dann trifft auch das Herrchen ein. Wir erzählen ihm, was der Hund angestellt hat. Er nimmt es zur Kenntnis und geht mit seinem Hund ins Haus, ohne den Vorfall zu kommentieren oder sich gar zu entschuldigen.

Die Frau, Stolli und ich haben uns getroffen, um einen mehrtägigen Event à la DLD oder re:publica zu planen. Ich erzähle, welche Programmschwerpunkte ich mir vorstelle, aber Stolli findet sie zu beliebig.


Montag, 6. Januar 2025

Wochenplan (Updates)

Pressekonferenz zum Wahlkampfschwerpunkt der bayerischen SPD mit Ronja Endres und Carsten Träger / Café Magali; Gedenkveranstaltungen zum 41. Jahrestag des rechtsterroristischen Brandanschlags auf die Diskothek Liverpool / Schillerstraße 11 a & Köşk; Gedenkfeier zum 10. Jahrestag des terroristischen Anschlags auf „Charlie Hebdo“ / Rationaltheater; Gastrosilvester / P1; Vorbesichtigung der Online-Auktion Udo – The Personal Collection / Sotheby's; „Es geht um uns“ – Programmpräsentation der ARGEkultur Salzburg; Jour Fixe mit Gabriela de la Punte („The White Pube“, „Poor Artists“) / Akademie der Bildenden Künste; Jimmy Carter's State Funeral / C-Span; Vernissage „The Road Will Still Be There“ der Projektklasse Curtis Talwst Santiago / AkademieGalerie; Trauerfeier für den Buchhändler und Verleger Dinu Popa (Foto) / Nazarethkirche Frankfurt-Eckenheim; Kundgebung für einen gerechten Frieden in Palästina und Israel / Marienplatz; Artist Talk mit Janina Roider / Lohaus Sominsky; Neujahrsempfang der Mohr-Villa„Aufbau nach dem Untergang“ – Vortrag von Ellen Presser zum Neuanfang der Israelitischen Kultusgemeinde München nach 1945 / Synagoge Ohel Jakob 

Montag, 30. Dezember 2024

Wochenplan (Update)

Oysters, Smashed Bingo Burger & Bubbles / The High; Birthday Celebration zum 13-Jährigen / Zum Wolf; Vernissage „A Universe of Thoughts. Italien Photography by Giuseppe Lo Schiavo, Ugo Ricciardi, Alessio Albi, Riccardo Bandiera“ / Galerie Ingo Seufert; Neujahrsempfang der Löwenfans gegen Rechts ft. Oysterfight (Foto) & Garden Gang / Substanz; Golden Globes

Sonntag, 22. Dezember 2024

Wochenplan (Updates)

„Der Letzte macht das Licht aus“ - ein Leichentrunk mit Karl Bruckmaier für die Toten des Pop-Jahrgangs 2024 / Optimal; Francis Ford Coppolas „Der Pate“ und „Der Pate 2“ mit Marlon Brando, Al Pacino, James Caan und Robert Duvall / ARD; Jules Dassins „Topkapi“ (Foto) mit Peter Ustinov, Melina Mercouri, Maximilian Schell, Robert Morley, AkimTamiroff und Joe Dassin / Bayerisches Fernsehen; „Die Grotte der vergessenen Leichen“ und „Das unheimliche Auge“ / Werkstattkino

Montag, 16. Dezember 2024

Poparazzi (15): Neubau des Proben- und Werkstättenzentrums des Residenztheaters

Bekannt aus Tweets, Blogs und der Medienfachpresse. Also überhaupt nicht. Dennoch erkennen mich immer wieder Fremde. Oder flüchtige Bekannte halten mich für wichtig. Und schießen mich ab.

Beim Baustellenrundgang durch das neue Proben- und Werkstättenzentrum des Bayerischen Staatsschauspiels in Berg am Laim fotografierte mich Kollege Robert Braunmüller von der „Abendzeitung“. Der einzige Kollege, mit dem ich mich sieze. So einer knipst auch nicht mit dem Smartphone, sondern mit einer richtigen Kamera.

Wochenplan (Updates)

Richtfest für das Proben- und Werkstättenzentrum des Residenztheaters / Berg am Laim; Presseführung durch die Baustelle der U6-Verlängerung / Am Klopferspitz; Retrospektive zur Neuen Münchner Gruppe mit Klaus Lemkes „Liebe so schön wie Liebe“, Rudolf Thomes „Supergirl“ (Foto) und Roger Fritz' „Mädchen, Mädchen“ / Werkstattkino; KVR-Ausschuss / Rathaus; Vollversammlung des Münchner Stadtrats / Rathaus & Livestream; Accrochage mur à mur / Lohaus Sominsky; Bazar Bizar / Plinganserstraße 20; LiX mit den Autorinnen Millay Hyatt, Elizabeth Pich & Theresa Seraphin und anschließender Weihnachtsfeier / HochX; Festakt zum Präsidentenwechsel beim Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz / Residenz; Alpenfilm-Festival / Filmtheater am Sendlinger Tor; „Die Kür ihres Lebens“, Dokumentarfilm über die Eiskunstläufer Aljona Savchenko & Bruno Massot / arte; Jacques Demys „Les parapluies de Cherbourg“ mit Catherine Deneuve / arte; Kundgebung Femizide stoppen in München / Gärtnerplatz; Robert Altmans „Prêt-à-Porter“ mit Sophia Loren, Julia Roberts, Marcello Mastroianni, Jean-Pierre Cassel, Kim Basinger und Chiara Mastroianni / Filmmuseum; Tyson Fury vs. Oleksandr Usyk / Dazn; „tz“-Spätdienst

Montag, 9. Dezember 2024

Agora (10): Die Übersetzerin Christel Hildebrandt erinnert an den Verleger und Buchhändler Dinu Popa

Christel Hildebrandt, die für den Popa-Verlag Lars Saabye Christensens Roman „Yesterday“ übersetzt hat, erinnert an den letzte Woche verstorbenen Verleger und Buchhändler Dinu Popa. 

Die Nachricht kam wie ein Schock. 

Dinu Popa ist gestorben. Das kann doch nicht sein. Hatte er mir doch als treuer Freund noch vorgeschlagen, dass er Karten für die Buchmesse für mich hat, sozusagen als seine Mitarbeiterin. 
Und wir trafen uns doch immer dort, meistens zum Essen beim Gastland, ich weiß gar nicht mehr, seit wie vielen Jahren. 

Begonnen hat unsere Freundschaft in Oslo, auf der Frauenbuchmesse, das muss 1986 oder 1987 gewesen sein. 

Denn 1988 durfte ich für ihn ein wunderbares norwegisches Buch übersetzen, Beatles auf Norwegisch, Yesterday auf Deutsch, für seinen Ein-Mann-Verlag, den Popa-Verlag. Ein Buch über vier Jungs in Oslo, Beatles-Fans und Nacheiferer, die sich bei jeder neuen Platte ihrer Helden treffen, über ihre Jugend in den 60er- und 70er-Jahren. Ein Buch, das anderen, großen Verlagen zu dick für ein Buch aus Norwegen war, aber Dinu fragte nur: „Findest du das wirklich so gut?“ Und ich konnte bestätigen, dass ich es einfach fantastisch fand. 

Also unterstützte er mich beim Kauf meines ersten Computers, und bei Problemen mit ihm konnte ich jederzeit in München anrufen, damals noch ziemlich kostspielig von Hamburg aus. 

Das Buch von Lars Saabye Christensen wurde nicht nur beim Popa-Verlag ein Erfolg (die Auflage von 3.000 Stück wurde restlos verkauft), es ist heute noch bei Random-House zu kaufen. 

Und seitdem trafen wir uns nicht nur bei allen Veranstaltungen, wo sich unsere Wege kreuzten, nach seinem Umzug nach Frankfurt war meine feste Adresse bei jeder Buchmesse dort die Wohnung von Gisela und Dinu, ich bin geradezu mit ihnen umgezogen. Und Dinu führte mich in für mich als junge Übersetzerin aus dem Norwegischen exotische Kreise ein, seriöse Geschäftsleute, verrückte KünstlerInnen, sein Freundeskreis schien mir keine Grenzen zu haben. Und immer war ich willkommen, wie er auch mich auf den norwegischen Empfängen auf der Messe traf und mit jedem und jeder dort charmant plaudern konnte und mich immer wieder unterstützte. 

Überhaupt hatte ich das Gefühl, Dinu kennt sowieso jeden, zumindest nach zehn Minuten in einem Raum. Und immer schleppte er mich mit, ob zu russischen, französischen, schottischen, rumänischen FreundInnen und Bekannten, die sich sicher häufiger wunderten, was eine Übersetzerin aus der doch kleinen Sprache Norwegisch an ihrem Tisch zu suchen hatte, aber schließlich war Dinu neben mir, und damit war ich akzeptiert. 

Das letzte Mal trafen wir uns, Dinu, Gisela und ich, letztes Jahr in Leipzig auf der Messe, lauschten Texten aus Österreich (auf die Idee wäre ich allein nie gekommen) und speisten natürlich in Auerbachs Keller. So charmant, wie er nach einem Platz fragte, konnten wir gar nicht abgewiesen werden! Und ich habe mich schon auf ein Wiedersehen in Leipzig gefreut, denn auch bei mir wird die Arbeitswut weniger und damit die Motivation, auf Messen zu gehen, wenn es dort keine konkreten Aufgaben gibt. 

Ich sehe es noch vor mir, wie ihr zwei mir Ungläubigen euren Campingwagen von der S-Bahn aus gezeigt habt, nein, ihr wart nicht in einem schicken Hotel abgestiegen, sondern hattet euer Bett mitgebracht, ach ihr beide wart immer so herrlich verrückt und in keine Schublade zu packen. 

Und jetzt fehlt eine Hälfte. Der Bericht von dir, Dorin, hat mich ziemlich erschüttert, jemandem wie Dinu die Möglichkeit zu nehmen, sich auszudrücken, ist einfach eine schreckliche Vorstellung. 

Für mich war er, wenn wir uns trafen, immer so etwas wie ein großer Bruder (auch wenn er nur zwei Monate älter war als ich), den ich nie gehabt hatte, der für alles eine Lösung fand und ganz selbstverständlich dafür sorgte, dass ich Unterkunft und Eintritt zur Messe sowie interessante Kontakte hatte. Aber in erster Linie habe ich mich immer riesig gefreut, ihn (und auch dich, Gisela) zu treffen und mich von seinen Einfällen und Plänen verblüffen zu lassen. Dinu, du fehlst mir.

Wochenplan (Update)

Pressegespräch zur Jahresvorschau des Planungsreferates / PlanTreff; Verleihung von Arbeitsstipendien an 14 Schriftsteller*innen / Kunstministerium; Hanna Hamel: „Zukünftige Verbrechen. Kunst und Kooperation bei David Cronenberg 1970/2022“ / Akademie der Bildenden Künste; Vernissagen Zoe Jux: „Stille, die zeichnet“ / Maximiliansforum, Ilit Azoulay: „Stopover“ und „Wie geht es Dir? Comiczeichner*innen gegen Antisemtismus, Hass und Rassismus“ / VS Goethestraße 54, Philippe Parreno: „Voices“ / Haus der Kunst, Rita Sabo: „Sacred Planet“ / Bayerisches Nationalmuseum und Sophie Schmidt (Foto) & Anna Łuczak: „Brutality of Spring“ / Studio Lothringer 13; Presseempfang des Digitalministers Fabian Mehring / Frau im Mond; Verleihung des Dieter-Hildebrandt-Preises an Till Reiners / Altes Rathaus; Verleihung des Romano-Guardini-Preises an Angelika Nußberger / Katholische Akademie; Programm-Pressekonferenz zum Brechtfestival 2025 / Café Tür an Tür Augsburg; „In der Feuerkette der Epoche“ – Buchpräsentation von Friederike Heimanns Porträt der jüdischen Lyrikerin Gertrud Kolmar / HP8 Gasteig; „Der ganzen Welt benachbart“ – Vorstellung der Publikationsreihe „Jiddistik Edition & Forschung“ mit Lesung von Efrat Gal-Ed und Daria Vakhrushova / tba; The toten Crackhuren im Kofferraum / Strøm; Mobilitätsausschuss / Rathaus; „Die Vice-Story: Gosse. Gonzo. Größenwahn.“ / ARD-Mediathek; Daft Punk & Leiji Matsumoto: „Interstella 5555“ / Mathäser; Sprungbrett Abschluss-Show ft. Mirabelle Rose, Netzwerk, Pew Pew Alice und Popcorn Molecule / Hansa 39; Weihnachtsstehrumchen / Golden Goose; 15 Jahre Boxwerk mit Xmas-Sparring und Uppercut Jazz / Boxwerk; Marco Abel präsentiert sein Buch „Mit Nonchalance am Abgrund“ über die Neue Münchner Gruppe der Filmregisseure Rudolf Thome, Klaus Lemke, Eckhart Schmidt, Max Zihlmann, May Spiels, Werner Enke, Dieter Geissler, Martin Müller und Boris Marran Gosov / Werkstattkino; Retrospektive zur Neuen Münchner Gruppe mit Eckhart Schmidts „Atlantis – Ein Sommermächen“ und „Jet Generation“, Martin Müllers „Anatahan Anatahan“ sowie May Spils' „Zur Sache, Schätzchen“ / Werkstattkino; Felix Hutt liest aus „Ein Mann. Ein Jahr. Kein Alkohol“ / Schumann's; LUNAparty / Bayerischer Hof

Samstag, 7. Dezember 2024

Der Tod zählt zur Familie

Irgendwann ist es mehr als genug. Irgendwann ist es zu viel. Aber irgendwann ist es auch vorbei. Selbst ein sich unbarmherzig wiederholendes Leid. 

Manchmal überfällt es einen überraschend schnell. Nach kurzer, schwerer Krankheit heißt es dann in den Nachrufen. Bei uns in der Familie war bisher eher das Gegenteil die Regel. Jahrelanges Siechtum. Stirb langsam. 

Als vorgestern mein Bruder Dinu im Alter von 72 Jahren verlosch, waren es dagegen nur wenige Wochen gewesen, zwei, drei Monate. „Nach kurzer, schwerer Krankheit“ schrieb ich in meiner Pressemeldung für die Branchenblätter und den Nachrichten für den Freundeskreis und die Angehörigen in Frankreich und Rumänien. Und dennoch war jeder Tag ein Tag zu viel gewesen. Denn an Creutzfeldt-Jakob stirbt man nicht, man krepiert. Diesen Sommer war es bei ihm ausgebrochen, wie es eben ausbricht. Ohne Anlass oder Ursache, aber dafür unbarmherzig tödlich. 

Das Hirn löst sich auf, man kann nicht mehr richtig sehen, stehen, gehen. Hat Wahnvorstellungen, Schwierigkeiten, sich zu artikulieren. Und zwischendurch immer wieder lichte Momente, was es nur grausamer macht, weil man den eigenen Untergang miterlebt. „Ich sterbe“, rief mein Bruder im Krankenhaus, als ein Verlagsvertreter auf Dinus Handy anrief und auf die Freisprecheinstellung geschaltet war. Und in diesem Satz war Dinu wieder ganz der Alte, extrovertiert, dramatisch, trotz der tödlichen Diagnose irgendwie übertreibend, aber nicht ohne Witz und Ironie. Selbst das Schlimmste, Persönlichste für eine Pointe nutzend.

Ausgerechnet Dinu, der intellektuellste oder eher einzige Intellektuelle von uns Söhnen, war im Hirn erkrankt. Eine meiner ältesten Erinnerungen an ihn ist, wie er in seiner ersten eigenen Wohnung in der Wilhelm-Düll-Straße 1 mit anderen zusammen auf dem Boden saß, „Das Kapital“ las und diskutierte. Die Marx-Engels-Lesegruppe. Jahrzehnte später lösten Dinu und ich für die slawistische Buchhandlung Kubon + Sagner ihr Warenlager in der Heßstraße auf und räumten meterweise Marx und Engels ab, in allen möglichen Sprachen. Die Bände lagern wohl immer noch in Dinus Lagerhalle in Frankfurt-Bockenheim.

Deutlich ältere Brüder zu haben, ist wunderbar, wenn man jung ist. Hat man doch als Kind schon Anteil an den Erfahrungen Reiferer. Als ich dagegen Dinu letztes Jahr im Sommer in Frankfurt besuchte, um gemeinsam Dario Argento im Deutschen Filminstitut zu erleben, hatte sich das Blatt gewendet. Jetzt sah ich vor mir, was mir in neun Jahren, vielleicht auch früher oder später, blüht: Einen alten Mann mit vielen Krankenhausaufenthalten hinter sich und einer unaufhörlichen Kette an Erkrankungen. Nichts lebensbedrohliches, aber doch das Leben bestimmendes. Ein Jahr später, als ihn Creutzfeldt-Jakob schon dahinzuraffen begann, lag er in einem Krankenhausbett mit der Modellbezeichnung Avant-Guard.

Doch im Sommer zuvor, nach Argentos Auftritt sind Dinu und ich um die Ecke Essen gegangen. Essen war in unserer Familie wichtig. Und kannte keine Grenzen. Markknochen, paniertes Hirn, blutige Steaks. Etwa als wir gemeinsam auf der BookExpo America in Chicago waren und keine Gelegenheit ausließen, gut zu speisen. 

Diese Erinnerungen bleiben, aber wenn man mich dieser Tage nach Dinus Lebenslauf fragt, muss ich passen und es fällt mir auf, wie wenig ich von seinem Leben weiß, eben auch weil er neun Jahre älter war und schon auszog, als ich noch ein Kind war.

Viele Jahre war er ein Hippie gewesen, langhaarig, mit Vollbart. Und ich weiß noch, wie ich eines Tages von der Schule nach Hause kam und mein Vater mich mit einem jungen, rasierten, kurzhaarigen Mann im Wohnzimmer erwartete und mir eröffnete, dass wir Besuch aus Rumänien hätten. Einen entfernten Cousin. Erst als beide schallend zu lachen begannen, begriff ich, dass das keineswegs ein entfernter Verwandter war, sondern mein Bruder, nur eben mit gestutzten Haaren.

Die letzten Jahre, in denen wir alle zusammen in der Tizianstraße wohnten, waren besonders eng gewesen. Nicht etwa nur die Eltern samt der drei Söhne in der Vier-Zimmer-Wohnung, die Radio Freies Europa für uns in München-Gern angemietet hatte. Denn eines Tages klingelte das Telefon. Meine Mutter ging ran, ich stand neben ihr. Ein Aufschrei. Ihre Mutter, meine Großmutter, Angela „Maia“ Dragu, war in Paris verunglückt. Sie hatte sich daheim hinsetzen wollen, war dabei unglücklich gestürzt und hatte sich so schwer am Kopf verletzt, dass sie fortan auf den Rollstuhl angewiesen war und kaum mehr sprechen konnte. Also zogen die Großeltern auch zu uns nach München. Meine Mutter hatte nun mehrere Jahre einen Sieben-Personen-Haushalt zu betreuen und ich erlebte Maias Siechtum aus nächster Nähe.

Bisher war ich der Meinung, das meine panische Angst vor Menschen, die sich schwer artikulieren können, deren Worte ich nicht verstehen kann, aus der Zeit stammt, als ich als Kleinkind in Deutschland lebte, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, weil wir daheim nur Rumänisch redeten. Inzwischen vermute ich, dass dieses Trauma eher mit meiner Großmutter zusammenhängt, deren Worte ich plötzlich nicht mehr verstehen konnte.

Irgendwann kehrten meine Großeltern wieder nach Paris zurück, aber die Wohnung blieb ein Hospiz. Nun war mein Vater dran, der an allerlei litt: Magengeschwüre und Prostatakrebs, Angina Pectoris und Migräne … Wobei letzteres mit das Schlimmste war, weil er dagegen Unmengen an Dolviran schluckte und sich damit regelrecht vergiftete. Wenn er mit der Trambahn zur Arbeit gefahren war, aber abends nicht nach Hause kam, machte ich mich als Kind auf den Weg, die Strecke nach ihm abzusuchen, ob er vielleicht irgendwo auf einer Parkbank vor sich hin dämmerte. Ich saß im Notarztwagen, als er nach einem seiner Herzinfarkte eingeliefert wurde. Und als er ein anderes Mal ausgerechnet in der Klinik des Leibarztes von Franz Josef Strauß in Kempfenhausen lag, fuhr ich allein immer mit der S-Bahn nach Starnberg und lief von dort zu Fuß zur Argirov-Klinik, um ihn zu besuchen. Denn Klinikaufenthalte waren für meinen Vater die Hölle, weil ihn die deutschen Ärzte und Krankenschwestern an seinen KZ-Aufenthalt erinnerten. Gestorben ist er dann mutterseelenallein im Bett daheim, als ich mit meiner Mutter zu Besuch in Paris war. Zu Lebzeiten hatte mein Vater immer gescherzt, dass meine Mutter sich anläßlich seiner Beerdigung sicher darüber beschweren würde, dass sie dafür so früh aufstehen muss. Und so war es dann auch tatsächlich.

Für meine Mutter, die zwischen den beiden Weltkriegen in einen Diplomatenhaushalt mit Domestiken und Haute-Couture hineingeboren wurde, aber später dann verarmt im Exil lebte, begann jetzt eine gute Zeit, in der sie nur noch für sich selbst sorgen musste. Nahezu dreißig schöne Jahre. Bis dann das Alter zuschlug. Sie war plötzlich auf einen Rollator angewiesen. Und sie, die nahezu jeden Tag in der Innenstadt einkaufen war, verließ plötzlich den Arabellapark nicht mehr. Im Rewe kaufte sie nur noch im Erdgeschoss ein und mied das Untergeschoss. Irgendwann verließ sie ihre Wohnung nicht mehr. Der Garten, den sie jahrzehntelang leidenschaftlich gepflegt hatte, wurde nicht mehr betreten. Dann fiel das Wohnzimmer weg. Und irgendwann verließ sie ihr Bett nicht mehr selbständig. 

Und so wie sich ihr Bewegungsfeld reduzierte, ließ auch ihre geistige Reichweite nach. Beginnende Demenz, die man als Sohn lange übersieht. Bis es dann nicht mehr ignoriert werden kann. Es beginnt mit dem schmutzigen Geschirr, das sich in der Spüle stapelt. Und dann findet man plötzlich, irgendwo versteckt, vollgeschissene Bettwäsche. Neun Jahre pflegten wir unsere Mutter daheim. Fütterten sie, wuschen sie, halfen ihr aufs Klo. Ein paar Jahre vor ihrem Tod stellte sie das Reden ein. Und wir kommunizierten nur noch über Blicke. Was soll man auch reden, wenn bei den intimsten Dingen plötzlich Mutter und Kind die Rollen tauschen. Und selbst mit Dritten zog eine Sprachlosigkeit ein, was meine Mutter betraf. Zu absurd war vieles. Etwa als die trockene Haut meiner Mutter immer mit Kokosnussöl eingerieben werden sollte. Ich zur gleichen Zeit eine Freundin hatte, die aufgrund ihrer Allergien Kokosnussöl als Gleitmittel nutzte. Und niemals zuvor oder danach ich etwas mit Kokosnussöl zu tun hatte, bis auf wenige Monate in dieser Konjunktion.

Sprachlosigkeit muss aber nicht zwingend schlecht sein. Mit meinem Bruder Dinu verstand ich mich auch ohne Worte. Wir sprachen kaum. Aber wir verstanden uns. Er war vielleicht der einzige, aber mit Sicherheit der letzte, dem ich mich nie erklären musste. Mit dem ich dieselbe Heimatlosigkeit teilte. Dabei waren wir grundverschieden. Er offen, freundlich, positiv. Ich verschlossen, misstrauisch, überkritisch. Wenn ich ihm eine böse Beobachtung zuraunte, plauderte er sie im nächsten Augenblick gegenüber dem Objekt meiner Kritik aus. Aber nicht etwa, um mich hinzuhängen, sondern um das Gespräch zu eröffnen. Und nie reagierte jemand böse auf meine weitergetragenen Bosheiten, weil die so entwaffnende Freundlichkeit meines Bruders selbst meiner Häme jede Schärfe nahm.

Ich bin mir nicht sicher, ob er mich tatsächlich erkannt hat, als ich ihn Mitte Oktober im Krankenhaus besuchte. Halb dämmerte er mit geschlossenen Augen vor sich hin. Bekam aber immer wieder durchaus mit, was um ihn herum geschah und äußerte sich dann plötzlich geistesgegenwärtig, mit dem ihm eigenen Schalk, um gleich darauf wieder wegzudämmern. Mal ein Auge geöffnet, mal beide Augen. Die „Rosenheim-Cops“ im Krankenhausfernseher verfolgend, die auch immer bei meiner Mutter liefen, als sie bettlägerig war.

An jenem Nachmittag in Wiesbaden war Dinu teilweise noch recht agil. Saß er erstmal im Rollstuhl, wusste er sich zu bewegen. Und als meine Schwägerin und ich eingetroffen waren, um ihn zu besuchen, trafen wir ihn erst einmal gar nicht an. Er war weder in seinem Bett, noch in seinem Zimmer oder gar auf der Station. Er war im Rollstuhl ausgebüxt. Und wir mussten das halbe Gebäude nach ihm absuchen, bis wir ihn dann im Erdgeschoss rollend fanden.

Als wir ihn später am Nachmittag, kurz bevor wir gingen, ein bisschen herumschoben, vermeinte ich auch zu hören, wir er mir ein „Dorinel“, kleiner Dorin, nachrief. Aber so leise, dass ich mir nicht sicher sein kann, ob er es tatsächlich rief. Ob er mich wiedererkannt hatte, einzuordnen wusste, in der grassierenden Unordnung seines Hirns.

Gemeinsam aßen wir noch etwas. Das Schlucken fiel ihm sichtlich schwer. Die Station hatte eigentlich auch verboten, ihm noch feste Nahrung zu geben. Aber er aß mit dem alten Appetit. Selbst wenn er sich dabei ständig verschluckte.

Das waren unsere letzten gemeinsamen Momente. Er durfte dann aus dem Krankenhaus noch ein paar letzte Wochen nach Hause, bevor er schließlich in einem Hospiz seine letzten Tage verbrachte und friedlich, in Anwesenheit seiner Frau, für immer einschlief.

(Foto mit der Barbie-Puppe: Peter Eising; Rest privat)

Mittwoch, 4. Dezember 2024

Feine erste Sätze (71)

„Dass ein Bayer nach Höherem strebt, ist nichts Besonderes.“

Bernhard Lohr in seinem Artikel über das Neue Schloss Schleißheim und dessen Erbauer Kurfürst Max Emanuel in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 4. Dezember 2024.