Samstag, 24. April 2010
Wochenplan
Pressevorführungen „My name is Khan“ und „Iron Man 2“, BJV-Medienlounge / Volksgarten, Lesung Benjamin Stein / Galerie Clair, Dominik Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ / arte, Lesung Jürgen Teipel / Kammerspiele, Ehemaligentreffen des Wittelsbacher Gymnasiums / Augustinerkeller, Konzert 3 Normal Beatles / Kammerspiele, Tanz in den Mai, Hof-Flohmärkte Maxvorstadt
Freitag, 23. April 2010
Copycats am Baumwall? Nein, bloße „Koinzidenz“
Das Déjà-vu kann beim Lesen kommen: Wenn landauf, landab quer durch die Redaktionen identische Interviewpassagen veröffentlicht werden, weil der Star anläßlich seines kommenden Films, seiner neuen CD, seines druckfrischen Bestsellers die immergleichen Sentenzen ins Mikrofon wiederholt oder es vielleicht auch gar nicht all die vermeintlichen Exklusivinterviews oder zweisamen Begegnungen gegeben hat, sondern das Dutzend Teilnehmer eines Round-Table-Gesprächs dieselben Brosamen ihrer Massenabfertigung ihren Redaktionen oder auch nur dem Leser als persönlichen Schatz verkaufen.
Manchmal gibt es aber auch originell formatierte Interviewserien à la „Im Taxi mit…“ oder „Was macht eigentlich…?“, die eine Redaktion kreiert und andere gern imitieren.
Der „Stern“ schafft es nun in seiner gestern erschienenen Ausgabe beide Eindrücke zu verknüpfen, ohne überhaupt kopiert haben zu wollen. „Freunde“ heißt die neue Serie, in der Fotograf Ludwig Rauch und Autor Helge Hopp jede Woche Freundespaare vorstellen, von denen einer prominent ist. „Die Idee zu dieser Kolumne“, so Chefredakteur Andreas Petzold auf Anfrage, ist ihm „von dem Fotografen Ludwig Rauch angeboten worden, der auch die Paarungen organisiert hat“.
Das Format erinnert nun aber auch an eine Kolumne der Frauenzeitschrift „freundin“. Seit September 2005 stellen darin wechselnde Autoren (zu denen auch ich bis 2007 gehört habe) alle 14 Tage eine Prominente und ihre beste Freundin vor, seit September 2006 fotografiert ausschließlich Jim Rakete „Unter Freundinnen“, stets innig vor neutralem Hintergrund, inzwischen sind auch mal gemischte Paare oder sogar reine Männerteams mit dabei.
Die Unterschiede will ich gar nicht leugnen: Beim Original eine drei Seiten lange Farbstrecke mit Wortlautinterview. Beim „Stern“ eine durchgeschriebene Seite in schwarzweiß mit einigen O-Tönen – oder um einen Kollegen zu zitieren: die Hartz-IV-Variante des Konzepts.
Andreas Petzold bezieht „bedauerlicherweise die 'freundin' nicht“, der zuständige Ressortleiter Kultur und Style, Kester Schlenz, früher lange Zeit für die „Brigitte“ tätig, versicherte mir telefonisch, daß weder ihm noch seiner Kollegin Silke Müller das – immerhin schon fünf Jahre existierende – Burda-Format bekannt gewesen sei. „Ich sage Ihnen ohne jede Arroganz: Wir haben es nicht geklaut. Wir haben das nicht nötig.“ Und offenbar ist auch sonst keinem in der Redaktion, Grafik oder Dokumentation die Parallele aufgefallen – oder um Schlenz zu zitieren: die „Koinzidenz“.
Als ob es nicht schon genug des Zufalls gewesen wäre, startet die „Stern“-Kolumne ohne ersichtlichen aktuellen Anlaß mit einem Porträt der Schwimmerin Britta Steffen und ihrer Bekannten Melanie Arndt – die im Sommer 2009 beide anläßlich der Schwimm-Weltmeisterin eben auch schon in der „freundin“ als Doppelpack präsentiert wurden.
Doch hier zieht der „Stern“ seinen letzten Trumpf: Rauch & Hopp hätten Arndt und Steffen bereits lange zuvor, im November 2008 getroffen, denn die neue „Stern“-Serie wurde ursprünglich für „Park Avenue“ konzipiert. Stehsatz nennt man so etwas gemeinhin.
Manchmal gibt es aber auch originell formatierte Interviewserien à la „Im Taxi mit…“ oder „Was macht eigentlich…?“, die eine Redaktion kreiert und andere gern imitieren.
Der „Stern“ schafft es nun in seiner gestern erschienenen Ausgabe beide Eindrücke zu verknüpfen, ohne überhaupt kopiert haben zu wollen. „Freunde“ heißt die neue Serie, in der Fotograf Ludwig Rauch und Autor Helge Hopp jede Woche Freundespaare vorstellen, von denen einer prominent ist. „Die Idee zu dieser Kolumne“, so Chefredakteur Andreas Petzold auf Anfrage, ist ihm „von dem Fotografen Ludwig Rauch angeboten worden, der auch die Paarungen organisiert hat“.
Das Format erinnert nun aber auch an eine Kolumne der Frauenzeitschrift „freundin“. Seit September 2005 stellen darin wechselnde Autoren (zu denen auch ich bis 2007 gehört habe) alle 14 Tage eine Prominente und ihre beste Freundin vor, seit September 2006 fotografiert ausschließlich Jim Rakete „Unter Freundinnen“, stets innig vor neutralem Hintergrund, inzwischen sind auch mal gemischte Paare oder sogar reine Männerteams mit dabei.
Die Unterschiede will ich gar nicht leugnen: Beim Original eine drei Seiten lange Farbstrecke mit Wortlautinterview. Beim „Stern“ eine durchgeschriebene Seite in schwarzweiß mit einigen O-Tönen – oder um einen Kollegen zu zitieren: die Hartz-IV-Variante des Konzepts.
Andreas Petzold bezieht „bedauerlicherweise die 'freundin' nicht“, der zuständige Ressortleiter Kultur und Style, Kester Schlenz, früher lange Zeit für die „Brigitte“ tätig, versicherte mir telefonisch, daß weder ihm noch seiner Kollegin Silke Müller das – immerhin schon fünf Jahre existierende – Burda-Format bekannt gewesen sei. „Ich sage Ihnen ohne jede Arroganz: Wir haben es nicht geklaut. Wir haben das nicht nötig.“ Und offenbar ist auch sonst keinem in der Redaktion, Grafik oder Dokumentation die Parallele aufgefallen – oder um Schlenz zu zitieren: die „Koinzidenz“.
Als ob es nicht schon genug des Zufalls gewesen wäre, startet die „Stern“-Kolumne ohne ersichtlichen aktuellen Anlaß mit einem Porträt der Schwimmerin Britta Steffen und ihrer Bekannten Melanie Arndt – die im Sommer 2009 beide anläßlich der Schwimm-Weltmeisterin eben auch schon in der „freundin“ als Doppelpack präsentiert wurden.
Doch hier zieht der „Stern“ seinen letzten Trumpf: Rauch & Hopp hätten Arndt und Steffen bereits lange zuvor, im November 2008 getroffen, denn die neue „Stern“-Serie wurde ursprünglich für „Park Avenue“ konzipiert. Stehsatz nennt man so etwas gemeinhin.
Deutscher Filmpreis: Diktatur, Manipulation & Schizophrenie bei der Lola? (ARD, 21.45 Uhr)
Die Münchner „Abendzeitung“ hat heute einen bereits mehrere Tage in den Medien kursierenden Offenen Brief des Filmjournalisten, Regisseurs und Produzenten Eckhart Schmidt veröffentlicht:
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Mitglieder der Deutschen Filmakademie,
ich behaupte Diktatur, Manipulation, Schizophrenie in der Akademie: Warum Diktatur? Ich fühle mich diktatorisch bevormundet, wenn eine Jury vorentscheidet, über welche Filme ich dann als Mitglied der Akademie entscheiden darf.
Die Filmakademie wurde nicht zuletzt deshalb ins Leben gerufen, um das manipulative Jury-Unwesen abzuschaffen. Durch die Hintertür ist die Diktatur einer Jury zurück gekehrt. Offenbar misstraut man einem freiheitlichen Verfahren und traut den Regisseuren, Kameraleuten, Produzenten etc. nicht zu, selbst die Besten aus ihren Reihen zu nominieren. Entmündigung und Diktatur statt Freiheit.
Warum Manipulation? Wenn es ein Film soweit gebracht hat, in der Kategorie 'Bester Film' von der Vor-Jury nominiert zu werden, dann setzt die Manipulation der Filmakademie noch einmal ein. Ich möchte mich unter der handvoll nominierter Filme nur für einen einzigen entscheiden: für meinen Lieblingsfilm! Das aber darf ich nicht. Ich muss insgesamt drei Filme wählen oder meine Stimme ist ungültig. Ich muss also neben meinem Lieblingsfilm noch für zwei weitere Filme stimmen, egal, wie unterirdisch ich sie finde.
Die Konsequenz dieser manipulativen Praxis ist, dass ein Film plötzlich die Lola als 'Bester Film' erhalten kann, den ein Großteil der Akademie-Mitglieder gar nicht wählen wollte, den sie aber auch wählen mussten, damit ihre Stimme nicht ungültig wird!
Warum Schizophrenie? Fast alle deutschen Filme entstehen mit Beteiligung des Fernsehens als Co-Produzent. Das Fernsehen ist deshalb zum entscheidenden Faktor für das Zustandekommen eines Films geworden. Es ist Schizophrenie der Filmakademie, diesen für den Film wichtigen Partner nicht zum vollwertigen Partner zu machen und ihn wie jeden anderen Produzenten zu beteiligen. Selbst TV-Co-Produzenten de in der Kategorie 'Bester Film' nominierten Filme werden nicht zu der vom Fernsehen (!) ausgestrahlten Lola-Show eingeladen oder müssen um ihr Ticket kämpfen. Schizophrener geht's nicht.
Eckhart Schmidt
(zur Zeit noch Mitglied der Deutschen Filmakademie“
(Foto: rbb/picture-alliance/dpa)
„Sehr geehrte Damen und Herren,
Mitglieder der Deutschen Filmakademie,
ich behaupte Diktatur, Manipulation, Schizophrenie in der Akademie: Warum Diktatur? Ich fühle mich diktatorisch bevormundet, wenn eine Jury vorentscheidet, über welche Filme ich dann als Mitglied der Akademie entscheiden darf.
Die Filmakademie wurde nicht zuletzt deshalb ins Leben gerufen, um das manipulative Jury-Unwesen abzuschaffen. Durch die Hintertür ist die Diktatur einer Jury zurück gekehrt. Offenbar misstraut man einem freiheitlichen Verfahren und traut den Regisseuren, Kameraleuten, Produzenten etc. nicht zu, selbst die Besten aus ihren Reihen zu nominieren. Entmündigung und Diktatur statt Freiheit.
Warum Manipulation? Wenn es ein Film soweit gebracht hat, in der Kategorie 'Bester Film' von der Vor-Jury nominiert zu werden, dann setzt die Manipulation der Filmakademie noch einmal ein. Ich möchte mich unter der handvoll nominierter Filme nur für einen einzigen entscheiden: für meinen Lieblingsfilm! Das aber darf ich nicht. Ich muss insgesamt drei Filme wählen oder meine Stimme ist ungültig. Ich muss also neben meinem Lieblingsfilm noch für zwei weitere Filme stimmen, egal, wie unterirdisch ich sie finde.
Die Konsequenz dieser manipulativen Praxis ist, dass ein Film plötzlich die Lola als 'Bester Film' erhalten kann, den ein Großteil der Akademie-Mitglieder gar nicht wählen wollte, den sie aber auch wählen mussten, damit ihre Stimme nicht ungültig wird!
Warum Schizophrenie? Fast alle deutschen Filme entstehen mit Beteiligung des Fernsehens als Co-Produzent. Das Fernsehen ist deshalb zum entscheidenden Faktor für das Zustandekommen eines Films geworden. Es ist Schizophrenie der Filmakademie, diesen für den Film wichtigen Partner nicht zum vollwertigen Partner zu machen und ihn wie jeden anderen Produzenten zu beteiligen. Selbst TV-Co-Produzenten de in der Kategorie 'Bester Film' nominierten Filme werden nicht zu der vom Fernsehen (!) ausgestrahlten Lola-Show eingeladen oder müssen um ihr Ticket kämpfen. Schizophrener geht's nicht.
Eckhart Schmidt
(zur Zeit noch Mitglied der Deutschen Filmakademie“
(Foto: rbb/picture-alliance/dpa)
Mittwoch, 21. April 2010
Stoff fürs Millennium (1998)
Ob natürlich anodisiertes, gebürstetes, eloxiertes, hochglanzpoliertes, mattiertes, epoxylackiertes oder pulverbeschichtetes Aluminium: Kaum eine Seite im neu erschienenen Herbstkatalog des Philip Morris Design Shops, auf der der silbrig-weiße Werkstoff fehlt. Kaum eine Möbelmesse ohne die Flexibilität und Leichtigkeit von Aluminiumkonstruktionen. Aber im Vergleich mit Klassikern der sechziger Jahre wie die Splügen-Bräu-Lampe der Gebrüder Castiglioni und die Aluminiumsessel des Designerpaares Charles und Ray Eames hat die Aluware heutzutage nicht mehr die Anmut revolutionärer Kultobjekte.
Der Produktanspruch von Alufelgen und Knoblauchpressen, Gemüseschälern oder Spätzlepressen aus Aluminiumdruckguß bestimmt das (De-)Sein. Das Material wird nurmehr im Kleingedruckten erwähnt und strotzt vor – mal glänzender, mal mattierter – Banalität, die sich als Präsent stets gut macht, weil man nicht auf alle Ewigkeit nur Alessi-Alberei aus Plaste und Edelstahl verschenken kann – hat ja auch schon fast jeder. Dann vielleicht stattdessen Philippe Starcks wabbelige Aluminiumoxydgußfigur „Dédé“, bei der man selbst im Hause Philip Morris etwas unschlüssig ist, ob sie nun als Briefbeschwerer, Buchstütze oder Türstopper Staub fangen soll – aber 380 Mark darf so etwas ruhig kosten.
Mein Aluminium ist von ganz anderer Natur. Bekennt sich zu seiner antiken Bedeutung in Form der Alaunerde und zum Fortschrittsmythos des 19. Jahrhunderts, als das Element mit der Ordnungszahl 13 erstmals per Elektrolyse aus Bauxit gewonnen wurde. Und existiert nicht im Einklang mit Feldspat und Glimmer, als relevanter Bestandteil unserer Erdkruste, um dann letztendlich im Flur als Hutständer zu enden. Mein Aluminium hat ein Gesicht. Auf dem Boden steht die Herstellerangabe Faymont, mit einem Stern über dem M. Der Griff ist mit drei Nieten befestigt, die mich bei Aluminium- und Kupfergeschirr immer daran erinnern, daß Kochen und Kochwerkzeug noch etwas mit Handwerk und Schmieden zu tun hat.
Der Rand hat etwas unperfektes, individuelles, nicht, weil der Hersteller unfähig gewesen wäre, einen runden Topf zu fabrizieren, sondern weil das Leichtmetall verformbar ist, bei jeder Nutzung, jedem Kochgang Dellen, Wellen abkriegt, wie sie Foodstylisten lieben, die ein Rezept illustrieren müssen und die Küche lebendig wirken lassen wollen. Im Einsatz auf der Elektroherdplatte ist so ein schiefes, krummes, unebenes, wackliges, zerkratztes Pfännchen unbrauchbar, reines Aluminium das absolute Gegenteil zum raffinierten, auch Aluminium enthaltenen Sandwichboden. Beim klassischen Espressokocher, dieser Alu-Schraubkanne mit ihrem schmalen Boden und dem soliden Mittelpunkt, bekommt man auch auf der Stromplatte einen schönen kleinen Braunen. Aber sonst ist das Material nur etwas für Gashaushalte.
Und für ehemalige Gashaushalte – denn einen Alutopf schmeißt man nicht weg. Nicht nur, weil er mütterliche Weichheit und Wärme, Zeitläufte, ersten Milchreis und Nudeln verkörpert, sondern weil er intime Einblicke gewährt. Aluminium reagiert und verfärbt, verformt sich im Kontakt mit anderen Stoffen, wird dann „unansehnlich“, wie die Haushaltsmullahs von Manufactum herummäkeln, weshalb das Waltroper Versandhaus nur porendicht eloxierte, das heißt: gehärtete Aluminiumpfannen aus Israel anbietet.
Ich blicke lieber ganz tief und lang in meine französische und italienische Weichware und zähl' die Löcher, sehe Flecken, Schlieren, Verunreinigungen, Verfärbungen wie bei einem Menschen, dessen Muttermale, Poren, Narben, Flaum man betrachtet, studiert, liebt.
Wolfram Siebeck schimpft solches Kochgeschirr „zerbeulte Pfadfinderausrüstung“ und läßt als Anhänger schwerer Töpfe und Pfannen unter „Zaubereien in Alu“ gerade mal in Folie gegarten Seewolf gelten. Doch dank der extrem hohen Temperaturleitfähigkeit, der Bezahlbarkeit und der pragmatischen, puristischen Anmutung ist Aluminiumgeschirr nicht mehr nur in der Gastronomie, sondern zunehmend auch in Privathaushalten gefragt, in denen man noch mit Gas kocht, und daher gerade auch in Berlin. Zumal inzwischen widerlegt ist, daß das lebensmittelechte, geruchs- und geschmacksneutrale Aluminium mit seinem Reinheitsgrad von 99,5 Prozent beim Kochvorgang Partikel freisetzte, die sich im Hirn anreichern und Alzheimer auslösen.
Zur Unbedenklichkeitsbescheinigung kommt der High-tech-Nimbus eines Werkstoffes, der nicht nur Flugzeuge formt, den Computern von Fujitsu bessere Wärmeableitung gewährt, den Audi A 8 versteift und das Cockpit im neuen Alfa Spider matt schimmern läßt, sondern auf einzigartige Art und Weise exotisch wirkt, obwohl es ihn in seiner industriellen Anwendung schon 144 Jahre gibt. Und das Alugeschirr in der Küche scheint mindestens genauso alt zu sein, denn selbst neu erworben sieht der Pastakocher nach zwei, drei Anwendungen wie ererbt aus.
Diese Ambivalenz aus modernem, funktionalem Element und schicker, sinnlicher Patina propagiert auch Coledampf's Küchenladen, wo die Aluriege mit einem knappen, museumsreifen „Spätes 20. Jahrhundert“ beworben und von den Wilmersdorfern wie wild gekauft wird.
Das Sortiment italienischer Profitöpfe reicht dort von der kleinen Stielkasserolle bis zum 85-Liter-Monstrum, die allesamt für die Gastronomie produziert werden und im Preis sogar Tchibo unterbieten. Der typische Erstkäufer will meist nur Urlaubserinnerungen mit einem mediterranen Fischkessel auffrischen oder für sein Party-Chili ein großes, billiges One-Night-Behältnis erwerben. Dann wird der Flirt zur Abhängigkeit, Alu zum Kult. Nicht nur für die eigene Küche, sondern auch als Geschenk. Wie jener dreifüßige Gemüseseiher im Oma-Look, den Coledampf's-Geschäftsführer Andreas Langholtz am laufenden Band verkauft und in dem man einen Yorkshire-Terrier baden könnte.
Womit wir auch fast schon zwei Ecken weiter in der Fasanenstraße wären, in der der Tanz ums Aluminium, die Fortschrittlichkeit mit Retro-Elementen noch weit verfeinertere Formen annimmt. „Aluminium“ taufte Bulgari seinen neuen, überaus sportlichen Chronometer, dessen Kautschuk-Aluminium-Konstrukt mit 2600 bis 2900 Mark zu bezahlen ist. Der Rückgriff aufs Aluminium, der bei der Swatch-Irony nur Sammler interessieren mochte, und bei Manufactums Dreißiger-Jahre-Wanduhr für robust-elegante Tradition steht, wird in der Hand der italienischen Nobeljuweliere zur grenzüberschreitenden Provokation, zur alchimistischen Philosophiererei, bei der die Namensgebung und das damit verbundene Bekenntnis fast schon wichtiger scheint als das wirklich verarbeitete Element. Statt edlerer Metalle und Verbundstoffe verkörpert Aluminium für den Bulgari-Clan die raffinierte und zugleich schlichte Ästhetik des neuen Jahrtausends. Und wenn es ein italienisches Millennium wird, kann es nur gut werden.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 30. August 1998 im „Tagesspiegel“ und wurde – ohne daß ich ihn eingereicht hätte – beim Journalisten-Wettbewerb der Aluminium-Zentrale mit einem 3. Preis ausgezeichnet.
Der Produktanspruch von Alufelgen und Knoblauchpressen, Gemüseschälern oder Spätzlepressen aus Aluminiumdruckguß bestimmt das (De-)Sein. Das Material wird nurmehr im Kleingedruckten erwähnt und strotzt vor – mal glänzender, mal mattierter – Banalität, die sich als Präsent stets gut macht, weil man nicht auf alle Ewigkeit nur Alessi-Alberei aus Plaste und Edelstahl verschenken kann – hat ja auch schon fast jeder. Dann vielleicht stattdessen Philippe Starcks wabbelige Aluminiumoxydgußfigur „Dédé“, bei der man selbst im Hause Philip Morris etwas unschlüssig ist, ob sie nun als Briefbeschwerer, Buchstütze oder Türstopper Staub fangen soll – aber 380 Mark darf so etwas ruhig kosten.
Mein Aluminium ist von ganz anderer Natur. Bekennt sich zu seiner antiken Bedeutung in Form der Alaunerde und zum Fortschrittsmythos des 19. Jahrhunderts, als das Element mit der Ordnungszahl 13 erstmals per Elektrolyse aus Bauxit gewonnen wurde. Und existiert nicht im Einklang mit Feldspat und Glimmer, als relevanter Bestandteil unserer Erdkruste, um dann letztendlich im Flur als Hutständer zu enden. Mein Aluminium hat ein Gesicht. Auf dem Boden steht die Herstellerangabe Faymont, mit einem Stern über dem M. Der Griff ist mit drei Nieten befestigt, die mich bei Aluminium- und Kupfergeschirr immer daran erinnern, daß Kochen und Kochwerkzeug noch etwas mit Handwerk und Schmieden zu tun hat.
Der Rand hat etwas unperfektes, individuelles, nicht, weil der Hersteller unfähig gewesen wäre, einen runden Topf zu fabrizieren, sondern weil das Leichtmetall verformbar ist, bei jeder Nutzung, jedem Kochgang Dellen, Wellen abkriegt, wie sie Foodstylisten lieben, die ein Rezept illustrieren müssen und die Küche lebendig wirken lassen wollen. Im Einsatz auf der Elektroherdplatte ist so ein schiefes, krummes, unebenes, wackliges, zerkratztes Pfännchen unbrauchbar, reines Aluminium das absolute Gegenteil zum raffinierten, auch Aluminium enthaltenen Sandwichboden. Beim klassischen Espressokocher, dieser Alu-Schraubkanne mit ihrem schmalen Boden und dem soliden Mittelpunkt, bekommt man auch auf der Stromplatte einen schönen kleinen Braunen. Aber sonst ist das Material nur etwas für Gashaushalte.
Und für ehemalige Gashaushalte – denn einen Alutopf schmeißt man nicht weg. Nicht nur, weil er mütterliche Weichheit und Wärme, Zeitläufte, ersten Milchreis und Nudeln verkörpert, sondern weil er intime Einblicke gewährt. Aluminium reagiert und verfärbt, verformt sich im Kontakt mit anderen Stoffen, wird dann „unansehnlich“, wie die Haushaltsmullahs von Manufactum herummäkeln, weshalb das Waltroper Versandhaus nur porendicht eloxierte, das heißt: gehärtete Aluminiumpfannen aus Israel anbietet.
Ich blicke lieber ganz tief und lang in meine französische und italienische Weichware und zähl' die Löcher, sehe Flecken, Schlieren, Verunreinigungen, Verfärbungen wie bei einem Menschen, dessen Muttermale, Poren, Narben, Flaum man betrachtet, studiert, liebt.
Wolfram Siebeck schimpft solches Kochgeschirr „zerbeulte Pfadfinderausrüstung“ und läßt als Anhänger schwerer Töpfe und Pfannen unter „Zaubereien in Alu“ gerade mal in Folie gegarten Seewolf gelten. Doch dank der extrem hohen Temperaturleitfähigkeit, der Bezahlbarkeit und der pragmatischen, puristischen Anmutung ist Aluminiumgeschirr nicht mehr nur in der Gastronomie, sondern zunehmend auch in Privathaushalten gefragt, in denen man noch mit Gas kocht, und daher gerade auch in Berlin. Zumal inzwischen widerlegt ist, daß das lebensmittelechte, geruchs- und geschmacksneutrale Aluminium mit seinem Reinheitsgrad von 99,5 Prozent beim Kochvorgang Partikel freisetzte, die sich im Hirn anreichern und Alzheimer auslösen.
Zur Unbedenklichkeitsbescheinigung kommt der High-tech-Nimbus eines Werkstoffes, der nicht nur Flugzeuge formt, den Computern von Fujitsu bessere Wärmeableitung gewährt, den Audi A 8 versteift und das Cockpit im neuen Alfa Spider matt schimmern läßt, sondern auf einzigartige Art und Weise exotisch wirkt, obwohl es ihn in seiner industriellen Anwendung schon 144 Jahre gibt. Und das Alugeschirr in der Küche scheint mindestens genauso alt zu sein, denn selbst neu erworben sieht der Pastakocher nach zwei, drei Anwendungen wie ererbt aus.
Diese Ambivalenz aus modernem, funktionalem Element und schicker, sinnlicher Patina propagiert auch Coledampf's Küchenladen, wo die Aluriege mit einem knappen, museumsreifen „Spätes 20. Jahrhundert“ beworben und von den Wilmersdorfern wie wild gekauft wird.
Das Sortiment italienischer Profitöpfe reicht dort von der kleinen Stielkasserolle bis zum 85-Liter-Monstrum, die allesamt für die Gastronomie produziert werden und im Preis sogar Tchibo unterbieten. Der typische Erstkäufer will meist nur Urlaubserinnerungen mit einem mediterranen Fischkessel auffrischen oder für sein Party-Chili ein großes, billiges One-Night-Behältnis erwerben. Dann wird der Flirt zur Abhängigkeit, Alu zum Kult. Nicht nur für die eigene Küche, sondern auch als Geschenk. Wie jener dreifüßige Gemüseseiher im Oma-Look, den Coledampf's-Geschäftsführer Andreas Langholtz am laufenden Band verkauft und in dem man einen Yorkshire-Terrier baden könnte.
Womit wir auch fast schon zwei Ecken weiter in der Fasanenstraße wären, in der der Tanz ums Aluminium, die Fortschrittlichkeit mit Retro-Elementen noch weit verfeinertere Formen annimmt. „Aluminium“ taufte Bulgari seinen neuen, überaus sportlichen Chronometer, dessen Kautschuk-Aluminium-Konstrukt mit 2600 bis 2900 Mark zu bezahlen ist. Der Rückgriff aufs Aluminium, der bei der Swatch-Irony nur Sammler interessieren mochte, und bei Manufactums Dreißiger-Jahre-Wanduhr für robust-elegante Tradition steht, wird in der Hand der italienischen Nobeljuweliere zur grenzüberschreitenden Provokation, zur alchimistischen Philosophiererei, bei der die Namensgebung und das damit verbundene Bekenntnis fast schon wichtiger scheint als das wirklich verarbeitete Element. Statt edlerer Metalle und Verbundstoffe verkörpert Aluminium für den Bulgari-Clan die raffinierte und zugleich schlichte Ästhetik des neuen Jahrtausends. Und wenn es ein italienisches Millennium wird, kann es nur gut werden.
Dieser Beitrag erschien erstmals am 30. August 1998 im „Tagesspiegel“ und wurde – ohne daß ich ihn eingereicht hätte – beim Journalisten-Wettbewerb der Aluminium-Zentrale mit einem 3. Preis ausgezeichnet.
Montag, 19. April 2010
„Ronin“
Manchmal braucht es einen Altmeister auf dem Regiestuhl: wer sonst besäße den Starrsinn und die Erfahrung, den steten Kulissenwechsel zwischen Paris, der Côte d'Azur und der Provence, eine explosive Story von Handlungsreisenden in Sachen Tod und das Potential solcher Überschauspieler wie Robert De Niro und Jean Reno wirkungslos verpuffen zu lassen? Da kann man doch nicht völlig falsch liegen, mag sich der Zuschauer erwartungsfroh denken. John Frankenheimer belehrt ihn 118 öde Minuten lang eines Besseren.
Robert De Niro füllt die Leinwand aus, er läßt sie buchstäblich explodieren. Doch statt Ausdruck und Gefühl knallt in „Ronin“ nur die Pyrotechnik: Gleich dutzendweise werden Passanten massakriert, Autos zertrümmert und als kürzeste Verbindung zwischen diesen beiden Leitmotiven eine Verfolgungsjagd an die andere gereiht. Unter der Hochbahn, durch den Tunnel, in der Altstadt – so altbacken und redundant wurde schon lange nicht mehr Gummi gegeben.
Frei von jeglicher Spannung oder Selbstironie, detailverliebt bis zur Langeweile ist der konfuse Terroristencocktail gebraut: Sechs freiberufliche Agenten, vom Maisstengel rauchenden Franzosen bis zum Robotron-Deutschen, werden zum multinationalen Action-Team zusammengeschweißt, um der Russen-Mafia einen mysteriösen Koffer abzuluchsen, während Verräter, IRA und CIA für zusätzliche Verwirrung sorgen.
Frankenheimer havariert mit seinem amerikanisch-japanisch-europäischen Gefüge, das ein Mißgriff kontinentalen Ausmaßes bleibt. So wird der Film nur in den Klatschspalten Aufmerksamkeit erregen. Dank Katarina Witts Kurzauftritt als dahingemeuchelte Eisprinzessin und De Niros Ungemach während des Drehs: „Ronin“ war die Produktion, während der die französische Polizei De Niro festnahm, um ihn zur Aussage über einen Callgirl-Ring zu zwingen. Selbst das Drumherum ist prickelnder als das Werk an sich.
Dieser Text erschien unter meinem Pseudonym Fredi Hallenberger in der „Berliner Morgenpost“ vom 3. Dezember 1998
Robert De Niro füllt die Leinwand aus, er läßt sie buchstäblich explodieren. Doch statt Ausdruck und Gefühl knallt in „Ronin“ nur die Pyrotechnik: Gleich dutzendweise werden Passanten massakriert, Autos zertrümmert und als kürzeste Verbindung zwischen diesen beiden Leitmotiven eine Verfolgungsjagd an die andere gereiht. Unter der Hochbahn, durch den Tunnel, in der Altstadt – so altbacken und redundant wurde schon lange nicht mehr Gummi gegeben.
Frei von jeglicher Spannung oder Selbstironie, detailverliebt bis zur Langeweile ist der konfuse Terroristencocktail gebraut: Sechs freiberufliche Agenten, vom Maisstengel rauchenden Franzosen bis zum Robotron-Deutschen, werden zum multinationalen Action-Team zusammengeschweißt, um der Russen-Mafia einen mysteriösen Koffer abzuluchsen, während Verräter, IRA und CIA für zusätzliche Verwirrung sorgen.
Frankenheimer havariert mit seinem amerikanisch-japanisch-europäischen Gefüge, das ein Mißgriff kontinentalen Ausmaßes bleibt. So wird der Film nur in den Klatschspalten Aufmerksamkeit erregen. Dank Katarina Witts Kurzauftritt als dahingemeuchelte Eisprinzessin und De Niros Ungemach während des Drehs: „Ronin“ war die Produktion, während der die französische Polizei De Niro festnahm, um ihn zur Aussage über einen Callgirl-Ring zu zwingen. Selbst das Drumherum ist prickelnder als das Werk an sich.
Dieser Text erschien unter meinem Pseudonym Fredi Hallenberger in der „Berliner Morgenpost“ vom 3. Dezember 1998
Sonntag, 18. April 2010
Wochenplan
Vernissage Neo Rauch / Pinakothek der Moderne, Pressevorführungen „Die Eleganz der Madame Michel“ und „Der Andere – The other man“, Press Day Patrick Mohr und f.rau, Kodak Wohnzimmer, Dan Puric / Black Box, Agnes Obel / Cord Club, Preisverleihung „Kunstrasen“ / Glockenbachwerkstatt, Pressekonferenz DOK.fest / Filmmuseum, Le château en couleur / Isabella 32, Cold Shoulder to Cry On / Kammerspiele
(Neo Rauch | Das Blaue, 2006, Foto: Uwe Walter, Courtesy Galerie EIGEN + ART, Berlin und David Zwirner, New York © VG Bild-Kunst, Bonn 2010)
(Neo Rauch | Das Blaue, 2006, Foto: Uwe Walter, Courtesy Galerie EIGEN + ART, Berlin und David Zwirner, New York © VG Bild-Kunst, Bonn 2010)
Samstag, 17. April 2010
Urlaub in Berlin (1998)
Heimat, so sagt man, ist da, wo man nie ins Museum geht. Wo man den Tierpark nicht besucht und den Fernsehturm nur von unten kennt. So betrachtet, fällt es nicht schwer, ein Berliner zu sein. Gerade, wenn man erst als Erwachsener zugezogen ist, und der Phalanx der Museen, Parks und Sehenswürdigkeiten, der Wannseebootsfahrt und Funkturmbesteigung niemals en famille oder im Klassenrudel ausgeliefert war. Nun bliebe einem alle Zeit, Berlins Pretiosen irgendwann einmal kennenzulernen, denn (vielleicht mit Ausnahme des Palasts der Republik): Alle diese schönen Steinquader und Zierwiesen, Breughels und Dampfmaschinen würden morgen noch da sein, ich würde auch noch da sein, warum sich also heute damit beschäftigen, im Wust von Arbeit und Alltagstrott, Tête-à-têtes und Verpflichtungen? Keine Zeit? Nein, allezeit könnte man sich dem widmen und damit irgendwann, nie. Und sich weiter geschlossenen Auges heimisch fühlen.
Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäppchenreise oder Lebemanns Städtetrip zwischen Grand Palais und Croisette. Zuhause geblieben, weil potentielle Reiseziele in Israel oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt erreichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarrangement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den verplanten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswoche entgegenzusetzen. Einfach mal hierbleiben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen.
Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn – oder kleine Verrücktheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donnerstag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Theaterbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position beziehen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren.
Dabei darf man keineswegs mitpulsieren, Fußmärsche absolvieren, einen Schaufensterbummel machen oder sich gar ins Café setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, warten und den Strom an sich vorbeiziehen lassen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gästen wie Einwohnern.
Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schicker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehrlich, schlicht, authentisch erleben, als Teil eines Ganzen.
Für Salomon's Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufüllen, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der nächsten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Verkaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbeitet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salomon's Bagel in die Joachimsthaler Straße retten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) haben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schneidersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte.
Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wechselt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den wenigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiesprache mit den geschichtsträchtigen Jahrhunderten halten und ihren kapitalen kontinentalen Zauber spüren, gerade wenn der unvermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht.
Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucherstäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstücken, dem orientalischen Markttreiben zusehen, den Pariser cheap chic von Tati gegenüber im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören und vollkommen vergessen, ob man nun in Istanbul, Paris oder doch nur zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt.
Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind – so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen.
Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen.
Unmittelbar dahinter liegt die Strandvogelvoliere, das kleine Charlottenburger Seeidyll. Ich weiß nicht mehr, ob das nun Seeschwalben, Goldammern oder irgendwelche Strandläufer waren, da ich urlaubsbedingt ganz ohne Reporterblock das Vogelparadies genossen habe. Mit Sicherheit kann ich mich aber an kein abgeschiedeneres, kein romantischeres Plätzchen in unmittelbarer City-Lage erinnern. Vormittags und nachmittags soll eine sedative Wellenanlage in Betrieb sein, mir hat bei meinen Besuchen am frühen Abend die Bewegung der Vogelkolonie völlig genügt. Man betritt die Voliere, nimmt auf Tuchfühlung mit den Tieren Platz und hat ein fesselndes Programm vor Augen: Dallas auf der Düne, ein verästeltes Balz-, Kampf-, Sozialverhalten, in dem man rasch kurz- und lang-, rot- und schwarzschnabelige Arten unterscheidet, und dann bei all den Flugmanövern, Tauchgängen und Sandspielen allmählich auch Jung und Alt, Chef und Mitläufer, Sammler und Saboteure identifiziert.
Nahezu ebenso spannend kann ein Abend, der Donnerstagabend im Far Out sein, der altgedienten Ku'damm-Disco neben der Schaubühne, die ich nach zwölfjähriger Pause wiederbetreten habe, wie ein Tourist an eine Stätte früherer Vergnügungen zurückkehrt. Die Mas und Swamis haben die gleiche Metamorphose durchgemacht, wie sie unberührten Strandabschnitten und ländlichen Geheimtips widerfährt – man selbst ist auch nicht vor Erleuchtung strahlend geblieben, geschweige denn jünger geworden.
Aber es bleibt noch immer Berlins einziger Club, vor dessen Einlaß man gern, weil entspannt und in freundlicher Gesellschaft Schlange steht. Das Barpersonal setzt seinen besorgten Blick auf, wenn man Wodka pur ordert. Und die Gäste sind jung, gut gelaunt, international gemischt, promiskuitiv – eben all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der DJ will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf.
Beim Thema Jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schon wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan.
In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in andere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat.
Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen, verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten.
Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.
Dieser Text erschien erstmals im „Tagesspiegel“ vom 2. August 1998 unter der Überschrift „Schick, charmant und gutgelaunt – Wie ein Berliner Berlin lieben lernt“ und wurde in einer von mir leicht gekürzten Fassung im „Sympathie Magazin“ zum Thema „Tourismus verstehen“ 1999 nachgedruckt. Auch wenn einige darin beschriebene Institutionen und Läden umgezogen sind, ersetzt wurden oder wie das Far Out, GAP oder Tati nicht mehr in Berlin existieren, habe ich diese Woche während meines Besuchs der re:publica viele Stimmungsmomente hie und da wiederfinden können.
(Foto: Henrik Jordan)
Dann waren plötzlich Ferien. Urlaub in Berlin statt einer Abenteuertour, Schnäppchenreise oder Lebemanns Städtetrip zwischen Grand Palais und Croisette. Zuhause geblieben, weil potentielle Reiseziele in Israel oder am Schwarzen Meer von diesem Provinzflughafen aus nur bei ausreichender Vorplanung bezahlbar, wenn überhaupt erreichbar sind. Möglicherweise auch die Selbstbeschränkung auf das Pauschalarrangement Balkonien-Berlin-Brandenburg, um Geld zu sparen. Vor allem aber, um den verplanten Arbeitsmonaten nicht eine ebenso generalstabsmäßig arrangierte Urlaubswoche entgegenzusetzen. Einfach mal hierbleiben, nichts planen, nichts tun. Schlichtweg Urlaub in Berlin machen.
Hin und wieder grenzen Wunder an Wahnsinn – oder kleine Verrücktheiten wie jener, sich an einem frühen Abend an den Kurfürstendamm hinzustellen. Ein Donnerstag oder Freitag sollte es sein, zwischen 19 Uhr 30 und 20 Uhr 30, zu der Stunde, da die Einkaufsbummler noch beim Shoppen sind, die Übereifrigen gerade eben erst aus den Büros strömen, die ersten Kinogänger zu den Filmpalästen streben, die letzten Theaterbesucher in die Komödie eilen oder ins Theater des Westens, Restaurants sich füllen und die Zeitungsverkäufer Position beziehen. Da, zwischen den Schlagzeilen von morgen und den letzten Erledigungen von heute, öffnet sich einem die Stadt, vermeint man, ihren Herzschlag zu spüren.
Dabei darf man keineswegs mitpulsieren, Fußmärsche absolvieren, einen Schaufensterbummel machen oder sich gar ins Café setzen und damit distanziert abtauchen. Einfach stehenbleiben, auf einer Höhe mit den Passanten, Flaneuren, Bummlern, warten und den Strom an sich vorbeiziehen lassen, ein Bad in der Menge nehmen. Sich Zeit nehmen für Berlin und seine Menschen, Gästen wie Einwohnern.
Sie werden sich in diese Stadt verlieben, ein Berlin entdecken, spüren, das weit schicker, charmanter und besser gelaunt ist, als die Presse sonst immer behauptet. Und selbst die schmuddelige Teilmenge als ehrlich, schlicht, authentisch erleben, als Teil eines Ganzen.
Für Salomon's Bagel ist es jetzt zu spät. Aber an einem anderen Tag, wenn man sich in die Boutiquen, Kaufhäuser und Flagshops hineinwühlt, von den klassischen Klängen in King's Teagarden zum Housebeat bei Diesel treiben läßt, Hallhuber und GAP erobert, nicht um seinen Wäscheschrank aufzufüllen, sondern um zu sehen und zu fühlen, welche Schnitte, Stoffe, Farben in der nächsten Saison angesagt sind, um zu erleben, wer in Berlin so alles als Verkäufer, Verkaufsberater, Modeconsultant jobbt, arbeitet, sich selbst verwirklicht, und vor allem, um den Verpackungskünstlern von Esprit bei ihrem bunten Treiben zuzusehen, nach ein paar Stunden zwischen Tauentzien und Kurfürstendamm sollte man sich zu Salomon's Bagel in die Joachimsthaler Straße retten und auswählen: Ob man nun lieber einen süßen, fruchtigen Bagel (Erdbeer!) haben will oder doch eher klassisch (mit Lox & Cream). Ob man auf dem Podest im Schneidersitz von Marrakesch träumen, mit netten Globetrottern ins Gespräch kommen oder zu einer Studentenfete am Siegmunds-Hof eingeladen werden möchte.
Sich treiben lassen. Das fällt leichter, wenn man sich die Stadt zu Fuß erobert (würde man es in Prag, Rom oder London anders machen?). Täglich den Bezirk wechselt. Eingefahrene Wege verläßt. Und dafür jeden Tag meint, sich in einer neuen Stadt, einem neuen Land zu befinden. Auf den wenigen Metern zwischen Gendarmenmarkt und der Museumsinsel kann man in der menschenleeren blauen Stunde Zwiesprache mit den geschichtsträchtigen Jahrhunderten halten und ihren kapitalen kontinentalen Zauber spüren, gerade wenn der unvermeidliche Saxophonspieler mal nicht auf der Friedrichsbrücke steht.
Ost, Süd-Ost dagegen am Maybachufer, wenn Dienstag und Freitag mittag der Markt beginnt. Indienfahrer mit ihren Räucherstäbchen, türkische Marktleute, russische Großfamilien, Kreuzberger Fundis, polnische Autohändler und der Trommelwirbel eines grünen Wahlkampftrupps. Stunden kann man in der Ankerklause an der Kottbusser Brücke vertrödeln, mexikanisch frühstücken, dem orientalischen Markttreiben zusehen, den Pariser cheap chic von Tati gegenüber im Blickwinkel haben, kaum ein Wort Deutsch hören und vollkommen vergessen, ob man nun in Istanbul, Paris oder doch nur zwischen Neukölln und Kreuzberg weilt.
Sein ganz persönliches Sylt findet man im Zoo, dieser zweifelhaften Vergnügungsstätte, die man mit einem schlechten Gewissen betritt und meist im kindischen Geisteszustand wieder verläßt. Eingesperrte Tiere bleiben, was sie sind – so viel Mühe sich auch jede Tiergartenverwaltung geben mag. Und der Hospitalismus all der geschundenen Kreaturen läßt sich auch im Zoo nicht übersehen.
Doch dann wird das Mitleid durch ganz andere Gefühle abgelöst, hinter dem neurotischen Hin und Her das Lebewesen entdeckt. Es fröstelt einen, wenn man der Raubkatze ins Auge blickt, im Affenhaus kommen brüderliche Gefühle auf und angesichts des nur durch eine Glasscheibe von uns getrennten Nilpferdbabys fühlt man sich mindestens ebenso tapsig, treudoof, toll. Dann noch zum Tierkinderzoo, wie man dort die in Großstädten überlebenswichtige therapeutische Einrichtung eines Streichelgeheges nennt, wo keineswegs nur Gören noch leibhaftige Haustiere sehen, streicheln, herzen und sogar füttern dürfen.
Unmittelbar dahinter liegt die Strandvogelvoliere, das kleine Charlottenburger Seeidyll. Ich weiß nicht mehr, ob das nun Seeschwalben, Goldammern oder irgendwelche Strandläufer waren, da ich urlaubsbedingt ganz ohne Reporterblock das Vogelparadies genossen habe. Mit Sicherheit kann ich mich aber an kein abgeschiedeneres, kein romantischeres Plätzchen in unmittelbarer City-Lage erinnern. Vormittags und nachmittags soll eine sedative Wellenanlage in Betrieb sein, mir hat bei meinen Besuchen am frühen Abend die Bewegung der Vogelkolonie völlig genügt. Man betritt die Voliere, nimmt auf Tuchfühlung mit den Tieren Platz und hat ein fesselndes Programm vor Augen: Dallas auf der Düne, ein verästeltes Balz-, Kampf-, Sozialverhalten, in dem man rasch kurz- und lang-, rot- und schwarzschnabelige Arten unterscheidet, und dann bei all den Flugmanövern, Tauchgängen und Sandspielen allmählich auch Jung und Alt, Chef und Mitläufer, Sammler und Saboteure identifiziert.
Nahezu ebenso spannend kann ein Abend, der Donnerstagabend im Far Out sein, der altgedienten Ku'damm-Disco neben der Schaubühne, die ich nach zwölfjähriger Pause wiederbetreten habe, wie ein Tourist an eine Stätte früherer Vergnügungen zurückkehrt. Die Mas und Swamis haben die gleiche Metamorphose durchgemacht, wie sie unberührten Strandabschnitten und ländlichen Geheimtips widerfährt – man selbst ist auch nicht vor Erleuchtung strahlend geblieben, geschweige denn jünger geworden.
Aber es bleibt noch immer Berlins einziger Club, vor dessen Einlaß man gern, weil entspannt und in freundlicher Gesellschaft Schlange steht. Das Barpersonal setzt seinen besorgten Blick auf, wenn man Wodka pur ordert. Und die Gäste sind jung, gut gelaunt, international gemischt, promiskuitiv – eben all das, was man sich im Urlaub wünscht. Nur der DJ will einen mit Gewalt an neudeutsche Tugenden erinnern und legt Guildo Horn auf.
Beim Thema Jugendkult bietet sich auch die Gelegenheit an, nicht nur wie auf einer Reise das Fremde in der eigenen Stadt zu suchen, sondern die typische Szene, das konzentrierte Berlin zu erleben, wie es sich jeden ersten Sonntag im Monat im Glashaus der Treptower Arena ergibt. Beim Marlboro US Breakfast Club versammelt sich zwischen 11 und 17 Uhr alles, was vom Saturday Night Fever übrig geblieben ist oder schon wieder bei Sinnen ist, Berufsjugendliche und Tag- & Nachtschwärmer, die zum Brunch schon aufpushende Beats hören und vielleicht sogar dazu tanzen wollen. Das passende, kompromißlos individualistisch komponierte Outfit findet man vielleicht auf dem Flohmarkt nebenan.
In welche Kategorie fallen nun die Museen? Fremde oder Heimat? War es der lang aufgeschobene lokale Pflichttermin, endlich auch einmal den Hamburger Bahnhof und die Sammlung Berggruen abzuhaken, da der bildungsbürgerliche Stoßverkehr nachgelassen hat? Oder war es nicht viel eher ein Entweichen in andere Dimensionen? Der Hamburger Bahnhof: ein einziges Déjà-vu mit Namen, Serien, Arbeiten, wie man sie im letzten Jahr, im letzten Monat, letztendlich immer wieder in Köln, Chicago, München gesehen hat.
Der Stülerbau dagegen wie eines dieser kleinen, verwunschenen Privatmuseen, wo man sich gar keinen Massenandrang vorstellen kann, und sich nicht in einen Picasso, Giacometti oder Matisse verliebt, sondern in eine grüne Allee, einen Farbrausch, eine Silhouette, bei der man sich vornimmt, auch nach dem Urlaub einmal die Woche wiederzukehren und inne zu halten.
Wie man auch mittags in die Ankerklause statt in die Kantine gehen wollte oder zu den Strandvögeln. Fromme Wünsche, keine Zeit, allezeit. Aber diesen Herbst mache ich wieder Urlaub zwischen Pavianfelsen und Plötzensee.
Dieser Text erschien erstmals im „Tagesspiegel“ vom 2. August 1998 unter der Überschrift „Schick, charmant und gutgelaunt – Wie ein Berliner Berlin lieben lernt“ und wurde in einer von mir leicht gekürzten Fassung im „Sympathie Magazin“ zum Thema „Tourismus verstehen“ 1999 nachgedruckt. Auch wenn einige darin beschriebene Institutionen und Läden umgezogen sind, ersetzt wurden oder wie das Far Out, GAP oder Tati nicht mehr in Berlin existieren, habe ich diese Woche während meines Besuchs der re:publica viele Stimmungsmomente hie und da wiederfinden können.
(Foto: Henrik Jordan)
Freitag, 16. April 2010
Suhrkamp Goes Guerilla
Selbst vollster Körpereinsatz oder vielmehr das CI-gerechte Lackieren meines Fingernagels (Uslu Airlines!) konnte das Projekt nicht mehr retten: Wie aus einem Party-Small-Talk der edition-suhrkamp-shop erwuchs – aber nicht hier in München, sondern nur ohne uns in Berlin.
Montag, 12. April 2010
Sonntag, 11. April 2010
BJV-Papa Stöckel und die unartigen Journalisten
Ein Berufsverband, eine Partei, eine Verwertungsgesellschaft oder all die anderen old boy networks sind ein bißchen wie eine bessere Familie, in die man eingeheiratet hat: Man will, wenn überhaupt, nur jedes zweite Weihnachten mit ihnen verbringen, öfter erträgt man den patriarchalischen Schwiegervater alten Schlags nicht. Aber es beruhigt ungemein, ihn und seine guten Kontakte in der Hinterhand zu wissen, wenn man mal in Schwierigkeiten kommen sollte.
Da ich diese Distanz natürlich tunlichst pflege, konnte ich mich bislang auch kaum über den Bayerischen Journalisten-Verband aufregen. Anders als AZ-Sportchef Gunnar Jans, der sich schon mal öffentlich fragt, wofür er dem Verband jährlich 300 Euro Beitrag zahlt. Oder Christian Jakubetz, der beim BJV „ein ernsthaftes Auseinandersetzen mit der Krise, mit dem großen Umbruch, den wir seit Jahren erleben“ vermißt. Ganz von der neuen Generation Aktiver im BJV zu schweigen, deren konstruktive Kritik immer gleich als Nestbeschmutzung niederkartätscht wird.
Nun war ich neulich aber im Münchner Presseclub, noch so ein Seniorentreff der Wahren, Guten, Aufrechten, wo das hauseigene Magazin, die immer noch aktuelle Ausgabe N° 13, vom März 2009, auslag. Auf Seite 12 eine scheinbar verbandsübliche Philippika des BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel. Es geht um Ausbildungsbedingungen, Stellenabbau, Honorardumping, Pressefreiheit, kurzum: „Gefahr für die Demokratie“, was man eben – vollkommen zu Recht – von einer Journalistengewerkschaft hören will. Nur mit einem eigenartigen Zwischenton, bei dem man als BJV-Mitglied dankbar sein kann, daß das in den vergangenen zwölf Monaten offenbar niemandem aufgefallen ist, denn plötzlich wirft Stöckel eher beiläufig Kollegen „gehässigen Kampagnen-Journalismus“ vor und kritisiert, die Medien verließen zunehmend die „Position der fairen und neutralen Berichterstattung“.
Kritische Geister wie Harald Schmidt, Christoph Süß, Oliver Welke oder Oliver Kalkofe: Wer Prominente „ob Olli Kahn oder Horst Seehofer zu lächerlichen Comedy-Helden im Rundfunk macht, der darf sich nicht wundern, wenn die Stimmung umschlägt“. Nur zur Erinnerung: Hier spricht nicht Uli Hoeneß oder ein Adlatus der Staatskanzlei, sondern der oberste Repräsentant bayerischer Journalisten, der den von ihm vertretenen Journalisten aber gleich noch einen einschenkt, in Sachen Autorisierungen.
Jörg Thomann hat ja unlängst für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ auszuloten versucht, woher der Autorisierungswahn Prominenter und deren Manager kommen könnte, wobei es längst nicht mehr nur um die Freigabe von Zitaten geht, sondern zunehmend (Dr. Eckart von Hirschhausen, Kevin-Prince Boateng) um vollständige Artikel. Thomann muß da aber etwas Entscheidendes übersehen haben, denn Stöckel, immerhin primus inter pares, wußte es letztes Jahr schon ganz genau:
„Es sind unsere zum Teil unfairen Interview-Techniken, die dafür gesorgt haben, dass fast kein Gespräch mit Politikern, Wirtschaftsbossen und Prominenten mehr unautorisiert veröffentlicht werden darf.“ Ohne wenn und aber, ohne einschränkendes „es sind auch“, sondern: Wir. Sind. Selber. Schuld. Und nur wir.
Update: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 7. Juli 2008 über den Autorisierungswahn.
Bascha Mika von der „taz“ 2003 über den „Betrug am Leser“.
Da ich diese Distanz natürlich tunlichst pflege, konnte ich mich bislang auch kaum über den Bayerischen Journalisten-Verband aufregen. Anders als AZ-Sportchef Gunnar Jans, der sich schon mal öffentlich fragt, wofür er dem Verband jährlich 300 Euro Beitrag zahlt. Oder Christian Jakubetz, der beim BJV „ein ernsthaftes Auseinandersetzen mit der Krise, mit dem großen Umbruch, den wir seit Jahren erleben“ vermißt. Ganz von der neuen Generation Aktiver im BJV zu schweigen, deren konstruktive Kritik immer gleich als Nestbeschmutzung niederkartätscht wird.
Nun war ich neulich aber im Münchner Presseclub, noch so ein Seniorentreff der Wahren, Guten, Aufrechten, wo das hauseigene Magazin, die immer noch aktuelle Ausgabe N° 13, vom März 2009, auslag. Auf Seite 12 eine scheinbar verbandsübliche Philippika des BJV-Vorsitzenden Wolfgang Stöckel. Es geht um Ausbildungsbedingungen, Stellenabbau, Honorardumping, Pressefreiheit, kurzum: „Gefahr für die Demokratie“, was man eben – vollkommen zu Recht – von einer Journalistengewerkschaft hören will. Nur mit einem eigenartigen Zwischenton, bei dem man als BJV-Mitglied dankbar sein kann, daß das in den vergangenen zwölf Monaten offenbar niemandem aufgefallen ist, denn plötzlich wirft Stöckel eher beiläufig Kollegen „gehässigen Kampagnen-Journalismus“ vor und kritisiert, die Medien verließen zunehmend die „Position der fairen und neutralen Berichterstattung“.
Kritische Geister wie Harald Schmidt, Christoph Süß, Oliver Welke oder Oliver Kalkofe: Wer Prominente „ob Olli Kahn oder Horst Seehofer zu lächerlichen Comedy-Helden im Rundfunk macht, der darf sich nicht wundern, wenn die Stimmung umschlägt“. Nur zur Erinnerung: Hier spricht nicht Uli Hoeneß oder ein Adlatus der Staatskanzlei, sondern der oberste Repräsentant bayerischer Journalisten, der den von ihm vertretenen Journalisten aber gleich noch einen einschenkt, in Sachen Autorisierungen.
Jörg Thomann hat ja unlängst für die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ auszuloten versucht, woher der Autorisierungswahn Prominenter und deren Manager kommen könnte, wobei es längst nicht mehr nur um die Freigabe von Zitaten geht, sondern zunehmend (Dr. Eckart von Hirschhausen, Kevin-Prince Boateng) um vollständige Artikel. Thomann muß da aber etwas Entscheidendes übersehen haben, denn Stöckel, immerhin primus inter pares, wußte es letztes Jahr schon ganz genau:
„Es sind unsere zum Teil unfairen Interview-Techniken, die dafür gesorgt haben, dass fast kein Gespräch mit Politikern, Wirtschaftsbossen und Prominenten mehr unautorisiert veröffentlicht werden darf.“ Ohne wenn und aber, ohne einschränkendes „es sind auch“, sondern: Wir. Sind. Selber. Schuld. Und nur wir.
Update: Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 7. Juli 2008 über den Autorisierungswahn.
Bascha Mika von der „taz“ 2003 über den „Betrug am Leser“.
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