„Ponkie sieht fern“ und wenn die Grande Dame der deutschen Film- und Fernsehkritik dann auch noch darüber schreibt, lesen wir es gern. Früher saßen wir sogar noch zeitgleich vor dem braunen Kasten, es gab weniger Programme, keine technischen Hilfsmittel, und so wie wir uns am nächsten Tag in der Schule oder am Arbeitsplatz über „Wünsch Dir was“, Schimanski oder „Berlin Alexanderplatz“ unterhielten, fieberten wir auch dem übernächsten Tag entgegen, wenn Ponkie uns erst – den Andruckzeiten geschuldet – ihre Sicht der Dinge unterbreiten konnte, die selbst zwei Tage nach der Ausstrahlung und einen Tag, nachdem wir ausgiebigst das Fernsehereignis durchgehechelt hatten, immer noch, immer wieder neue Aspekte des Gesehenen, um nicht zu sagen: des Geschehenen, eröffnete.
Dann wurden der Videorekorder, die DVD erfunden, und Ponkie saß nicht mehr gleichzeitig wie wir vor den zunehmend flacher wie bunter gewordenen Fernsehgeräten, sie schrieb auch nicht mehr so viel, aber immer noch Gewichtiges. Insofern lag natürlich auch keine Geschichte, die nicht zu erklären wäre, vor, als die heutige „Abendzeitung“ in ihrer gestrigen Frühausgabe bereits kurz nach 19 Uhr Ponkies Fernsehkritik zu „Der Tote im Spreewald“ veröffentlichte, den das ZDF erst über eine Stunde später ausstrahlen sollte.
„So schnell ist Print“, mokierte ich mich in einem Tweet. Ponkie bekäme solche Highlights vorab als DVD zugesandt, rechtfertigte sich die AZ stante pede recht humorlos wie konspirativ: per Direct Message.
Und doch: Wieso kein von Ponkie geadelter Filmtip am Tag zuvor, der dem herausragenden Fernsehstück nur mehr Zuschauer beschert hätte? Oder warum nicht noch einen Tag gewartet, um die Fernsehkritik zu einem plausiblen Termin abzudrucken?
Betrug oder Lüge wäre sicherlich eine harsche Übertreibung, aber was soll – ganz naiv gefragt – ein durchschnittlicher Leser denken, der in seiner Zeitung die wertende Kritik eines überhaupt erst stattfindenden Ereignisses liest? Wahrscheinlich würde er sich nicht wundern, bei dem Ruf, den die Presse längst hat.
Im eh nicht zu gewinnenden Wettstreit mit der Onlinekonkurrenz betonen Printmedien gern ihre Zuverlässigkeit und Präzision als Gatekeeper an der Rotationsmaschine, vermeintliche Eigenschaften, die jeder anzweifelt, der schon einmal die Ehre hatte, mit Printredaktionen, gerade auch Tageszeitungen zusammenzuarbeiten.
Doch das harmlose Beispiel mit Ponkies visionärer Fernsehkritik zeigt nur, wie leichtfertig man sogar seine besten Namen verheizt, nur um möglichst früh, möglichst schnell am Ball zu sein. Und wer die „Abendzeitung“ regelmäßig liest, weiß, daß das kein Einzelfall ist. Partyreportagen von gelungenen Abenden, obwohl bei Andruck gerade mal die ersten Premierengäste am roten Teppich eintrafen, jubelnde Eventarien zu Veranstaltungen, die noch gar nicht stattgefunden haben, kommen durchaus vor. Und beim Duplizieren von Printbeiträgen online übersieht die Redaktion gern mal, daß die papierne und elektronische Ausgaben an unterschiedlichen Kalendertagen erscheinen, und verheddert sich in den Zeitangaben.